Queerfeindliche Angriffe in Berlin: Wie bunt ist Neukölln wirklich?

Das queere Café Das Hoven in Berlin-Neukölln wurde mehrfach angegriffen, ein Mitarbeiter zusammengeschlagen. Doch aufgeben will der Betreiber nicht.

Danjel Zarte steht hinter dem Tresen und zapft ein Bier - über ihm steht in großen hellen Leuchtbuchstaben: queer and friends.

Danjel Zarte, der Chef von „Das Hoven“ in Berlin-Neukölln Foto: privat

BERLIN taz | Das Motto von Das Hoven ist schon von Weitem zu sehen. „Queer and Friends“ steht in großen Buchstaben über der Bar, sie leuchten Tag und Nacht. Die große Fensterscheibe, die einen Blick auf das geräumige Café in Berlin-Neukölln freigibt, ist an diesem verschneiten Januarmorgen sauber. „Ausnahmsweise“, wie der Besitzer Danjel Zarte später erzählt. Die Glasscheibe und die Fassade werden regelmäßig beschmiert. Schon oft musste Zarte Eier, homofeindliche Beleidigungen wie „Schwuchtel“ oder „Fags“ oder auch Fäkalien entfernen.

Seit neun Monaten hat Das Hoven in Berlin-Neukölln geöffnet, auf der Karte stehen je nach Tageszeit Croque Monsieur, Tagliatelle mit Chorizo oder Nussbraten mit Rotweinjus. Hier treffen Senior_innen beim Kaffee auf junge Familien beim Brunch, feministische Buchclubs oder Menschen, die an ihren Laptops arbeiten. Ein klassisch durchmischtes ­Publikum in Neukölln. „Es war immer mein Traum, einen Laden zu führen, in dem es gutes Essen gibt und alle Menschen sich wohlfühlen können. Ein Ort ohne Diskriminierung“, sagt Zarte.

Doch nach einer Erfüllung seiner Träume hört es sich gerade nicht an. Wenn man Zarte auf die Herausforderungen anspricht, weiß er für einen kurzen Moment nicht, wo er anfangen soll. Er beginnt mit den gestiegenen Kosten und erzählt von nervenaufreibenden bürokratischen Auseinandersetzungen mit dem Finanz- und Ordnungsamt. Zarte kennt das Spiel, er arbeitet seit zwanzig Jahren in der Gastrobranche, seit zwei Jahren betreibt er die Darkroom-Bar Große Freiheit 114 in Friedrichshain, seit Kurzem auch die Bar Kleine Freiheit direkt neben Das Hoven. Doch eine Situation, wie er sie jetzt erlebe, sei für ihn neu.

Beschmierte Scheibe, verwüstete Terrasse

Klar ist: Der Gastronomie in Deutschland geht es nicht gut. Steigende Lebensmittelpreise und Energiekosten und die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf das Vor-Corona-Niveau von 19 Prozent macht Restaurantbesuche für viele zu einem teuren Luxus. Auch Zarte musste die Preise erhöhen.

Doch neben den Problemen, mit denen die ganze Branche zu kämpfen hat, sieht Das Hoven sich regelmäßig mit Angriffen konfrontiert. Die beschmierte Scheibe und Fassade sind das eine, doch auch die Terrasse des Cafés wurde schon verwüstet, die Türschlösser wurden zugeklebt oder zerschlagen. „Das ist nicht nur nervig, sondern kostet auch jedes Mal eine ganze Stange Geld“, sagt Zarte. Doch es bleibt nicht bei Vandalismus. Er selbst und seine Angestellten seien auch schon bespuckt und körperlich angegriffen worden. „Einer meiner Angestellten ist nach seiner Schicht vor der Tür zusammengedroschen und als ‚Scheiß Schwuchtel‘ beschimpft worden“, sagt Zarte.

Wenn Zarte von den Angriffen, dem Vandalismus und den Beschimpfungen erzählt, wird er wütend ob der sinnlosen Gewalt, die ihm und seinem Café entgegenschlägt. „Ich habe manchmal das Gefühl, ich hätte in den 90ern eine Gaybar in der Eifel eröffnet und nicht ein queerfreundliches Café 2023 in Neukölln“, sagt er.

