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Philosophin über radikale Systemkritik„Vielen geht es gar nicht gut“

Die Philosophin Lea Ypi will einen „moralischen Sozialismus“ etablieren. Der helfe auch gegen rechts. Ein Gespräch über Freiheit und Verantwortung.

Lea Ypis gefeierter Bestseller „Frei“ erschien 2021 Foto: Jens Gyarmaty
Tobias Bachmann
Interview von Tobias Bachmann

Lea Ypi, 44, ist eine der spannendsten Stimmen der zeitgenössischen Literatur und Philosophie. Geboren und aufgewachsen in Albanien, hat sie den Übergang von einer kommunistischen Diktatur zu einer postkommunistischen Gesellschaft miterlebt. Diese Erfahrungen fließen in ihr Schreiben und Denken ein. Ihr international gefeierter Bestseller „Frei“, der 2021 herauskam, bietet eine persönliche und philosophische Reflexion über Freiheit, Identität und die Herausforderungen des politischen Wandels. Im Juni hielt sie auf der phil.Cologne, Deutschlands größtem Philosophiefestival, den Abschlusstalk mit dem Titel „Vernunft braucht Mut!“ zur gegenwärtigen Bedeutung Immanuel Kants. Das Centre for Social Critique der Humboldt-Universität lud sie ein, ihre Idee vom „moralischen Sozialismus“ im Rahmen der diesjährigen Walter-Benjamin-Vorlesungen zu diskutieren.

Kurz vor ihrer Kölnreise treffen wir Ypi in der taz-Kantine. Es ist ein kühler Sommertag. Sie ist etwas spät dran und bestellt sich eine heiße Schokolade.

wochentaz: Frau Ypi, Sie sind in den achtziger und neunziger Jahren in Albanien aufgewachsen und haben mit „Frei – Erwachsenwerden am Ende der Geschichte“ ein vielbeachtetes Buch darüber geschrieben. Was uns nicht ganz klar ist: Haben Sie eigentlich gerne im Sozialismus gelebt? Ihr Buch lässt mindestens zwei Lesarten zu, nämlich ja und nein.

Im Interview: Lea Ypi

Die Frau

Lea Ypi ist eine albanisch-britische Philosophin. Sie wurde 1979 in Tirana in eine bürgerlich-feudale Familie geboren. Im sozialistischen Albanien wurde diese als Klassenfeind betrachtet und war Repressalien ausgesetzt. Ypi studierte Philosophie, Literatur und Journalismus in Italien, lehrt seit 2013 an der London School of Economics und ist dort Professorin für Politische Theorie.

Die Denkerin

Ypi forscht zu Demokratie, Rechtstheorien, Migration, politischen Ideen der Aufklärung, Marxismus und kritischen Theorien. Auch zur Geistesgeschichte des Balkans und da insbesondere zu Albanien arbeitet sie. Ihr autobiografisches Buch „Frei. Erwachsenwerden am Ende der Geschichte“ wurde mehrfach prämiert. Zuletzt veröffentlichte sie ein Buch über Kants „Kritik der reinen Vernunft“.

Lea Ypi: Das ist eine schwierige Frage. Ich weiß nicht, wie es ist, als Erwachsene im Sozialismus zu leben. Ausgehend von den Erfahrungen meiner Familie würde ich wohl nicht so eine gute Zeit gehabt haben wie als Kind. Meine Eltern und Großeltern litten in den kommunistischen Jahren unter politischer Verfolgung, sie waren Dissidenten. Ich wusste davon nichts, weil sie es mir verschwiegen haben. Ich habe mich umsorgt und geliebt gefühlt – auch vom Staat und der Partei. Den Staat habe ich dafür zurückgeliebt. Das hätte sich mit dem Erwachsenwerden wohl geändert.

Bereits mit zehn Jahren wollten Sie Schriftstellerin werden und haben sich für die Welt und ihre Ungerechtigkeiten interessiert. Trotzdem haben Sie sich damals frei gefühlt?

Ja, insofern man Freiheit als Kind als unmittelbare Sicherheit versteht. Die habe ich gefühlt. Aber ich wusste nicht, welche Ideologie dieses Gefühl von Sicherheit vermittelt. Und ebenso wenig, was authentische Freiheit ist. Heute ist das meine zentrale Frage: Wie können wir Freiheit als Ideologie von echter Freiheit unterscheiden?

Ende der neunziger Jahre haben Sie Albanien verlassen, um in Italien Philosophie zu studieren. Heute lehren Sie als Professorin für politische Theorie an der London School of Economics. Aber von der echten Freiheit seien Sie ähnlich weit entfernt wie damals im totalitären Albanien, schrei­ben Sie. Das ist kaum zu glauben.

In Albanien und den postkommunistischen Ländern ging die Unterdrückung vom Staat und der Partei aus. Das war eine vertikale Art von Unfreiheit. Die wurde in den 1990er Jahren durch eine horizontale Unfreiheit ersetzt, denn im Neoliberalismus ist das Leben der Menschen strukturell stark eingeschränkt. Wenn man seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann, weil man keine Arbeit hat oder prekär beschäftigt ist, dann lebt man in keiner freien Welt. Aber aufgrund der neoliberalen Ideologie sehen das viele nicht. Auch immer wiederkehrende Krisen oder die steigende Bedrohung durch Kriege und Extremwetterereignisse werden als zufällige Katastrophen gedeutet anstatt als systematische Unfreiheit. Wenn wir Freiheit so verstehen wie ich, dann sehen wir, dass wir heute nicht frei sind.

Was verstehen Sie denn unter Freiheit?

Ein verantwortungsbewusstes Leben in einer freien Welt.

