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Asyl- und Migrationspolitik der AmpelGrüne ringen um ihre Grenzen

Die Hardliner-Forderungen von Friedrich Merz weisen die Grünen einhellig zurück. Über den eigenen Kurs gibt es intern aber Diskussionen.

Schon jetzt kontrolliert die Bundespolizei an der deutsch-polnischen Grenze verschärft zur Begrenzung der Migration Foto: Patrick Pleul/dpa

Berlin taz | Friedrich Merz schweißt die Grünen mal wieder zusammen. Über die Flügel hinweg sind sie sich am Mittwoch einig: Der hat einen Schuss. „Wie ein Kind im Sandkasten“ führe sich der CDU-Chef auf, sagte Fraktionschefin Katharina Dröge im Bundestag. „So kann man kein Land regieren.“ Von einem „Schmierentheater“ sprach schon am Vortag die linke Parteichefin Ricarda Lang, von einem „peinlichen Possenspiel ohne Respekt vor dem europäischen Einigungsprojekt“ der Realo Dieter Janecek.

Dass die Union in einem nationalen Alleingang Flüchtlinge zurückweisen will und das Spitzengespräch mit der Ampel am Dienstag verlassen hat – zumindest ein Stück weit kommt es den Grünen gelegen.

So weit wie Merz wollen sie nicht gehen, auf dieses Stoppschild können sie sich einigen. Sogar in der Koalition traten interne Streitigkeiten kurzzeitig in den Hintergrund: Dass man europäisches Recht einhalten will, ist in der Ampel noch Konsens. Und noch ein positiver Nebeneffekt für die Grünen: In Abgrenzung zur CDU erscheinen sie fast wieder wie Garanten einer halbwegs liberalen Migrationspolitik.

Zumindest rückt ein Stück weit in den Hintergrund, welche Verschärfungen sie in ihrer Regierungszeit schon alle mitgetragen haben und mutmaßlich noch mittragen werden. Erst in dieser Woche ging das sogenannte Sicherheitspaket, auf dass sich die Ampelspitzen vor anderthalb Wochen geeinigt hatten, in den Bundestag. Es beinhaltet unter anderem die Streichung von Sozialleistungen für sogenannte Dublin-Flüchtlinge, für deren Asylverfahren andere EU-Länder zuständig sind.

In der Fraktionssitzung der Grünen wurde es ausgiebig kritisiert. Zur Diskussion stand sogar, die Einbringung ins Parlament zu verzögern. Am Ende gab es keine Mehrheit dafür, aber die Ankündigung der Fraktionsspitze, die Gesetzesänderungen „sehr ausführlich“ zu prüfen.

Doch während die parlamentarischen Beratungen über das eine Sicherheitspaket erst anlaufen, hat die Regierung im Windschatten der Aufregung um Merz schon die nächste Verschärfung auf den Weg gebracht: noch härtere Maßnahmen zur Abschiebung von Dublin-Flüchtlingen, nach Möglichkeit auch mittels Haft für die Betroffenen in Grenznähe. Die genaue Ausgestaltung ist noch unklar. Es gebe rechtliche Vorgaben dafür, wer eingesperrt werden darf, sagte die grüne Außenministerin Annalena Baerbock. Grundsätzlich sei ihre Partei aber „aus vollem Herzen“ dabei.

„Was zur Hölle?“

Dagegen gab es, bei aller Einigkeit gegen Hardliner Merz, am Mittwoch aber doch Widerspruch aus den eigenen Reihen. „Inhaftierung & Pushbacks an deutschen Grenzen? Da sage ich aus vollem Herzen: Was zur Hölle?“, schrieb Svenja Appuhn, Sprecherin der Grünen Jugend, auf der Plattform X.

Parteimitglieder kritisierten schon zuvor in einem offenen Brief den Kurs der letzten Wochen. „Wir als Parteibasis sind besonders alarmiert, weil wir den Rechtsruck nicht nur in der Gesellschaft spüren, sondern auch zusehen müssen, wie unsere Partei dem Diskurs folgt“, heißt es darin. Bis Mittwochmittag hatte der Brief 1.300 Unterschriften.

