Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“: Ihr bestes Argument
Es ist bedenklich, wenn die erste schwarze Präsidentschaftskandidatin als besten Grund, sie zu wählen, angibt, dass ihr Gegner Donald Trump heißt.
A uch in ihrer als „Schlussplädoyer“ angekündigten Rede vor beeindruckender Kulisse in der US-Hauptstadt hat die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris nicht mit einer eigenen Vision glänzen können. Erneut arbeitete sie sich an der Person und Agenda ihres Konkurrenten Donald Trump ab. Die Rede war symptomatisch für den gesamten kurzen Wahlkampf, den Harris nach dem Rückzug Joe Bidens überhaupt noch führen konnte.
Für republikanische Wähler*innen sind nach allen demoskopischen Erhebungen der letzten Zeit die Themen Wirtschaft, Migration und Gewaltkriminalität zentral, bei den Demokrat*innen stehen hingegen Gesundheitsversorgung und die Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofes vorne, Wirtschaft kommt erst an dritter Stelle.
Aber die Trump-Kampagne hat es geschafft, mit klaren Aussagen oder unglaublichen Lügen oder einer Mischung aus beidem ihre Themen in der öffentlichen Wahrnehmung ganz nach vorne zu spielen. Trump hat die Agenda gesetzt.
Mit Ausnahme der drei Wochen zwischen jener desaströsen TV-Debatte und Bidens Rückzug, als die mentale Fitness des amtierenden Präsidenten die Schlagzeilen dominierte, war es immer Trump, der bestimmen konnte, worüber gesprochen wird. Je dreister die Lüge, je aggressiver der Angriff, desto mehr sahen sich Harris und die Demokrat*innen genötigt, darauf einzugehen. Inhaltlich völlig zu Recht brandmarkt sie Trumps Wunsch nach autoritärer Herrschaft bis hin zum Faschismus. Aber das bedeutet eben: Er ist das Thema, nicht ihre Ideen.
Empfohlener externer Inhalt
Diskreditierung der Gegenseite hat Tradition
Und: Trump ist es eben auch gelungen, auf den tatsächlichen Problemen eines Großteils der Bevölkerung, etwa der Inflation, aufzusetzen und eine mit Lügen oder Übertreibungen konstruierte Erzählung zur gefühlten Wahrheit seiner Anhänger*innen zu machen. Sich selbst preist er zugleich als einzig mögliche Lösung all dieser Probleme an. Dem setzt die Warnung, Trump sei eine Gefahr für die Demokratie, einfach wenig Überzeugendes entgegen. Und das ist noch nicht einmal ein besonderes Versäumnis von Kamala Harris und ihrem Team: Auch Joe Bidens bestes Argument war stets die Gefährlichkeit Donald Trumps.
Im Prinzip sind die USA seit Langem Wahlkämpfe gewöhnt, die mehr auf die Diskreditierung der Gegenseite zielen als auf die eigenen Ideen. Aber es ist schon bedenklich, wenn eine Frau, die als erste Schwarze Präsidentschaftskandidatin durchaus Geschichte schreiben könnte, als besten Grund, sie zu wählen, angibt, dass ihr Gegner Donald Trump heißt. Da ist ganz schön was schiefgelaufen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke