Leichnam von Alexei Nawalny: Ein niederträchtiges Schauspiel
Nach tagelanger Suche hat die Mutter des russischen Oppositionspolitikers seinen Leichnam sehen können. Wie er bestattet wird, bestimmen die Behörden.
Am Donnerstagabend ging es dann offenbar ganz schnell: „Heimlich brachten sie mich in die Leichenhalle, wo sie mir Alexei zeigten“, sagte sie in einer eineinhalbminütigen Videobotschaft danach. Das niederträchtige Schauspiel um den Leichnam des Mannes, der vor drei Jahren einen Giftanschlag russischer Geheimdienste überlebt hatte und dessen Namen der russische Präsident Wladimir Putin nie in den Mund nimmt, spielt das Regime jedoch weiter.
„Ich habe die Sterbeurkunde unterschrieben, in der steht, dass Alexei eines natürlichen Todes gestorben ist. Laut Gesetz hätten sie mir sogleich den Leichnam übergeben müssen. Doch das haben sie bisher nicht getan.“ Stattdessen werde ihr gedroht, sagte Ljudmila Nawalnaja. „Die Zeit spielt gegen Sie“, habe ihr ein Ermittler gesagt, der Körper verwese. Sie werde erpresst: Stimme sie den Bedingungen der Behörden nicht zu, würden diese „etwas mit dem Leichnam meines Sohnes anstellen.“
Sie solle eine geheime Bestattung ihres Sohnes akzeptieren, hieß es am Donnerstag. „Sie wollen mich an den Rand eines Friedhofs bringen, in die Nähe eines frischen Grabes und mir sagen:,Hier ruht Dein Sohn'. Ich bin damit nicht einverstanden,“ sagte sie im Video.
„Putin, du zerstörst traditionelle Werte“
Nach russisch-orthodoxem Glauben – und Nawalny war ein tiefgläubiger Mensch – ist es Usus, den Toten nach drei Tagen zu beerdigen. Die Bitten der Familie aber schlugen die Behörden aus. Sie hören auch nicht die Hilferufe russischer Oppositioneller, Sänger*innen, Schauspieler*innen, Tänzer*innen, Journalist*innen, den toten Sohn seiner Mutter zu übergeben.
„Traditionelle Werte? Du Putin zerstörst diese traditionellen Werte, die du so anpreist“, sagte die Sängerin Nadeschda Tolokonnikowa – einst nach ihrem Punk-Gebet mit der Band „Pussy Riot“ in der größten Kirche Russlands zu mehrjähriger Haft verurteilt – in einer Videobotschaft. Das Regime verhöhne die Hinterbliebenen, demütige sie, auch über Nawalnys Tod hinaus, ist fast jeder solchen Bitte zu entnehmen.
Putin gibt sich derweil vollkommen gelassen und gratulierte am Freitag den „Kämpfern der militärischen Spezialoperation“. „Sie sind echte Volkshelden. Ihnen gehört die wahre Liebe unseres Volkes“, sagte er in einer Fernsehbotschaft. Russland feiert am 23. Februar seinen „Tag des Vaterlandsverteidigers“, es ist ein arbeitsfreier Tag, die Mädchen haben im Kindergarten für die Jungen aus ihrer Gruppe Panzer aus Streichholzschachteln gebastelt, die Väter bekommen selbstgemalte Porträts ihrer Kinder überreicht. Diese sowjetische Tradition, die Armee zu verehren, war nie verschwunden aus Russland.
Die Behörden, die sich stets stark und siegesgewiss geben, zittern offenbar vor der Beerdigung Nawalnys. „Sie sagen das offen: Wir haben Angst, dass das Leichenhaus gestürmt wird. Deshalb müsse alles im Verborgenen stattfinden“, sagte Iwan Schdanow, der Leiter von Nawalnys Antikorruptionsstiftung FBK, in einer YouTube-Sendung.
Wann, wie und wo Nawalny beerdigt wird, ist weiterhin unklar.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen