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Endstation Prellbock: Die Strecke in Mecklenburg-Vorpommern ist stillgelegt Foto: Helmut Meyer zur Capellen/imageBroker/imago

Stillgelegte Bahnstrecken reaktivierenDie Eisenbahn fährt wieder

In Deutschland wurden tausende Kilometer Zugstrecke stillgelegt, nur braucht es mehr Bahnen. Wie man Schienen wiederbelebt.

G inge es nach deutschen Vorgaben, würde Ingo Koschenz nicht in diesem Zug sitzen. Die Schienen, auf denen er nun fährt, blieben stillgelegt. Über zwanzig Jahre war es unmöglich, mit dem Zug aus dem brandenburgischen Grenz­städtchen Guben bis in die polnische Großstadt Zielona Góra zu fahren. Der Personen­verkehr lag still.

Und doch sitzt der 43-Jährige an diesem Mittag Anfang des Jahres in einer Regionalbahn, die gerade die Lausitzer Neiße nach Polen überquert. Als ein Schaffner vorbeikommt, kauft er Tickets nach Zielona Góra und zurück, auf Polnisch. „Tschechisch kann ich besser“, sagt er entschuldigend.

Koschenz ist beim Fahrgastverband Pro Bahn Referent für Osteuropaverkehre und hat sich lange für die Reaktivierung der Zugstrecke starkgemacht. Erst seit Juni 2022 ist sie wieder in Betrieb. Der Streckenabschnitt zwischen Guben und der Grenze ist einer der wenigen, die 2022 in Deutschland wieder ans Netz gingen. Hinzu kamen noch 4 Kilometer im Harz, 1 Kilometer in der niedersächsischen Gemeinde Einbeck und 1 Kilometer in Beelitz in Brandenburg. Insgesamt 8 Kilometer.

Kein Vergleich zu den 5.236 Schienenkilometern, die seit 1994 stillgelegt wurden. Ein Großteil ging, wie Daten des Eisenbahn-Bundesamts zeigen, Ende der 90er im Zuge der Privatisierung der Bahn vor allem im ländlichen Raum verloren. Seitdem hat man nur 1.299 Kilometer – knapp ein Viertel – reaktiviert.

Großes Potential für Verkehrswende

Dabei haben Reaktivierungen großes Potenzial in Deutschland, gerade für die Verkehrswende, die es für klimapolitische Ziele im Verkehrssektor braucht. Der Verkehrssektor war 2023 für 22 Prozent aller CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Ein großer Teil davon geht auf die Konten von Autos, Lkws und Bussen mit Verbrennungsmotor. Deshalb will die Bundesregierung Verkehr aufs Gleis verlagern.

Zudem könnten reaktivierte Bahnstrecken helfen, Städte und ländliches Gebiet besser zu vernetzen und die Barrierefreiheit älterer Menschen auf dem Land zu verbessern. Insgesamt 80 mögliche positive Einzel­effekte postuliert eine Studie zu den „Räumlichen Effekten reaktivierter Schienenstrecken im ländlichen Raum“ des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Doch obwohl politisches Interesse an der Reaktivierung besteht, zieht sich das Unterfangen und lahmt an diversen Hürden.

In Polen liefen Reaktivierungen anders als in Deutschland

Ingo Koschenz, Referent für Osteuropaverkehrer beim Fahrgastverband Pro Bahn

Im brandenburgischen Guben wäre die Zugstrecke über die Grenze ohne Zutun ihres Nachbarlandes wohl nicht reaktiviert worden. In Polen liefen Reaktivierungen anders als in Deutschland, sagt Ingo Koschenz. Da komme es nicht unbedingt nur auf ihre Wirtschaftlichkeit an. Sein Blick schweift aus dem Fenster des fahrenden Zuges auf die weitläufigen Auen.

Gemächlich rollt die Bahn durchs Land. Für die rund 55 Kilometer bis Zielona Góra braucht sie knapp anderthalb Stunden. Der Zug ist kurz, trotzdem sind längst nicht alle Plätze besetzt. Ab und an hält er an kleinen, älteren, aber frisch sanierten Bahnhöfen. Außer den Bahnhofsgebäuden sind kaum Häuser zu sehen.

