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Aiwanger soll KZ-Gedenkstätte besuchenHier gibt es keine Persilscheine

KZ-Gedenkstätten sollen rechtsextremen Haltungen vorbeugen. Von Hubert Aiwanger wird nun ein Besuch in Dachau erwartet: ein falsches Signal.

Ob Aiwanger wirklich die KZ-Gedenkstätte in Dachau betreten wird? Foto: Sven Hoppe/picture alliance

Hubert Aiwanger wird wie ein Schuljunge behandelt, auch nach 35 Jahren. Damals verpflichtete ihn seine Schule, ein Referat über das „Dritte Reich“ zu halten. Eine Reaktion auf die widerlichen NS-glorifizierenden und die Schoah verharmlosenden Flugblätter, die in Aiwangers Tasche gefunden wurden. Heute ist es die Gedenkstättenfahrt nach Dachau, die ihm nahegelegt wird.

Das schlägt ernsthaft der Beauftragte für Jüdisches Leben und Antisemitismus in Deutschland, Felix Klein, vor: „Es wäre jetzt ein gutes Zeichen, wenn er nicht nur das Gespräch mit den jüdischen Gemeinden, sondern auch mit den Gedenkstätten in Bayern sucht und deren wichtige Arbeit stärkt, etwa durch einen Besuch in Dachau“, sagte er dem RND.

Dass einer, der es qua Amt besser wissen müsste, jetzt einen solchen Vorschlag macht, verstört – und steht doch exemplarisch für den bundesdeutschen pädagogischen Umgang mit Antisemitismus und Nationalsozialismus. Auf antisemitische Vorfälle reagieren Schulen nämlich immer noch gern mit Gedenkstättenfahrten. An diese Gedenkstätten sind seit jeher Erwartungen geknüpft. Dort sollen Schü­le­r:in­nen Demut vor dem Tod lernen. Ihnen sollen Emotionen abgerungen werden wie Trauer und Mitgefühl für die Opfer des Nationalsozialismus. Ein Gefühl der Betroffenheit soll hergestellt werden. Eine kaum zu bewältigende Aufgabe für die Mit­ar­bei­te­r:in­nen dieser Einrichtungen.

Eine Illusion, ein „Fantasiefeld“

Gedenkstätten ehemaliger Konzentrationslager sind eine Illusion, ein „Fantasiefeld“, wie sie in einer Studie von Marina Chernivsky und Friederike Lorenz-Sinai bezeichnet werden.

An diesen Orten konkretisiere sich zwar die Geschichte des Nationalsozialismus. Geschichte, die „gesellschaftlich, institutionell und familienbiografisch weiterwirkt“; die besonders auf letztgenannter Ebene bis heute unzureichend aufgearbeitet ist. In Gedenkstätten verschwimmt jedoch der Blick auf die Gewaltgeschichte: steht hier die Opfer- oder Tä­te­rper­spek­ti­ve im Fokus?

Gedenkstätten werden vorrangig als jüdische Orte verstanden. Ähnlich wie in der Debatte um die Aiwanger-Affäre geraten in Gedenkstätten zusehends andere Opfergruppen wie politisch Verfolgte, Kommunisten, schwule Männer, Sinti und Roma in Vergessenheit. Das verengt den Blick auf die NS-Geschichte.

Für die Deutschen ist die Gedenkstätte zu einer Projektionsfläche geworden. NS-Taten werden auf diesen einen Ort, auf eine Opfergruppe beschränkt. Mit der eigenen unmittelbaren Welt hat dies dann nichts mehr zu tun. Bezüge zu familiären Verstrickungen werden schwerlich gezogen – die Gefahr einer Entlastung besteht.

Gedenkstätte als Projektionsfläche

Gedenkstättenfahrten werden zum Pflichtbesuch mit dem Anspruch eines Transformationsprozesses. Durchschreiten die Jugendlichen am Ende des Schulausflugs das Lagertor, kommen sie auf der anderen Seite als bewusste, antisemitismuskritische Menschen hervor. So der naive Wunsch.

Wie ist all das im Zusammenhang mit Hubert Aiwanger zu begreifen? Auch in seinem Fall wird das Problem – seine nicht glaubwürdige Entschuldigung, seine Erinnerungslücken und der Unwillen einer ernst zu nehmenden Aufklärung – externalisiert und auf einen Ort projiziert. Nach christlichem Vorbild soll Aiwanger Buße leisten. Einmal beichten, Ablassbrief erhalten, danach ist die Weste wieder weiß. Das Problem aber liegt bei Aiwanger selbst, in seinem Verhalten.

In alter deutscher Tradition begreift Felix Klein die Gedenkstätte als reinigenden Ort, als Möglichkeit der Wiedergutmachung. Da bleiben sich die Deutschen wieder einmal treu in ihrem Verständnis von Vergangenheitsbewältigung. Doch Gedenkstätten dürfen niemals zu Ausgabestätten von Persilscheinen verkommen.

