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Bischöfin Petra Bahr über Pazifismus„Waffenlieferungen sind geboten“

Gibt es guten und schlechten Pazifismus? Bischöfin Petra Bahr über den Umgang der evangelischen Kirche mit dem russischen Angriffskrieg.

Erträgt an manchen Tagen keine Nachrichten: Bischöfin Petra Bahr Foto: Nancy Heusel/epd
Tanja Tricarico
Interview von Tanja Tricarico

taz: Frau Bahr, seit mehr als einem Jahr tobt der Krieg in der Ukraine mit Tausenden Toten, Hunderttausenden Geflüchteten, mit viel Leid und Schmerz. Haben Sie sich an diese Lage gewöhnt?

Petra Bahr: Ich spüre, wie ich an manchen Tagen keine Nachrichten ertrage und würde gerne mit den Medien, die ich zu viel konsumiere, auch die Welt für eine Weile abschalten. Dann begegne ich Geflüchteten und der Krieg ist sofort wieder da. All die abgebrochenen Lebensgeschichten, die Sorge um Kinder, Eltern, Verwandte, das sind die Begegnungen, an denen mir deutlich wird, dass sich in Europa etwas dramatisch verändert hat.

Im Interview: Petra Bahr

Jahrgang 1966, ist seit 2017 Regionalbischöfin für den Sprengel Hannover in der Evangelisch-­lutherischen Landeskirche Hannovers

Der Krieg in unserer Nachbarschaft ist eine Zeitenwende – auch militärisch. Undenkbar war zuvor, dass ausgerechnet Deutschland aufrüstet oder gar ein Sondervermögen für die Bundeswehr einrichtet. Müssen Sie da nicht schlucken?

Ich kenne keine halbwegs besonnenen Menschen, die da nicht schlucken. Aber das, was im Hals stecken bleibt, ist doch die Wucht der Aggression, die Brutalität, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Russland einsetzt, um einen souveränen Staat dem Erdboden gleich zu machen.

Dennoch sind Sie für Waffenlieferungen?

Ich halte dies ethisch für geboten, auch mit Blick auf die christliche Tradition des gerechten Friedens. In der Bibel hält sich die Hoffnung auf Frieden mit der Rede von Recht und Gerechtigkeit die Waage. Dieser Krieg hat genozidale Dimensionen angenommen und wird mit religiöser Propaganda überhöht, und zwar nicht nur durch den Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche, sondern auch als „heiliger Krieg“ gegen individuelle Freiheit und echte Demokratie, gegen freie Medien, freie Wissenschaften, gegen gleiche Rechte, übrigens auch gegen Religionsfreiheit.

Also Freiheit durch Panzerlieferungen?

Es geht weniger um die Frage, sind wir gegen Panzer oder nicht, sondern darum, was eigentlich auf dem Spiel steht. Ethisch geboten im Sinne des Völkerrechts ist deswegen, der Ukraine beizustehen – unter diesen Umständen leider auch militärisch.

Es begann mit der Lieferung von Helmen, dann kamen Panzer, jetzt sprechen wir von Zulieferungen für Kampfjets. Die Eskalationsspirale dreht sich immer schneller. Warum sollen wir uns mitdrehen?

Viele haben gehofft, der Krieg sei sowieso bald vorbei. Manche waren sich sogar sicher, dass die Ukraine Russland nichts entgegenzusetzen hat. Jetzt hat sich in der Tat eine zermürbende Situation eingestellt. Die Ukraine verteidigt sich auf eine Weise, mit der viele nicht gerechnet haben. Russland hofft darauf, dass der Westen genau das tut, was jetzt auch immer wieder passiert: zu sagen, das reicht jetzt mal. Parallel zur militärischen Unterstützung durch Waffenlieferungen sind die diplomatischen Bemühungen Dritter ja nicht abgebrochen. Sie haben nur bislang keinen Erfolg.

Vielen Menschen erscheint es aber so, dass über ein friedliches Ende des Krieges gar nicht nachgedacht wird.