Lea Ypi wollte als Kind Schriftstellerin werden und war verliebt in den albanischen Sozialismus Foto: Jens Gyarmaty

Nun bedeutet Freiheit für viele ja: Schnitzel essen, mit dem SUV über die Autobahn brettern, mehrmals im Jahr in den Urlaub fliegen. Also genau das Gegenteil von dem, was verantwortungsbewusst scheint.

Es gibt diese wunderbare Zeile bei Platon, in der er sagt, dass der Tyrann, von dem wir denken, er sei der freieste Mensch von allen, in Wirklichkeit der am meisten gefangene ist, weil er von seinen dringlichen Bedürfnissen abhängig ist. Jemand, der sagt, ich will unbedingt Schnitzel essen oder was auch immer, ganz egal, welche Konsequenzen das hat, ist ebenso wenig frei.

Immerhin kann die Person sagen, dass sie das möchte.

Freiheit hat verschiedene Aspekte. Ich bin insofern frei, als dass mir niemand vorschreibt, was ich zu tun, zu tragen oder zu sagen habe. Das ist die Freiheit von Zwängen. Die positive Freiheit ermöglicht Menschen, sich nach ihren Vorstellungen zu entwickeln. Mein Verständnis von Freiheit ist die Grundlage von beidem: die innere Freiheit, frei zu denken und zu kritisieren. Das ist eine moralische Fähigkeit, die jeder hat, unabhängig davon, ob er reich oder arm ist, unter Zwängen lebt oder nicht. Sie funktioniert aber nur im Zusammenspiel mit der Freiheit aller anderen. Es geht also nicht nur darum, was man selbst tut.

Diese Vorstellung geht auf Immanuel Kant zurück, der ja so etwas wie ihr Bruder im Geiste ist. Warum gerade er?

Seine Philosophie bildet die ideelle Grundlage für eine funktionierende Demokratie. Das persönliche Individuum kann seine moralischen Ziele nicht verwirklichen, ohne seine Ziele in eine Beziehung zu den Zielen anderer Menschen zu setzen. Das ist ein systematischer Gedanke. Dabei geht es nicht nur um die Freiheit einer Familie, einer Gruppe, eines Staates oder eines Landes, sondern um die gesamte soziale Beziehung. Das System ist global. Das heißt: Eine Welt, die nicht für alle frei ist, ist für niemanden frei. Damit ermöglicht uns Kant, eine entscheidende Frage zu stellen: Unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen kann Freiheit, verstanden als moralisches Handeln, gedeihen?

Momentan ist die Welt in Aufruhr: Klimakrise, Kriege, wirtschaftliche Engpässe. Warum sollten wir uns da gerade über Freiheit Gedanken machen?

Freiheit bedingt die Möglichkeit des Handelns. Für alles, was wir tun, ist Freiheit grundlegend.

Und dennoch sehnen sich einige nach einem autoritäreren System, glauben, so ließe sich beispielsweise die Klimakrise leichter lösen. Um die Freiheit könne man sich dann danach wieder kümmern.

Das ist gefährlich und ich verstehe nicht, warum wir etwa einen ökologischen Autoritarismus dem faschistischen Autoritarismus vorziehen sollten. Beide sind autoritär. Wenn wir unsere Freiheit aufgeben, machen wir uns abhängig vom Willen anderer, opfern unser autonomes Denken. Und riskieren unsere Menschlichkeit.

Foto: Jens Gyarmaty

Die steht ja eh schon auf dem Spiel: In den vergangenen Jahren hat sich das gesellschaftliche Miteinander spürbar verschlechtert und rechtsextreme Parteien finden großen Zuspruch.

Vielen Menschen geht es gerade nicht gut, ob sie arm sind, sich um ihre Zukunft sorgen oder unter Wohnungsunsicherheit leiden. Für sie bietet momentan nur die Rechte eine neue Erzählung, nämlich dass Menschen für unsere Probleme verantwortlich seien, die kulturell anders sind. Und dass wir sie rausschmeißen müssten. Doch obwohl das großer Unfug ist, kommen wir gegen dieses Narrativ nicht an.

Woran liegt das?

Wenn Menschen sich nach einer Alternative sehnen, wenden sie sich ihr meist dort zu, wo sie erscheint. Im Moment formuliert nur die Rechte eine radikale Systemkritik und verspricht eine andere Zukunft. Die gesellschaftliche Linke versagt in dieser Hinsicht bislang. In Teilen verteidigt sie den Status quo. Als wäre das, was wir haben, für alle toll. Ein Beispiel: Im Moment bedienen alle sozialdemokratischen Parteien in Europa die Erzählung einer europäischen Großmacht, die von äußeren Feinden bedroht wird und deshalb militärisch verteidigt werden muss. Wer in seinem alltäglichen Leben unter sozialer Ungerechtigkeit leidet, den spricht dieses Narrativ nicht an. Aber auch viele linke Mainstream-Gruppen und -Parteien haben gerade nichts Besseres zu bieten.

Die gesellschaftliche Linke sollte sich also wieder stärker auf das Soziale in der sozialen Marktwirtschaft fokussieren?

Wenn wir die Marktwirtschaft weiter als selbstverständlich hinnehmen, untergraben wir uns unsere gesellschaftlichen Ideale von Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie selbst. Das ist falsch. Wir sollten genau umgekehrt vorgehen und unsere politischen Erzählungen auf der Idee einer freien und gerechten Gesellschaft aufbauen. Anstatt mit dem Kapitalismus sollten wir mit einer wirklichen Alternative beginnen. Dann können wir versuchen herauszufinden, wie viel Markt wir brauchen, um diese Vision attraktiv und glaubwürdig zu machen.