Seit 2002 war der Personenverkehr zwischen Guben und der polnischen Großstadt Zielona Góra eingestellt, wenn auch nie ganz stillgelegt. Güterzüge nutzten weiterhin einen Teil der Strecke. Das änderte sich 2018, als sich die Verwaltung der polnischen Grenzregion, die Woiwodschaft Lubuskie, mit dem Land Brandenburg zusammengetan und die Reaktivierung vorangetrieben hat. Sodass im Juni 2022 die ersten Regionalbahnen an den Start gingen, zunächst wenige nur an Wochenenden. Inzwischen fahren sie aber auch unter der Woche und am Wochenende zwei Mal sogar bis nach Cottbus.

Wenig später hält der Zug im polnischen Czerwieńsk nahe der Endhaltestelle. „Jetzt wird es voll“, sagt Koschenz. Vorher, an den kleineren Bahnhöfen in der ländlichen Gegend, sind vor allem ältere Menschen eingestiegen. Jetzt drängen sich auf dem Gleis mehrere kleine Gruppen von Jugendlichen. Von Guben über die Grenze in den nächsten Ort nahmen vergangenes Jahr im Durchschnitt rund 60 Menschen pro Tag die Bahn. Auf polnischer Seite „ist eine höhere Nachfrage zu verzeichnen“, wie das Land Brandenburg mitteilt.

Recht auf Anbindung für alle

Dass die Strecke in Polen mehr genutzt wird, war allerdings nicht ausschlaggebend. Polens Regierung und die Woiwodschaft hätten diese Strecke nicht reaktiviert, weil sie besonders wirtschaftlich wäre, meint Koschenz, mit den wenigen Fahrgästen und der veralteten Technik. Der Zug fährt mit Diesel, also nicht emissionsfrei. Die Strecke sei noch nicht vollständig elektrifiziert und es gebe nicht genug Loks, die in den verschiedenen Stromsystemen in Deutschland und Polen unterwegs sein können.

Der Grund, so Koschenz, war ein anderer. Die Menschen in den Orten der Grenzregion sollten einfach angebunden sein. Das setze der Staat im Rahmen seines großangelegten Bahn­infrastrukturprogramms nach und nach um. „In Polen kann eine Reaktivierung sehr schnell gehen“, sagt der Fahrgast­vertreter. Nachdem die Finanzierung auf polnischer Seite beschlossene Sache war, sagte das Land Brandenburg zu, die Kosten für die rund zwei Kilometer Schiene auf deutscher Seite zu sichern.

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Während Deutschland 2022 acht Kilometer Schienen reaktivierte, kam Polen im gleichen Zeitraum auf über 60. Allerdings hätten sich die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Schienenverkehrs in Deutschland seitdem verbessert, sagt der Bahnexperte Matthias Gastel, der für die Grünen im Bundestag sitzt. Er ergänzt: „Polen reaktiviert zwar mehr als Deutschland, hat aber vorher auch viele Gleise stillgelegt.“

Die meisten Strecken wurden 1995 stillgelegt, insgesamt 808 Schienenkilometer. Im Rahmen der Privatisierung der Bahn waren Gewinne plötzlich wichtiger. Noch heute ist das größte Hindernis für die Reaktivierung von Strecken, dass sie sich betriebswirtschaftlich rechnen müssen, ergab eine Studie der Technischen Hochschule Deg­gendorf auch dieses Jahr wieder.

Stefan Ultsch kritisiert die Anforderungen zur Wirtschaftlichkeit. Der SPDler ist Bürgermeister der mittelfränkischen Stadt Wassertrüdingen. Dabei ist es ihm bereits gelungen, eine alte Bahnstrecke wieder ans bundesdeutsche Netz anzubinden. Für die Bahnverbindung nach Gunzenhausen konnten die angrenzenden Städte und Gemeinden belegen, dass die Strecke wirtschaftlich genug ist. Am 15. Dezember soll es losgehen. „Das wird ein Riesenschritt für die Region sein“, sagt Ultsch.

