piwik no script img

Ampel verschärft DisziplinarrechtHetzer sollen schneller aus dem Amt

Die Regierung will ein härteres Disziplinarrecht, um Verfassungsfeinde aus dem Staatsdienst zu entfernen. Experten äußern Bedenken.

„Wer den Staat ablehnt, kann ihm nicht dienen“, sagt Bundesinnenministerin Nancy Faeser Foto: Michael Kappeler/dpa

Berlin taz | Die Chatgruppe „Itiotentreff“ der fünf Polizeikräfte des 1. Frankfurter Reviers flog bereits im Herbst 2018 auf: Vulgär zogen die Beamten dort über Juden, Geflüchtete und Menschen mit Behinderung her. Die Staatsanwaltschaft ermittelte, der Gruppe wurde der Dienst untersagt. Ein Gerichtsprozess ist indes bis heute offen. Und ihre Bezüge erhalten die Po­li­zis­t*in­nen weiterhin.

Die Chatgruppe war im Zuge der Ermittlungen zur NSU-2.0-Drohserie aufgeflogen. Und sie war einer der Auslöser, weshalb die Ampel und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) das Disziplinarrecht verschärfen wollen. Ein anderer waren die Reichsbürger-Razzien vor einem Jahr, von denen auch eine Richterin und Polizeibeamte betroffen waren. Im Februar legte Faeser einen entsprechenden Gesetzentwurf vor, am Freitag soll er nun final den Bundestag passieren.

Bislang dauern Disziplinarklagen im Schnitt vier Jahre – bei zumeist laufenden Bezügen. Das soll nun beschleunigt werden. Mit der Reform sollen Behörden durch einen Verwaltungsakt Sanktionen oder Entlassungen erst mal selbst vornehmen können – die erst im Anschluss gerichtlich überprüft werden. Die Unschuldsvermutung gelte bis dahin weiter, versichert der Gesetzentwurf.

Auch soll, wer wegen einer Volksverhetzung zu 6 Monaten Freiheitsstrafe oder mehr verurteilt wurde, künftig automatisch seine Beamtenrechte verlieren. Bisher galt dies ab einem Jahr. Die rückwirkende Ahndung von Dienstvergehen wird von maximal sieben auf acht Jahre erhöht.

Faesers Gesetzentwurf wurde nachgeschärft

Die Abgeordneten der Ampelparteien schärften Faesers Gesetzentwurf auch in anderen Punkten nach: Auch eine passive Mitgliedschaft in einer verbotenen Partei oder Vereinigung wird nun in der Regel als schweres Dienstvergehen gewertet, was zum Rauswurf führen soll. Bisher war dies nicht zwingend.

Auch Fälle wie die des 2018 in den Ruhestand versetzten Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen sollen strenger geahndet werden. Politische Beamte im Ruhestand, die theoretisch in den Dienst zurückkehren dürfen, müssen sich jetzt aktiv zur Verfassungstreue bekennen. Auch müssen sie, wenn sie in sicherheitsrelevanten Bereichen tätig waren, nun fünf Jahre lang nach Ausscheiden jede Erwerbstätigkeit anzeigen. Wenn es um Jobs bei „fremden Mächten“, also anderen Ländern geht, müssen diese aktiv genehmigt werden.

„Rechtsradikale Chats bei der Polizei, putschwillige Richterinnen und demokratiefeindlich agierende ehemalige Verfassungsschützer sind mit ihrem Wissen und Zugang zu Waffen ein Sicherheitsrisiko“, sagte der Grünen-Innenpolitiker Marcel Emmerich der taz. Das Vertrauen in den Staat werde dadurch „massiv erschüttert“. Mit dem Gesetz schärfe man Regelungen nach, „die unseren Staat wehrhafter machen“. Es sei „absurd“, dass ein Beamter, der etwa Mitglied der verbotenen Hammerskins sei, bisher nicht sicher dienstrechtlich belangt wurde.

Auch Faeser hatte erklärt, „wer den Staat ablehnt, kann ihm nicht dienen“. Die Union kritisiert dagegen, dass die Ampel mit den Sanktionen via Verwaltungsakt einen „verfassungs- und dienstrechtlichen Konsens in Bund und Ländern brechen“ würde. Auch fehlten präventive Maßnahmen sowie Möglichkeiten zur Rehabilitation bei falschen Beschuldigungen.