Sie schlagen als Alternative einen „moralischen Sozialismus“ vor. Ist der Begriff nicht verbrannt?

Wir können es auch radikale Demokratie oder Egalitarismus nennen. Das Problem ist nicht das Etikett. Die Menschen fühlen sich nicht von Etiketten angezogen. Sie wollen wissen, was wir über die von ihnen wahrgenommenen Probleme zu sagen haben. Wenn Menschen Migration für ein Problem halten, dann müssen wir sie überzeugen, dass nicht jemand, der ihren Job bekommt, das Problem ist, sondern dass unser gesellschaftliches System nicht zulässt, dass sie und die anderen gleichzeitig gut leben können. Und dass es deshalb einen Systemwandel braucht.

Viele verbinden mit Sozialismus: Überwachung, Kontrolle, Repression.

Die Ansichten von Menschen, die in ehemaligen kommunistischen Ländern gelebt haben, sind tatsächlich komplexer. Viele erkennen, dass der Übergang in die kapitalistische Gesellschaft eine gewisse Unsicherheit brachte. Und dass die Probleme, die es davor gab, von einem Mangel an Demokratie herrührten. Als die Dissidentenbewegungen in den 80er und 90er Jahren in Osteuropa aufkamen, war das das wichtigste Thema. Dass die Menschen den Staatssozialismus kritisierten, bedeutete nicht, dass sie unbedingt Kapitalismus wollten.

Lea Ypis zentrale Frage lautet: „Wie können wir Freiheit als Ideologie von echter Freiheit unterscheiden?“ Foto: Jens Gyarmaty

Sondern?

Ich denke, wir müssen uns nicht zwischen dem einen oder dem anderen entscheiden. Wir können sowohl Demokratie und wirkliche Freiheit als auch Sicherheit haben. Darum geht es im moralischen Sozialismus. Es ist eine Art von Sozialismus, der die kommunistischen Erfahrungen durchdrungen hat und sehr kritisch gegenüber dem Staatssozialismus ist. Gleichzeitig ist er sehr kritisch gegenüber den immensen gesellschaftlichen Problemen im Kapitalismus und knüpft an die positiven Erfahrungen an, die Leute in der DDR oder in Albanien gemacht haben: Sie hatten mehr Kindergärten, leichteren Zugang zu Wohnungen, es gab eine Reihe von sozialen Leistungen, für die diese Gesellschaften gesorgt haben.

Mit Ihrem Buch „Frei“ wollten Sie auch Ihre Mutter erreichen, die einer großbürgerlichen Familie entstammt und nach dem Systemwandel in Albanien zu einer Marktliberalen wurde. Ist sie heute eine Sozialistin?

Nein, weil ihr Menschenbild ganz anders ist als meins. Ihre Sicht auf den Menschen ist grundlegend pessimistisch. Sie ist der Meinung, dass die Menschen schon immer dominieren wollten, anstatt solidarisch miteinander zu sein. Und sie denkt, dass die Fähigkeit zur moralischen Freiheit, von der ich spreche, nicht existiert, dass wir nicht dazu in der Lage sind, moralisch frei zu handeln, sondern immer einen Herrscher brauchen. Im Kapitalismus ist das der Markt. Das ist für sie in Ordnung.

Und wenn es Leuten schlecht geht, dann ist das Pech oder eigenes Unvermögen.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Genau. Aus ihrer Sicht sind das die Kosten des Systems. Jemanden mit solchen Ansichten zu überzeugen, ist sehr schwer. Um konstruktiv über den Sozialismus und die Freiheit nachdenken zu können, braucht man eine wohlwollendere Sicht auf die Natur des Menschen. Und das ist durchaus angebracht. Zwar sind Menschen böse zueinander, aber sie sind auch sehr fürsorglich, können sehr liebevoll sein und heldenhafte Dinge tun. Sie können sehr moralisch sein, können sich verbessern. Das sind die grundlegenden Fähigkeiten, die wir für politisches Handeln und eine bessere Gesellschaft brauchen.

Wie wollen Sie die Menschen vom moralischen Sozialismus überzeugen?

Zunächst müssen wir gemeinsame Räume schaffen, um den Status quo anzufechten. Und wir müssen eine System­alternative entwickeln, die so kohärent und verbunden mit der ganzen Welt wie möglich ist, die die Kämpfe der Ar­bei­te­r*in­nen und die um Umwelt, Feminismus, Antirassismus zusammen denkt. Dafür gibt es aber kein fertiges Rezept. Das kann auch keine einzelne Au­to­r*in leisten. Das ist die Aufgabe der Demokratie. Je­de*r muss sich aus seiner sozialen Perspektive heraus fragen, was sie tun kann.

Was tun Sie?

Ich arbeite im Bildungsbereich. Meine Rolle und die der Intellektuellen ist es, aufzuklären und Argumente zu liefern. Jemand, der in den Medien arbeitet, muss sich fragen, was er tut, um zum Beispiel die Perversion des öffentlichen Diskurses durch das Großkapital und dessen Einfluss auf die Medien zu bekämpfen. Jemand, der in der Rüstungsindustrie arbeitet, wird sich eine andere Frage stellen müssen. Jemand, der Ar­bei­te­r*in ist, wird Wege finden müssen, sich mit anderen Akteuren zu verbinden, um seine Unzufriedenheit auszudrücken.

Klingt anstrengend.