Mittelfranken rollt wieder

Losgehen ist aber, wie im brandenburgischen Guben auch, ­eigentlich der falsche Begriff für das, was in der Stadt mit knapp 6.500 Ein­woh­ne­r:in­nen noch in diesem Jahr passieren soll. Nach fast 40 Jahren Stillstand wird die reguläre Zugverbindung nach Gunzenhausen wieder freigegeben. 14 Kilometer Luftlinie liegen zwischen den Orten. In den vergangenen Jahren verkehrte hier höchstens eine Dampflok als Tourismus­attraktion. Für Pend­le­r:in­nen in Richtung Nürnberg und Fürth blieb nur das Auto.

Dabei könnten sie von Gunzenhausen die Frankenmetropole innerhalb von einer Stunde mit einem Umstieg erreichen. Ende der 90er fielen besonders die Strecken durch ländliche Gebiete den Sparmaßnahmen zum Opfer. Keine Relevanz für die Pla­ne­r:in­nen hatte dabei, dass die einzelnen Strecken­abschnitte oft wichtige Verbindungen zu größeren Bahnhöfen und anderen Bahnstrecken darstellten. Einzelne Städte verloren so ihre Schienenanbindung an den Rest der Republik.

Damit Wassertrüdingen seine alte Bahnstrecke reaktivieren konnte, waren viele Gespräche mit der Bayernbahn und Po­li­ti­ke­r:in­nen auf Lokal- und Landesebene nötig. Schwung bekommen hat die Kampagne zur Reaktivierung während der Landesgartenschau im Ort. Das war 2019, im Jahr nach Ultschs Amtsantritt.

Sie zog Be­su­che­r:in­nen aus der ganzen Region an und warf damit die Frage nach Anbindung ans Schienennetz neu auf. Dadurch erschien die Bahnstrecke auch für die Bayernbahn attraktiv, die von da an die Kampagne unterstützte. Künftig wird sie die Strecke betreiben. Damit die Kampagne aber Erfolg hatte, mussten die angrenzenden Städte und Gemeinden das entscheidende Gutachten durchbringen. Die Euphorie der Landesgartenschau half dabei.

Die „berühmten Tausend“ geknackt

Damit das Land die Reaktivierung einer Strecke finanziell unterstützt, müssen die Gemeinden nachweisen, dass genug Menschen die Strecke nutzen würden. In Bayern müssen sie „die berühmte Tausend“ knacken, wie Ultsch sagt. So viele Fahrgäste pro Tag braucht es. Der Streckenabschnitt zwischen Wassertrüdingen und Gunzenhausen erreichte diese Schwelle.

Die Nähe zur Nürnberger Metropolregion machte es möglich. Genug Menschen pendeln täglich zur Arbeit in die größeren Städte. Ultsch geht es bei der Reaktivierung aber nicht nur um diese Gruppe von Nutzer:innen. Er geht davon aus, dass sehr viele Menschen von der besseren Anbindung profitieren. „Da fahren dann alle mit. Schüler, Touristen, Senioren, Familien, Arbeiter“, sagt er begeistert.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Und er will mehr. Sosehr der Bürgermeister sich auf die Eröffnung der Strecke freut, zufrieden ist er nicht. Die Schienen zwischen Gunzenhausen und Wassertrüdingen sind nur ein Teil der Hesselbergbahn, die eigentlich bis ins südlich gelegene Nördlingen weitergeht. Sie könnte das bayerische Mittelfranken nicht nur nach Nürnberg und Fürth, sondern auch ins bayerische Schwaben anbinden. Insgesamt wären das 35 Kilometer Luftlinie. Mehr als doppelt so viel wie im ersten Schritt im Dezember reaktiviert werden.

Nur würden im zweiten Abschnitt der Hesselbergbahn voraussichtlich weniger Menschen mitfahren als eigentlich nötig, berichtet der SPD-Bürger­meister und bemängelt die Kriterien. Für ihn ist die Schwelle realitätsfern, er nennt sie „Augenwischerei“. „Man könnte den Einzugsbereich eines Bahnhofs auf der Strecke anders bemessen. Dann läge auch der zweite Streckenabschnitt oberhalb der Schwelle.“

Ultsch verweist auf bisher ungenutztes Potenzial, das sich durch die neue Strecke entfalten könnte. „Zuerst war die Planung nur für Schüler aus der Region“, sagt er. Und bringt dann wieder die Tou­ris­t:in­nen ins Spiel, deren Besuch er sich dank der neuen Strecke erhofft. „Dann fahren die Leute am Wochenende nicht nur zum Altmühlsee oder zum Brombachsee, sondern bleiben noch etwas länger im Zug und entdecken die Gegend um den geschichtsträchtigen Hesselberg.“

Die Geschichte des Bergs ist allerdings nicht wirklich rühmlich. In der NS-Zeit veranstaltete der Publizist und glühende Antisemit Julius Streicher dort die viel besuchten sogenannten Frankentage. So oder so: Ende des Jahres geht vorerst nur der erste Abschnitt in Betrieb.