In der Friedens- und Konfliktforschung geht es nicht nur um die Frage, welche Geschütze, welche Panzer, welche Luftabwehr geliefert wird, sondern es geht gleichzeitig immer darum, wie dieser Krieg aufhört – und was danach kommen kann. Der Einsatz für eine neue, rechtlich gesicherte Friedensordnung kann gar nicht engagiert genug sein.

Auch in kirchlichen Organisationen gibt es Kritik an den Waffenlieferungen. Es herrscht der Eindruck, dass etwa humanitäre Hilfe zu kurz kommt. Verstehen Sie das?

Ich teile diese Ansicht, allerdings ist sie Teil der medialen Verkürzung. Geistliche werden gefragt: „Sind Sie für Waffen oder dagegen?“ Das ethische Ringen um eine verantwortliche Position fehlt. Was bedeutet es, wenn ein souveräner Staat in dieser Souveränität nicht nur in Frage gestellt wird? In diesem Krieg geht es um kulturelle Auslöschung, um Kriegsverbrechen, um Angriffe auf zivile Ziele, die Entführung von Kindern. Da reicht humanitäre Nothilfe nicht aus. Die Frage ist aber berechtigt: Was können wir sonst noch tun, um die ukrainische Gesellschaft zu unterstützen, die zwischen Resilienz und traumatischen Erfahrungen hin- und hergerissen ist? Die Infrastruktur zu erhalten, Schulen, Krankenhäuser, Kirchen, Universitäten – das ist genauso wichtig.

Diese Lücke haben Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht mit ihrem Manifest genutzt und mächtig Zulauf bekommen. Auch Friedens­initiativen oder Organisationen aus der Entwicklungszusammenarbeit hatten sich angeschlossen. Wie erklären Sie sich das?

Der Pazifismus als Selbstbindung in einer Situation der Gewalt hat mir immer schon imponiert. Zivile Konfliktstrategien zu erproben ist ein wichtiges Anliegen. Hier wird der Pazifismus aber anders verordnet. Eine große Triebkraft ist die Angst, die man nicht wegdiskutieren kann, die aber politisch leicht instrumentalisierbar ist. Manche stützen offen die Position Russlands und suchen die eigentlichen Kriegsursachen sogar im Westen. Im Grunde stellt diese Bewegung die Souveränität der Ukraine und seine zivilgesellschaftliche Freiheitsbewegung selbst in Frage. Dazu wird mit moralischer Verve vorgebracht, dass die Deutschen, die Russland im Zweiten Weltkrieg so unfassbares Leid zugefügt hätten, keine Waffen gegen Russen richten dürften. Unter der Hand wird Russland mit der ehemaligen Sowjetunion identifiziert – und die anderen postsowjetischen, souveränen Staaten werden ein zweites Mal unsichtbar gemacht. Auch populistische, antidemokratische Kräfte in Deutschland haben die Friedenssehnsucht gekapert.

Warum schließen sich Menschen solchen Bewegungen dennoch an?

Ich würde als Christin und als Demokratin immer gucken: Unter welcher Fahne verbünde ich mich? Es gibt in meinem Umkreis pazifistisch gesonnene Menschen, die dieses Manifest niemals unterschrieben hätten.

Auch Margot Käßmann hat das Manifest unterschrieben.

Ja, und wir haben darüber auch gestritten. Und zwar deswegen, weil ich sie selber auch als hochengagierte Pazifistin erlebe. Aber ich hätte sie nie an der Seite von Sahra Wagenknecht vermutet. Dort will sie auch nicht hingehören.

Feiern die Kirchen in der Krise ein Comeback?

Christen sind ja keine Popgruppe, die heute retro war und morgen wieder angesagt sein könnte. Kirchen sind und bleiben Orte, in denen nach Gott gefragt wird. Hier ist Platz für Gebete und Stille, für Ohnmacht, Ratlosigkeit und Verzweiflung. Natürlich sind Kirchen auch Räume, in denen gefragt wird: Was sollen wir tun? Was können wir lassen?

Dieser Tage findet der erste Kirchentag ohne Käßmann statt. Was fehlt, wenn sie fehlt?