Immer mehr Gewalt

Das Hoven liegt in Kreuzkölln, dem nördlichen Teil von Neukölln. Im Kiez gab es in den letzten 15 Jahren eine große Strukturveränderung: Immer mehr junge Menschen wollen gerne hier leben. Viele Anwohner_innen, vor allem sozial prekäre, werden verdrängt. Zu der Strukturveränderung gehört auch, dass immer mehr queere Bars, Clubs und Einrichtungen eröffnet haben. Unter anderem ist der größte queere Club der Stadt, das SchwuZ, 2013 von Kreuzberg nach Neukölln gezogen.

Neukölln wird bunter, heißt es deswegen immer wieder. Aber Neukölln wird auch immer mehr zu einem Ort von queerfeindlicher Gewalt. Denn das, was Zarte und sein Café erleben, ist kein Einzelfall. Generell nimmt trans- und homo­feind­liche Gewalt in Berlin stetig zu. Laut dem Jahresbericht Politische Kriminalität der Polizei hat sich die Zahl an Taten, die der „Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung und/oder gegen das Geschlecht/die sexuelle Identität beziehungsweise die geschlechtsbezogene Diversität“ zugeordnet werden, von 2013 bis 2022 mehr als vervierfacht.

Das queere Leben ist da – aber Schutz­maßnahmen entstehen erst

Neukölln sticht unter der Berliner Bezirken besonders durch die Schwere der erfassten Delikte auf. Das geht auch aus dem Camino-Bericht hervor, einem zweijährlichen LSBTI-Monitoring im Auftrag des Lands Berlins. Darin heißt es, dass Neukölln vor allem durch den hohen Anteil an gefährlicher Körperverletzung auffalle.

Doch warum? Generell steigt das Gewaltniveau in Berlin derzeit, stehen queere Rechte im Zentrum gesellschaftlicher Konflikte. Viele fühlen sich von allem, was klassische Männer- und Frauenbilder infrage stellt, bedroht. In Neukölln hat der Anstieg auch etwas mit der Strukturveränderung zu tun.

Albrecht Lüter, Leiter der Berliner Arbeitsstelle Gewaltprävention, die bei Camino im Auftrag der Landeskommission Berlin gegen Gewalt eingerichtet wurde, sagt: „Es gibt Fortschritte, wenn es um queere Rechte und Selbstbestimmung geht.“ Die Anzeigenbereitschaft der Betroffenen wachse. Doch die allein reiche nicht, um den Anstieg der Zahlen zu erklären, denn auch die gewachsene Sichtbarkeit von queeren Lebensweisen und Einrichtungen führe zu mehr Gewalt, sagt Lüter.

Zwei Fälle queerfeindlicher Gewalt haben im vergangenen Jahr besonders viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Im August gab es einen Brandanschlag auf das RuT, die Räumlichkeiten einer Initiative lesbischer Frauen im Schillerkiez. Das Schaufenster wurde zerstört, ein Bibelzitat draufgeklebt und eine brennende Flüssigkeit in den Laden geworfen. Ein 63-jähriger Mann wurde festgenommen und hat die Tat gestanden.

Polizei hat zu wenig Kapazitäten

Einen Monat zuvor wurde ein lesbisches Pärchen in der Reichenberger Straße, schon in Kreuzberg, aber knapp 700 Meter von Das Hoven entfernt, von einer vierköpfigen Männergruppe beleidigt, geschlagen und getreten. Die beiden Frauen kamen verletzt ins Krankenhaus, beistehende Passant_innen sollen nicht eingegriffen haben. Als Reaktion auf die beiden queerfeindlichen Taten gab es im August eine Demo mit mehreren Hunderten Teilnehmer_innen durch Neukölln.

Täter_innen, die Das Hoven angreifen, wurden bislang nicht gefasst. Das liegt auch daran, dass der verprügelte Mitarbeiter keine Anzeige erstatten wollte. Bei zwei Einbrüchen, die Zarte zur Anzeige brachte, konnten bislang keine Täter_innen ermittelt werden. Die Polizei bestätigt das der taz.