Neue Kriterien berücksichtigen

Birgit Milius, Mobilitätsforscherin an der Technischen Universität Berlin, verteidigt die Kriterien: „Wir müssen Annahmen treffen, bevor wir eine Strecke reaktivieren. Grundsätzlich ist das immer eine Wette auf die Zukunft.“ Um das Verlustrisiko bei dieser Wette zu reduzieren, seien Gutachten durchaus sinnvoll. Trotzdem sind bis 2022 viele Kommunen daran gescheitert, nachzuweisen, dass sich neuer Verkehr auf einer stillgelegten Strecke rentiert.

Der Grund: Die Kriterien waren zu strikt. Im Juli 2022 hat der Bund deshalb ein neues standardisiertes Bewertungsverfahren beschlossen. Seitdem zählen für die Wirtschaftlichkeitsprüfung viel mehr Aspekte als vorher – zum Beispiel die Frage, ob die Reaktivierung einer Strecke dem Klima nutzt.

Inzwischen kommen die meisten Machbarkeitsstudien zu positiven Ergebnissen. In ganz Deutschland ergaben 2023 mehr als 75 Prozent der Prüfungen, dass sich die Reaktivierung der jeweiligen Strecke lohnen würde, zeigt eine Studie aus dem vergangenen Jahr von Allianz pro Schiene und dem Verband der Verkehrsunternehmen.

Die Studien müssen die Städte und Gemeinden allerdings selbst zahlen, manchmal sogar die Bürger:inneninitiativen, die sich vor Ort für einen bestimmten Gleisabschnitt stark machen. Dennoch: „Die Bedingungen für Reaktivierungen sind in Deutschland eigentlich ganz gut“, sagt der Grünen-Bahnexperte Matthias Gastel. Damit meint er, dass die Finanzierung mittlerweile deutlich besser geregelt ist als noch vor einigen Jahren. „Es steht mehr Fördergeld des Bundes bereit“, erklärt Gastel.

Bund gibt mehr Geld

Seit 2020 können Länder und Kommunen bis zu 90 Prozent der Kosten für eine Schienenreaktivierung durch Zuschüsse vom Bund decken. Eine Gesetzesänderung machte die Erhöhung möglich – und legte die Reaktivierung von Schienenstrecken als eigenständiges Förderziel fest.

Damit sind in dem Topf, aus dem die Bundesgelder für den öffentlichen Personennahverkehr auf der Schiene, für U- und S-Bahnen, für die Reaktivierung, Elektrifizierung oder Grunderneuerung einer ­Strecke fließen, seit 2021 1 Milliarde Euro pro Jahr. 2025 sollen es 3 Milliarden sein. Noch 2019 waren es jährlich 332 Millionen Euro.

Wenn die Züge dann aber auf den wiederbelebten Schienen rollen, bestenfalls jahrelang, müssen die Bundesländer für ihren Betrieb aufkommen. Die Mittel dafür reichen in vielen Fällen schon für den bestehenden Nahverkehr nicht aus.

Weiter in Schienenprojekte zu investieren hat zusätzliche Effekte, die über Klima oder Mobilität von Menschen hinausgehen. In Anbetracht der ­alternden Gesellschaft kann die Reaktivierung von Bahn­strecken auch helfen, älteren Menschen eine bessere Teilhabe zu ermöglichen. Diesen Punkt betont auch Mobilitätsforscherin Birgit Milius. In ländlichen Gebieten ist die Bevölkerung im Schnitt deutlich älter als in Städten.

Weil die Gebiete schlechter angebunden sind, sind die ­Menschen dort bis ins hohe Alter­ auf die Hilfe von Nach­ba­r:in­nen oder ihr eigenes Auto angewiesen. „Verkehrskonzepte ohne Auto erhalten da eine ganz neue Dringlichkeit“, sagt Milius. Dabei könnten natürlich Ideen wie Rufbusse genutzt werden, alternativ aber eben auch Schienen.