Margot Käßmann fehlt, ihr Charisma, ihre Freude an der Zuspitzung, die ja oft wichtige Debatten nach sich zieht. Aber der Kirchentag lebt davon, dass neue Generationen kommen, neue Gesichter, neue Stimmen, vielleicht auch in ganz anderer Form. Das ist gut so, und das würde sie vermutlich auch gut finden.

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34 Kommentare

 / 
  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Religionen waren schon immer wichtige Teile der Kriegsmaschinerie. Versprechen sie doch den SoldatInnen den Tod für eine gute & gerechte Sache. Einige Religionen fügen sogar noch einen Stammplatz im Paradies hinzu.



    Sicherlich gibt es auch in allen Religionen entsprechende Feier- oder Gedenktage, wo der Tod der Ermordeten anschließend scheinheilig betrauert wird.

    Die evangelische Kirche hatte sich eigentlich von dieser unseligen Tradition gelöst. Traurig, das dies nun offenbar wieder zurückgenommen wird.



    Entspricht damit dem deutschen Mainstream, der wieder zackig in Richtung Krieg unterwegs ist.

  • Man hätte einmal ein Wort dazu erwartet, dass Deutschland sei langem die ganze Welt mit Waffen versorgt, oder warum die Atommacht Pakistan von Deutschland mit deutschen U-Booten versorgt werden soll. Zeitenwende und die Kirche ist ganz flott mit dabei.

    • @Lindenberg:

      Der Papst hat sich völlig anders, meiner Meinung nach "christlicher", geäußert, als er sich für Verhandlungen zur Verfügung stellen wollte und das sinnlose Töten beklagt hat.

  • Klerus und Krieg

    Zitat: „Bischöfin Petra Bahr über Pazifismus: „Waffenlieferungen sind geboten“

    „Klerus und Krieg: man kann auch den Mantel der Nächstenliebe nach dem Wind hängen.“ (Karl Kraus)

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Reinhardt Gutsche:

      Oder den Mantel an den Nagel hängen. Oder den Mantelinhalt mit Nägeln…



      Schönen Feiertag (Fronleichnam)

    • @Reinhardt Gutsche:

      Eine Person ist beileibe nicht der Klerus (Wikigedöns="Gesamtheit der Angehörigen des geistlichen Standes")



      Sonst wären Sie ja der Papst ( upload.wikimedia.o..._Papst-2005-JD.jpg ) 🤪

      • @Rudolf Fissner:

        Gedöns

        Zitat @Rudolf Fissner: „Eine Person ist beileibe nicht der Klerus (Wikigedöns= "Gesamtheit der Angehörigen des geistlichen Standes")

        „Der Klerus ist die Gesamtheit der Angehörigen des geistlichen Standes, der Kleriker. Die Bezeichnung bezieht sich vornehmlich auf die Stufen des Weihepriestertums im Christentum. Prinzipiell lässt sich von Klerus jedoch nur dann reden, wenn es innerhalb einer religiösen Gemeinschaft eine Gruppe Amtsträger mit priesterlichen oder vergleichbaren Funktionen gibt, die deutlich von den übrigen Gläubigen – den Laien – abgehoben ist.“ (Wikigedöns)

        Dies dürfte auch für das Amt einer Regionalbischöfin für den Sprengel Hannover in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers zutreffen. Folglich gehört Frau Bahr qua Amt in diesem Sinne zum Klerus einer der christlichen Amtskirchen in seiner Gesamtheit (wenn auch nicht gerade zum höheren).

    • @Reinhardt Gutsche:

      Dazu passt auch der frühere Pfarrer und BP Gauck, der nun alles immer schon gewusst haben will und seinen Pazifismus abgelegt hat. Er meinte, wenn er jünger wäre, würde er auch kämpfen - ja, vor dem Schreibtisch sitzen ist gut reden.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Sagen Sie das mal dem sich fromm-orthodox gebenden Herrn Putin und seinem Patriarchen, die mit einem Zitat aus dem Johannesevangelium (Joh.15,13)



      den Krieg und den Kampf ihrer Soldaten gerechtfertigt haben. Werfen Sie als überzeugter Nichtchrist wenigstens Putin dasselbe vor wie der Bischöfin, die es sich (so verstehe ich das Interview) mit ihren Antworten keineswegs leicht macht und Leute, die nicht ihrer Ansicht sind keineswegs so von oben herab verurteilt, wie Sie es mit ihr tun?