Menschen, die den Laden aufreißen und „Schwuchtel“ rufen oder die auf Mitarbeiter_innen spucken, beschreibt Zarte als eine Gruppe junger Männer. Das deckt sich mit dem Wissen, das es über die Täterschaft bei Queerfeindlichkeit gibt: Die Tatverdächtigen sind in der Regel jung, so gut wie immer männlich und viele sind der Polizei bereits durch Gewalttaten oder politische Delikte aufgefallen. Das geht aus den Daten von Camino und der polizeilichen Kriminalstatistik hervor.

Eine Mitarbeiterin, die seit Eröffnung für den Laden arbeitet und in diesem Text anonym bleiben möchte, erzählt der taz, wie groß die Angst unter den Kolleg_innen sei: „Manche wollen nicht mehr in den Keller gehen, haben Angst, die Spätschicht zu übernehmen, oder wollen nicht allein arbeiten. Die Ängste sind irrational, aber vielleicht auch verständlich, wenn man schon mal beschimpft, bespuckt oder mit einer Plastikknarre bedroht wurde.“ Auch sie selbst hat verschiedene Angriffe mitbekommen. „Es fühlt sich einfach demütigend an, wenn man Eierreste vom Fenster wegputzen muss. Ich hätte wirklich nicht erwartet, dass das Alltag ist in einem Berliner Café“, sagt sie.

Hilfe von der Polizei gebe es bislang wenig. Zarte erzählt, er habe bei der Polizei um mehr Präsenz und regelmäßige Streifen gebeten. Die Polizei lehnte das mit der Begründung fehlender Kapazitäten ab. Gegenüber der taz wollte die Polizei die Anfrage und ihre Antwort weder bestätigen noch dementieren und verwies darauf, sich grundsätzlich nicht zu Schutzmaßnahmen zu äußern.

Queerbeauftragter für Neukölln

Das Problem der Queerfeindlichkeit ist dem Land Berlin und den Bezirken laut Lüters Einschätzung durchaus bewusst. Es gibt zahlreiche Initiativen, Angebote für Präventionsarbeit mit gewaltbereiten Jungs und Konzepte, um gegen die Gewalt vorzugehen. Die Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung und gegen Diskriminierung fördert Maßnahmen und koordinierte diese Prozesse. Berlin ist auch das erste Bundesland mit Monitoringberichten zu trans- und homophober Gewalt und es gibt auf kommunaler Ebene verschiedene Konzepte, um ein friedliches Zusammenleben in der Stadt möglich zu machen.

„Im Regenbogenkiez in Schöneberg, wo sichtbares queeres Leben schon seit Jahrzehnten einfach dazugehört, gibt es verschiedene niedrigschwellige Schutzmaßnahmen und Konzepte, wie den Nachtbürgermeister oder Initiativen von Clubs vor Ort“, sagt Lüter und fügt noch hinzu: „Das ist in Neukölln noch nicht etabliert. Das queere Leben ist da – aber die dazugehörigen Schutzmaßnahmen sind gerade erst im Entstehen.“

Dazu gehört auch, dass Neukölln nun die Stelle des Queerbeauftragten einführen möchte. Der Bezirk bestätigt der taz auf Anfrage, dass das noch in diesem Jahr passieren soll. Probleme löst man laut Lüter im besten Fall präventiv und direkt vor Ort: Maßnahmen für ganz Berlin seien sinnvoll, doch um in einem Kiez ein friedliches Zusammenleben zu garantieren, müsse man die Straßenzüge, die Menschen und ihre Probleme kennen. Helfen können dabei lokale Netzwerke und runde Tische, bei denen Polizei, Sozialarbeiter_innen und Initiativen zusammenkommen.

Maßnahmen, die hoffentlich langfristig Wirkung zeigen. Für Das Hoven muss es allerdings schnell gehen. „Ich sehe es eigentlich nicht ein, mich von hier vertreiben zu lassen“, sagt Zarte. Und fährt fort: „Ich gebe mir noch ein halbes Jahr, bis dahin muss das Café laufen.“ Auf seinem Weg dahin wünscht er sich auch Unterstützung von der Stadt. „Wenn Berlin eine Stadt mit gastronomischer Vielfalt sein will, dann muss sie auch etwas dafür tun.“

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