Die Affäre um Hubert Aiwanger ist politisch abgeschlossen. Das hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder am Sonntag deutlich gemacht, indem er seinen Vize im Amt ließ. Er hat seine politische Gedenkstättenfahrt längst absolviert. Das KZ Dachau braucht es dafür gar nicht mehr.

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17 Kommentare

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  • Der Historiker Zimmerer beklagt im NDR, dass das Verschieben in der Erinnerungskultur schon seit Längerem im Gang sei, in der Berliner Republik sei ein Rechtsruck feststellbar, hier gebe es eine Schlussstrichmentalität, zum Beispiel beim Humboldt-Forum, dass ein in Stein gezogener Schlusstrich sei und dass hier etwas nicht stimme, dass ein Teil der Deutschen die kritische Auseinandersetzung loswerden wolle und sich eine positive Geschichte zuchreiben wolle.

    Bei Aiwanger sei wie in einem Brennglas zu sehen, was er in seinem bald erscheinenden kritischen Buch zur Erinnerungskultur mit anderen Autoren analysiert habe.

    "Dass ist die Aiwanger-Söder-Affaire, gehört in eine Reihe wie die Walser-Rede, da hat sich was ins Unkritische Nationalistische verschoben, der Schlusstrich wird hier eigentlich gezogen!", sagt der Historiker im NDR.

    Anmerkung; Da Merz die Reaktion von Söder auf Aiwanger mit dem Begriff brilliant adelte, weitet sich die Affaire auf die CDU aus.

    Es besteht dringender kritischer Debatten- und Handlungsbedarf bei der Politik, Medien und Bürgern und der Zivilgesellschaft.

    Zimmerer im Interview

    www.ndr.de/kultur/...r,zimmerer134.html

    und sich mit der Aiwanger-Affaire fatal zugespitzt habe.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Lindenberg:

      Aiwanger in einem Buch kritisch zur Erinnerungskultur?



      Wo soll das nun rauskommen.



      Nun, es liegt an "uns", es kritisch zu halten.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Lindenberg:

      „Da Merz die Reaktion von Söder auf Aiwanger mit dem Begriff brilliant adelte, weitet sich die Affaire auf die CDU aus.“



      Es freut mich sehr, dass Sie NDR-Kultur hören. Ohne Ironie – ich höre den Sender auch gern. Adelte? Wer möchte - außer Söder - von einem Herrn im sauerländischen Trachten-Junker geadelt werden? Dieses „Bravo Markus! Alles richtig gemacht!“ war fürchterlich. Und wie am Sonntag Söder indirekt jüdische Mitbürger*innen in die Verantwortung nahm, AH (Aiwanger Hubert) zu resozialisieren, war der bisherige Tiefpunkt in der Angelegenheit. Charlotte Knobloch und Josef Schuster haben würdevoll mit der Maximalkritik „unangemessen“ geantwortet. Chapeau. - „Es kann einem bange werden.“ (Heinrich Böll)

      • @95820 (Profil gelöscht):

        Erwin Huber entlastet Söder, er habe den Bayern durch seine Entscheidung zu Aiwanger eine Staatskrise erspart.



        Das wäre einen Gedanken wert, wenn Merz nicht im CSU-Festzelt vor der Söder-Rede nicht alle Medien aufs Korn nehmen würde und damit einen Riesenapplaus ernten würde.



        Wenn Merz nicht das Sterotyp die da oben in Berlin und die normalen Menschen da unten wie die CSU und die Freien Wähler bedienen würde.



        Der Populismus frisst sich langsam aber sicher durch alle Poren des rechten Parteiensystems, verschiebt die Diskurse nach rechts, lässt Weidel und Consorten noch wilder ausschlagen.



        Immerhin: Huber (CSU) moniert, dass viele (zu viele meiner Meinung nach) in Bayern sagen, schwamm drüber.



        Aiwanger sei verpflichtet, dass gerade zu biegen. Doch das wird Aiwanger nicht tun.



        Will Söder nach einem Wahlsieg mit einem angeschlagenen Aiwanger (Huber) weitermachen, bzw. ohne Aiwanger mit Freien Wählern, die das Ganze weiterhin befeuern und keine Reue zeigen? Söder hat sich Schachmatt gestellt, ohne es zu merken.

        Huber im Interview

        www.deutschlandfun...-e60a7ae7-100.html

        • 9G
          95820 (Profil gelöscht)
          @Lindenberg:

          „Söder hat sich Schachmatt gestellt, ohne es zu merken.“



          Dasselbe habe ich auch schon gedacht.



          Aber die Wähler*innen sind am Zug. Sind die klug?

  • Die Nazizeit wird in den Familien nicht aufgearbeitet werden. Genau wie die Überlebenden sind auch viele Täter bereits Geschichte.

  • "... andere Opfergruppen wie politisch Verfolgte, Kommunisten, schwule Männer, Sinti und Roma in Vergessenheit. Das verengt den Blick auf die NS-Geschichte."