      Immer wieder schön, wenn Zitate aus ihrem Zusammenhang gerissen werden. Ob Karl Kraus den von Ihnen zitierten Satz in der konkreten heutigen Situation so sagen würde, ist eine interessante Frage. Ich bin mir zumindest nicht so sicher wie Sie.



      Nebenbei gibt es im Protestantismus keinen Klerus, denn das Amt der öffentlichen Verkündigung ist etwas anderes, während zwischen russischer und ukrainischer Orthodoxie Klerus gegen Klerus steht.

      • @Joba:

        „Das Schwert Gottes“

        Zitat @Joba: „Im Protestantismus keinen Klerus“

        ...dafür eine solide militaristische Tradition der Kriegsverherrlichung: „Darum ehrt auch Gott das Schwert, also hoch, daß er‘s seine eigene Ordnung heißt, und will nicht, daß man sagen oder wähnen solle, Menschen haben‘s erfunden oder eingesetzt. Denn die Hand, die solches Schwert führt und würgt, ist auch alsdann nicht mehr Menschenhand, sondern Gotteshand, und nicht der Mensch, sondern Gott hängt, rädert, enthauptet, würgt und kriegt. Es sind alles seine Werke und seine Gerichte. („Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können“, 1526, in: Martin Luther, Ausgewählte Schriften, Berlin 1916, S. 257)

        Diese kriegssegnenden Thesen atavistischer Mordlust wurden mitten im 1. Weltkrieg neu aufgelegt und massenhaft in den Schützengräben verteilt. Davon fand sich im großväterlichen Nachlass ein Exemplar einer tornisterhandlichen Feldausgabe. Dies ist im Grunde ein religiös verbrämter Blankoscheck für jede Art von Kriegsverbrechen, der in keiner Feldpredigt vor den Schlachten von Tannenberg oder Verdun gefehlt haben dürfte, ehe es hieß: „Helm ab zum Gebet!“

        Gotteskrieger- Ideologen gibt es also nicht erst seit dem IS...

        • @Reinhardt Gutsche:

          Da wurde 1916 das getan, was 2022 Patriarch Kyrill (s.o.)getan hat. Das Ende eines aus meiner Sicht misslungenen Argumentationsgangs Luthers (eine Begründung hierfür wäre notwendig, würde aber zu weit führen) wurde instrumentalisiert, ohne zu benennen, unter welchen Umständen angeblich Gott selbst menschliche Schwerter führt. Es ist die Frage nach dem sog. "bellum iustum", die eben nicht jeden Krieg rechtfertigt, sondern Kriterien festlegt. Auch wenn Luthers zeitgebundene Kriterien heute nicht mehr überzeugen und auch ein Verteidigungskrieg nicht mehr als ein "gerechter Krieg" bezeichnet werden kann, dann doch als aufgezwungener (leider) notwendiger Krieg. Die Militärprediger von 1916, die mit ihrer Auffassung damals in der großen Mehrheit waren, denen aber ebenfalls schon eine nicht ganz unerhebliche Minderheit (z.B. Karl Barth und seine deutschen Freunde) gegenüberstand, haben einfach vorausgesetzt, der 1. Weltkrieg sei gerechtferigt, ohne das in der Feldschrift genauer zu begründen und einen Angriffskrieg einfach zum Verteidigungskrieg umgelogen, ohne zu fragen, ob das Luther auch so gesehen hätte. Der hat sich bekanntlich in unterschiedlichen Situationen sehr widersprüchlich geäußert und nicht gerne zitieren lassen, woran sich die meisten Theologen bis zum Neuluthertum gehalten haben.



          Im ersten Weltkrieg waren tatsächlich viele Ordinierte Kriegstreiber (damals gab es nur Männer in kirchlichen Ämtern), aber der Überfall auf Belgien ist wie beide Weltkriege insgesamt eher mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine zu vergleichen, als mit der Lieferung von Waffen zur Abwehr.(wozu von den Lieferern kaum jemand hurra schreit, auch wenn manche "Betonpazifist*innen" das unterstellen)



          Ich bleibe dabei, Frau Bahr in die militaristische Tradition des Kaiserreichs von 1871-1918 zu stellen bleibt eine Dreistigkeit, wie es generell nicht geht, irgendwelche ollen Kamellen, auf die gegenwärtig niemand Bezug nimmt, als Belege für angeblich lebendige Traditionen anzuführen.

          • @Joba:

            Lebendige Traditionen

            Zitat @Joba: „Ich bleibe dabei, Frau Bahr in die militaristische Tradition des Kaiserreichs von 1871-1918 zu stellen bleibt eine Dreistigkeit, wie es generell nicht geht, irgendwelche ollen Kamellen, auf die gegenwärtig niemand Bezug nimmt, als Belege für angeblich lebendige Traditionen anzuführen.“

            Ich bleibe dabei: Frau Bahr in die militaristische Tradition des Kaiserreichs von 1871-1918 zu stellen, bleibt eine naheliegende Reminiszenz an eine militaristische Traditionslinie des deutschen Protestantismus. Dies zu leugnen, wäre eine geschichtsvergessene Dreistigkeit, denn die Amtskirchen haben sich niemals davon distanziert, niemals.

            Daß darauf gegenwärtig niemand Bezug nimmt, ist kein Gegenbeweis, eher im Gegenteil: Es ist ein betretenens Beschweigen dieser ideologischen Leichen im Keller. Im ünbrigen strotzt heutige Rußlandbild der Deutschgen nur so vor „ollen Kamellen“, von der Frankfurter Paulskirche über die Hakenkreuzler bis zur Bonner Republik: eine erschreckend lebendige Tradition.

            • @Reinhardt Gutsche:

              Zitat@Reinhardt Gutsche: "Ich bleibe dabei: Frau Bahr in die militaristische Tradition des Kaiserreichs von 1871-1918 zu stellen, bleibt eine naheliegende Reminiszenz an eine militaristische Traditionslinie des deutschen Protestantismus. Dies zu leugnen, wäre eine geschichtsvergessene Dreistigkeit, denn die Amtskirchen haben sich niemals davon distanziert, niemals."

              Was ist die mit den Heidelberger Thesen von 1959 beginnende bis zur Friedensdenkschrift von 2007 (ein offizielles kirchliches Dokument) führende Tradition anderes als eine Distanzierung von jeglichem kirchlichen Militarismus? Den als ungebrochen zu postulieren ist, wie Sie sich ausdrücken geschichtsvergessene Dreistigkeit.

              Zitat@Reinhart Gutsche: "Im ünbrigen strotzt heutige Rußlandbild der Deutschgen nur so vor „ollen Kamellen“, von der Frankfurter Paulskirche über die Hakenkreuzler bis zur Bonner Republik: eine erschreckend lebendige Tradition."



              Hier entlarven sie sich selbst, denn was hat ein vom Patriarchen mit Joh.15, 13 gerechtfertigter Angriffskrieg mit dem Bils der Deutschen vom "bösen Russen" zu tun? Wird irgend etwas besser, wenn man auf die große russische Kultur verweist? Wäscht sich Putin durch seine Berufung auf sie rein, wie Frau Bahm von ehemaligem Militarismus infiziert bleibt? Ich habe größten Respekt vor allen, die unter Lebensgefahr Putins Regime sabotieren, habe aber auch Respekt vor allen, die sich das nicht trauen. Lediglich jene Russen, die Putin aus vollem Herzen (nicht wegen alternativloser Desinformation) zujubeln, und dazu gehört der Patriarch, verachte ich zutiefst.



