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Viktor Orbán beim EU-GipfelKaffee mit einem Schuss Schmiergeld

Die EU nimmt Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine auf. Ungarns Premier lässt sich seine Enthaltung teuer bezahlen.

Böser Bube der EU: Der ungarische Premier Viktor Orbán am Donnerstag in Brüssel Foto: Virginia Mayo/ap

Brüssel taz | Es war wohl die wichtigste Kaffeepause der EU-Geschichte. Acht Stunden lang hatte Viktor Orbán, der notorische Neinsager aus Budapest, die anderen Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Spitzentreffen in Brüssel genervt. Immer wieder drohte er mit einem Veto gegen EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine.

Doch dann verließ er plötzlich den Sitzungssaal – angeblich, um schnell einen Kaffee zu trinken. Kanzler Olaf Scholz und seine Amtskollegen nutzen die Gelegenheit, um im Konsens zu entscheiden. Orbán hatte auf sein Veto verzichtet, der Weg für die Ukraine in die EU war frei. Ein „historischer Moment“ sei das, jubelte Ratspräsident Charles Michel, der die EU-Gipfel leitet. Und Ukraines Staatschef Wolodimir Selenski feierte einen „Sieg für die Ukraine“ und für ganz Europa.

Doch wenige Stunden nach dem Kaffeepausentrick trat Orbán wieder auf die Bremse. Um 2.38 Uhr am Freitagmorgen legte er ein Veto gegen eine geplante 50 Milliarden Euro schwere Finanzspritze für Kyjiw ein. Diesmal hatten die EU-Chefs keine Idee, wie sie Orbán überlisten könnten. Man könne denselben Trick nicht zweimal anwenden, hieß es im Brüsseler Ratsgebäude. Selbst Kanzler Scholz, der die Kaffeepause erfunden und vorab mit Orbán abgesprochen haben will, gab ermüdet auf. Die Entscheidung über die Milliardenhilfe wurde auf Januar vertagt.

Das wird nicht einfach. Denn der ungarische Regierungschef will sich seine Zustimmung teuer bezahlen lassen. Die EU solle rund 30 Milliarden Euro freigeben, die sie wegen Rechtsstaatsmängeln und anderen Problemen in Ungarn eingefroren hat, fordert er. Dies sei „eine großartige Gelegenheit für Ungarn, um klarzustellen, dass es bekommen sollte, was es verdient hat. Nicht die Hälfte, nicht ein Viertel, sondern alles.“

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„Korruptester Regierungschef, den wir haben“

Bestärkt sieht sich Orbán durch die Entscheidung der EU-Kommission, kurz vor dem EU-Gipfel rund 10 Milliarden Euro freizugeben. Behördenchefin Ursula von der Leyen begründete dies mit Fortschritten bei der ungarischen Justizreform. In Wahrheit dürfte es aber vor allem der Versuch gewesen sein, Orbán milde zu stimmen.

Dieser Versuch ist offenbar gescheitert. Nun ist der Ärger groß – nicht nur über Orbán, sondern auch über von der Leyen. „Ursula von der Leyen bezahlt mit 10 Milliarden Euro das größte Schmiergeld in der Geschichte der EU an den Autokraten und Putin-Freund Viktor Orbán“, schimpfte der grüne Europa­abgeordnete Daniel Freund.

„Viktor Orbán ist der korrupteste Regierungschef, den wir haben“, sagte die Parlaments-Vizepräsidentin Katarina Barley (SPD). Von der Leyens Versuch, ihn mit Geld zu besänftigen, sei von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Ähnlich äußerten sich Abgeordnete aller großen Fraktionen im Europaparlament.

Doch eine Lösung konnten sie ebenso wenig präsentieren wie die EU-Spitzen. Schuld daran ist nicht nur die ungarische Blockade durch Orbán. Auch Deutschland steht auf der Bremse. Kanzler Scholz weigert sich, Geld nach Brüssel zu überweisen, mit dem die Ukrainehilfe finanziert werden soll. Die EU müsse sparen, sagt er. Auch mehr Geld für das EU-Budget soll es nicht geben.

