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Judith Butler und die HamasOops, she did it again

Judith Butler feiert bei einem Auftritt in Paris die Hamas und die Hisbollah als antiimperiale Kräfte. Von Antisemitismus will sie nichts wissen.

Judith Butler, hier im Oktober 2018 in Barcelona Foto: Paco Freire/ZUMAPress/picture alliance

Allmählich verdient sie nicht nur Respekt, wie es einer arrivierten Denkerin in ihrem eigenen philosophischen System so prinzipiell geziemt, sondern auch und vor allem: Hochachtung. Es kann passieren in der (jüdischen, nichtjüdischen) Welt, was auch immer. Aber sie, die berühmteste Philosophin der Jetztzeit, ist unerschütterlich, sie bleibt, wie von ihr bekannt, fern aller politischen Empirie und sagt, nun in Paris: Die Hamas habe am 7. Oktober kein Massaker der besonderen Art verübt, sondern habe vielmehr Widerstand geübt. Sowieso lese sie in der Hamas und ihren Taten keinen Antisemitismus.

„Wir können unterschiedliche Ansichten über die Hamas als politische Partei haben. Wir können unterschiedliche Ansichten über den bewaffneten Widerstand haben“, so Butler. „Aber ich denke, es ist ehrlicher und historisch korrekter zu sagen, dass der Aufstand vom 7. Oktober ein Akt des bewaffneten Widerstands war. Es handelt sich nicht um einen terroristischen Angriff und auch nicht um einen antisemitischen Angriff.“ Vielmehr: „Es war ein Angriff gegen Israelis.“

Also nicht gegen Juden und Jüdinnen, so ist diese Sentenz zu verstehen, eine Attacke gegen Israel, das sie mit dem Selbstverständnis als strikt diasporische Jüdin als Staat mit seiner Gründung nach dem Holocaust und der Geschichte der europäischen und arabischen Pogrome gegen die Judenheit kategorisch ablehnt.

Israel stehe einem palästinensischem Glück entgegen

Was in Frankreich jetzt fette Welle macht und zur Verschiebung diverser Vorträge Butlers dort nun führt, ist allerdings nicht neu, ihre beifallumtosten Ausführungen hat sie exakt so oder leicht variiert schon woanders gehalten – die Hamas und die Hisbollah zählen für sie gespenstischerweise seit Langem zur Front antiglobalistischer und antiimperialer Kräfte, die es nicht zu verwerfen gelte: Israel, so oder so, stehe einem palästinensischen Glück seit seiner Staatsgründung entgegen.

Markant sind allenfalls zwei Umstände: dass Butler sich explizit auch politisch argumentierend versteht und dabei (empirisch blind) verkennt, dass der 7. Oktober kein Hamas-Angriff auf israelische Militärs war, sondern ein Schlachten und Morden an Wehrlosen (sehr oft: Teilen der israelischen Friedensbewegung). Die Hamas-Marodeure zeigten sich nicht in Gefolgschaft Mandelas und Gandhis, sondern in der Tradition der SS in Osteuropa.

Der andere Umstand bleibt ebenso obskur: Wenn ihr identitär am Dasein als Minderheit, als (jüdische) Kassandra, am Leben in der Diaspora läge – weshalb macht es sie nicht skeptisch, längst Heilige eines antisemitischen Mainstreams geworden zu sein?

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15 Kommentare

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  • Ich kenne Butlers Sätze nicht ausreichend im Original und Kontext, doch in der Tat haben israelische Regierungen da ein Territorium unter Kontrolle, das den schon generösen Teilungsbeschluss von 1946 weit übersteigt. Fakt.



    Es haben ferner auch Palästinenser Rechte, auch wenn manche noch so sehr wegschauen wollen. Fakt.



    Ergänzen sollte man halt nur, dass man auch gegen die Hamas Widerstand leisten sollte, wenn sie zu solchen Mitteln greift.

    Die Region braucht entweder einen Staat für alle und fair-neutral für alle. Oder zwei Staaten mit fairen Grenzen gemäß dem Völkerrecht. Der gegenwärtige Dauerzustand hilft nur Rechts-Netanyahus und Hamassis.

