4. Jahrestag des Hanau-Anschlags: Keine Gedenkfeier für die Opfer

2020 erschoss ein Rassist in Hanau zehn Menschen. Stadt und Land wollen der Opfer des Anschlags diesmal nur still gedenken. Angehörige sind irritiert.

Gedenkstätte mit Bildern der Opfer - zu sehen sind Grablichter und Blumen am Sockel.

Gedenkstätte in Hanau für die Opfer des Anschlags, aufgenommen im Februar 2022 Foto: Michael Schick/imago

BERLIN taz | Zum vierten Mal jährt sich in wenigen Tagen der Anschlag von Hanau: Am 19. Februar 2020 hatte ein Rassist erst in der Stadt neun Menschen und anschließend zuhause seine Mutter erschossen. Doch anders als im letzten Jahr werden die Stadt und das Land diesmal keine Gedenkfeier organisieren – und auch Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) wird, nach bisherigem Stand, nicht anreisen.

Veranstaltet wird nur ein stilles Gedenken auf dem Hauptfriedhof, Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) und Hessens neuer Vizeministerpräsident Kaweh Mansoori (SPD) werden Kränze niederlegen. Reden sind nicht vorgesehen. Wieder anreisen will indes Nancy Faeser (SPD). Dies sei der Bundesinnenministerin wichtig, erklärte ein Sprecher.

Im vergangenen Jahr wahren mehrere hundert Menschen zur öffentlichen Gedenkfeier gekommen. Auf dem Hanauer Marktplatz vor dem Rathaus war eine Bühne aufgebaut, neben Bundesinnenministerin Faeser war damals auch Ministerpräsident Rhein angereist.

Bei einigen Angehörigen der Anschlagsopfer sorgt das diesjährige Vorgehen für Befremden. „Dass die Stadt und das Land dieses Jahr keine Gedenkfeier veranstalten wollen, ist schon irritierend“, sagte Çetin Gültekin der taz. Sein Bruder Gökhan war am 19. Februar 2020 erschossen worden. „Egal, was die Gründe sind: Ich finde, nach einer solchen Tat sollte das sein. Aber wir können natürlich niemanden zwingen.“

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

„Wir sollten bestimmen, wer kommt“

Emis Gürbüz, deren Sohn Sedat bei dem Hanau-Attentat starb, wird noch deutlicher. „Ich bin sehr enttäuscht“, sagte sie. „Die Stadt sollte sich schämen, das ist wirklich eine Schande.“ In Hanau seien neun Menschen ermordet worden, ein stilles Niederlegen von Blumen werde dem nicht gerecht. „Wir sollten bestimmen, wer kommt und wie es organisiert wird, aber leider ist es wieder nicht so“, kritisiert Gürbüz.

Ein Sprecher der Stadt erklärte auf Nachfrage, dass es für den Gedenktag durchaus Absprachen mit Angehörigen der Opfer gegeben habe. Dabei sei es ein „ausdrücklicher Wunsch“ gewesen, dass es in diesem Jahr beim stillen Gedenken keine politischen Reden gebe. Zudem werde es viele weitere Aktionen rund um den 19. Februar geben, etwa Lesungen, Andachten oder eine Theateraufführung.

Hintergrund des stillen Gedenkens ist aber wohl auch, dass im vergangenen Jahr Opferangehörige bei der offiziellen Gedenkfeier Polizei, Ministerien und die Stadt auf der Bühne teils scharf kritisiert hatten. Sie hatten mangelnde Aufklärung und ausgebliebene Konsequenzen nach dem Anschlag beklagt oder die Weigerung, ein Denkmal für die Ermordeten auf dem zentralen Hanauer Marktplatz zu errichten. In der Stadtverordnetenversammlung waren die Reden teils mit Unverständnis aufgenommen worden.

Einige Familienangehörige und die Initiative 19. Februar rufen derweil zu einer Gedenkdemonstration am Samstag, 17. Februar, in Hanau auf. Die Opfer „fordern uns auf, den rassistischen Normalzustand im Alltag, in Behörden, Politik, Medien und in den Sicherheitsapparaten konsequent zu bekämpfen“, heißt es in ihrem Aufruf. Dieser sei der Nährboden, auf dem der Hass der Täter überhaupt erst gedeihen könne. Es sei „Zeit für lückenlose Aufklärung und konkrete Konsequenzen“. Zu der Demonstration wird bundesweit mobilisiert.

Weiter keine Einigung über Denkmal

Zum Hanau-Anschlag tagte bis Ende 2023 ein Untersuchungsausschuss in Hessen. Auch dieser attestierte Polizei und Waffenbehörde Fehler. CDU, FDP und AfD hielten den Anschlag letztlich aber nicht für verhinderbar. Die Angehörigen hatten sich auch über die Ergebnisse des Ausschusses enttäuscht gezeigt.

Uneinigkeit gibt es zwischen Opferangehörigen und der Stadt Hanau weiterhin auch über das geplante Mahnmal in der Stadt. Bereits Mitte 2022 war ein Siegerentwurf dafür gekürt worden – ein Halbrund, das die Namen der Mordopfer zeigen soll.

Streit aber gibt es über den Standort. Die Angehörigen wollen das Denkmal auf dem Hanauer Marktplatz realisiert sehen. Oberbürgermeister Kaminsky und die Stadtverordnetenversammlung schlagen dagegen einen Platz weiter westlich vor, vor dem geplanten Zentrum für Demokratie und Vielfalt, das bis Ende 2026 realisiert werden soll.

Dieser liege zwischen den beiden Tatorten des Anschlags und könnte mit einer Umbenennung in „Platz des 19. Februar“ die Erinnerung unterstreichen, erklärte ein Sprecher der Stadt. Auch würden sich inzwischen nicht mehr alle Hinterbliebenen einzig für den Marktplatz aussprechen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Am 19. Februar 2020 erschoss der Rechtsextremist Tobias R. an drei verschiedenen Tatorten in der Hanauer Innenstadt neun Menschen:

Kaloyan Velkov, ermordet mit 33 Jahren.

Fatih Saraçoğlu, ermordet mit 34 Jahren.

Sedat Gürbüz, ermordet mit 30 Jahren.

Vili Viorel Păun, ermordet mit 22 Jahren.

Gökhan Gültekin, ermordet mit 37 Jahren.

Mercedes Kierpacz, ermordet mit 35 Jahren.

Ferhat Unvar, ermordet mit 22 Jahren.

Hamza Kurtović, ermordet mit 22 Jahren.

Said Nesar Hashemi, ermordet mit 21 Jahren.

Später ermordete der Attentäter seine Mutter Gabriele R., 72 Jahre alt.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.