piwik no script img

Leichnam von Alexei NawalnyEin niederträchtiges Schauspiel

Nach tagelanger Suche hat die Mutter des russischen Oppositionspolitikers seinen Leichnam sehen können. Wie er bestattet wird, bestimmen die Behörden.

Die Mutter des russischen Oppositionsführers Alexei Nawalny steht vor dem Gefängnis in der Stadt Charp am 20.02.2024 Foto: Navalny Team/ap

Moskau taz | Tagelang war sie von einem Ort im eisigen Nordwestsibirien zum nächsten gefahren, von der Strafkolonie, zur Klinik, zum Leichenschauhaus. Ihren Sohn, den in der russischen „Besserungskolonie Nummer 3“ hinterm Polarkreis plötzlich verstorbenen russischen Oppositionspolitiker Alexei Nawalny, hatte Ljudmila Nawalnaja zunächst dennoch nicht gefunden. Hat ihn nicht finden dürfen.

Am Donnerstagabend ging es dann offenbar ganz schnell: „Heimlich brachten sie mich in die Leichenhalle, wo sie mir Alexei zeigten“, sagte sie in einer eineinhalbminütigen Videobotschaft danach. Das niederträchtige Schauspiel um den Leichnam des Mannes, der vor drei Jahren einen Giftanschlag russischer Geheimdienste überlebt hatte und dessen Namen der russische Präsident Wladimir Putin nie in den Mund nimmt, spielt das Regime jedoch weiter.

„Ich habe die Sterbeurkunde unterschrieben, in der steht, dass Alexei eines natürlichen Todes gestorben ist. Laut Gesetz hätten sie mir sogleich den Leichnam übergeben müssen. Doch das haben sie bisher nicht getan.“ Stattdessen werde ihr gedroht, sagte Ljudmila Nawalnaja. „Die Zeit spielt gegen Sie“, habe ihr ein Ermittler gesagt, der Körper verwese. Sie werde erpresst: Stimme sie den Bedingungen der Behörden nicht zu, würden diese „etwas mit dem Leichnam meines Sohnes anstellen.“

Sie solle eine geheime Bestattung ihres Sohnes akzeptieren, hieß es am Donnerstag. „Sie wollen mich an den Rand eines Friedhofs bringen, in die Nähe eines frischen Grabes und mir sagen:,Hier ruht Dein Sohn'. Ich bin damit nicht einverstanden,“ sagte sie im Video.

„Putin, du zerstörst traditionelle Werte“

Nach russisch-orthodoxem Glauben – und Nawalny war ein tiefgläubiger Mensch – ist es Usus, den Toten nach drei Tagen zu beerdigen. Die Bitten der Familie aber schlugen die Behörden aus. Sie hören auch nicht die Hilferufe russischer Oppositioneller, Sänger*innen, Schauspieler*innen, Tänzer*innen, Journalist*innen, den toten Sohn seiner Mutter zu übergeben.

„Traditionelle Werte? Du Putin zerstörst diese traditionellen Werte, die du so anpreist“, sagte die Sängerin Nadeschda Tolokonnikowa – einst nach ihrem Punk-Gebet mit der Band „Pussy Riot“ in der größten Kirche Russlands zu mehrjähriger Haft verurteilt – in einer Videobotschaft. Das Regime verhöhne die Hinterbliebenen, demütige sie, auch über Nawalnys Tod hinaus, ist fast jeder solchen Bitte zu entnehmen.

Putin gibt sich derweil vollkommen gelassen und gratulierte am Freitag den „Kämpfern der militärischen Spezialoperation“. „Sie sind echte Volkshelden. Ihnen gehört die wahre Liebe unseres Volkes“, sagte er in einer Fernsehbotschaft. Russland feiert am 23. Februar seinen „Tag des Vaterlandsverteidigers“, es ist ein arbeitsfreier Tag, die Mädchen haben im Kindergarten für die Jungen aus ihrer Gruppe Panzer aus Streichholzschachteln gebastelt, die Väter bekommen selbstgemalte Porträts ihrer Kinder überreicht. Diese sowjetische Tradition, die Armee zu verehren, war nie verschwunden aus Russland.