Dabei ist es genau das, was der Mensch tut und wozu er fähig ist. Wir sind eine diskursiv-kommunikative Spezies und wir sind in gewisser Weise politische Tiere. Dass wir Politik – also das gemeinsame mit anderen Denken, Reden und Handeln – als eine Bürde betrachten und nicht als etwas, das uns ermöglicht zu verwirklichen, wer wir sind, ist ein bedauerliches Zeichen unserer Entfremdung. Auch sie rührt davon, wie der Kapitalismus und seine wirtschaftlichen Strukturen bestimmen, wie wir leben. Wir sind mehr oder weniger gezwungen, uns voneinander zu isolieren und uns auf eine antagonistische, konkurrenzbasierte Weise zueinander in Beziehung zu setzen, die uns ständig zu Quellen der gegenseitigen Ausbeutung macht. Selbst wenn wir niemanden direkt ausbeuten, konsumieren wir alltäglich Produkte, die darauf basieren. Zum Beispiel Ihr Telefon und die Mikrochips darin. Unsere grundlegende soziale Organisation ist pervers. Sie verhindert, dass wir uns Menschen als verbunden denken.

Wie wollen Sie die mitnehmen, die zweifeln?

Indem wir mit ihnen reden. Wir müssen die öffentliche Debatte gewinnen. Und dafür sollten wir zunächst die Kapitalismuskritik wiederherstellen. Das Problem ist doch, dass die universelle Kapitalismuskritik mit der Idee verloren gegangen ist, dass der Marxismus, dass der Sozialismus von gestern ist. Seither versuchen die Leute eine Alternative zu finden. An die Stelle des Sozialismus traten Hunderte soziale und ökologische Kämpfe. Mit dem moralischen Sozialismus können wir sie wieder zusammenbringen. Denn letztendlich geht es allen um die Frage, was es bedeutet, frei zu leben und ein freier Mensch in einer freien Welt zu sein.

Was kommt für die Menschen dabei rum, Freiheit anders zu verstehen und um sie zu kämpfen?

In einem sehr schönen Interview wird der britische Philosoph Bertrand Russell über Atomwaffen und nukleare Katastrophen befragt. Irgendwann sagt er: „Wissen Sie, nukleare Katastrophen können die Menschheit vernichten. Und ich denke, das wäre wirklich schlecht. Glauben Sie nicht?“ Uns droht mit dem Kapitalismus die gleiche Gefahr. Wenn der Gedanke, dass das menschliche Leben an sich auf dem Spiel steht, die Leute nicht motiviert, dann weiß ich nicht, was sie stattdessen motivieren kann.

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44 Kommentare

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  • Karlsson , Moderator

    Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion nun geschlossen. Die Moderation.

  • Der Sozialismus hat der Menschheit bisher nichts gebracht ausser millionenfachen Tod, Leid und Verderben. Der Kapitalismus hat zwar zu neuen Ungerechtigkeiten geführt, hat aber eben auch Milliarden Menschen aus Armut und Elend befreit. Wie man anhand solcher Tatsachen noch an Sozialimus, egal in welcher Form glauben kann ist mir unbegreiflich.

    • @Einar Loftsson:

      Der Fehler bei Ihren Gedankengängen ist, dass Sie Sozialismus mit dem sehr unsozialen DDR-, oder gar Stalinsozialismus gleich setzen. Die ja absolut autoritäre repressive Systeme waren, und schon gar kein Sozialismus, sondern eher eine Oligarchie.



      Ich verstehe diesen Text so, dass hier von einem von den bisherigen angeblich sozialistischen Systemen komplett unabhängigem neu zu konstruierenden echten "Sozialismus" die Rede ist (wenn man das Wort verwenden möchte, ich halte es allerdings für verbrannt), nach ganz anderen Bewertungsmaßstäben.

  • " Dass wir Politik – also das gemeinsame mit anderen Denken, Reden und Handeln – als eine Bürde betrachten und nicht als etwas, das uns ermöglicht zu verwirklichen, wer wir sind, ist ein bedauerliches Zeichen unserer Entfremdung. Auch sie rührt davon, wie der Kapitalismus und seine wirtschaftlichen Strukturen bestimmen, wie wir leben. "

    Ich sehe das Problem mehr darin, dass es zur Gewohnheit geworden ist Politik und Wirtschaft zu trennen.

    "Wirtschaft" ist ein wesentlicher Teil der Gesellschaft, die Voraussetzung überhaupt für das gesellschaftliche und das individuelle Leben.

    "Wirtschaft" sollte daher nicht von außen (politisch-juristisch) wie ein wildes Tier gebändigt werden müssen, sondern ihre Ausrichtung sollte aus dem Inneren ihre Organisation dem Leben im Allgemeinen und dem menschlichen Leben im Besonderen dienen.

    Darum muss das Verhältnis zur Wirtschaft überprüft und verändert werden.



    So bedarf es z.B. einer "Demokratisierung" der Wirtschaft, wir brauchen Transparenz und Mitbestimmung in den Unternehmen.

    Unternehmens- bzw. Betriebsgeheimnisse gehören auf den Schutthaufen ebenso wie Patentrechte und ähnliches.

  • Welche tollen Sozialleistungen gab es denn in Albanien, die es in den kapitalistischen europäischen Ländern nicht gab? War der Lebensstandard eines vollzeitbeschäftigten Albaners im dortigen Sozialismus etwa höher als der eines westdeutschen Arbeitslosen? Und die DDR? Die hat ihren Sozialstaat nicht zuletzt dadurch einigermaßen aufrechterhalten, dass die Arbeitsfähigen im Land bleiben mussten, während die Rentner in den Westen ausreisen durften.

    • @Budzylein:

      Ich glaube der wirklich große Unterschied ist, dass der Bürger in sozialistischen Systemen als anerkannt und der Gesellschaft zugehörig und nicht diffamiert, oder in seiner Selbstachtung gekränkt wurde, was in kapitalistischen, extrem hierarchischen Gesellschaften definitiv der Fall ist, in denen die Wirkmacht, Möglichkeiten und der politische Einfluss von Bürgern umso höher ist, je höher er in der Hierarchie steht ( Lobbyismus). Und dies basiert nicht alleine auf Bildung und Kompetenz, sondern m.E. v.a. darauf wieviel Finanzvermögen oder Eigentum jemand hat.