Hetzer sollen auch aus der Bundeswehr fliegen

Ebenfalls am Freitag soll der Bundestag eine schnellere Entfernung von Ex­tre­mis­t*in­nen aus der Bundeswehr beschließen. Auch dies könnte dann via Verwaltungsakt geschehen, wenn die Betroffenen bereits mehr als vier Jahre im Dienst sind und in „schwerwiegender Weise“ verfassungsfeindlich auffällig wurden.

Bei einer Befragung am Montag im Bundestag warnten Experten davor, dass der Rechtsschutz von Betroffenen untergraben und die Unschuldsvermutung „ausgehebelt“ werden könnte. Die Ampel betont im Gesetzentwurf dagegen, es sei „nicht hinzunehmen“, dass verfassungsfeindliche Sol­da­t*in­nen wegen langwieriger Disziplinarverfahren jahrelang im Amt blieben und Bezüge erhielten. Dies beeinträchtigen das „innere Gefüge der Streitkräfte nachhaltig“.

Im Fall der Frankfurter Polizeibeamten werden die Gesetze nichts nützen: Sie gelten nicht rückwirkend. Von den fünf Beamten, die in der Chatgruppe aktiv waren, bekommen vier, trotz untersagter Dienstgeschäfte, weiter ihr volles Gehalt. In einem Fall wurden die Bezüge um 40 Prozent gekürzt.

Einen Prozess gegen die Beamten hatte das Landgericht im Frühjahr abgelehnt: Da diese nur in einer geschlossenen Chatgruppe schrieben, seien ihre Nachrichten keine Volksverhetzung, die eine größere Öffentlichkeit brauche. Die Staatsanwaltschaft hatte dagegen Beschwerde eingelegt – über die bis heute nicht entschieden ist.

Gegen zwei der Beamten, Johannes S. und Miriam D., ermittelt die Frankfurter Staatsanwaltschaft indes weiterhin auch wegen der NSU-2.0-Drohserie, wie ein Sprecher der taz bestätigte. Bei beiden wird geprüft, ob sie auch am ersten Drohschreiben an die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız beteiligt gewesen sein könnten. Hierfür war bereits ein 54-Jähriger aus Berlin verurteilt worden. Weil es zuvor aber auffällige Datenabfragen zu Başay-Yıldız auf dem Frankfurter Polizeirevier gab, hält sich der Verdacht, dass auch dortige Polizisten an dem Schreiben beteiligt gewesen sein könnten.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • Solch eine Gesetzgebung kann gefährlich werden, wenn sie in die Hände einer völlig anders ausgerichteten Regierung gerät, und dann gegen Leute eingesetzt wird, für die sie momentan gar nicht gedacht ist.

    • @Carcano:

      Ich finde, das ist kein Argument. Als ob eine kriminelle Regierung nicht sowieso in kürzester Zeit jedes Recht pervertieren würde. Ein solcher Haufen macht sich Gesetze nach Gusto. Ein demokratischer Staat muss für seinen eigenen Erhalt schnell, konsequent und effizient alle Gefährder und Menschenfeinde von Informationen und Ressourcen abziehen. Und sie nicht noch alimentieren.

    • @Carcano:

      ...guter richtiger Gedanke - aber sollten Regeln & Gesetze nicht für alle Mitmenschen gelten...

    • @Carcano:

      Da haben Sie ja Glück das es aktuell nur gegen diejenigen geht, für die es gedacht ist. Ein Einbahnstrassengesetz.

  • 1G
    14231 (Profil gelöscht)

    Was ist denn aus der guten alten Poststelle geworden? Mit dem Instrument der Versetzung an unbeliebte Tätigkeiten stand staatlichen Institutionen schon immer die Möglichkeit einer Disziplinierung zur Verfügung, ohne gleich zu Entlassungen greifen zu müssen.

    Die Aufweichung der Hürden zur Entlassung von Beamten eignet sich hingegen nicht nur dazu, Fehlverhalten zu ahnden, sondern den Verwaltungsapparat auf politische Linie zu bringen. Außerdem besteht eine Gefahr des Missbrauchs, wenn innerhalb einer Behörde Begehrlichkeiten auftauchen sollten, Kollegen loszuwerden.

    Manchmal frage ich mich, ob Frau Faeser ihre Inspirationen für Gesetze beim Urlaub in der Türkei oder in Ungarn holt. Ebenso, ob sie ernsthaft noch glaubt, dass die AfD nie Gelegenheit haben wird, die deutsche Gesetzgebung entsprechend ihrer eigenen Weltsicht anzuwenden.

