SPD analysiert Wahlniederlagen: Scholz ist nicht mehr unantastbar
Die Unzufriedenheit in der SPD wächst, viele fordern vom Kanzler mehr Führung ein. Außerdem soll die SPD mehr auf soziale Themen setzen.
In der Fraktionssitzung am Dienstag, einer nach Angaben von Teilnehmer:innen „schonungslosen Aufarbeitung der Wahlniederlagen“, wurde der Unmut konkret. Die Ampel habe den Wahlkämpfer:innen in Hessen und Bayern nicht nur nicht genützt, sondern den Wahlkampf erschwert. Die Außendarstellung der Regierung sei mangelhaft. Und der Kanzler müsse deutlicher machen, dass er es ist, der die Regierung führt, vor allem dann, wenn Grüne und FDP mal wieder aneinander geraten. „Wir dürfen nicht nur Schiedsrichter sein, sondern müssen auch Spielführer werden“, so Ralf Stegner, stellvertretender SPD-Vorsitzender zur taz.
Noch vor der Fraktionssitzung am Dienstag verschickte die Parlamentarische Linke, die neben den Seeheimern größte Strömung in der Fraktion, eine Erklärung, in der sie ebenfalls anmahnte, „dass es aus unserer Sicht nicht reicht als SPD die Rolle des Moderators in dieser Regierung zu übernehmen.“ Man müsse den Menschen nun ein Gefühl der Sicherheit zurückgeben und ihr Leben konkret verbessern. Dazu gehörten Lösungen gegen die steigenden Mieten und für bezahlbare Energie.
Die Parteilinken fordern die ermäßigte Mehrwertsteuer auf Gas und Wärme erst zum Ende der Heizungsperiode in Frühjahr anzuheben. Außerdem müsste sich die SPD in den Haushaltsverhandlungen nachdrücklicher für die sozialstaatlichen Projekte der SPD in dieser Koalition einsetzen.
Lindner gegen weitere Sozialausgaben
Beides dürfte jedoch genau jenen Streit mit der FDP und ihrem Finanzminister provozieren, den man eigentlich vermeiden will. Denn Christian Lindner ist nicht nur dafür, die Mehrwertsteuer auf Gas und Wärme schon im Januar wieder anzuheben, sondern hatte sich im ARD-Sommerinterview auch klar gegen zusätzliche Sozialausgaben positioniert. Ein Grund ist der auf Kante genähte Bundeshaushalt.
Auch in der Migrationsdebatte, neben der kriselnden Wirtschaft das wichtigste bundespolitische Thema in den Landtagswahlen, deuten sich neue Auseinandersetzungen an. Die FDP schlägt vor Flüchtlingen künftig kein Geld mehr auszuzahlen, sondern ihnen nur noch Sachleistungen zu gewähren, ein Vorschlag hinter den sich neben der Union auch die SPD-geführten Länder stellen.
Die erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD Katja Mast ist zurückhaltend. „Das können die Länder jetzt schon selbst entscheiden, es ist aber vielleicht kein Zufall, dass es so wenige machen, denn der Verwaltungsaufwand ist hoch“, sagt Mast am Mittwoch. Sie findet allerdings auch, die SPD müsse vielleicht noch deutlicher machen, wo man beim Thema Migration stehe. „Wir wollen weniger irreguläre Migration und damit weniger Flüchtlinge in Deutschland, aber mehr Arbeitskräfte über reguläre Wege.“
Doch auch diese Haltung wird von links kritisiert. Sarah Mohamed, Mitglied im Juso-Bundesvorstand, sagte gegenüber der taz, sie nehme ihre Partei derzeit in der Migrationsdebatte als „sehr mutlos“ wahr. „Die SPD lässt sich von der aufgeheizten Stimmung treiben. Doch das trägt nur zum Erstarken der Rechten bei.“
Es bringe nichts die Belastungen für die Kommunen klein zu reden, meint Mohamed. „Aber der Schwerpunkt muss nun darauf liegen, die Menschen schnell in Arbeit zu bringen, Beschäftigungsverbote aufzuheben und ihnen gesellschaftliche Teilnahme zu ermöglichen.“ Zur Ampel sagt sie, die SPD müsse die Koalition auf Kurs bringen: „Wir sind die stärkste Partei, der Kurs der Bundesregierung muss jetzt bis 2025 klar sozialdemokratisch sein: armutfeste Kindergrundsicherung, Mietpreisbremse, Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer sowie eine solidarische Asyl- und Migrationspolitik.“
Die Forderungnach der Aufhebung der Beschäftigungsverbote ist eine, auf die nun auch die Bundesregierung eingehen will und die in der SPD breit geteilt wird. „In Ostdeutschland sind viele Menschen dafür, dass Flüchtlinge mehr Möglichkeiten haben zu arbeiten“, meint Erik von Malottki, Bundestagsabgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern. Er glaubt, dass es so gelingen könne, die aufgeheizte Asyldebatte zu drehen. Generell müsse die SPD aber wieder mehr über soziale Themen reden.
Mit Blick auf die Landtagswahlen im kommenden Jahr im Osten Deutschlands mahnt der sächsische Bundestagsabgeordnete Holger Mann, dass man sich auf die Themen konzentriere müsse, die relevant sind für die Menschen vor Ort: „Und das sind bei uns in Sachsen die Bildung, der Fachkräftemangel und das Thema Gesundheitsversorgung.“ Im nächsten Herbst wählen die Menschen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen neue Landtage. Mann meint: „Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Landtagswahl zur kleinen Bundestagswahl wird.“
Aktualisiert und ergänzt am 11.10.2023 um 17:40 Uhr. d. R.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel
Mediale Zerrbilder in Amsterdam
Berichte über vorbereitetes Ampel-Aus
SPD wirft FDP „politischen Betrug“ vor
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!