Bundesregierung nach den Landtagswahlen: Zeit zum Investieren
Für die Ampel-Parteien sind die Landtagswahlergebnisse ein Debakel. Aufgaben gibt es genug, die gegen die Krise wirken könnten.
Her mit den Investitionen: Schuldenbremse aussetzen, Einnahmen verbessern
Der Staat braucht Geld. In den vergangenen Jahren konnte er üppige Kredite aufnehmen, indem er die seit 2009 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse aussetzte. Die sieht vor, dass der Staat nicht mehr ausgeben darf, als er einnimmt. Ausnahmen gelten für Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen. Dazu zählte auch die Coronakrise. Nun aber heißt es sparen, obwohl der Staat eigentlich kräftig investieren müsste: in den klimaneutralen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur.
Die Schuldenbremse war von Anfang an umstritten, viele Wirtschaftswissenschaftler:innen halten sie für falsch. „Die Schuldenbremse ist eine in der Verfassung verankerte Dummheit“, meint etwa der Makroökonom Patrick Kaczmarczyk. Um sie im Grundgesetz zu streichen oder zu ändern, bräuchte die Ampel allerdings eine Zweidrittelmehrheit, und die ist nicht in Sicht.
Sie könnte die Schuldenbremse aber umgehen, indem sie weitere Sondertöpfe (oder auch Schattenhaushalte) einrichtet, wie das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr. Das sind 100 Milliarden an zusätzlichen Schulden. Neue Kredite aufzunehmen sei gerechtfertigt, meint Michael Schrodi, der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. „Wir müssen vom Bedarf her denken. Schulen und öffentliche Wohnungen bauen, Digitalisierung und Klimaschutz voranzubringen, das ist nicht einfach nice to have, sondern Voraussetzung dafür, dass Unternehmen hier in den nächsten Jahren weiter Arbeitsplätze schaffen.“
Lehnt man neue Schattenhaushalte ab – wie der Finanzminister und seine FDP –, kann man immerhin noch an Stellschrauben drehen. Indem man die Konjunkturkomponente der Schuldenbremse nutzt, die es erlaubt, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten doch mehr Kredite aufzunehmen. Oder klima- und umweltschädliche Subventionen streicht, das hat sich die Ampel im Koalitionsvertrag ohnehin vorgenommen. So könnte etwa laut Bundesumweltamt die Streichung des Dienstwagenprivilegs, also die Flatrate für alle, die ihren oft fetten Dienstwagen privat nutzen, 3 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen bringen. (ale)
Raus aus der Wohnungsnot: weniger Profit, mehr Gemeinwohl
Für die Glaubwürdigkeit müsste die Ampelregierung zuallererst ihre politischen Pokerspiele beenden. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) weigert sich, eine vereinbarte Mietrechtsnovelle umzusetzen, weil er seine Verhandlungsposition beim Thema Vorratsdatenspeicherung stärken will. Das betrifft unter anderem die Verlängerung der Mietpreisbremse bis 2029 oder eine Maßnahme, die den Mietenanstieg bei bestehenden Mietverträgen begrenzen soll.
Wahr ist: Angesichts der Mietenexplosion sind das bloß Tropfen auf den heißen Stein. Die Ampel konnte sich nur auf so wenige Mieterschutz-Vorhaben einigen, weil sich die politischen Überzeugungen fundamental unterscheiden. Die FDP war immer eine Gegnerin der Mietpreisbremse und ist grundsätzlich gegen mehr Regulierung auf dem Mietmarkt. Deshalb herrscht Stillstand bei bekannten Problemen: Abzocke beim möblierten Wohnen ist nur ein Beispiel.
Dabei hat sich die Lage seit den Koalitionsverhandlungen weiter verschärft: Modernisierungsmaßnahmen, die zur Erreichung der Klimaziele notwendig sind, befeuern den Mietenanstieg. Indexmietverträge, bei denen die Miethöhe an die Inflation gekoppelt ist, werden immer beliebter. Toxisch ist, dass die Wohnungsnot mit einer Baukrise zusammenfällt. Vom Ziel der 400.000 gebauten Wohnungen pro Jahr ist die Regierung meilenweit entfernt. Die Anzahl der Sozialwohnungen sinkt sogar.
Angesichts dessen muss die Ampel neu verhandeln, und dafür gilt: Mieter:innen brauchen dringend eine Verschnaufpause durch einen zeitlich begrenzten Mietendeckel. Und: Fördergelder müssen immer auf bezahlbaren, gemeinwohlorientierten Wohnraum abzielen. Dafür braucht es ein gut ausgestattetes öffentliches Wohnungsbauprogramm. Wer jetzt nicht investiert, stärkt die politische Rechte und schwächt die Wirtschaft nachhaltig: Ohne verfügbaren Wohnraum kommt keine Fachkraft. (jak)
Weniger abschotten: Migrationsrealität anerkennen, Chancen ermöglichen
In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Ampel einen „Neuanfang“ in der Migrationspolitik versprochen: Der Bund wolle sich konstant an den Kosten der Länder und Kommunen beteiligen und Menschen, die bereits hier sind, neue Chancen eröffnen. Inzwischen hat sie, unter dem Druck von rechts, eine halbe Rolle rückwärts gemacht. Doch gerade hier könnte sie Tempo machen.
