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Reform des BundesverfassungsgerichtsResilienz für die Roten Roben

SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU wollen das Bundesverfassungsgericht vor der AfD schützen. Grund sind Erfahrungen aus Polen und Ungarn.

Hier sollen keine AfD-Roben hängen: SPD, Grüne, FDP und CDU wollen das Bundesverfassungsgericht vor rechtsextremem Einfluss schützen Foto: Uli Deck/dpa

Das Bundesverfassungsgericht soll besser vor der Einflussnahme von Verfassungsfeinden geschützt werden. Darauf haben sich die Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU geeinigt. Bis Ende des Jahres soll das Grundgesetz entsprechend geändert werden.

Ausgangspunkt der Diskussionen war die Erfahrung in Ungarn und Polen, wo die autoritären Regierungen möglichst kurz nach ihrer Wahl das jeweilige Verfassungsgericht auf Linie brachten, um dessen unabhängige Kontrolle auszuschalten. Möglich war das, weil in Polen und Ungarn die Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen mit einfacher Mehrheit gewählt werden. Das heißt, die Regierungsmehrheit konnte ihr genehme Verfassungsrichter wählen.

Um die Mehrheit im Verfassungsgericht möglichst schnell zu erringen, senkte Ungarn das Pensions­alter, sodass schnell viele Rich­te­r:in­nen neu gewählt werden mussten. In Polen ging die PiS-Regierung anders vor: Sie blockierte das Gericht, indem sie ihm vorschrieb, die Fälle in der Reihenfolge ihres Eingangs bei Gericht abzuarbeiten statt nach Relevanz.

Um zumindest manche dieser Strategien zu verhindern, soll nun das Grundgesetz geändert werden. Manche der geltenden Strukturmerkmale des Bundesverfassungsgerichts sollen ausdrücklich in der Verfassung geregelt werden: die zwölfjährige Amtszeit der Richter, die Altersgrenze von 68 Jahren, dass es zwei Senate mit insgesamt 16 Richtern gibt, dass diese nicht wiedergewählt werden können, dass ein Verfassungsrichter sein Amt behält, bis die Nachfolgerin gewählt ist, dass Urteile des Verfassungsgerichts bindend sind und dass das Gericht seine Geschäftsordnung selbst regelt.

Ein entscheidender Punkt fehlt

Die AfD – oder eine andere ex­treme Partei – könnte dann also selbst mit einer Mehrheit im Bundestag nicht (wie in Ungarn) das Pensionierungsalter der Richter absenken oder dem Gericht (wie in Polen) eine bestimmte Reihenfolge seiner Arbeit auferlegen.

Allerdings fehlt ein entscheidender Punkt: Dass die Verfassungsrichter mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt werden müssen, soll nicht im Grundgesetz stehen. Die AfD könnte mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag also weiterhin das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht so ändern, dass künftig eine einfache Mehrheit für die Verfassungsrichterwahl genügt. Sodann könnte die AfD mit ihrer einfachen Mehrheit die Hälfte der Verfassungsrichter ohne Absprache mit anderen Fraktionen allein wählen. Die andere Hälfte wählt der Bundesrat.

Der Grund für diese Inkonsequenz: Dass die AfD demnächst über eine absolute Mehrheit im Bundestag verfügt, ist unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass sie – möglicherweise zusammen mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht – mehr als ein Drittel der Mandate bekommt. Dann hätte sie eine Sperrminorität und könnte verlangen, dass auch sie einen oder zwei Ver­fas­sungs­rich­te­r:in­nen vorschlagen darf. Derzeit sind die Vorschlagsrechte für die 16 Richterposten auf CDU/CSU (6), SPD (6), Grüne (2) und FDP (2) aufgeteilt.

Gefährliche Hintertür

Um ihre Forderung durchzusetzen, könnte sich die AfD weigern, Vorschläge von anderen Fraktionen zu wählen. Auf lange Sicht wäre so die Arbeitsfähigkeit des Verfassungsgerichts gefährdet. Es wäre deshalb verlockend, in dieser Konstellation doch die Wahl der Verfassungsrichter mit einfacher Mehrheit zuzulassen, obwohl man dies eigentlich vermeiden wollte.