Die Ukraine feiert einen Sieg

Das Ergebnis: Die Ukraine kann sich nun zwar auf Beitrittsgespräche freuen. Doch auf das dringend benötigte Geld aus Brüssel muss sie weiter warten. Zuvor hatte sich Präsident Selenski in Washington eine Abfuhr eingeholt. Dort sind es die (Orbán herzlich verbundenen) Republikaner, die Hilfen blockieren.

So fällt die Bilanz dieses EU-Gipfels gemischt aus. Orbán hat eine Niederlage erlitten, sich davon aber auch schnell wieder erholt. Selenski feiert einen Sieg, hängt aber weiter am Tropf der europäischen Geldgeber. Von den geplanten Beitrittsgesprächen kann er sich nichts kaufen – sie könnten sich sogar als frustrierend erweisen.

Denn bis zum Beitritt ist es noch ein langer und steiniger Weg. Erst muss Kyjiw einige Reformen umsetzen, die Brüssel im März 2024 prüfen will. Dann muss die EU einen offiziellen Verhandlungsrahmen vorlegen. Erst danach beginnt die sogenannte Beitrittskonferenz, die sich über Jahre hinziehen dürfte.

Die eigentlichen Verhandlungen sind in Kapitel unterteilt. Jeder Öffnung und Schließung dieser Kapitel müssen alle 27 EU-Staaten zustimmen. Orbán kann also immer wieder ein Veto einlegen.

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11 Kommentare

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  • Die Preise in der EU Kantine sind ziemlich hoch. 1 Kaffee á 10 Milliarden. Und das nur, um eine formale Zusage ohne konkreten Inhalt durchzubringen.

    Die geplanten 50 Milliarden sind da schon konkreter. Nur um die durchzubringen, wird Orban seine restlichen 12 Milliarden verlangen.

    Macht dann zusammen 22 Milliarden an "Provision", um 50 Milliarden konkrete Hilfen durchzusetzen. Man kann sagen, was man will, aber Orban ist ein guter Geschäftsmann. In Mafiakreisen.

  • Vielleicht sollte man auch mal auf die Wirtschaft etwas Druck ausüben.



    Über Ungarn liest man ja u.a.:



    " .... Die Industrie wird von drei großen Herstellern dominiert: Magyar Suzuki, Mercedes-Benz und Audi Hungaria. Ein vierter, BMW, baut derzeit ein neues Werk in Debrecen. ...." (www.gtai.de/de/tra...steller-an-557516)

    Man muss keine Autos von dort kaufen oder leasen und man kann das den Herstellern auch mal ruhig klar machen, die profitieren auch von den EU-Geldern, die Orban erpresst. Es wundert mich ohnehin, wo der Aufschrei von Links und auch der Gewerkschaften bleibt, denn die Orban hat ja Arbeitnehmerrechte wie in einer Diktatur abgeschafft. Da kann ja Mercedes, die Lieblingsmarke vom Führer nicht wiederstehen.

  • "Dies sei „eine großartige Gelegenheit für Ungarn, um klarzustellen, dass es bekommen sollte, was es verdient hat."



    Wenn ich in meinem Umfeld nachfrage, was die Meinung hierzu ist, kommen viele Antworten, aber keine beinhaltet Gratifikation für Korruption oder vorgezogene Bescherung für Erpressung.



    /



    Quelle spiegel.de



    "Der Viktator



    Vom rebellischen Jungliberalen zum Rechtspopulisten: Wie wurde Ungarns Premier Viktor Orbán derjenige, der er heute ist?"



    /



    Nix Cunctator,



    Der Viktator:



    Ein Negator,



    Als Initiator



    Deklamator



    Und Aggressor.



    (Fortsetzung als Fortschreibung mit "-oren" möglich)



    /



    Bei n-tv.de steht:



    "Viktor Orban spielt die EU aus



    Der pazifistische Erpresser"

  • Eine seltsame Darstellung der deutschen Regierung. Anderen Berichten zufolge ist es dem Bundeskanzler zu verdanken, dass Orban die kleine Kaffeepause machte und somit ein positives Ergebnis für die Ukraine durch Scholz Diplomatie entstand.