  • "Und dass die Probleme, die es davor gab, von einem Mangel an Demokratie herrührten."

    Wenn das Alles wäre, hätte Frau Ypi Recht, und "moralischer Sozialismus" könnte funktionieren. Aber diese Reduzierung aufs Politische ignoriert zwei andere wesentliche Eigenschaften unserer Spezies, die überhaupt dem Kapitalismus und seinen ebenfalls auf Ungleichheit basierenden Vorgängern erst zur Dominanz verholfen haben: Ehrgeiz und - daraus folgend - Wettbewerbsneigung.

    Deren soziale Bedeutung ist so alt wie die Fähigkeit des Menschen, mehr als das unbedingt zum Überleben Notwendige an Ressourcen zu produzieren. Sie dürften auch der Grund sein, warum unsere Vorfahren überhaupt auf die Idee gekommen sind, diese Fähigkeit zu entwickeln. Von daher ist es IMMER zu kurz gesprungen, ein System zu entwerfen, das materiellen Wohlstand anstrebt, aber materiellen Wettbewerb ausklammert oder gar als feindlich sieht.

    • @Normalo:

      Das ist mir zu kurz gegriffen. Menschen haben sowohl dieWettbewerbsneigung als auch die Neigung zusammenzuarbeiten und solidarisch zu sein. Die Frage ist, was gerade besser funktioniert und wie man beides einbettet und nutzbar macht oder auch begrenzt. Es ist ja mehr ein Mythos, dass der Kapitalismus den Eigennutz der Menschen so fruchtbar macht. Es ist ja ganz offensichtlich, dass wir Lösungen finden müssen, die innerhalb der kapitalistischen Logik nicht gegeben sind.

  • Der Kapitalismus braucht Menschen, denen es schlecht geht, Arbeitslose, Geringverdienende, Alte, Kinder, um die Arbeitenden anzuspornen. Aus Angst vor Verelendung treten die Beschäftigten in Konkurrenz zueinander, leisten mehr und länger, was die Profite mehrt. Medien tragen zur Spaltung bei, indem sie immer neuen Gruppen die Schuld an der Not geben. So kommen die Arbeitenden nicht auf die Idee, Solidarität mit ihren Mitmenschen zu empfinden. Das System ist unbarmherzig. Wir haben etwas besseres verdient.

  • Danke für diesen wertvollen Beitrag.

  • Socialism - the failed idea that never dies.

    Frau Ypis Freiheitsbegriff scheint mir mehr mit Hegels Definition von der Einsicht in die Notwendigkeit zu tun zu haben als mit Kant. Und was ihr sonst noch so vorschwebt, ist auch klar: mal wieder nichts weniger als der "neue Mensch". Wo und wie das endete, wissen wir auch alle.

    Ansonsten musste ich bei der Lektüre an eine kürzliche Bemerkung von Armin Nassehi denken, der sinngemäß sagte, Antikapitalismus sei kein Argument, sondern sehe nur aus wie eines.

  • Moralismus ist für die gesellschaftliche Linke eine absolute Sackgasse. Selbst die Grünen wurden schon erfolgreich als zwanghafte Verbotspartei diffamiert. Will Ypi vorschlagen, dass die Linke mehr dem konservativen Klischee der Linken entsprechen soll?

    Ypi macht ja hier nichts anderes als an das Individuum zu appellieren, sich irgendwie gefälligst besser zu benehmen. Das ist lustigerweise genauso antithetisch zu radikaler Systemkritik wie die Hasstiraden der Rechten, aber liest sich natürlich netter.

    • @Wonko the Sane:

      Da verstehe ich Ypi deutlich anders.

      Sie will ein moralisch ausgerichtetes Gesellschaftsprojekt. Das Individuum ist für Ypi zweitrangig, weil es nicht um individuelle Moral geht.

      Sie ist im Sozialismus aufgewachsen.

      Diese Eindrücken, diese Lebenssinngebung hat sie mitgenommen.

  • Frage:



    Was verstehen Sie denn unter Freiheit?

    Antwort:



    Ein verantwortungsbewusstes Leben in einer freien Welt.

    Bemerkt niemand den Zirkel in dieser Antwort?

    • @henryMann:

      Ein Zirkel ist es nur, wenn der Begriff Freiheit in seinen diversen Bedeutungen nicht differenziert wird.

      Wenn jeder Mensch seine Persönlichkeit entfalten kann (= individuelle Freiheit), wenn es also keine institutionellen Einschränkungen gibt, dann ist die freie Welt etwas anderes als heute, wo darunter bekanntlich der Westen mit seinen Werten verstanden wird.

      Die Freiheit nach der Frau Lea Ypi strebt, gibt es nur für jeden Menschen oder gar nicht:



      "Das System ist global. Das heißt: Eine Welt, die nicht für alle frei ist, ist für niemanden frei."

    • @henryMann:

      Erklären Sie uns den bitte.

      Ein einzelnen Punkt als Zirkel zu sehen, fällt mir in der Tat nicht leicht.

  • Es bleibt ein Trick des radikalen Liberalismus die Verantwortung ganz aufs Individuum zu übertragen. Natürlich trage ich als Individuum Verantwortung. Aber nur soviel wie ich es vermag. Alles andere ist Überforderung. Wobei die persönliche Challenge ja durchaus motiviert. Daher verstehe ich den Wunsch in einer Welt zu leben die nicht überfordert. Ob das möglich sein kann ohne identitäre Nischen ist fraglich. Also Systemwechsel hin zu weniger Generalverantwortung?