Flüchtlinge könnten viel schneller in Arbeit kommen. Bisher dürfen sie in den ersten drei Monaten keinen Job annehmen, sondern in der Regel erst, wenn ihr Asylantrag anerkannt wurde. Oder, wenn das Verfahren zu lange dauert, spätestens nach neun Monaten. Die Grünen finden, sie sollten vom ersten Tag an arbeiten dürfen – auch Menschen, deren Antrag noch geprüft wird,oder abgelehnte Asylbewerber, die nicht abgeschoben werden können und darum geduldet werden. Das ist eine gute Idee, denn viele Branchen suchen händeringend nach Arbeitskräften, auch für einfache Jobs.
Zudem sollte sich Deutschland darauf einstellen, dass auch in Zukunft jedes Jahr rund 300.000 Menschen bei uns Zuflucht suchen werden. Ob man das dann einen Richtwert, eine „Obergrenze“ oder einen „atmenden Deckel“ nennt, ist zweitrangig. Wichtig ist, dass Deutschland künftig die Kapazitäten und Mittel bereit hält, um so viele Menschen pro Jahr aufzunehmen. In Ausnahmefällen könnten es mehr werden, wie der Krieg in der Ukraine gezeigt hat. Denn die Gründe, warum Menschen fliehen, werden auch in Zukunft nicht weniger werden. Umso wichtiger ist es, darauf vorbereitet zu sein.
Ein Land wie Deutschland, die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, sollte dazu in der Lage sein und es verkraften. Es wird auch davon profitieren, so, wie es in der Vergangenheit von Zuwanderung profitiert hat. Denn angesichts einer alternden Bevölkerung droht uns sonst die Vergreisung und der wirtschaftliche Abstieg. (bax)
Raus aus den Fossilen: Kosten gerecht verteilen, Klimageld jetzt
Es wäre ein wichtiges Signal an die Bürger:innen, dass die Kosten des ökologischen Umbaus nicht vor allem zulasten derjenigen gehen, die wenig oder gerade mal durchschnittlich verdienen. Die Bundesregierung sollte das im Koaltionsvertrag versprochene Klimageld bereits 2024 einführen und nicht auf die lange Bank schieben. Bislang kümmern sich die Ampelparteien aber nicht um die Finanzierung.
Das Klimageld soll die Belastungen abfedern, die durch den steigenden CO2-Preis anfallen. Für den Verbrauch fossiler Energien ist ein Preis pro Tonne CO2 zu zahlen. Die Bundesregierung erhöht diesen Preis zum Jahresanfang von 30 auf 40 Euro, bis 2026 steigt er auf 60 Euro. Danach soll ein europäisches Handelssystem greifen. Kommt das, wird der CO2-Preis steil in die Höhe gehen – und Sprit und Heizen werden sehr viel teurer. Und viele Produkte wohl auch, denn höhere Transportkosten werden erfahrungsgemäß auf Güter umgelegt.
Die Idee des Klimageldes: Alle Bürger:innen bekommen den gleichen Betrag als Ausgleich für die steigenden Preise. Menschen mit wenig Einkommen verursachen weniger CO₂-Ausstoß, also bleibt ihnen mehr vom Klimageld als Wohlhabenden. Österreich hat bereits so einen Bonus, der zwischen 110 und 220 Euro pro Person und Jahr liegt – je nach Region. Ursprünglich sollten auch in Deutschland die Einnahmen aus dem CO2-Preis an die Bürger:innen zurückgegeben werden, und zwar über den Klima- und Transformationsfonds, in den das Geld fließt. Den Klimafonds nutzt die Regierung, um den ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft zu finanzieren, allerdings auch für Projekte, die nur mit viel Fantasie dazu zu zählen sind, etwa milliardenschwere Subventionen für die Ansiedlung einer Chipfabrik von Intel. Der Finanzplan des Klimafonds geht insgesamt von Ausgaben von mehr als 200 Milliarden Euro bis 2027 aus – das Klimageld ist nicht dabei. Das sollte die Bundesregierung umgehend ändern, denn: soziale Abfederung fördert die Akzeptanz für Klimapolitik. (akr)
Gegen Energiearmut: Heizen nicht verteuern
Heizen ist für viele teurer geworden. Dass die Rechnung nicht noch höher ausfällt, liegt unter anderem daran, dass die Bundesregierung die Mehrwertsteuer auf Gas nach der Sabotage der Erdgasleitung Nordstream von 19 auf 7 Prozent gesenkt hatte. Eigentlich bis zum Frühjahr 2024, aber nun will Finanzminister Christian Lindner, FDP, die Steuer schon ab Januar wieder anheben, also mitten in der Heizperiode.
Das brächte rund 2 Milliarden Euro an Mehreinnahmen für Bund, Länder und Kommunen, die politisch aber teuer erkauft wären. Obwohl sich die Dankesschreiben an die Bundesregierung wegen nur moderat gestiegener Betriebskosten in Grenzen halten, wäre die Empörung wohl umso größer, wenn die Steuer mitten im Winter erhöht würde. Um die 270 Euro kämen laut Berechnungen zusätzlich auf einen Durchschnittshaushalt zu. Die Ampel sollte am besten nach anderen Einnahmequellen suchen. (ale)
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