  • Wenn es politisch opportun gegen die "richtigen Verfassungsfeinde" geht, kann es garnicht hart und schnell genug ablaufen ;)

  • Ich finde es immer wieder beängstigend, wie von der politisch Linken gefordert wird, dass absolut schwammige Begriffe wie "Hetze" mehr geahndet werden, wenn nicht einmal veröffentlicht wird, _exakt_ welche Aussagen als Hetze eingestuft werden und vor allem wurden.

    Dann aber bloß nicht beschweren, wenn die Wohnung wegen "Du bist so 1 Pimmel" durchsucht wird. Böse Wörter müssen verfolgt werden!

  • Das Problem ist nur: Wenn es solche Regelungen einmal gibt und dann später irgendwann eine neue und vielleicht ganz anders ausgerichtete Regierung an der Macht ist, werden die gehorsamen oder ausgewechselten Behördenleitungen diese Regelungen gegen Leute anwenden, die man jetzt dabei gar nicht im Blick hat.

  • Der größte Feind im eigenen Bett?

  • Richtige Maßnahme, der Staat muss wehrhaft bleiben.

  • ...die Polizeibeamten stehen in unserem, der Bevölkerung dienem Dienst. Da dieser Polizeidienst allen Mitbürgern gegenüber zum Wohle und deren Sicherheit verpflichtet ist und mit dem gebührenden Respekt gegenüber der Bevölkerung auszuüben ist, gehören diese " Kameraden " auf's schärfste verurteilt und zu sanktionieren.

  • "Mit der Reform sollen Behörden durch einen Verwaltungsakt Sanktionen oder Entlassungen nun erstmal selbst vornehmen können – die erst im Anschluss gerichtlich überprüft werden. Die Unschuldsvermutung gelte bis dahin weiter, versichert der Gesetzentwurf."

    -----------

    So ein hanebüchener Unsinn. Damit wird die Unschuldsvermutung ad absurdum geführt und die Beweislastumkehr eingeführt.

    Wenn ich einen Beamten mit einer nicht eindeutigen Faktenlage suspendiere sind die Bezüge selbstredend weiterhin zu zahlen. Und wenn ich Jahre brauche um einen Tathergang nachzuweisen und den betroffenen Beamten bis zur endgültigen Klärung nicht mehr an den Arbeitsplatz lasse....tja dann zahlt der Staat halt jahrelang die vollen Bezüge. Shit happens.

  • Ja wie? “…Mit der Reform sollen Behörden durch einen Verwaltungsakt Sanktionen oder Entlassungen nun erstmal selbst vornehmen können – die erst im Anschluss gerichtlich überprüft werden.…“

    Na da schau her “Durch einen Verwaltungsakt“! - 🙀🥳👩‍⚖️ -

    Na Mahlzeit - Nancy Faency & SchlAmpel auf rechtsstaatlichen Abwegen! vs CDU/CSU & AfD als Hüter von Recht&Gesetz - verkehrte Welt •

  • Mit dem neuen Gesetz will die Ampel ihre Gegner finanziell ausbluten und keine Verfassungsfeinde aus dem Amt entfernen. Letzteres dient nur als Deckmäntelchen für die eigentlichen Ziele.

    In der Causa Schönbohm hat Frau Faeser ja "hands on" bewiesen, was für sie als Anschuldigungen reicht, um einen unliebsamen Beamten loszuwerden. Im Bundestag hatte sie auch noch mehrfach betont eine Beweislastumkehr einführen zu wollen, wovon sie nach einem gewaltigen Aufschrei wieder zurückruderte. Bei Schönbohm hatte sie aber dann bewiesen, dass es ihr genau um diese Beweislastumkehr geht und ging: Böhmermann warf mit Dreck und die Ministerin hatte einen "Verdacht", jetzt sollte sich Schönbohm entlasten, worauf dieser sich nicht einließ. Dann schaltete die Ministerin den Geheimdienst ein, um endlich an belastendes Material gegen den unliebsamen Beamten zu bekommen. War natürlich auch nichts. Entlassen wurde er natürlich trotzdem (bzw. aufs Abstellgleis gestellt).

    Und genau zur Erleichterung dieser - pointiert könnte man sagen - politischen Säuberungsaktionen will die Ampel nunmehr dieses Gesetz erlassen. Dass gerade die taz, die immer wieder gegen die Extremistengesetze anschrieb, hier nicht vehement dagegen ist, stimmt mich traurig.

  • Das ist auch dringend angeraten. Ein Staat kann nicht seine eigenen Feinde alimentieren, auch unter der Überschrift Meinungspluralität nicht.