              Im übrigen gibt es ökumenische Kontakte nach Russland (das hat Frau Käßmann erwähnt), die zeigen, dass nicht der gesamte russisch-orthodoxe Klerus fest an der Seite des Patriarchen steht, das aber nur heimlich äußern kann.

              www.ekd.de/heidelb...sen-1959-75680.htm



              www.ekd.de/pm219_2...ensdenkschrift.htm

              Letztere distanziert sich bereits im Vorwort von Teilen ersterer.

              • @Joba:

                „Frieden schaffen ohne Waffen!“

                Mit Verlaub Euer Ehren, die zitierte Friedensdenkschrift der EKD von 2007 „Aus Gottes Frieden leben für gerechten Frieden sorgen“



                enthält zwar bemerkenswerte friedenspolitische Postulate, die der Militärdoktrin der Bundesrepublik zuwiderlaufen, nicht jedoch eine Distanzierung oder gar Verurteilung des Bellizismus in der Tradition der protestantischen Amtskirchen.

                Zu den begrüßenswerten und der Haltung von Bischöfin Bahr entgegenstehenden Forderungen des EKD-Rates gehört das Postulat, „die universalen Institutionen zu stärken, „die Waffenpotenziale abzubauen, hingegen die zivile Konfliktbearbeitung auszubauen.“ Der EKD-Rat warnt darin „ausdrücklich vor einer Ausweitung der Auslandseinsätze der Bundeswehr. Der Prozess der „Transformation“ der bundesdeutschen Streitkräfte in eine Armee im Einsatz wird kritisch betrachtet.“

                Die Grundidee dieser Denkschrift ist also unverkennbar: „Frieden schaffen ohne Waffen!“

                • @Reinhardt Gutsche:

                  Sie fordern etwas explizit, was für mich und Viele mit den Stallungnahmen implizit gegeben ist.Dadurch bleiben keine "Leichen im Keller", sondern allenfalle ein "was schert mich mein Gewschwätz von gestern", was Sie meinen, skandalisieren zu müssen, weil Sie partout etwas behaupten wollen.



                  Im übrigen war 2007 natürlich vor dem russischen Anfriffskrieg und die Forderung nach Waffenlieferungen dient der Ermöglichung von Gerechtigkeit, die untrennbar mit wahrem Frieden verbunden ist. Tatsache bleibt: Wenn putin seine Truppen abzieht, ist der Krieg sofort vorbei. Appellieren Sie doch an Ihn und den Patriarchen, als nur an mit Dilemmata ringende Leute wie Frau Bahm und mich, als ob wir von dem, was wir in der konkreten Lage für unerlässlich halten, begeistert wären. Uns fällt nur nichts Besseres ein und Sie tun nur wegen eines starren Prinzips so als ob und verurteilen alle, die dieses Prinzip eigentlich gut finden, es wegen bestimmter Personen (Putin und Co.), die zumindest ich das lange nicht zugetraut hätten, leider aufweichen müssen. Das tut weh, macht Ihre Vorwürfe aber weder wahrer noch hilfreicher.Sollte wirklich "der Westen" Putin provoziert haben, wieso hat er sich, wenn er besser sein will, provozieren lassen? Angegriffen wurde er wirklich nicht, oder Sie gestehen ihm das zu, was Sie dem Kaiserreich zu Recht absprechen. (Herbeilügen eines Kriegsgrundes)

                  • @Joba:

                    Fehlerkorrektur:



                    Esmuss heißen ..., denen zumindest ich das lange nicht zugetreut hätte...

      • @Joba:

        „Die Waffen nieder!“

        Zitat @Joba: „Immer wieder schön, wenn Zitate aus ihrem Zusammenhang gerissen werden. Ob Karl Kraus den von Ihnen zitierten Satz in der konkreten heutigen Situation so sagen würde, ist eine interessante Frage. Ich bin mir zumindest nicht so sicher wie Sie.“

        Der Zusammenhang dieses Aphorismus ist für den bekennenden Ultra-Pazifisten Karl Kraus unmißverständlich: das sinnlose Stellungsgemetzel an den Fronten des 1. Weltkrieges. Einen anderen Zusammenhang, aus dem dieses Zitat „gerissen“ sein könnte, gibt es nicht.

