UN-Resolution zum Krieg in Nahost: Baerbocks unlösbares Dilemma
Deutschland hat sich bei der UN-Resolution zur humanitären Waffenruhe in Gaza enthalten. Israels UN-Botschafter sprach vom „Tag der Schande“.
Annalena Baerbocks Dilemma im Nahostkrieg zeigte sich an diesem Wochenende. Nach tagelangem Ringen verabschiedete die UN-Vollversammlung in New York mit großer Mehrheit eine Resolution, die eine „sofortige humanitäre Waffenruhe“ im Gazastreifen forderte. Deutschland – mit Außenministerin Baerbock als höchster diplomatischer Vertreterin – enthielt sich. Und mit Deutschland 43 weitere Staaten. Bei der Dringlichkeitssitzung stimmten von den insgesamt 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen 121 Staaten für die Resolution, 14 votierten dagegen. Der Text war von Jordanien eingebracht und von 44 vor allem arabischen Staaten unterstützt worden.
Die Resolution forderte neben einer anhaltenden humanitären Waffenruhe auch die ungehinderte Lieferung lebensrettender Hilfsgüter für die Zivilbevölkerung. Diese sei nach israelischen militärischen Bodeneinsätzen und verstärkter Bombardierung „gefangen“ im Gazastreifen, heißt es dort. Die Resolution ist nicht bindend, aber ein politisches Signal der Staatengemeinschaft, die erstmals mehr als drei Wochen nach der brutalen Attacke der Terrormiliz Hamas auf Israel auf formaler Ebene reagiert.
Außenministerin Baerbock erklärte nach der Abstimmung, dass man gemeinsam mit Partnern intensiv darauf hingearbeitet hätte, zu einer ausgewogenen Nahost-Resolution zu kommen. „Wir alle schauen von unserem jeweils eigenen Standpunkt aus und vor dem Hintergrund unserer jeweiligen Geschichte auf diesen Konflikt“, teilte die Grünen-Politikerin über das Auswärtige Amt mit. Man habe erreichen können, dass eine klare Verurteilung aller Terrorakte und zumindest ein Ruf nach Freilassung der Geiseln enthalten seien.
Allerdings benennt die Resolution die Hamas als Aggressor nicht explizit – und auch nicht das Selbstverteidigungsrecht Israels. Ein Vorstoß Kanadas, die Terrorattacke der Hamas scharf zu verurteilen und die Geiseln auch als solche zu benennen – und nicht als Gefangene – sowie deren sofortige und bedingungslose Freilassung zu fordern, erreichte nicht die nötige Zweidrittelmehrheit der UN-Generalversammlung. Dagegen waren, wenig verwunderlich, etliche arabische Staaten wie Katar, Saudi-Arabien, Syrien, Jordanien, Ägypten und die Türkei. Aber auch China und Russland.
Eine Zustimmung war damit aus deutscher Sicht unmöglich, obwohl die verabschiedete Resolution sich starkmacht für humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung in Gaza. Ein Anliegen, das auch die Außenministerin sowie Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier öffentlich mehrfach forderten. Zuletzt mit Baerbocks Aussage zu humanitären „Fenstern“, damit Hilfsorganisationen Lebensmittel und Trinkwasser liefern oder medizinische Hilfe leisten könnten.
Baerbock erklärte die Nichtzustimmung Deutschlands so: „Weil die Resolution den Hamas-Terror nicht klar beim Namen nennt, die Freilassung aller Geiseln nicht deutlich genug gefordert und das Selbstverteidigungsrecht Israels nicht bekräftigt, haben wir mit vielen unserer europäischen Partner entschieden, der Resolution am Ende nicht zuzustimmen.“ Für ein Nein, wie das Israels, der USA, der EU-Staaten Österreich, Kroatien, Tschechien oder Ungarn, reichte dies aber ebenso nicht. Vermutlich war es auch nur schwer aushaltbar, dass ausgerechnet die Terrormiliz Hamas als eine der Ersten die Resolution begrüßte.
Eine Enthaltung wirkt wie ein „Wegducken“, wie ein Zeichen der Gleichgültigkeit. So wurde Baerbocks Entscheidung, sich Kanada, Italien, Großbritannien, Litauen, Estland, Lettland, Griechenland und Polen anzuschließen, auch gewertet. Etwa vom israelischen UN-Botschafter Gilad Erdan, der von einem „Tag der Schande“ sprach. „Warum wird die Hamas nicht zur Verantwortung gezogen?“ Für den Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, ist die Haltung der Bundesregierung eine „Enttäuschung für die Juden in Deutschland“.
Frankreich hatte der Resolution zugestimmt und den UN-Sicherheitsrat aufgefordert, zu einer gemeinsamen Haltung zu kommen, um einer sich verschärfenden Lage vorzubeugen. Ausgerechnet Deutschlands engster Partner auf EU-Ebene setzt sich im Nahost-Kontext deutlich ab. Die Zerrissenheit der Weltgemeinschaft hatte sich wenige Tage zuvor bereits beim EU-Gipfel gezeigt. Stundenlang kämpfte Kanzler Scholz um die Einigung auf humanitäre Korridore. Die Sicherheit Israels ist unbenommen deutsche Staatsräson, aber dies gilt eben nicht für die EU-Staaten. Das Dilemma setzte sich nun bei der Abstimmung über eine gemeinsame UN-Resolution fort.
Wie tief die Gräben sind, ist auch Baerbock bewusst. „Das ist Drehbuch und Kalkül der Terroristen, die einen Keil des Hasses zwischen uns treiben wollen“, so die deutsche Außenministerin. Ob die Enthaltung Deutschlands Verhandlungsspielräume mit arabischen Staaten schafft, um die Geiseln zu befreien oder einen weiteren Flächenbrand in der Region und auf deutschen Straßen eine Eskalation zu verhindern, bleibt offen. Fakt ist, dass sich Mehrheiten in der EU, also auch in den UN deutlich verschoben haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen