Aus Le Monde diplomatique: Bildstörung in der Schweiz
Rechte wollen Radio- und TV-Gebühren streichen, am 4. März stimmt die Bevölkerung darüber ab. Die öffentliche Meinung ist schon nach rechts gerückt.
Viermal im Jahr gibt es in der Schweiz spezielle Sonntage. Das sind die, an denen über politische Vorlagen abgestimmt wird. Das Ritual beginnt um 12 Uhr mittags, wenn die Stimmlokale schließen und Radio und Fernsehen die ersten Resultate veröffentlichen. Diese stammen aus den eher konservativen Landgemeinden und können im Lauf des Nachmittags von den progressiveren Städten mit ihrer höheren Einwohnerzahl noch gedreht werden.
Die Spannung steigt, Hochrechnungen werden herausgegeben, verdichten sich zu einem endgültigen Ergebnis, über das ab 18 Uhr die Parteivorsitzenden in der Elefantenrunde diskutieren. An die 200 Angestellte des öffentlichen Radios und Fernsehens sind jeweils im Einsatz. Die direkte Demokratie der Schweiz lebt nicht zuletzt von und dank ihrer medialen Inszenierung.
Am 4. März wird sich das Ritual womöglich zum letzten Mal so abspielen. Dann kommt die No-Billag-Initiative zur Abstimmung, benannt nach der Inkassofirma Billag, die derzeit die Radio- und Fernsehgebühren einzieht. Die Initiative will der Schweizer Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) diesen Geldhahn zudrehen. Angenommen, aus den Landgemeinden kämen im Laufe des Nachmittags lauter Ja-Stimmen und die Städte würden nicht genug Nein-Stimmen liefern, um die No-Billag-Initiative zu kippen: Würden die auf Ausgewogenheit bedachten Moderatoren die Contenance verlieren? Käme es zu einem Tumult in den Fernsehkulissen? Vor laufenden Kameras?
Falls die Initiative Erfolg hat, würden beim öffentlichen Schweizer Radio und Fernsehen wohl die Lichter ausgehen. In der Verfassung müsste dann festgeschrieben werden, dass der Staat weder Gebühren erheben noch andere Subventionen zur Finanzierung von Radio und Fernsehen vergeben darf. Der bestehende Verfassungsartikel, dem zufolge die öffentlich finanzierten Programme verpflichtet sind, sachlich und ausgewogen zu berichten und Kultur und Bildung zu fördern, würde wegfallen. In der Konsequenz hieße das: Es gäbe nur noch privat finanzierte Medien, die zudem an keine qualitativen Auflagen mehr gebunden wären.
Drei Viertel der Einnahmen würden fehlen
Die Initiatoren und Befürworterinnen argumentieren, sie würden die SRG von ihren staatlichen Fesseln befreien und in die Freiheit des Markts entlassen, wo sie sich endlich entfalten könnte. Abgesehen davon, dass die SRG bereits heute als privater Verein organisiert ist, in dem jede Einzelperson Mitglied werden kann, entbehrt die Behauptung jeder ökonomischen Grundlage: Die SRG finanziert heute mit einem jährlichen Budget von 1,6 Milliarden Franken 7 Fernseh- und 17 Radioprogramme in allen vier Landessprachen. Die Gebühren bringen 1,2 Milliarden ein, Werbung und Sponsoring 0,4 Milliarden. Der SRG würden also auf einen Schlag drei Viertel der Einnahmen fehlen.
Die Befürworter haben einen „Plan B“ errechnet, wonach sich die Programme mit Werbung oder Pay-TV finanzieren ließen. Allerdings wird die Werbung wohl kaum bei einer Rumpf-SRG bleiben, sondern zu den reichweitenstarken deutschen Privaten wie RTL oder ProSiebenSat1 abwandern, die bereits über lukrative Schweizer Werbefenster verfügen. Pay-Abos funktionieren zudem nur für Sport oder Pornos, nicht aber für Informationssendungen.
Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe von Le Monde diplomatique. LMd liegt immer am zweiten Freitag des Monats der taz bei und ist einzeln im taz-Shop bestellbar: Gedruckt oder digital (inklusive Audio-Version). Das komplette Inhaltsverzeichnis der aktuellen Ausgabe finden Sie unter www.monde-diplomatique.de.
Betroffen von der Initiative wären neben der SRG auch die regionalen Fernsehsender sowie gebührenfinanzierte Alternativradios. 6.900 Beschäftigte könnten bei den Sendern ihre Arbeit verlieren.
Ausgedacht haben sich die Initiative Mitglieder der Jugendorganisationen der freisinnigen FDP und der rechtspopulistischen SVP nach einer gemeinsamen Tagung mit dem Titel „Endstation Sozialismus“ im Jahr 2013. Die Billag-Gebühren sind bei der Bevölkerung unbeliebt, weil sie mit bisher 462 Franken pro Jahr und Haushalt relativ hoch ausfallen und im Gegensatz zu den Steuern ohne Progression erhoben werden. Den Jungpolitikern erschienen sie als nützlicher Hebel, um ihr eigentliches ideologisches Projekt zu propagieren: Sie wollen die Staatsaufgaben auf ein absolutes Minimum reduzieren. In einer reinen Marktordnung soll die angebliche individuelle Wahlfreiheit über allem anderen stehen.
Zusammenschluss von Rechten und Liberalen
Lange Zeit hielt die SVP mit ihrer Haltung zu der Initiative ihrer Jungspunde hinter dem Berg. Der Autoimporteur Walter Frey, der als einer der wichtigsten Geldgeber der SVP auch Mitglied der Parteiführung ist, zahlte der Initiative in der Phase der Unterschriftensammlung einen sechsstelligen Betrag. Als im Parlament über das Thema verhandelt wurde, stimmten einflussreiche SVP-Abgeordnete dafür, so auch Roger Köppel, der Verleger der rechtsnationalen Weltwoche. Schließlich gab der SVP-Übervater und Milliardär Christoph Blocher bekannt, dass er die Initiative unterstützen werde.
ist Vizeredaktionsleiter der Wochenzeitung WOZ. Die gesammelten Beiträge der WOZ zur Abstimmung finden sich auf www.neinnobillag.ch.
Die FDP beschloss am Ende, die No-Billag-Initiative nicht zu unterstützen, eine Linie, von der jedoch viele Parteimitglieder abweichen. Dazu gehört Hans-Ulrich Bigler, der eine der mächtigsten Interessenvertretungen anführt. Sein Gewerbeverband repräsentiert die kleinen und mittelständischen Unternehmen der Schweiz. Berüchtigt für seine aggressiven Kampagnen, stößt Bigler diesmal auch intern auf Kritik. Viele im Verband sehen nicht ein, dass die Bekämpfung der Radio- und Fernsehgebühren zu ihren Kernanliegen zählen soll.
Die No-Billag-Abstimmung findet statt, während auch in der Schweiz die Konzentration auf dem Medienmarkt voranschreitet. Hauptursache ist zum einem der Wegbruch der Werbeeinnahmen, die im Zuge der Digitalisierung großenteils ins Internet und dort zu Google und Facebook abgewandert sind. Zum anderen werden inzwischen fast alle Medien unter der neoliberalen Doktrin des Shareholder-Value auf Profit getrimmt. Den Schweizer Medienmarkt beherrscht im Grunde ein Oligopol, zu dem die Tamedia mit ihrem Stammblatt Tagesanzeiger und der Gratiszeitung 20 Minuten, Ringier mit der Boulevardzeitung Blick sowie – weit kleiner – die NZZ-Gruppe gehören.
Die Annahme der No-Billag-Initiative würde vor allem die Tamedia begünstigen. Kurz vor Weihnachten hat sie die Goldbach Group aufgekauft, die für ausländische Privatsender die Werbefenster vermarktet. Der Verwaltungsratspräsident von Tamedia, Pietro Supino, steht auch dem Verlegerverband vor. Dieser hat sich in einen veritablen Kleinkrieg mit der SRG verstrickt: Das Angebot der öffentlichen Sender im Internet soll beschränkt werden, fordert der Verband, weil es wegen der staatlichen Unterstützung zu einer Wettbewerbsverzerrung komme. Die Verleger zögerten lange, eine Parole zur No-Billag-Initiative auszugeben. Erst kürzlich konnten sie sich zu einem halbherzigen Nein durchringen.
