Aufarbeitung des Attentats in Solingen: Abschiebungen nur werktags
NRWs grüne Integrationsministerin Josefine Paul erläutert, woran die Rückführung von Issa al H. scheiterte. Ein U-Ausschuss soll weiter aufklären.
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Ihr Kabinettskollege, NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), mahnte außerdem eine bessere Ausstattung der Geheimdienste an, um schneller auf mögliche radikalisierte Gefährder:innen aufmerksam zu werden. Zusätzlich kündigten die Regierungsfraktionen von CDU und Grünen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses an, der mögliche Fehler und Versäumnisse im Zusammenhang mit dem Attentat aufklären soll.
Bei der von der oppositionellen SPD beantragten gemeinsamen Sondersitzung des Innen- und Integrationsausschusses stellte sich Reul vor die Sicherheitskräfte. Die Reaktionszeit der Polizei habe „bei null“ gelegen, da sich zur Tatzeit am Freitag vergangener Woche um 21.37 Uhr mehr als ein Dutzend Polizist:innen auf dem Fronhof befunden hätten – wenn auch nicht in unmittelbarer Nähe des aus Syrien stammenden Tatverdächtigen Issa al H. Bereits um 21.59 Uhr sei dann das Polizeipräsidium Düsseldorf als übergeordnete Behörde, vier weitere Minuten später dann „alle Sondereinsatzkommandos in NRW“ alarmiert worden.
Zudem habe sich der mutmaßliche Täter am folgenden Samstag nicht, wie bisher von der taz und vielen anderen Medien berichtet, freiwillig der Polizei gestellt, erklärte der NRW-Innenminister. Vielmehr sei er einer Polizeistreife „wegen seiner Kleidung und Verhaltens“ als verdächtig aufgefallen und daraufhin von den Beamt:innen „festgenommen“ worden.
Grüne unter Druck
Reul warnte vor der „Versuchung“, das Attentat zu „instrumentalisieren“ und alle Asylsuchenden unter Generalverdacht zu stellen: „Hunderttausende sind dankbar für den Schutz, den wir Ihnen gewähren“, so der Christdemokrat: „Hetze hilft nicht weiter.“
Die grüne Integrationsministerin Paul, die sich seit Tagen Fragen nach ihrer politischen Mitverantwortung für das Attentat stellen muss, erläuterte im Detail, warum sich der mutmaßliche Täter, der bereits seit 2023 ausreisepflichtig war, überhaupt noch in Deutschland aufhalten konnte. Issa al H. hatte zunächst in Bulgarien einen Asylantrag gestellt – und damit wäre das südosteuropäische Land nach dem Dublin-Übereinkommen für ihn verantwortlich gewesen.
Bereits am 20. Februar 2023 habe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Ausweisung aus Deutschland angeordnet, so Paul. Ein Abschiebeflug sollte am 5. Juni 2023 gehen – doch Mitarbeiter:innen der Zentralen Ausländerbehörde Bielefeld trafen Issa al H. in seiner damaligen Flüchtlingsunterkunft in Paderborn nicht an. Ein weiterer Abschiebeflug wurde nicht gebucht, da eine Frist von sechs Monaten eingehalten werden müsse, erklärte die Ministerin.
Ministerin nimmt den Bund in die Pflicht
Die sei dann im Juli 2023 abgelaufen – und bis dahin seien keine neuen Abschiebeflüge greifbar gewesen. Dies liege an restriktiven Regelungen Bulgariens: So erlaube das Land Abschiebungen ausschließlich auf dem Luftweg und von Montag bis Donnerstag von 9 bis 14 Uhr. Charterflüge würden nicht akzeptiert. Daher könnten bundesweit nur „10 bis 15 Prozent“ der nach dem Dublin-Übereinkommen Ausreisepflichtigen „zurückgeführt“ werden, sagte Paul – und mahnte Nachbesserung durch den Bund an.
Gleichzeitig deutete die Ministerin aber auch Fehler der ihr unterstellten Behörden an: So habe sie bereits angewiesen, dass die Zentralen Ausländerbehörden künftig Zugriff auf die Anwesenheitslisten der Landesunterbringungseinrichtungen erhalten sollen. Diese seien künftig verpflichtet, zu melden, „wenn eine Person, die nicht angetroffen wurde, wieder da ist“.
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