piwik no script img

Zwischen Postkarten und AutoabgasenLiebe Grüße aus der Fahrradstraße!

Nicht so schnell, dafür schön und sicher ans Ziel kommen – das versprechen einige Navi-Apps für Radfahrende. Unsere Autorin bringt das auf kreative Ideen.

„­Fahrradstraßen: Die heißen nur so, die tun nichts!“ Foto: Karsten Thielker

E in Hoch auf Navigations-Apps! Meinen Alltagsweg zur Arbeit habe ich mir mit so einem Kriterien-Verwerter zusammengestellt: Ampeln und Hauptstraßen vermeiden, möglichst viele Fahrradstraßen und grüne Wege einbauen. Die Strecke ist durch diese Eingaben zehn Prozent länger als auf den direkten Wegen und dreimal so schön. Theoretisch zumindest.

Praktisch bin ich dafür, „Fahrradstraßen“ umzubenennen in „Autostraßen für Abkürzungnehmende, Nur- kurz-was-Besorgende und Parkplatzsuchende“. Zugegeben, der Name wäre etwas lang, würde aber die Realität besser wiedergeben: Auf allen Fahrradstraßen meiner Alltagswege nehmen allein die rechts und links parkenden Autos die Hälfte der vorhandenen Fläche ein. Auf dem Rest werden Autos herumgefahren und blockieren dabei den Radverkehr. Mal, weil zwei Pkws nicht aneinander vorbei passen und ins Rückwärtsrangieren kommen, mal weil aus- oder eingeparkt wird, mal weil auf der Fahrbahn stehend auf bessere Zeiten gewartet wird.

Als ich kürzlich mit meinem Rad hinter so einer Autoblockade darauf wartete, meinen Weg fortsetzen zu können, stiegen mir Grußkarten-Ideen in den Kopf, genau wie die Pkw-Abgase. Ich stellte mir ein Auto mit fröhlichem Gesicht und Abgaswolken in der Form eines Glückskäfers vor, das dem Beschenkten von der Straße aus entgegenruft: „Zum Geburtstag: Hauptsache, Bequemlichkeit!“. Die Dinger würden eine Marktlücke schließen.

Schließlich wissen wir dank Auto, dass Bequemlichkeit für manche viel wertvoller ist als Gesundheit für alle: Jedes Jahr werden rund Hunderttausend Fußgängerinnen und Radfahrer durch Autofahrer verletzt oder getötet, 7.000 Menschen sterben in Deutschland jährlich an den Folgen von Verkehrs­emissionen, und Millionen Menschen leiden gesundheitlich unter der Auto-Lärmbelastung.

Tempo 30 nicht in Sicht

Dennoch hat (und das ist der Gruß für Postkarte 2) niemand die Absicht, innerorts flächendeckend Tempo 30 einzuführen. Das würde zwar Unfallgefahr, Unfallschwere, Lärm und Schadstoffausstoß senken, aber hey, es ginge zulasten der Bequemlichkeit von Autofahrern. Gemein!

Flächendeckend Tempo 30 innerorts ginge zulasten der Bequemlichkeit von Autofahrern. Gemein!

Schließlich werden nicht ohne Grund seit Jahren ­technische Geräte wie Telefone und Computer immer handlicher, während Autos auf Kleinpanzergröße wachsen – so ein fahrender ­Hochsitz ist halt bequem! Als ich da weiter in der Wolke aus Stick- und Kohlenoxiden sowie Ruß­partikeln stand, fiel mir Postkarte 3 ein: Das Bild eines unterm SUV eingeklemmten ­Kinderrades, darüber der ­Slogan: „Fahr Auto – damit dein Kind nicht das nächste ist!“ Endlich setzten sich die Abgaswolken wieder in Bewegung, da war ich gerade bei Postkarte 4: „­Fahrradstraßen: Die heißen nur so, die tun nichts!“

Für den Arbeitsrückweg ließ ich mir an dem Tag zur Erholung per App einen „Wanderweg“ zusammenstellen. Ich fuhr eine 50 Prozent längere Strecke, trug mein Rad über vier Treppen, sah Wasserbüffel und kam spät, aber tiefenentspannt zu Hause an. Jetzt braucht es nur noch eine Auto-Navi-App, die nie, wirklich niemals Fahrradstraßen oder andere grüne Wege vorschlägt. Sondern stattdessen innerstädtische Alternativen von Bus über Bikesharing bis E-Roller präsentiert. Postkarte: „Kein Stau, kein Parkplatzstress – einfach bequem ankommen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Kerstin Finkelstein
Dr. phil, Journalistin und Buchautorin, Expertin für Verkehrspolitik und Migration. Studium in Wien, Hamburg und Potsdam. Volontariat beim „Semanario Israelita“ in Buenos Aires. Lebt in Berlin. Bücher u.a. „Moderne Muslimas. Kindheit – Karriere - Klischees“ (2023), „Black Heroes. Schwarz – Deutsch - Erfolgreich“ (2021), „Straßenkampf. Warum wir eine neue Fahrradpolitik brauchen“ (2020), „Fahr Rad!“ (2017).
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit hinter Ortsschildern hätte einen anderen Effekt. Überall stehen diese besonders teuren Tempo-30-Zone Schilder, die sich nur schwer durch die Bezirksvertretung einrichten lassen. Die wären sofort überflüssig auch wenn man sie erst einmal stehen lassen könnte. Für Durchgangsstraßen kämen nur wenige Tempo 50 Schilder dazu, ein Bruchteil der heutigen Tempo 30 Schilder. Schilder mit 60 und 70 blieben unverändert. Gerade Kommunen stöhnen über die Kosten, die von korrekter Beschilderung ausgehen. Da könnte gespart werden. Das Gleiche gilt für Autobahnen. Zweidrittel sind mit Geschwindigkeitsbeschränkung. Mit einem geeigneten Tempolimit wäre ein Großteil der Beschilderung entbehrlich (nicht wahr Herr Wissing?).

  • Da hab ich mich in den Gedanken des Autors wiedergefunden. Ich Frage mich auch immer wieder, wer auf die Idee kam, Fahrradstraßen so zu nennen und mit welcher Intention. Die Idee finde ich gut, die Umsetzung viel zu oft, mies. Abhilfe könnten eingebaute Sackgassen, welche nur vom Radverkehr befahrbar sind, schaffen. Hat zumindest auf einer der von mir genutzten Fahrradstraßen geholfen. Der klassische Durchgangsverkehr, nur um abzukürzen, ist damit ausgeschlossen worden. Weshalb man sich kein Beispiel an unseren Nachbarn, den Niederländern und Dänen nehmen und stattdessen das "Rad" neu erfinden möchte, bleibt mir immer wieder ein Rätsel.

  • Humor hilft nix.