Austritte bei den Grünen: Soll man eine neue Partei gründen?
Vielen erscheint im Moment die Gründung einer „richtig linken“ Partei die Lösung zu sein. Unser Kolumnist findet: Dafür ist keine Zeit mehr.
![Person mit Weste von Linkspartei bei Parteitag vor Tischreihen Person mit Weste von Linkspartei bei Parteitag vor Tischreihen](https://taz.de/picture/7318054/14/36825795-1.jpeg)
D er Austritt von Funktionären der Grünen Jugend aus der Partei hat einen wunderbaren Satz hervorgebracht: „Es ist uns wichtig zu betonen, dass wir euch nicht für schlechte Menschen halten.“ Schön. Vor allem hat er bei ähnlich Enttäuschten die gute alte Frage aufgeworfen, ob man nicht dringend eine neue Partei gründen solle, und zwar eine „richtig linke“ der richtig Guten. Weil man bei den existierenden Parteien gar nicht mehr wisse, wen man überhaupt noch wählen könne.
Es ist erstmal verständlich, wenn Junge überlegen, eine eigene Partei zu gründen, weil sie ihre Zukunftsinteressen von Rentnerlobby-Parteien nicht repräsentiert sehen. Schwieriger wird es mit der Annahme, es brauche jetzt eine „richtig linke“ Partei. Da „richtig Linke“ als Identitätsmerkmal dazu neigen, möglichst vielen anderen das Richtig-links-sein abzusprechen und sie statt dessen nach rechtsaußen zu schieben, sehe ich für die Mehrheitsfähigkeit dieser Strategie keine Perspektiven.
Der Erfolg der antidemokratischen Wagenknecht-Clique, der AfD und das Ende der offenbar zu liberalen (sic!) Linkspartei zeigen zudem, dass in den angepeilten Milieus verschärft nationalsozialer Chauvinismus und anti-westlicher Putinismus nachgefragt wird. Was es definitiv braucht, keine Frage, ist Sozialpolitik, die den Wandel zur postfossilen und damit erfolgreichen Wirtschaft voranbringt und gleichzeitig breit zustimmungsfähig macht – und damit populismusresilient. Die Frage ist, wie man eine gesellschaftliche Mehrheit dafür gewinnen und in eine politische Mehrheit umwandeln kann.
Selbstverständlich könnte man sagen, es gehe erstmal um einen radikalen Gegenentwurf. Da gebe ich allerdings den Lieblingssatz all jener zu bedenken, die zu Recht beklagen, dass klimapolitisch alles viel zu langsam vorangehe: „Wir haben keine Zeit mehr.“ Das Erwachsenwerden der Grünen hat 40 Jahre gedauert und ist eindeutig vorangeschritten, aber immer noch nicht abgeschlossen. Viele Jahre hat man sich eingeredet, man könne aus der gemütlichen Sicherheit der Opposition heraus, mit moralischer Exzellenz-Rhetorik die Dinge vorantreiben. Was für einige Bereiche auch stimmt, aber eben nicht für die zukunftsentscheidenden Probleme. Gerade wenn „wir keine Zeit mehr haben“, muss man überlegen, wie man Zeit gewinnt und wie man sie effektiv und real nutzt.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Die neue Richtig-links-Partei müsste also vor ihrer Gründung die Frage klären, was „richtig links“ für eine konkrete Politik meint zur Lösung der multiplen Probleme, also nicht nur im Hinblick auf Umverteilung, sondern auf Erderhitzung, Energiesicherheit, Innovationen, europäische Zukunft, militärische Verteidigungsfähigkeit, Künstliche Intelligenz. Sie müsste dabei auch schon die Frage klären, wie sie mit anderen Parteien, Milieus, Unternehmen, Staaten, Märkten und der EU konstruktiv zusammenarbeiten kann, die ja alle nicht „richtig links“ sind.
Nun ist die Neugründung BSW steil durchgestartet. Aber das ist keine Partei für einen teilgesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess, sondern ein elitärer Club. Das Autoritäre und Ausschließende ist in der Vereinssatzung angelegt.
Aber ja: Wer mit Populismus gegen den liberal-emanzipatorischen Fortschritt antritt, kann im Moment durchaus schnelle Wahlerfolge erzielen. Aber eben als GEGEN-Projekt. Also in der Position, in der wir früher waren. Wer aber den liberal-emanzipatorischen Fortschritt ausbauen oder zumindest bewahren will, der kann nicht mehr einfach mal ein paar Jahre „radikal“ kritisieren und „dagegen“ sein; der muss im Mediengewitter der populistischen Kritik in verantwortliche Position kommen und dort reparieren. Jetzt.
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