  • Ich finde es wichtig, unabhängig von aller Kritik auf die richtigen Pronomen von Personen zu achten. Judith Butler benutzt inzwischen seit Jahren geschlechtsneutrale Pronomen. Danke.

  • Ich teile Frau Butlers Auffassung, was die Charakterisierung der Hamas angeht, nicht.



    Es gibt ein legitimes palästinensisches Widerstandsrecht, das sich durch die Wahl der Mittel am 7.10. delegitimiert hat.



    Stichwort Empirie: Hamas in der Nachfolge und in Nachahmung der SS. Nein, das stimmt schlicht nicht, sondern ist ein publizistischer Spin mit mir nicht ganz verständlicher Zielsetzung.



    Ratlosigkeit beim "antisemischen Maintream" - soll das heißen, dass Antisemitismus das beherrschende Element des öffentlichen Diskurses ist? Falls ja, stimmt die Aussage ebenfalls nicht. Oder ist gemeint, dass es einen Mainstream im Antisemitismus gibt (und dazu mehrere von diesem Mainstream abweichende Unterformen)? In diesem Fall könnte die Aussage korrekt sein, sollte jedoch durch Verlinkung auf entsprechende Studien (nicht andere Meinungsbeiträge) unterfüttert sein.

    • @My Sharona:

      Bin Ihnen sehr dankbar für diesen Beitrag, der zur Entwirrung der Begriffskomplexitäten notwendig ist!

  • Man kann es, denke ich, so sehen: Aus den Widersprüchlichkeiten der Aussagen und Handlungen im Kontext zu Israel und Palästina ist ein Knäuel entstanden, das unentwirrbar geworden ist. Die sogenannte internationale Gemeinschaft, allen voran die USA, die Briten und die Franzosen haben aus geopolitischem und wirtschaftlichem Eigennutz den Nahen Osten nie wirklich versucht zu befrieden. Und nach „nine eleven“ mit hundertausenden von Toten und dem teilweise ordnungspolitischen Zusammenbruch der „Anrainerstaaten“ durch einen völkerrechtswidrigen Irak-Krieg ist die Nahost-Situation eher im Sinne Israels vorangetrieben worden. Der illegale Landraub, sprich Besiedlung des Westjordanlandes, nahm in einem Ausmaße zu, der mich nur verwundert auf das tatenlose Zusehen Europas und den Vereinigten Staaten sehen lässt. Zu keinem Zeitpunkt ist auf Israel Druck ausgeübt worden, einer Zweistaatenlösung zuzustimmen. Und Israel wollte nie eine Zweistaatenlösung. Wie ich schon einmal erwähnte, sind im Westjordanland mit militärischer und polizeilicher Unterstützung israelische Kleinstädte mit kompletter, auf Dauer bestehender Infrastruktur entstanden. Und ich befürchte, dass sich das Knäuel, das ich eingangs erwähnte, nur durch einen großen Nahost-Krieg auflösen könnte und das könnte in dieser global-wirtschaftlich enorm wichtigen Region ( Saudi Arabien etc...) einen – mal vorsichtig ausgedrückt – militärischen Weltkonflikt bedeuten. Die Diplomatie versagt, wenn es um geopolitische und wirtschaftliche Interessen geht und besonders dann, wenn imperiale Autokratien am Werk sind. Da müssen sich die Menschenrechte eben hinten anstellen. Das war und ist immer so!

    • @Struppo:

      Völlig unentwirrbar ist nichts, auch wenn ich Ihrer Beschreibung gut folgen kann.



      Wir sollten als erstes aufhören, der Netanyahu-PR zu folgen, wenn sie alles "Antisemitismus" nennt, was nur universal fundierte Kritik an Völkerrechtsverletzung ist.



      Dass sich Butler da nicht so billig einhegen lassen wil, ist auch ein wenig verständlich.

    • @Struppo:

      "Und Israel wollte nie eine Zweistaatenlösung."

      Doch, ich empfehle dazu mal das Interview mit Moshe Zimmermann, der etwa an Jitzhak Rabin erinnert hat taz.de/Historiker-...-Zukunft/!5993204/

      Dass diese Position in der israelischen Politik massiv an Bedeutung verloren hat, ist zu einem massgeblichen Teil auch der Dummheit und Kurzsichtigkeit der politischen Führung der Plästinenser zu verdanken, die sich permanent von ihren eigenen israelfeindlichen Extremisten treiben ließ.