    Statt das zu loben, wird die deutsche Regierung sogar als Verhinderer, ähnlich der ungarischen hingestellt.



    Das ist eine Verdrehung der Tatsachen :



    Deutschland ist in der EU der größte Unterstützer der Ukraine.

  • EU-Korruption erster Klasse



    Orban verlässt den Raum damit es keine Gegenstimme gibt und rein zufällig gibt die EU-Kommission, geführt von Ursula v.d. Leyen 10 Milliarden an Ungarn frei.



    Das stinkt zum Himmel und keiner kann mich davon abbringen, dass ich diese für eine direkte Bestechung, eine Korruption und einen Skandal der EU halte.



    Da braucht man sich doch wirklich nicht mehr wundern, wenn sich immer mehr Wähler angewidert abdrehen (und leider völlig falsch wählen).



    Die nächste EU-Wahl könnte die erste(!) Wahl meines Lebens sein, der ich fern bleiben werde.

    • @Rudi Hamm:

      Schon jetzt droht ein Blaunrutsch katastrophalen Ausmasses und da wollen Sie sich verweigern? Hat das EU-Parlament etwa die Kohle freigegeben?



      Nein, es waren die Nationenchefs.



      Ich würde es auch eher so sehen:



      Die finanziellen Daumenschrauben funtionieren, Orban musste gegen seinen Willen zustimmen, weil er die Knete braucht.



      Da er sich in Putins Rektrum eingenistet hat, wird seine Situation jetzt auch nicht angenehmer - Putin könnte den Schließmuskel zupetzen, z.B. am Öl- und Gashahn drehen.



      Ja Orban ist der Korrupteste von allen, aber solange es die von den Ländern verbissen verteidigten Vetorechte gibt, muss man mit dem Möchtegernatilla wie mit jedem Mafioso umgehen. Und da leider die Nutzung von Betonschuhen wegen Umweltauflagen verboten ist, muss man ihm halt Angebote machen, die er nicht ablehnen kann. Er bekam ja keine Extrawurst, sondern nur gesperrte Mittel freigegeben. Klingt nicht nach Pustapate sondern eher Salamidealer.

      • @Euromeyer:

        "Die finanziellen Daumenschrauben funtionieren, Orban musste gegen seinen Willen zustimmen, weil er die Knete braucht."

        Orban hat nicht zugestimmt. Er ist rausgegangen. Dafür bekommt die Ukraine jetzt etwas Gerede. Geld bekommt sie vorläufig keins. Dagegen hat er sein Veto eingelegt.

        Ein etwas dünnes Ergebnis für die Zahlung von 10 Milliarden € Schmiergeld.

        Durchaus möglich, dass es Nachahmer geben wird.

    • @Rudi Hamm:

      Ei jo. 😴

  • Wie kann es sein, dass sich die EU immer noch von so einem Typen erpressen lässt. Im Endeffekt würde eine Drohung erst mal der richtige Weg sein. Man sagt, dass man eine EU II gründen werde, mit einer Satzung, die die Fehler der EU I (derzeitige EU) ausschließt. Vielleicht würde der Erpresser schnell einknicken. Wenn nicht, dann folkgt die Umsetzung. Dann wäre es mit dem Geldfluss in die Taschen der Spießgesellen dieses korrupten Ungarn zu Ende.

    Zwei oder drei große EU-Staaten würden für den Anfang genügen! Dann versucht man, andere in solch ein Boot zu ziehen. Wenn nicht bald eine Änderung deer Erpressbarkeit eintritt, dann werden andere extremistische Staatsführungen dem Beispiel folgen! Die EU ist zu wichtig für Europa, als dass sie von ein paar Knallköpfen zerstört werden darf!

    • @fvaderno:

      Das wäre ein Weg aus dem Dilemm, doch nur dann, wenn solche schwachen und scheinheiligen Leute wie von der Leyen nicht wieder an die Spitze gelangen. Und ganz wichtig: das Parlament muss das Sagen haben, ähnlich wie in anderen Demokratien. Dann hört auch das hintergründige Geklüngel auf, hoffentlich.

    • @fvaderno:

      Gute Idee,



      ich sehe auch die Gelegenheit für eine EU-Reform als verpasst an.