  • "Frage: Wie können wir Freiheit als Ideologie von echter Freiheit unterscheiden?"

    Nein, m.E. stehen sich individuelle Freiheit und institutionelle Freiheit gegenüber.



    Bei der Institution ist es gleich, ob es sich um Staat, Clan, usw. handelt.

    Die Institution verfügt über den Warenkorb, den das Individuum für seine Existenz benötigt. Das erlaubt es der Institution die individuelle Freiheit einzuschränken.



    Z.B. müssen, im Kriegsfall, alle Männer von 18 - XX an die Front. Der Staat hat hier sogar das Verfügungsrecht über das Leben der Person.

    Individuelle und institutionelle Freiheit verhalten sich antagonistisch zueinander. Je größer die individuelle Freiheit, desto geringer der staatliche Einfluss auf die Persönlichkeitsentfaltung.

    Da individuelle Freiheit primär auf materieller Unabhängigkeit basiert, ist die Forderung nach einem #BGE revolutionär.

    „Das System ist global. D. h.: Eine Welt, die nicht für alle frei ist, ist für niemanden frei.“



    Diesen Satz sollten sich alle Zukunftsforscher und -eroberer ganz fett hinter die Ohren schreiben.

    So wäre ein globales #BGE ein riesiger Schritt hin zu einer freien Welt, einer globalen Gemeinschaft, gebildet von Persönlichkeiten.

    • @schokolade:

      @schokolade: "Da individuelle Freiheit primär auf materieller Unabhängigkeit basiert, ist die Forderung nach einem #BGE revolutionär."



      Dann muss man natürlich auch die Freiheit derer betrachten, die beim BGE Nettozahler sind. Oder die Freiheit derer, die derzeit tüchtig arbeiten und Steuern zahlen und mit BGE deutlich weniger tun müssen.

    • @schokolade:

      "„Eine Welt, die nicht für alle frei ist, ist für niemanden frei.“



      Diesen Satz sollten sich alle Zukunftsforscher und -eroberer ganz fett hinter die Ohren schreiben."



      Warum? Erst einmal ist das nur eine Behauptung, die bewiesen werden müsste.



      Einfaches Beispiel: die Bewohner eines Eilands irgendwo in der Südsee sind frei. Dass ein paar tausend Kilometer entfernt Millionen in Knechtschaft schmachten, ändert daran überhaupt nichts.



      Et voila.

  • Die Ursprünge des Kapitalismus hatten als Ansatz für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Wohlstand für viele, anstatt nur für Herrschaftshäuser und Adel. Für die abnormen Auswucherungen des Kapitalismus in der Moderne gibt es eine ganze Reihe von Gründen, die aber allesamt in der menschlichen Natur begründet liegen.

    Die Ansätze von Frau Ypis werden daher reines Wunschdenken bleiben, da sie größtenteils der menschlichen Natur zu widerlaufen. Da helfen weder Kant noch Sozialismus.

    • @Sam Spade:

      "Die Ursprünge des Kapitalismus hatten als Ansatz für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Wohlstand für viele, anstatt nur für Herrschaftshäuser und Adel."



      Und er war recht erfolgreich damit. Ist es noch.



      Woran er scheitert, ist ein Wohlstand für alle.



      Wobei ich nicht sicher bin, ob das überhaupt möglich ist.

  • 1) Freiheit ist die Kompetenz, Probleme (der Entfaltung) zu lösen!

    2) Moral ist das wichtigste Problem!

    Wer also wirklich frei sein will, der sollte sich zum ziel setzen, moralisch erfolgreich zu handeln, denn so kann er die probleme am besten minimieren.

    Der andere weg ist eben alle zu töten und zu knechten die einem auf den kecks gehen. das kann man natürlich auch machen. aber es hat sich jetzt als nicht wirklich toll erwiesen. und ich denke, die meisten leute sind da auch einer meinung, besonders wenn sie ganzheitlich gebildet sind und noch irgendeine moral haben.



    marx wusste ob des zwangs und er wusste, warum es eine zwanghafte ablösung der asozialen durch die soziale ordnung geben müsste.



    Soziale Ordnung ist keine frage der wahl, es ist eine unausweichliche sache, wenn wir weiter moralisch bleiben und die maximale freiheit - KOMPETENZ DER PROBLEMLÖSUNG - für einen gewissen typ des lebens und der gemeinschaften bestreiten.

    Ob wir das dann UMFASSENDE fairness, gerechtigkeit, demokratie, sozialliberalismus, marxismus, sozialismus, kommunismus oder anarchie nennen - ist vollkommen egal, so lange alles was wir wollen in frieden und effizient funktioniert.

  • "Aber aufgrund der neoliberalen Ideologie sehen das viele nicht. Auch immer wiederkehrende Krisen oder die steigende Bedrohung durch Kriege und Extremwetterereignisse werden als zufällige Katastrophen gedeutet anstatt als systematische Unfreiheit. "

    Die permanente Krise ist ein Vehikel zur Durchsetzung neoliberaler Konzepte. Ohne die Projektion einer Bedrohung, würden die Menschen, die erlebte Ungleichheit infrage stellen.



    Und deshalb, muss die Politik ständig Krisen imaginieren, um sich als einzig wahre Rettung vor der Apokalypse zu präsentieren.

    Wir sind aber nicht mal bereit, das zu diskutieren, geschweige denn infrage zu stellen.

    • @Octarine:

      "Die permanente Krise ist ein Vehikel zur Durchsetzung neoliberaler Konzepte. Ohne die Projektion einer Bedrohung, würden die Menschen, die erlebte Ungleichheit infrage stellen. Und deshalb, muss die Politik ständig Krisen imaginieren..."