Gut möglich, dass auch der Parteitag im November von der Diskussion geprägt wird, statt von der publikumswirksamen Kür Robert Habecks zum Kanzlerkandidaten. Schon auf dem letzten Parteitag diskutierten die Grünen intensiv über die Asylpolitik. Mit einer Brandrede brachte der Vizekanzler die Delegierten damals auf seine Seite.

Aus dem linken Flügel heißt es, damit würde er diesmal nicht mehr durchkommen. „Wenn Robert Habeck will, dass seine Partei für ihn in einem Jahr Wahlkampf macht, dann muss er jetzt migrationspolitisch das Ruder rumreißen“, sagt ein Mitglied der Bundestagsfraktion.

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18 Kommentare

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  • In der Pressekonferenz mit Faser und Buschmann zu Maßnahmen in der Asylpolitik hat sich Frau Baerbock die größte Redezeit genommen, aber eigentlich schwafelig und ohne große Substanz. Ich finde, eigentlich liegt es doch an ihr als Außenministerin in Europa aktiver zu werden und eine gute Migrationspolitik für alle Europäer voranzubringen. Oder aber das Thema Fluchtursachen zu bearbeiten wäre doch in ihrem Bereich anzusiedeln. Mein Eindruck ist, die Grünen haben gar keinen Bock auf das Thema und wollen mit den Schattenseiten nichts zu tun haben.

    • @Nina Zabienski:

      "Oder aber das Thema Fluchtursachen zu bearbeiten" Diktaturen, Korruption, Kriege da kann sie nicht viel machen.

      "eine gute Migrationspolitik für alle Europäer voranzubringen", schaut man sich die Wahlergebnisse in Europa an dann ist das was die MAsse der Europäer will dann sind das Zäune, Mauern und ein Verbot der Seenotrettung im Mittelmeer.

  • Die Grünen sollten hier standhaft bleiben. Eine Kehrtwende nimmt ihnen der Wähler sowieso nicht mehr ab. Dann lieber ehrlich bleiben und in die Opposition gehen, wo die Grünen sowieso hingehören.

  • Von einem nationalen Alleingang könnte man nicht sprechen. Andere EU-Länder machen die von Merz geforderten Zurückweisungen bereits, z.B. Dänemark.

    Es ist auch gegenüber Asylbewerbern grundsätzlich das richtige Signal, dass sie sich nicht selbst aussuchen, wo in der EU sie untergebracht werden sollen. Es geht beim Thema Asyl um Schutz vor politischer Verfolgung, nicht um Migration in ein bestimmtes Wunschland.

  • Es gibt völkerrechtliche Pflichten, das Grundgesetz und Karlsruhe, wo bekannt ist, dass viele der gerade diskutierten Punkte sofort wieder einkassiert würden, wie frühere Versuche der Großen Koalition schon.

    Philosophisch ist übrigens kaum zu erklären, wieso der Zufall des Geburtsorts so krasse Lebens-Chancen-Unterschiede mit sich führen sollte.

    Der konservative Punkt, dass alles viel zu schnell bei der Migration gehe, hat dabei schon auch einen Punkt. Eine Lösung ist: Gelder an Reiche und Fossilindustrie umwidmen, um Infrastruktur wieder zu bauen: Mehr Menschen brauchen mehr klug-kompakten Wohnraum, Schulen, Busse und Bahnen. Willkommen braucht auch die Entscheidung für die Ressourcen dafür - und gegen die nächste Milliardenausgabe für Autos und so was.

  • Was ist denn eigentlich das Migrationsproblem?

  • Den Grünen passiert halt was man der AfD immer prophezeit... - 'wenn die mal an der Macht wären würden sie sich ganz schnell entzaubern'



    Ob das nun bei den Grünen passiert weil keine andere Partei in Deutschland so visionär ist wie die Grünen und deren Ideen von wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Fortschritt mitgehen kann - oder weil die Ideen der Grünen eben doch hanebüchene Tagträumereien aus dem Wolkenkuckucksheim sind, die in der Realität ganz schnell an ihre Grenzen geraten, kann jeder für sich selbst entscheiden.

  • Die Grünen haben schon so viele ihrer Ideale verraten, dass es eher wie ein leichtes Aufbäumen wirkt. Die werden in die Richtung umfallen, in der sie sich die meisten Stimmen versprechen.