        Dieser Pazifismus von Karl Kraus richtete sich ausnahmslos an alle Kriegsparteien, die allesamt mit patri(idi)otischen Propagandasprüchen ihre Völker an der Nase herumführten und ihre Jugend im Stahlgewitter verbluten ließ, für nichts und wieder nichts. Da kann man sehr sicher sein: Karl Kraus wäre angesichts der heutigen Situation noch sehr viel drastischer. Er würde den Mahnruf der Ur-Mutter der Friedensaktivisten Bertha von Suttner aufgreifen: „Die Waffen nieder!“. Denn damals wie heute ist klar: „In diesem Krieg, gib es kein Sieg“, um eine Sentenz von Wolf Biermann aufzugreifen.

        • @Reinhardt Gutsche:

          Der Ruf "Die Waffen nieder!" erging in einer Situation, in der die meisten Regierungen, unterastützt von vielen in ihren Nationen, Krieg als normale gewaltsame Fortsetzung von Politik gesehen haben und mit großen Ehrversprechungen patriotische Opferbereitschaft gefordert haben. Verteidigung wurde da oft schon vor dem eigentlichen Angriff behauptet. Indem der klassische Pazifismus diesen weitverbreiteten Ungeist in Frage stellte, adressierte er fast überall die Richtigen.Aus meiner Sichthätte er aber nicht gefordert, die von Hitler überfallenen hätten sich kampflos ergeben sollen, weil sie mit solch einem Agresor schlicht nicht gerechnet hatten. Nun ist die Frage, ob Putin wirklich mit Hitler vergleichbar istund ob die Verneinung der Frage es rechtfertigt, den überfallenen und in ihrer Mehrheit zur Verteidigung bereiten Ukrainer*innen zu sagen: "Lasst mal, verhandelt lieber mit Putin, das ist eigentlich ein ganz Freundlicher, wenn ihr bereit seid, zu tun, was er will Kämpfen lohnt sich nicht, weshalb wir euch nicht unterstützen."



          Wen außer Putin soll das freuen?Ist ein unterdrücktes Leben in jedem Falle besser als kein Leben? Diese Frage lässt sich nur von direkt Betroffenen beantworten und nicht von unbeteiligten Dritten für andere.



          Daher plädiere ich durchaus dafür, Ukrainer*inne die nicht kämpfen wollen, hier Asyl zu gewähren, umgekehrt aber auch jene, die nicht unter Putins Diktat leben wollen nicht dazu zu nötigen, sondern ihren Kampf zu unterstützen. Ein chemisch reines Gewissen halte ich in dieser Angelegenheit für unmöglich, auch wenn Sie angeblich eines haben.

  • Vielen Dank, gutes Interview. Die Kirche zeigt Kante und findet wieder ihre alte Rolle, die sie seit jeher in solchen konfliktträchtigen Zeiten hatte.

    • @wollewatz:

      das ist alles andere als klare Kante. Sie folgt ganz einfach dem Mainstream, um die Kirche wieder möglicherweise attraktiver zu gestalten. Das dies schon Wirkung zeigt, sieht man hier z.B. bei einigen Kommentare relativ gut!

      • @aberKlar Klardoch:

        Könnte es nicht sein, dass die Perspektive die jeweilige Haltung bestimmt und Sie von daher nicht einfach unterstellen können, dass bestimmte Positionen grundsätzlich rein opportunistischen Erwägungen geschuldet sind? Sondern z.B. ernsthaften ethischen Standortbestimmungen, über die auch gestritten und heftig gerungen werden kann?



        Wenn Sie auf die Notwendigkeit von Ideologiekritik verweisen, bin ich ganz bei Ihnen … nur gilt das dann nicht bloß für Gläubige, sondern z.B. auch für Religionskritiker und Atheisten.



        Auch deren Haltung ist möglicherweise ideologisch motiviert, kann ebenso opportunistischen Gesichtspunkten folgen und ist von daher genau so hinterfragbar, kritikwürdig und keineswegs sakrosankt wie auch religiöse Glaubensüberzeugungen. Das war es nur zu DDR-Zeiten nicht.