      Extremwetter und Klimawandel sind also nur imaginierte Krisen?



      "Wir sind aber nicht mal bereit, das zu diskutieren, geschweige denn infrage zu stellen."



      Nee. Sind wir nicht. Zum Glück.

  • Meinen Respekt für Frau Ypi, dass sie nach dieser Plattitüde "Nun bedeutet Freiheit für viele ja: Schnitzel essen, mit dem SUV über die Autobahn brettern, mehrmals im Jahr in den Urlaub fliegen." das Gespräch überhaupt noch fortsetzte, und vielen Dank für die überaus anregenden Gedanken und Ideen ihrerseits.

    • @Trabantus:

      Warum sollte sie das Gespräch dmch nicht fortsetzen wollen? Die Frage ist völlig ok.

  • Eine Weisheit bleibt:



    Kapitalismus ist die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen.



    Im Sozialismus ist es umgekehrt.

  • "Freedom's just another word for nothing have to lose."



    Sobald Angst da ist, etwas zu verlieren, ordnen sich Menschen Zwängen unter, um den status quo zu erhalten.

    Freiheit beginnt im Kopf. Muss ich das Rattenrennen um Status und Luxus mitmachen? Muss ich irgendetwas kaufen oder tun, nur weil "man" das so "muss"?

    Am Arbeitsplatz unterwerfen wir uns Zwängen: wir essen, tragen, sagen, tun eben NICHT, was und wann wir wollen.



    Wir schielen auf Peergroups, wir wollen "dazugehören" zu einem Milieu. Dafür verkaufen wir unsere Seelen an den Kapitalismus. Wir werden nicht mehr auf dem Markt verkauft wie noch meine Ur-Urgroßeltern, wir verkaufen uns selber an Internetkonzerne und andere Oligarchen.

    Ich bin arbeitslos, arm, alt und FREI. Mein Leben lang habe ich mich nicht so frei gefühlt. ICH entscheide, was und wann ich esse, wann und wie oft ich aufs Klo gehe, wie lange und wann ich schlafe. Ich muss nicht mehr verreisen, ein fettes Auto fahren, jedes Jahr neue Klamotten kaufen, weil "man" es so macht.

    Das Leben hat mich gelehrt, was "nice to have", und was "need to have" ist.



    Menschen, die das "need" nicht haben, werden immer unfrei sein. Man denke an die Bürgergelddebatte.

    • @Die Schnetzelschwester:

      Ich frage mich was bei Ihrer Betrachtung herausgekommen wäre, hätten Sie nicht Kris Kristofferson sondern Konstantin Wecker (Freiheit, ist keine Angst haben, vor nichts und niemand) zitiert.



      Vielleicht nicht viel anderes, aber möglicherweise wären Sie schneller zu Ihrem Resumee gekommen.

  • "Wenn man seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann, weil man keine Arbeit hat oder prekär beschäftigt ist, dann lebt man in keiner freien Welt. Aber aufgrund der neoliberalen Ideologie sehen das viele nicht. Auch immer wiederkehrende Krisen oder die steigende Bedrohung durch Kriege und Extremwetterereignisse werden als zufällige Katastrophen gedeutet anstatt als systematische Unfreiheit. Wenn wir Freiheit so verstehen wie ich, dann sehen wir, das wir heute nicht frei sind.

    Was verstehen Sie denn unter Freiheit?



    Ein verantwortungsbewusstes Leben in einer freien Welt."



    Interessant... versteh ich das richtig? Aufgrund der Realität (neben Erwerbslosigkeit eben auch Unwetterkatastrophen) sind die Menschen nicht frei. Freiheit ist ein verantwortungsbewusstes Leben... wo genau ist da die Verantwortung, wenn ich die Unbilden des Lebens mit systematischer Unfreiheit gleichsetze sprich die Verantwortung dafür und mit dem Umgang von mir weise?

    • @Encantado:

      Nein. Das verstehen Sie falsch. Es sind eben nicht die "Unbilden des Lebens", sondern Resultate des unfreien Systems die nicht in der Verantwortung des Einzelnen liegen

      • @h4nsel:

        "...Resultate des unfreien Systems die nicht in der Verantwortung des Einzelnen liegen..."



        Es liegt in der Verantwortung jedes einzelnen, wie er oder sie mit Problemen jedweder Art umgeht. Dass das seine Grenzen in den Möglichkeiten hat, ist klar. Aber die Verantwortung so einfach wegzuschieben, bedeutet eben auch Ablehnung von Verantwortung. Aus freier Entscheidung heraus.



        Und Extremwetterereignisse als 'Resultate des unfreien Systems'? Da machen Sie sich das dann doch etwas zu einfach.

  • Das Menschenbild der Autorin ist viel zu optimistisch. Ihre Mutter ist natürlich älter und hat das daher besser verstanden.



    Die Mehrheit der Menschen hat kein Interesse an Freiheit, sondern sie wollen in Ruhe leben, ohne dass sie sich massiv (politisch) engagieren müssen.



    Die Welt ist viel zu kompliziert und vielfältig, als dass die Normalbürger *in das durchschauen könntenoder auch nur wollen.



    Jedes System, das Ruhe und ein wenigstens rudimentäres Auskommen verspricht, wird daher geduldet.



    Es sind überall und immer nur die paar Intellektuellen , die entweder an der aktuellen Macht partizipieren oder eben vom System verfolgt und sogar vernichtet werden.



    Alle Revolutionen werden nicht von den vielen Unglücklichen sondern nur von den wenigen Unzufriedenen getragen.