Getrieben vom Verlust der Werbegelder
Die Kritik an der SRG gleicht der des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger, dessen Präsident Mathias Döpfner die Onlineangebote von ARD und ZDF als „gebührenfinanzierte Staatspresse“ kritisiert. Getrieben vom Verlust der Werbegelder, attackiert man lieber die Öffentlich-Rechtlichen, statt mit ihnen über gemeinsame Strategien gegen die Techgiganten nachzudenken.
Mit der Medienkonzentration geht in der Schweiz auch ein deutlicher Rechtsruck der veröffentlichten Meinung einher. Die Weltwoche unter Roger Köppel wurde zum Propagandainstrument der Rechtspopulisten. Christoph Blocher gelang es zudem, die Basler Zeitung sowie gleich 25 Gratiswochenzeitungen zu kaufen. Und Eric Gujer, seit 2015 Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, positioniert das Blatt weitaus stärker rechts, als dies sein Vorgänger Markus Spillmann tat.
Der Aufstieg der Schweizer Rechtspopulisten wäre ohne ihre Präsenz in den Talkshows des öffentlichen Fernsehens nicht denkbar gewesen. Doch wittern sie bis heute eine linke Unterwanderung der SRG. Linke und Kulturschaffende wiederum müssen ein TV-Programm verteidigen, das wie in einem Ferienprospekt stets lieber die ländliche als die urbane Schweiz abbildet. Migrantische Stimmen hört man dort kaum. Einen besseren Ruf genießt das Radio mit seinen anspruchsvollen Informations- und Kultursendungen.
Linke Parteien, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen lehnen die No-Billag-Initiative vor allem aus demokratiepolitischen Gründen ab. Sie betonen, dass nur von der Allgemeinheit finanzierte Sender die kleinteilige und mehrsprachige Schweiz adäquat abbilden können. Tatsächlich fließen mehr als 40 Prozent der in der Deutschschweiz erhobenen Gebühren in die Westschweiz und ins Tessin. Von der vermeintlichen Wahlfreiheit würden einzig kommerzielle Anbieter und die finanzkräftigen Rechtspopulisten profitieren. Im Kern liefe ein Erfolg von No-Billag auf die Privatisierung von Gemeingut hinaus.
Europaweit haben rechtspopulistische Parteien in den öffentlichen Sendern ein Feindbild gefunden. In Deutschland will die AfD die Öffentlich-Rechtlichen auf eine Anstalt, nämlich das ZDF, beschränken – die Rede ist von einem „schlanken Bürgerfunk“. In Österreich forderte der FPÖ-Chef und heutige Vizekanzler Heinz-Christian Strache im Wahlkampf die Abschaffung der Gebühren und eine Umwandlung des ORF in Pay-TV. Im Koalitionsvertrag ist davon keine Rede mehr, doch soll der ORF künftig mehr „österreichische Inhalte“ bringen. Und in Polen hat die rechtsnationale Regierung die öffentlichen Medien kurzerhand unter ihre Kontrolle gebracht.
Umfragen sagen ein Scheitern der No-Billag-Initiative voraus. Die ablehnende Stimmung wurde Mitte Januar bei einer Veranstaltung im Luzerner Hotel Schweizerhof spürbar, bei der Medienministerin Doris Leuthardt auf Oliver Kessler traf, einen der No-Billag-Initiatoren. Die Abschaffung der Gebühren würde insbesondere Menschen mit niedrigen Einkommen entgegenkommen, biederte sich Kessler bei Linken an. „Müssten diese bei privaten Angeboten tatsächlich weniger bezahlen?“, wollte eine Frau aus dem Publikum wissen. „Sie könnten das eingesparte Gebührengeld auch in eine Weiterbildung stecken, um künftig mehr zu verdienen“, antwortete Kessler. Ob der arroganten, elitären Reaktion ging ein Raunen durch den Saal.
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