Eigentlich muss sich das Bündnis der vier Fraktionen diese gefährliche Hintertür aber gar nicht offenlassen. Denn sein Vorschlag sieht bereits eine effektive Möglichkeit vor, eine Blockade der Richterwahl im Bundestag aufzulösen. Wenn binnen sechs Monaten nach Ende der Amtszeit die Wahl eines Nachfolgers nicht gelingt, soll statt dem Bundestag der Bundesrat wählen.

Die Gefahr, dass die AfD dort auch eine Sperrminorität von einem Drittel erreicht, ist deutlich geringer: Es würde nicht einmal genügen, dass die AfD in allen ostdeutschen Bundesländern inklusive Berlin an der Regierung beteiligt ist. Die etablierten Parteien sichern so, dass sie die AfD nicht an der Verfassungsrichterwahl beteiligen müssen, ohne das Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit abzusenken.

Der Kompromiss als heikles Projekt

Der gleiche Ersatzwahlmechanismus soll umgekehrt auch gelten, wenn die Verfassungsrichterwahl im Bundesrat blockiert ist und im Bundestag nicht. Das ist allerdings recht unwahrscheinlich.

Ver­tre­te­r:in­nen der vier Fraktionen stellten die Einigung am Dienstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Justizminister Marco Buschmann (FDP) vor. „Es ist ein guter Tag für die Verfassungskultur im Land“, freute sich Buschmann. „Jetzt ist der Rechtsstaat noch besser gegen Verfassungsfeinde abgesichert“, bilanzierte SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner.

Tatsächlich war es über Monate hinweg gelungen, die Arbeit an dem Kompromiss vertraulich zu halten. Das Projekt war heikel, weil die CDU/CSU im Februar schon einmal ausgestiegen war. Fraktionschef Friedrich Merz bekam daraufhin aber soviel Gegenwind, auch aus der eigenen Fraktion, dass er schnell zurückruderte.

Der gemeinsame Gesetzentwurf soll nun den Fraktionen vorgestellt und dann von diesen in den Bundestag eingebracht werden. Bis Ende des Jahres sollen die Grundgesetzänderungen in Bundestag und Bundesrat beschlossen sein. Die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit haben SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU. Noch.

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15 Kommentare

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  • Es ist schon bitter, dass Deutschland wieder soviele Nazis beherbergt, dass man solche Schritte gehen muss.

  • Die Angst vor einer 20 % Partei muss wirklich panisch sein.

  • Trauer empfinde ich, dass es so weit kommen musste

  • Ok Ok - Wennmer uns was wünschen können! Bin ich dabei! Woll

    1. Öffentliche Hearings der Kandidaten



    In Bundestag & Bundesrat!



    Wider die nichtöffentlichen



    Hinterzimmerkaupeleien zwischen den Mehrheitsparteien •



    &



    2. Verbot der dank Präsi Vossibär eingerissenen “Kaffekränzchen“ und ähnlicher verfassungsrechtlich mehr als anstößiger informaler unkontrollierter Treffen - Von Bundesverfassungsgericht & Regierung als Institutionen! Unfaßbar!

    Soll mal reichen! Gellewelle

    • @Lowandorder:

      Es geht doch einfach nur um Machtabsicherung der radikalen Mitte.

  • Wenn man einige der letzten BVerfG-Beschlüsse in Erinnerung ruft, so kann man wohl nicht begründet annehmen, dass Bundestagsmehrheiten bei der Richterwahl auch BVerfG-Entscheidungen im Sinne der Bundestagsmehrheiten auslösen. Da gibt es in der Bundesrepublik inzwischen doch eine deutlich gefestigtere Gewaltenteilung als in manchen anderen Staaten.

    Insofern möchte man sagen: Viel Lärm um nichts. Ein unschönes Geschmäckle hat es aber doch, wie sich selbsterklärte staatstragende Parteien eine Konstruktion zurecht schustern, die ihnen bei allen Eventualitäten einen maximalen Einfluss bewahrt. Sozusagen verfassungsrechtliches Gerrymandering (im übertragenen Sinne).

  • Wer hat eigentlich bestimmt, dass das Bundesverfassungsgericht nur gegen die AfD geschützt werden muss? Warum sollte ein BVerfG überhaupt besonderen Schutz genießen? Wäre es im Sinne einer Emanzipation der BürgerInnen nicht viel demokratischer, die Mitbestimmungsrechte der BürgerInnen in politischen Entscheidungsverfahren zu stärken und über das Niveau einer periodischen Wahlbeteiligung zu erheben?