Einen wenig beachteten Schlüssel für mehr wiederbelebte Bahnstrecken gibt es noch. Und die Orte haben ihn sogar selbst in der Hand. Wo ein Neubaugebiet entsteht, müssen viele Menschen zur Arbeit in die nächste Stadt pendeln.

Die Entscheidung, wo gebaut und wo Schienen reaktiviert werden, ist also lenkbar, glaubt die Mobilitätsforscherin Milius. Bisher werden Verkehr und Wohnraum nur selten miteinander gedacht. Oft sind neue Wohngebiete schon fertig, bis konkrete Konzepte für eine Anbindung an das Nahverkehrsnetz ausgearbeitet werden. Für Schienen ist es dann oft zu spät.

In einem Forschungsprojekt untersucht Milius Alternativen. Im Mittelpunkt stehen stillgelegte Bahnstrecken. Statt erst die Siedlung und dann das Nahverkehrskonzept zu planen, haben sie die Schritte umgedreht und sich gefragt, wo es bereits stillgelegte und reaktivierbare Bahnstrecken gibt, entlang derer man Wohngebiete ausweisen könnte. Erst neue Orte beleben, dann folgt vielleicht die Schienen-Auferstehung – das ist die Hoffnung.

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17 Kommentare

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  • "Die meisten Strecken wurden 1995 stillgelegt, insgesamt 808 Schienenkilometer. Im Rahmen der Privatisierung der Bahn waren Gewinne plötzlich wichtiger."

    Kann man mal behaupten. Man darf aber ein paar Fakten nicht unterschlagen.



    1) Vor der Stillegung muss die Strecke anderen Unternehmen zur Übernahme angeboten werden.

    2) Solange auf den Strecken Verkehr läuft, darf die Stillegung nicht genehmigt werden.

    3) Neben der Privatisierung gab es 1994 auch die Regionalisierung.

    ad 1) Die Abgabe von Strecken wurde in den 90er Jahren vielfach erfolgreich praktiziert (größtes Beispiel ist die Deutsche Regionaleisenbahn DRE, die etliche Strecken übernommen hat). Mit dem Ergebnis, dass für diese Strecken in den 2010ern eben nicht die DB, sondern der Übernehmer den erfolgreichen Stillegungsantrag gestellt hat.

    ad 2) und 3) Wenn seitens der Länder nach 1994 weiterhin Verkehr auf diesen Strecken bestellt worden wäre (sie bekommen ja vom Bund für diesen Zweck mit den "Regionalisierungsmitteln" Geld), hätte man die nicht stilllegen können.

    Vielen Ländern ging es aber gar nicht schnell genug, Verkehr abzubestellen und bis zu 20% der Bundesmittel im allgemeinen Haushalt verschwinden zu lassen.

  • Hier bleibt leider noch sehr viel Luft zu journalistischer Qualität.

    "Noch heute ist das größte Hindernis für die Reaktivierung von Strecken, dass sie sich betriebswirtschaftlich rechnen müssen, ergab eine Studie der Technischen Hochschule Deg­gendorf auch dieses Jahr wieder."

    Das ist leider unzulässig verkürzt. Erstens kann die TH Deggendorf - anders als die Autoren - die Begriffe "betriebswirtschaftlich" und "volkswirtschaftlich" auseinanderhalten. Und zweitens ist sich die TH Deggendorf der methodischen Schwächen ihrer Studie bewußt und trifft entsprechend schwache Wertungen. Wesentliche Basis der Studie ist eine Online-Umfrage, deren Teilnehmer nicht systematisch oder repräsentativ ausgewählt wurden (sondern z. B. über Internetforen oder Mund-zu-Mund-Propaganda) und in die auch subjektive Wertungen eingegangen sind - nicht jeder Kreisrat oder Verkehrsminister hat beim Nein-



    Sagen die Gründe auf der Stirn stehen.



    Teil 2 folgt...