    Es fehlen: Sowjetische, polnische und serbische Zivilisten und sowjetische Kriegsgefangene sowie Behinderte, Zeugen Jehovas und die sogenannten "Asozialen" (die vor 39 die größte Opfergruppe waren). Es ist ärgerlich dass diese nicht mit benannt und mitbedacht werden, zumal die Opferzahlen bei diesen Gruppen z.T. um ein vielfaches höher liegen. ( de.statista.com/st...alistischen-opfer/ ).

    Deren Mit-Benennung ist das mindeste, was sich gehört!

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Rudolf Fissner:

      Danke.

  • Zumindest für mich besteht kein Zweifel daran, dass "Firmen", wie die AfD die Demokratie, wie wir sie heute kennen, abschaffen wollen. Daher ist A. kein Mittelweg zwischen Demokratiebewahrung und nur ein bisschen mehr durchgreifen, sondern ein Wegbereiter der AfD. Wer A. unterstützt, der gibt sich dem Irrglauben hin, die Demokratie würde bewahrt, und ist ein politischer Feigling.

  • Ich kann mich nur anschliessen.

    Aiwanger (und somit Söder) ziehen es vor, weiterhin politisches Kapital aus genau jenem Geist zu schlagen, der so etwas wie Dachau möglich machte.

  • Der Typ ist so durchdrungen von seinen unguten Gedanken, das dringt bei ihm aus jeder Pore. Nein, der soll von den Gedenkstätten fernbleiben, das glaubt ihm doch sowieso keiner.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Ich bin gespannt, ob da was wann wie geht. Jetzt immer weiter den Brennpunkt der Lupe drauf halten.



    Und der Bundespräsident, besucht er den auch mal, bei einer Veranstaltung des Geschichtswettbewerbs? Mit Schülern diskutieren, vor laufender Kamera im Livestream. Wer in Ertding so ungeniert die demokratie zurückholt, wird das locker machen. Herr Bundespräsident bitte übernehmen Sie das mal. Der Gedenkkultur einen Dienst erweisen. Man könnte auch sagen "Erinnerungskultur", passt doch irgendwie ;-).

  • Dachau ist die Gedenkstätte, die nicht nur mit Juden in Verbindung gebracht wird, sondern auch (und vielleicht zuerst) mit der Inhaftierung politischer Gefangener, die dort bereits ab 1933 eingesperrt wurden (auch wenn unter diesen selbstverständlich auch Juden waren). Jüdische Häftlinge kamen in größerer Zahl erst später dorthin. Insofern dürfte Aiwanger dort noch am wenigsten stören, auch wenn dieser "Pflichtbesuch" unpassend und unangemessen ist. Es sind nämlich Gedenkorte, durch die man Leute wie Aiwanger nicht durchtrampeln lassen sollte.

    Problematischer finde ich die Aufforderung, er solle sich mit jüdischen Gemeinden in Verbindung setzen. Das ist eine Zumutung, die von mangelnder Empathie nur so strotzt.

    Die Kernaufgabe jüdischer Gemeinde besteht in der Organisation jüdischen Lebens, nicht in der Beschulung Unbelehrbarer. Es ist für Überlebende der Shoah und deren Nachkommen, die sich schließlich auch in den Gemeinden organisieren, viel traumatisierender, sich mit Aiwangers Schmutz und Nazischeiß auseinandersetzen zu müssen, damit letzerer sowie Söder sich besser fühlt.

  • Das ist doch das allerletzte, dass jetzt Orte, wo tausende von Menschen umgebracht worden sind dazu herhalten sollen, so jemanden reinzuwaschen. Was für ein Verständnis von Erinnerungskultur und Umgang mit Opfern haben eigentlich manche Leute?

  • Welchen Sinn soll es haben, dass Aiwanger Dachau besucht? Das Problem ist doch nicht, dass wer immer dieses unsäglich Flugblatt verfasst hat, nicht wusste was in Dachau und anderen KZs passiert ist - sondern dass er es gut fand!



    Genau so absurd ist der Vorschlag, Aiwanger möge das Gespräch mit Jüdischen Gemeinden suchen. Damit die jüdischen Gemeindemitglieder das Problem lösen? Und was wenn die keine Lust haben, sich mit diesem offenbar völlig empathielosen Selbstdarsteller zu treffen?

    • @Puck:

      Sehe ich auch so.

  • Und Gott sei Dank haben schon Gedenkstätten signalisiert, dass sie so eine erbärmliche Veranstaltung nicht zu haben sind.

    Aiwanger, dieser schreckliche Mensch mit seinem seltsam selektiven Erinnerungsvermögen sollte sich nun auf gar keinen Fall an jüdische Repräsentanten oder an Gedenkstätten Heranwanzen können.

    Wichtig auch der Hinweis, dass alle Opfergruppen thematisiert werden müssen.