    • @Ingrid Feistner:

      Das Menschenbild ist eben nicht zu optmistisch, das Menschenbild von Ihnen oder der Mutter der Autorin ist geprägt von den Erfahrungen, die sie unter eben den damals existenten Bedingungen und Menschen, die ebenfalls von diesen Bedingungen geprägt sind, gemacht hat...Im Prinzip war das Erfolgsrezept des Menschen die Kooperation, und das lief solange gut, fair und gerecht ab, wie sie sich nicht sesshaft gemacht haben. Das Übel begann erst mit der Sesshaftwerdung und dem Gedanken, irgendjemandem könnte die Welt bzw. der Boden, auf dem wir alle leben, "gehören", verbunden mit irgendwelchen Sonderrechten. Und ist das nicht ein Irrsinn, was machen wir, wenn aller Boden irgendwann in Privatbesitz ist. Was machen die Leute, die später geboren werden und nichts erben? Horrende "Mieten" zahlen für etwas, das eigentlich allen gehören sollte? Nein, die Autorin hat völlig recht, die einzige Alternative, wie wir diesen Planeten vor schrecklichen Dystopien retten können, ist die Aufgabe von Privatbesitz, Vermögen und all diesen Dingen und das Verständnis, dass langfristig nur durch Kooperation überlebt werden kann, es sei denn, wir bewegen uns wieder in irgendeine Dystopie,hier bin ich Pessimist

    • @Ingrid Feistner:

      Wenn Sie recht hätten, dann würden wir heute noch als Leibeigene den Aristokraten den Nachttopf leeren.



      Ich freue mich, dass Frauen sich heute frei und ungezwungen an politischen und gesellschaftlichen Diskussionen beteiligen und sogar wählen dürfen.



      Es hat ja lange genug gedauert, bis einige wenige Intellektuelle den Anstoß gegeben haben, die damals herrschenden Verhältnisse zu überwinden. Veränderungen sind also möglich.



      PS: Woran die Menschheit ein Interesse hat und wie sie leben will, wissen Sie genauso wenig wie ich. Nur eines scheint gegenwärtig sicher zu sein: Die Geschwindigkeit, mit der der Kapitalismus unsere Lebensgrundlagen in Profit und Müll trennt, verkürzt die Zeit, in der die Menschheit sich für eine lebenswerte Zukunft einsetzen kann.



      Sie müssen dabei nicht mitmachen. Nur nörgeln Sie doch bitte nicht über diejenigen, die noch Hoffnung haben, Ideen einbringen und Vorschläge machen. Resignation ist schließlich keine Alternative!

      • @Drabiniok Dieter:

        …anschließe mich

        kurz - die Vorstellungskraft ist die stärkste Kraft des Menschen als Grundlage von Freiheit und - gar nicht religiös gemeint - am Anfang war das Wort - die Höhlenmalereien & die Elfenbeinschnitzereien auf der Alb, die zwischen 30 000 und 36 000 Jahre alt sind, darunter eine 7,5 Gramm schwere Mammut-Plastik. Es sind die ältesten Schnitzereien, die bisher auf der Welt entdeckt wurden.

        kurz - step across the border - that’s it!



        Mit dem Hintern im Warmen sitzen & andere abmeiern. Diese uralte von-oben-herab-Nummer - war schon immer doof •

        • @Lowandorder:

          So wie Frau Professorin Ypi, nechwar?

          • @YeahYeah:

            Sorry - aber das von oben herab ist mir bei ihr gar nicht aufgefallen! Gelle



            Habens nen anderen Text?

  • 6G
    615049 (Profil gelöscht)

    Der Finger liegt in der richtigen Wunde.

    Da kommen Ziffel und Kalle, die alten Philosophen mit ihren Flüchtlingsgesprächen vom noch älteren Brecht vorbei.



    Die nehmen die Tatsache, dass ständig von Freiheit die Rede ist, als Hinweis auf die Unfreiheit. Gäbe es diese Freiheit, so würde man gar nicht drüber reden. Jedenfalls nicht in dieser Verbissenheit.

    In der DDR hieß das, Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit. Und die Notwendigkeit könnte dann sehr viel mit den Ausführungen der Frau Ypi zu tun haben.

    Noch ein vielleicht gar nicht so sehr hinkender Vergleich. Die deutsche "Einheit". Gäbe es sie,.....



    Nebenbei:Dann hätten wir sicher auch ohne jeden Krawall einen Gedenk- und Feierort uswusf.

  • Schade, daß maus die Frau nicht wählen kann.

  • Danke für diese klugen Gedankenanstöße und über den Tellerrand hinaus.



    Masel tov weiterhin.

    • @Lowandorder:

      Und wovon und wie wird gelebt?



      Ausbeutung bleibt Ausbeutung egal unter welchem Mantel und welchem System.



      Und essen muss man auch um zu überleben, wer übernimmt das Ernten und Saen. Das machen weiterhin die Bauern und schwadronieren tun die "Eliten" egal ob linke, rechte, kommunisten, Sozialisten, Kapitalisten etc. Es wird sich immer irgendeine -ierarchie, Herrschaftsclique bilden in der die "Anderen" dann unfrei sind.

      • @Reinero66:

        "Und essen muss man auch um zu überleben, wer übernimmt das Ernten und Saen. Das machen weiterhin die Bauern ..."

        Sie mache es sich m.E. ein bisschen leicht.

        Bei einer Bevölkerung von rund 84 Mio. gibt es noch rund 1 Mio. Menschen die in der Landwirtschaft arbeiten.



        Mit anderen Worten rund 83 Mio. leben von den Erzeugnissen der Bauern, beuten diese aus.

        www.umweltbundesam...der-landwirtschaft