    Die Diskussionen um das BVerfG bzw. dessen Entscheidungen seit 1949 zeigen doch, dass die etablierte Politik auch so schon ihre 'Spielchen' mit dem Gericht treibt: Mal lässt sie es auf eine aussichtsreiche Klage ankommen, mal beschwert sie sich über die verfassungsgerichtliche Gängelung der Politik und meistens legt sie einfach immer wieder nach, bis z.B. persönliche Datenschutzrechte weiter ausgehebelt werden können. Das BVerfG hat z. B. in der Vergangenheit weder Gängelung der Frauen, Kriminalisierung von Homosexuellen, noch ein Verbot der KPD* verhindert und später, ohne Grundgesetzesänderungen, anders (*DKP statt KPD) entschieden. So ein BVerfG ist eben keine neutrale Instanz und es steht nicht über so Dingen wie Trends und Moden.

    • @Stoersender:

      "So ein BVerfG ist eben keine neutrale Instanz und es steht nicht über so Dingen wie Trends und Moden."

      --> Ein Gericht kann und soll gar nicht vollständig neutral sein. Die Richter sollen und müssen unabhängig sein. Das sind sie, in Deutschland mehr als in anderen Ländern.

      Und zum Thema Trends und Moden: Wissen Sie was ein Trend und eine Mode war, welche das Verfassungsgericht "entdeckt und gefunden hat"? Richtig, Ihre zitierten Datenschutzrechte. Die gab es nämlich vor dem Volkszählungsurteil gar nicht, erst recht nicht mit Grundrechtscharakter.

      Ein Gericht, welches Trends und Mode nicht mitmachen will (jedenfalls in momentaner Besetzung) ist der US supreme court. Dort herrscht gerade ein Interpretationsverständnis aus dem 18. Jhd. vor. Heißt: Keine Rechte für Frauen und oder Minderheiten. Das ist ein Gericht, welches sich gegen Trends und Mode stellt.

      Das kann Ihnen nicht ernsthaft lieber sein.

  • Dass die AfD die absolute Mehrheit bekommt ist ausgeschlossen.



    Na, dann....

    • @D. MEIN:

      Wenn die AfD die absolute Mehrheit erringt, haben wir ganz andere Probleme als ein schlecht abgesichertes BVerfG.

      Dann haben die soviel Macht, dass sie die Gewaltenteilung nicht mehr heucheln müssen.

  • Nötig wäre eine Reform des Gerichts, eine die es ermöglicht sowohl die Klimakrise zu meistern, die Schuldenbremse zu terminieren, Vergesellschaftung nach §15 ermöglicht, die Arbeitnehmer*innnerechte sichert und Menschenrechte einhält.

    Zur Zeit sind die Richter*innen eher rechts der Mitte. Ihre Rechtsdogmatik nicht nah am historischen Stand der Forschung. Wo sind die Altvätter?

    • @ToSten23:

      "Nötig wäre eine Reform des Gerichts, eine die es ermöglicht sowohl die Klimakrise zu meistern, die Schuldenbremse zu terminieren, Vergesellschaftung nach §15 ermöglicht, die Arbeitnehmer*innnerechte sichert und Menschenrechte einhält."

      Eine Reform also, die den Bundestag als gesetzgebendes Organ überflüssig macht, weil diese Aufgabe dann das BVerfG übernimmt?

      "Zur Zeit sind die Richter*innen eher rechts der Mitte."

      Auch das -zum Glück- Unsinn.

    • @ToSten23:

      Ich bin mir nicht sicher, ob sie hier nicht die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts missverstehen: all das sind wichtige Anliegen, wären aber Aufgaben von Bundestag und Bundesregierung. Das die Richter rechts der Mitte sind, kann wiederum keine Reform ändern, sondern spiegelt das hiesige politische Mehrheiten wieder.

  • Das hört sich so an, als wollten die beteiligten Parteien verhindern, dass sich an dem 6-6-2-2-Schlüssel jemals etwas ändert, unabhängig von Wahlen.

    Das geht ja nicht nur gegen die AfD. Das geht genauso gegen BSW und Linke, und das steht ja sogar explizit im Artikel.

    • @Huck :

      Von der Linken steht im Artikel erst mal nichts. Die dürfte auch auf absehbare Zeit keine politische Basis haben, mit der man ernsthaft Ansprüche auf Richterposten anmelden kann.

      Was im Artikel explizit drinsteht, ist die Angst vor einem AfD-BSW-Hufeisen.