  • Bessere Instandhaltung, höhere Zuverlässigkeit, Begradigung nur langsam befahrbarer Kurven und vor allem häufigere Bedienung der betriebenen Nebenstrecken und kleineren Hauptstrecken dürfte sinnvoller seim als die Reaktivierung von mit gutem Grund stillgelegten Strecken. Ist der Grund weggefallen - wie die Grenzkontrollen mach Polen - sieht es natürlich anders aus.



    Skandal ist doch eher der fehlende Neubau von Strecken, ausser wenigen ICE- Strecken und lurzen S- Bahn- Tunneln.

  • Die Verkehrswende ist doch das Problem: man gibt ein schönes Schlagwort und politisches Ziel, die Verantwortlichen nicken es brav ab, weil man sich lieb Kind machen will und ehrliche Worte der Karriere schaden.



    Ausbaden darf es dann Personal und Kundschaft.

    Der Bahnbetrieb benötigt aktuell nicht mehr, sondern weniger Kunden. Es gibt kein Personal, es gibt kein Wagenmaterial und die Taktungen sind viel zu eng ohne jeden Puffer, so dass ein Vorfall an einem Zug stundenlang zu Verspätungen an allen Zügen führt. Und über den Zugausfall wegen "kurzfristiger Erkrankung" (die nicht kurzfristig ist, sondern einfach gar keiner mehr da, der einspringen könnte) können Pendler Balladen singen.

    Kurz: das System ist vollkommen überlastet. Ist schön das da Geld fließen sollte (auch Geschichte, wegen dem Urteil aus Karlsruhe), bringt allein aber auch nichts, wenn gar keiner mehr da ist um den Investitionsrückstau abzuarbeiten

    • @Alex24:

      Eine gute und leider zutreffende Analyse, wenn auch für den fehlenden Geldfluss nicht Karlsruhe, sondern verfassungswidrige Haushaltstricks der Ampel verantwortlich sind. Wie eine wirklich erfolgreiche Verkehrswende mit reaktivierten Strecken aussehen kann, zeigen Beispiele aus Baden-Württemberg (z.B. Schönbuchbahn oder Ammertalbahn), die inzwischen sogar elektrifiziert und teilweise zweigleisig ausgebaut wurden, oder smarte kommunale Initiativen wie die Bodensee-Oberschwaben-Bahn. Bei der heute so verkauften Verkehrswende sieht man außerhalb der Metropolen zunehmend wieder nur noch die früheren 3A (Auszubildende, Arbeitslose, Alte) plus heute mit Migranten das 4. A in einem vielerorts immer stärker eingeschränkten ÖPNV.

      • @Rene Meinhardt:

        " z.B. Schönbuchbahn oder Ammertalbahn"

        Das ist aber nicht die Schönbuchbahn, bei der sich der Zweckverband über die Bedenken seines Planers hinweggesetzt hat und dann weder Bauzeit noch Kosten eingehalten wurden und bei der als günstige Fahrzeuge "Sonderlocken" bestellt wurden, deren technische Probleme die Zulassung verzögert haben und deren Zulassung jetzt noch an der Frage hängt, ob sie zu stark bremsen?

        Und Sie sprechen sicherlich auch nicht von der Ammertalbahn, die im Schienenersatzverkehr fährt, weil man keine Fahrdienstleiter findet? Personal, das man beim Zweckverband nie hatte, weil das vorher ein Mitarbeiter der DB Netz neben seiner Haupttätigkeit für den Zugverkehr zwischen Tübingen und Plochingen noch mitgemacht hat - mit Papier, Bleistift und Telefon als einzige Technik. Ausgesprochene Sicherheitstechnik - die von der Staatsbahn seit 120 Jahren bei vergleichbaren Zugzahlen installiert wird - hat man hier erst im letzten Jahr gebaut.

        Die beiden Strecken sind ein Beispiel, was vor 30 Jahren möglich war (als auch im Großraum Karlsruhe ein Dieter Ludwig etwas bewegen konnte). Inzwischen sind wir politisch und gesellschaftlich weiter. Aber nicht zugunsten der Schiene.

  • Ich have ein Kursbuch der Deutschen Reicjsbahn, demnach war der Zugverkehr von Guben nach Osten (Polen) schon zu DDR-Zeiten stillgelegt.

    Nicht nur "Über zwanzig Jahre war es unmöglich, mit dem Zug aus dem brandenburgischen Grenz­städtchen Guben bis in die polnische Großstadt Zielona Góra zu fahren."