Die Behörden, die sich stets stark und siegesgewiss geben, zittern offenbar vor der Beerdigung Nawalnys. „Sie sagen das offen: Wir haben Angst, dass das Leichenhaus gestürmt wird. Deshalb müsse alles im Verborgenen stattfinden“, sagte Iwan Schdanow, der Leiter von Nawalnys Antikorruptionsstiftung FBK, in einer YouTube-Sendung.

Wann, wie und wo Nawalny beerdigt wird, ist weiterhin unklar.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Und die russisch-Orthodoxe Kirche hält die Füsse still!? Wo wahrer Glaube und die stille Macht trägt ....

    In alter ägyptischer Tradition werden Sie die Bestatter bestatten müssen, denn sie wüssten wo das Grab ist.



    Werden Sie Nawalny, nach den Vorschriften der Geheimdienste verbrennen und die Asche im Wind der Erde zurückgeben, oder in Säure auflösen?

    Eines ist gewiss. Wir können von diesem Regime nur das denkbar Schlimmste erwarten.

    Daher kann es keine Verhandlungen mit diesem Regime geben, und es muss um so mehr Unterstützung für die Ukraine geben. Denn wir müssen diesen Krieg schnellstens gewinnen und damit beenden, damit wir den Despoten und seine Helfershelfer stoppen und vor Gericht bringen. Dazu braucht es auch umfassendes Asyl für russische Kriegsdienstverweigerer um die Moral der Truppe zu zerstören. Und es braucht endlich ein Ende der Uranlieferungen von Russland nach Frankreich. Und es braucht umfassende, nicht tröpfchenweise Sanktionen. Und es braucht Sanktionen gegenüber Staaten die mithelfen die Sanktionen zu umgehen; Österreich, Ungarn, Griechenland, Türkei, Indien, China, etc.

    Wann fängt die Politik (SPD) endlich an diesen Krieg ernst zu nehmen?

  • Putin hat Angst vor einer Leiche.

    Das sagt so ziemlich alles über dieses arme Würstchen aus.

  • 9G
    94799 (Profil gelöscht)

    In den USA haben die Gefängnisse in denen Todesurteile vollstreckt werden idR eigene "Friedhöfe" - was geschah mit den "Überresten" der nicht unbeträchtlichen Anzahl der im nachhinein als unschuldig festgestellten Getötenen?

    • @94799 (Profil gelöscht):

      Sie können ja zur Todesstrafe stehen wie sie wollen, aber einen zu Tode Verurteilten mit einem politischen Gefangenen zu vergleichen, der in mehreren Scheinprozessen zu etwa 20 Jahren Haft verurteilt worden ist und unter mysteriösen Umständen verstorben ist, die auch weiterhin verschleiert werden sollen, das ist schon kein Vergleich von Äpfeln mit Birnen mehr.



      Warum benutzen Sie zo viele Anführungszeichen? Was wollen Sie "andeuten"?



      Soweit ich das sehe, kriegen die Gräber eine Nummer und man kann die "Überreste" später identifizieren und exhumieren. Wird in den USA auch das geltende Recht gebrochen, was die Übergabe von "Überresten" angeht?

    • @94799 (Profil gelöscht):

      Was hat das mit dem Umgang Putins mit Nawalnys Leiche zu tun oder wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, dass das alles gar nicht so schlimm ist in Russland?

    • @94799 (Profil gelöscht):

      Sie haben sich im Artikel geirrt. In diesem Artikel geht es um den Tod Alexei Nawalnys und den Umgang mit seinem Leichnam in Russland. Wenn Sie auf taz.de recherchieren, werden Sie sicherlich einen Artikel über die Todesstrafe in den USA finden. Dann können Sie diesen Kommentar dort veröffentlichen.

      • @Jürgen Amendt:

        In dem Artikel geht es um Tote im Gefängnis. Es ist richtig, die USA haben viele Leichen im Keller.