    Spannend finde, wer sich auch sonst noch so für harte Maßnahmen stark macht. Z.B. Bijan Djir-Sarai von der FDP. Liberal? Frei? Heißt wohl frei von Skrupeln?! Dass ein Mensch, der hier in Deutschland nicht sein Unwesen treiben würde, wenn Deutschland schon vor Jahrzehnten die Politik betrieben hätte, die er propagiert, hat wirklich keine Skrupel. Was wohl sein Onkel dazu sagen würde, bei dem er hier in Deutschland aufgewachsen durfte? Hätte er hier aufwachsen dürfen unter der Politik, die er durchsetzen will?

  • Nun, der größte Erfolg der Grünen und SPD in dieser Legislaturperiode ist das Bürgergeld in Kombi mit der Turboeinbürgerung, die die Asylzahlen letztes Jahr auf über 350.000 plus 170.000 Familiennachzügler hochschnellen ließ.

    Das wirkt nachhaltig, lässt also weitere hohe Zahlen erwarten, gemindert in diesem Jahr vielleicht durch das böse Wörtchen "Remigration".

    Nun, die Grünen haben also große Erfolge vorzuweisen, da kann man ruhig mal ein paar kleine Verschärfungen mittragen, die eh relativ zu den Gesamtzuwandererungszahlen lapidar sind.

  • Warum schafft es die CDU, mit ihrem Früher-war-alles-besser Gejodel, eigentlich immer wieder, die ganze Republik in ihre albernen Begriffspaare rein zuziehen?

    Zuwanderung sei gefährlich, denn dann müsse man ja teilen, was man sich hart erarbeitet habe; wer dafür ist, will nur Almosen verteilen. Der politische Gegner wolle das Land verschenken.

    Wenn man immer nur sich selbst zuhört, passiert es schon mal, dass man alle Menschen um sich herum für Zimmerpflanzen hält… aber selbst Zimmerpflanzen haben ihr eigenes Leben, ihren Sauerstoff atmen wir gern.

    Ein Land, das keine andere Sicht auf Zuwanderung entwickeln kann, wird wohl nicht grundlos in einer einsamen Ecke vor sich hin verarmen…

  • Die Grünen können gerne weiterhin ihren bekannten Standpunkt einnehmen. Sie werden dann schon noch früh genug merken, dass dieser immer weniger gut beim Wähler ankommt.

  • Die Grünen haben sich an der Realpolitik und der Regierungsverantwortung aufgerieben. Entweder sie verraten ihre Ideale und reagieren pragmatisch - oder halten an ihnen fest und werden noch mehr Stimmen verlieren.

  • "Grüne ringen um ihre Grenzen" finde ich noch gelinde ausgedrückt. Ich empfinde es eher als "Grüne geben nach und nach ihre Ziele auf". Teilweise verstehe ich es, in einer Koalition muss man Kompromisse eingehen. Aber die Grünen haben ja fast schon fast alle ihre Ziele aufgegeben, was ihre Wähler bei den Wahlen merkbar abstrafen.

    • @Rudi Hamm:

      Einwanderung nach Deutschland ist langfristig notwendig. Da sind sich bis auf ein paar völkisch gesinnte AfD-Spinner doch alle einig. Aber einfach unkontrolliert alles aufmachen? Die eigentlichen Ziele der Grünen sind mir ein Rätsel: Einfach bedingungslos alle Grenzen aufmachen? Wo soll das langfristig hinführen?

  • Was machen denn unsere Nachbarn? Wie laeuft das bei den Sozialdemokraten in Daenemark?

    • @Carsten1250:

      Die in Dänemark regierenden Rechtsextremisten haben mit menschenverachtender Politik die Zahl der Asylanträge um gut 1,5 k p.a. gesenkt. Diese Politik (u.a. Zwangsumsiedlungen) richtet sich keineswegs nur gegen Asylbewerber, sondern gegen alle Ausländer.

    • @Carsten1250:

      Es gibt viele Nachbarn. Dänemark hat ein Opt-Out, das die anderen Nachbarn nicht haben.



      Auf die Nachbarn schauen heißt: Einzeltrips wie u.a. von Merz gewähnt besser sein lassen und sich erst mal abstimmen.