  • Ich würde es andersherum denken: Ein gutes Angebot macht die Nachfrage.



    Warum nicht eine Schwelle von 2000 Einwohnern festlegen. Dann ist ein Bahnhof zu machen. Und ja, die Idee mit Neubaugebieten finde ich toll.

  • Es sind ja nicht nur deaktivierte Strecken das Problem. Hinzu kommen die ganzen stillgelegten Dorfbahnhöfe auf eigentlich noch aktiven Strecken.

  • Super zu hören (bzw. zu lesen). Es freut mich sehr, dass es zumindest ein wenig ein die richtige Richtung geht. Jetzt bloß nicht in Schwarzmalerei verfallen, nur weil nach 70 Jahren „Auto, Auto über alles“ nicht sofort der gute Bahnzustand herrscht wie einst.

    PS: Elektroautos sind sicherlich keine Lösung für die 26 Mio. Menschen in Deutschland ohne Führerschein. Es braucht eine echte Alternative zum Auto, damit Wahlfreiheit in der Mobilität herrscht. Ansonsten werden die Leute wie bisher auf Grund fehlender Infrastruktur zum Autofahren gezwungen.

    • @Marc Aber:

      Ihr "PS" ist etwas wirre in der Aussage. Wieso sind speziell Elektroautos keine Alternative? Und woher stammt die Zahl der 26 Mio. Menschen ohne Führerschein? Wurde da vom Kleinkind bis Greis jeder mitgezählt?



      Und zum Schluß schreiben Sie, dass es Wahlfreiheiten braucht, damit die Leute nicht doch zum Autofahren gezwungen werden. Auf dem Land kann es keine echte Wahlfreiheit geben. Unsere Dörfer und Kleinstädte geben keine Struktur für Massentransporte. Und jeder will irgendwie in eine andere Richtung.

  • Man muss ja Ideale haben.



    Die Strecken sind ja damals nicht von bösen Mächten aus dem Betrieb genommen worden, sondern weil sie nicht nachgefragt waren. Ok, der Komfort der Schienenbusse liess auch zu wünschen übrig….. es war die Möglichkeit des individuell motorisierten Verkehrs der die Leute ins Auto lockte. Das umzudrehen wird sehr schwierig, solange noch die Autos und Strassen existieren, bzw. Finanzierbar sind. Insofern wird eine Bahnanbindung in einem ländliche Ort auch keine Verbesserung für ältere Leute sein. Wie sollen die denn zum Bahnhof kommen?

    • @fly:

      Ob da nicht doch böse Mächte im Spiel sind....?



      Zumindest die Macht der Geldspargeilheit.



      Kleines Beispiel einer Nahverkehrsposse aus dem Südrand von Brandenburg.



      Zu DDR Zeiten gab es eine Verbindung von Dresden über Kamenz nach Senftenberg, gut nachgefragt und irgendwann zumindest von Kamenz nach SFB eingestellt. Durch den See wäre Nachfrage da. Bürgerinitiativen kämpfen für den Wiederbetrieb und damit die Verlängerung der SBahnlinie S8 von Dresden nach Senftenberg. Somit wäre SFB am S Bahn Netz des 55km entfernten Dresdens und für viele Sachsen ihre Hausbadewanne Senftenberger See erreichbar...ohne Auto. Aber nein, geht nicht, und um dem ganzen Trauerspiel die Krone aufzusetzen, man setzt einen Bus (?????!!!!)zwischen Kamenz und Senftenberg ein! Neben der real existierenden Bahnschiene!!!!!!

  • Und immer das goldene Wort der Verkehrswende. Als Forderung klingt das toll, in der Realität hingegen glänzt es hingegen weitaus weniger.

    In meiner alten Heimat wurde eine alte Nebenstrecke reaktiviert. Seitdem kann man die 40 km zwischen zwei größeren Orten wieder mit der Bahn bereisen. Jedoch verkehrt der Personzug nur am Wochenende - zwischen Mai und Oktober - quasi als Sonderzug. Grund: der eine Bahnhof liegt ungünstig am Stadtrand, die Fahrt dauert 36 Minuten und als Pendlerstrecke fehlt wohl die Nachfrage. Zusätzlich muss man von zuhause erst zum Bahnhof und am Ziel zur Arbeitsstelle kommen. Attraktiv ist was anderes.