      Zu glauben, die "internationale Gemeinschaft, allen voran die USA, die Briten und die Franzosen" könne den Osten mal so eben befrieden und Menschenrechte und Demokratie verordnen, scheint mir übrigens eher ein Anzeichen von Hybris zu sein. Die Hoffnung, mit dem "Arabischen Frühling" könnten auch dort demokratische, den Menschenrechten verpflichtete Regierungen ans Ruder kommen, ist ja leider auch schnell verflogen.

  • Frau Butler wird auch diesmal wieder behaupten, sie sei nur missverstanden worden. Wie seinerzeit, als sie die Hamas zu einem Teil der Linken erklärte.

    Für Leute wie sie gabe es in den Zwischenkriegsjahren und in der unmittelbaren Nachkriegszeit den Begriff des "fellow traveller". Intellektuelle, oft aus gutbürgerlichem Haus, politisch naiv bis wirr, aber immer bereit, noch die scheußlichsten Verbrechen des Stalinismus zu bagatellisieren oder schlicht zu leugnen. Siehe Lion Feuchtwanger: „Moskau 1937. Ein Reisebericht für meine Freunde“

    Frau Butler ist ohne Zweifel ein "fellow Traveller" der Hamas.

  • "in ihrem eigenen philosophischen System" ... scheint sich da jemand mächtig verrannt zu haben.



    In einem Kokon bar jedes Selbstzweifels. Schrecklich solche Leute.

    Gruß



    Fritze

    • @Fritz Müller:

      "in ihrem eigenen philosophischen System (...).

      Vielleicht folgt auf poststrukturell zwangsläufig irgendwann postrational. In einer Welt ohne oder mit sich stets und schnell wandelnden gesellschaftlichen Strukturen kann die Orientierung schnell verloren gehen.

  • Judith Butler hat längst den Pfad der Philosophie verlassen. Sie ist durch die Bewunderung und den Hype, die ihr seit Jahren zuteil werden, eitel, selbstgerecht und unreflektiert geworden, unfähig, ihre eigenen Positionen kritisch zu reflektieren.



    Damit hat sie in meinem Augen jegliche Relevanz verloren.

  • vergewaltigungen als widerstand zu sehen, verdient einiges, aber mit sicherheit keine hochachtung.



    dahinter steckt ein menschenbild, das sexistisch und sadistisch gleichermaßen ist. butler hat sich im übrigen schon vor einiger zeit zu ihren rechtfertigendes aussagen zum islamismus diskreditiert. in meinen augen ist sie nichts weiter als eine willige unterstützerin eines zutiefst patriarchalen system, dessen machtstrukturen sie mit ihren thesen stabilisiert.



    und mit jedem weiteren artikel über sie und ihren überlegenheitswahn (verpackt in einem heuchlerischen angebot des diskurses), erreicht sie ihr ziel. strukturell ist sie in ihrem widerstandsdenken im übrigen auf einer linie mit leuten wie horst mahler. da gibt es in der argumentation praktisch keine unterschiede.

  • Danke für die wieder mal sehr gelungene Überschrift und diesen Text.

    Ja gut, es gab auch immer schon Teile der „akademischen Linken“, die Mao gut fanden, die Stalin gut fanden, usw., dazu kommt, dass Philosoph:innen intelligent und trotzdem sagenhaft crazy und dumm sein können. Dumm meine ich im Sinne von völlig uneinsichtig, stur immer wieder um den eigenen Standpunkt kreisend. Es ist aus meiner Sicht intellektuelle, Brandstiftung, die Butler da schon seit längerem betreibt.

    • @Karla Columna:

      Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass Intellektualismus nicht vor Grausamkeit schützt. Philosophisch betrachtet sind es immer die Konsequentialisten, die sich mit so etwas hervortun. Darum: Ich lasse mir meinen Kant nicht von denen dekonstruieren. Es gilt: Nicht der Zweck heiligt die Mittel - die Mittel sagen die Wahrheit über die Zwecke.

  • Da will wohl jemand um jeden Preis im Gespräch bleiben. Erbärmlich.