Existenzkrise der Linkspartei: Bittere Bestandsaufnahme

Die Linkspartei müsse „ihre Weltsicht modernisieren“, fordert das Netzwerk Progressive Linke. Und es hofft, dass es dafür nicht schon zu spät ist.

Eine rote Tasse mit der Aufschrift "Hier ist die Linke"

Wer will aus dieser Tasse noch trinken? Foto: Stefan Boness/Ipon

BERLIN taz | Langsam scheint sich die Schockstarre in der Linkspartei nach der Europawahlkatastrophe zu lösen. Nachdem die noch amtierende Parteiführung bisher außer ein paar nichtssagender Floskeln öffentlich keinerlei Erklärung der „schwierigen politischen Situation“ (Parteichef Martin Schirdewan) anzubieten hat, meldet sich jetzt das Netzwerk Progressive Linke mit einer bitteren Bestandsaufnahme zu Wort.

Erforderlich sei der „Bruch mit der langjährigen Praxis, Unklarheit und Widersprüchlichkeit auszusitzen und sich zugleich aus drängenden gesellschaftlichen Debatten herauszuhalten“, heißt es in einem Brief an den Parteivorstand, den mehr als 130 Mitglieder unterschrieben haben. Verfasst haben das Schreiben, das der taz vorliegt, die beiden früheren Berliner Se­na­to­r:in­nen Klaus Lederer und Elke Breitenbach, der Ex-Bundestagsabgeordnete Thomas Nord und der Bremer Linken-Vorsitzende Christoph Spehr.

Die Linkspartei sei „durch den Kurs des ‚Hufeisens‘ in der untergegangenen Bundestagsfraktion und der politischen Beliebigkeit in der Partei an die Grenze ihrer Überlebensfähigkeit gekommen“, schreiben sie. Die Abspaltung des BSW, welche als „Kurs der opportunistischen Anpassung an den Rechtsruck“ bezeichnet wird, habe „nur in Ansätzen zur Klärung geführt“.

Zwar sei der Ton nach dem Abgang von Sahra Wagenknecht und ihrem Anhang weniger verletzend geworden. Aber die Linkspartei habe weiterhin zu zentralen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen keine klaren, überzeugenden, umsetzbaren und gemeinsam vertretenen Positionen anzubieten.

Fehlende Klärungsprozesse

Notwendige Klärungsprozesse, zum Beispiel was den Umgang mit dem Ukraine-Krieg oder der drohenden Klimakatastrophe betrifft, seien bewusst ausgeblieben, um die Partei durch eine „gewollte Mehrdeutigkeit“ zusammenzuhalten. Die Beschränkung im Europawahlkampf auf die Warnung vor dem Rechtsruck und das noch vorhandene soziale Image als kleinsten gemeinsamen Nenner sei jedoch dramatisch gescheitert.

Mit seiner Kritik an einer aus opportunistischen Gründen vorgenommenen thematischen Verengung im Wahlkampf knüpft das Netzwerk Progressive Linke auf den ersten Blick an die Abrechnung der früheren Parteivorsitzenden Gesine Lötzsch an, die in der vergangenen Woche mitgeteilt hatte, nicht erneut für den Bundestag kandidieren zu wollen.

In ihrer Erklärung wirft Lötzsch der Parteiführung vor, er habe im Wahlkampf nicht über Frieden reden wollen, „weil unsere Partei in dieser Frage gespalten wäre“. Aber einfach nicht über Krieg und Frieden zu reden, sei keine gute Strategie: „Wer existenzielle Fragen nicht diskutieren will, der wird abgewählt.“ Die Linkspartei müsse „wieder als Friedenspartei erkennbar werden“, so Lötzsch.

In die gleiche Richtung gehen die ehemalige PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer, der frühere Thüringer Linken-Partei- und Fraktionsvorsitzende Dieter Hausold sowie Michael Brie und Judith Dellheim von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in einem gemeinsamen Positionspapier. Auch sie mahnen, die Linkspartei müsse wieder „Friedenspartei“ werden.

So beklagt das Quartett, dass gegen die vermeintliche Friedensdemonstration von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer am 25. Februar 2023 vor dem Brandenburger Tor „gehetzt“ worden sei. Und sie kritisieren, relevante Strömungen der Partei würden unkritisch „die ideologische Inszenierung einer Blockkonfrontation des ‚demokratischen Westens‘ gegen ‚autoritäre Regime‘ mitgetragen“. Die Linke bräuchte eine „Erneuerung als demokratische sozialistische Partei“.

Letzte Hoffnung: der Bundesparteitag im Oktober

Mit solchen Postulaten aber können Lederer, Breitenbach, Nord und Spehr nichts anfangen. Auch haben sie nicht nur konträre Ansichten darüber, was eigentlich unter einer „Friedenspartei“ in der heutigen Zeit zu verstehen ist. Die Linke müsse „ihre Weltsicht modernisieren“, fordern sie.

In Richtung der noch verbliebenen fossilen Traditionsbataillone besonders im Osten formulieren die vier Linksparteipolitiker:innen:„Vorstellungen einer Friedenssicherung durch akzeptierende Politik gegenüber dem russischen Imperialismus, eines wirtschaftlichen Erfolges durch die traditionelle verbrennerorientierte deutsche Autoindustrie oder der Förderung sozialen Respektes durch eine rückwärtsgewandte, romantisierende, nicht-plurale Leitkultur sind kein adäquater Kompass für die Welt von heute.“

Es spräche viel dafür, dass die wahlentscheidenden Themen der Bundestagswahl dieselben sein werden wie bei der Europawahl: Friedenssicherung in Europa, soziale Sicherheit, Zuwanderung, Klimaschutz, Wirtschaftswachstum. Damit gebe es fünf Bereiche, „in denen wir es schaffen müssen, zu antworten – ohne Floskeln, ohne Selbstbeweihräucherung, ohne Widersprüche, ohne Geraune und ohne Wegducken“. Die Zukunft der Linkspartei entscheide sich nicht an der Fünfprozenthürde 2025, so wichtig deren Überwindung auch sei, sondern „an der Ernsthaftigkeit, mit der sie sich dafür entscheidet, eine moderne Linkspartei werden zu wollen“.

Was alle Papiere trotz ihrer unterschiedlichen Ausrichtung gemeinsam haben: Sie setzen eine letzte Hoffnung auf den für Oktober geplanten Bundesparteitag. Dort dürfte kaum ein Stein auf dem anderen bleiben. Wobei unklar ist, was dann kommt. Ohnehin muss die Linkspartei zuvor erst einmal die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg einigermaßen überstehen.

„Wir erwarten vom kommenden Parteitag, dass er erkennbar und belastbar den Weg zu einer modernen, fortschrittlichen Linkspartei markiert“, schreibt das Netzwerk Progressive Linke. Ob es dafür allerdings nicht bereits zu spät ist, um die Partei noch retten zu können, ist höchst fraglich.

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