    Unter der Woche fährt täglich ein kleiner Güterzug, meistens Holzlieferungen. Dafür eine 40km lange Bahnstrecke in Schuss und damit in Betrieb zu halten, kann sich irgendwie auch nicht rechnen. Ökologisch betracht ist die Gesamtbilanz wohl eher fragwürdig, denn alle Güter müssen zuerst zum Bahnhof, dann dort umgeladen um später die 40km per Bahn zurücklegen zu können.

    Auf dem Land ist es daher wohl sinnvoller, die Antriebstechniken von Autos, Lkws und Co. zu ändern anstatt Geld in halbtote Bahnstrecken zu investieren.

    • @Mopsfidel:

      Vielleicht sollten Sie sich erst einmal mit Bahnverkehrstechnik befassen.



      Die Güterwagen mit Holz werden nicht 40 Kilometer sinnlos über eine (reaktivierte) Bahnstrecke gefahren, sondern die Waggons gehen vom "kleinen Güterzug" in einen größeren und von dort vielleicht zu einem Hafen etc.. So etwas nennt man "Nahanschluss" und soll das Gleis so dicht wie möglich an einen Kunden führen.



      Die Zahl dieser Anschlüsse wurden seit der Bahnreform Anfang der 1990er halbiert, weil es sich (angeblich) nicht mehr rechnete. Mit der Folge, dass Kunden gleich ganz auf Lkw setzten. Aufwendige Schieneninfrastruktur, auf diese Weise "entsorgt", ist sehr schwer wiederzubeleben oder zu ersetzen.



      Leider wurde in der Vergangenheit viel zu wenig darauf geachtet, neue Gewerbeflächen mit Bahnanschluss auszuweisen. Angebot schafft auch hier Nachfrage (oder Um- und Neudenken).

      • @Vigoleis:

        Wenn ich mich mit 'Bahnverkehrstechnik' befassen soll, lande ich bei Steuerungs- und Sicherungsanlagen.

        Was Sie höchst wahrscheinlich meinen ist simple Bahninfrastruktur. Und ja, der



        'Nahanschluss' sagt mir auch etwas. Doch nochmals die Fakten: aus umliegenden Wäldern werden die Bäume zum kleinen Bahnhof gebracht, um gleich dort auf der Schiene zu landen. Anstatt dass der LKW die circa 40 Kilometer zum nächst größeren Bahnhof fährt.



        Die eingesetzte Lok zieht also jeden Tag circa 4-5 Waggons hin und her und verbraucht grob über den Daumen gepeilt 100 Liter auf 100 Km. Ein 40-Tonner liegt bei circa 30l. Hinzu kommt die Instandhaltung der Strecke (momentan) nur für diesen einen Zug (pro Tag).



        Die Frage ist daher hier: wie groß ist der ökologische Mehrwert im Gegensatz zu den ökonomischem Mehrkosten.

        • @Mopsfidel:

          "Hinzu kommt die Instandhaltung der Strecke (momentan) nur für diesen einen Zug (pro Tag)."

          Welche Instandhaltung? Ich weiß nicht, welche Strecke das ist, aber auf einer vergleichbaren Strecke liegen Schienen mit Walzzeichen "Belval 1935" auf Stahlschwellen mit Walzzeichen "Krupp 1932". Was auf solchen Strecken Instandhaltungsaufwand verursacht, sind Bahnübergänge (insbesondere wenn der Kfz-Verkehr durch Bremsen oder Beschleunigen Querkräfte einbringt. Kostenfaktor auf solchen Strecken sind die Inspektionen. Die wird man aber nicht los; die Verkkehrssicherungspflicht hängt im Zweifelsfall am Eigentum und nicht am rechtlichen Status der Strecke. Und wenn man da eh 8-Stunden-Schichten oder Wochenpauschalen für entsprechendes Personal zahlen muss, können die noch gleich ein paar (nicht dringend notwendige) Kleinreparaturen mitmachen.



          Eine amerikanische branch line würde da 30 Jahre keinen Cent für Instandhaltung ausgeben - also das, was diverse deutsche Regierungen auch auf den Hauptstrecken versucht haben. 😜