    • @wollewatz:

      Ah ja? Vielleicht sollten Sie mal diesem link zur historischen Rolle der evangelischen Kirche folgen

      www.zukunft-brauch...-im-dritten-reich/ (Käßmann wird auch dort erwähnt)

      Und dann vielleicht Ihren Kommentar nochmal überdenken...

      • @ke1ner:

        Danke für den Link - sehr aufschlussreich.

      • @ke1ner:

        Die Erwähnung Käßmanns ist zumindest nicht negativ.



        Die Evangelische Kirche hat ihre historische Rolle durchaus aufgearbeitet und seit 2014 hat sich viel Zusätzliches getan und es geht weiter in der Forschung, weil sich niemals ein "Schlussstrich" ziehen lässt.



        Bezogen auf das "seit jeher" in Wollewatz Zitat, kann ich Ihren Einwand nachvollziehen.



        Sollten Sie Frau Bahrs Äußerungen aber in die Nähe der "Deutschen Christen" (unbestritten seinerzeit ein viel zu großer Teil der Kirche) stellen, wäre das eine Unverschämtheit.

        • @Joba:

          Gerade die evangelische Kirche (damit aufgewachsen) ist immer schon gut mit dem Fähnchen in den Wind Halten gewesen.

  • Margot Käßmann ist mir sympathischer.

    • @Susanne Werner:

      Mir auch.

    • @Susanne Werner:

      Mir nicht.

  • Jetzt also Waffenlieferungen nicht nur mit kirchlichem Segen, sondern sie seien sogar aus christlicher Sicht "geboten"(!)

    Und Käßmann an der Seite von Wagenknecht, Sahra - wo sie gar nicht hingehören will: auch das weiß die Bischöfin und kann es mitteilen (ein verirrtes Schaf, dem die Hirtin, ganz in der Nachfolge Christi, mit Milde begegnet?)

    Wäre ich Mitglied der evangelischen Kirche, würde ich umgehend austreten.

    • @ke1ner:

      Das bezeugt, dass Sie, wie auch viele Protestant*innen den Protestantismus nicht verstanden haben.



      Die Amtsträger*innen scheinen es aber versäumt zu haben, zu vermitteln, dassc jede/r ihre Äußerungen kritisieren kann und Gegenargumente anführen (wie es zwischen Bahr und Käßmann ja auch geschieht), ohne gleich die Gemeinschaft in Frage zu stellen.



      Kirche ist kein Gesinnungsblock, den ich sofort verlasse, wenn irgendjemand (ob Amtsträger*in oder nicht) etwas vertritt, was mir nicht passt.



      Dann könnte ich strenngenommen keiner dauerhaften Gemeinschaft, die über temporäre Übereinstimmungen im Einzelnen hinausgeht angehören. Denn irgendejemanden wird es immer geben, der/die zusätzlich zur geteilten Meinung noch für mich völlig Inakzeptables vertritt.



      Entscheidend ist für mich das gemeinsame Ringen um den christlichen Glauben, welches (innerkonfessionelle und ökumenische)Kontroversen einschließt.



      Wer den christlichen Glauben für unsinnig oder irrelevant hält, hat, falls er/sie getauft ist, wirklich Grund, aus der Kirche auszutreten.



      Alle anderen haben die Möglichkeit zur Konversion. Es gibt genügend Kirchen ohne Kirchensteuer und nicht alle davon sind evangelikal.

      • @Joba:

        Die evangelische Kirche ist nach meiner Wahrnehmung zu einer Behörde geworden, die für betreute Spiritualität zuständig ist. Sie lässt ihre Gebühren vom Staat eintreiben und übernimmt im Gegenzug die Aufgabe, den jeweils geltenden politischen Zeitgeist mit christlichen Auffassungen zu synchronisieren. Erstaunlicherweise funktioniert das immer wieder, egal um welches Thema es sich handelt: finden wir die Bewaffnung einer Kriegpartei politisch richtig, dann hat auch die Kirche eine entsprechende religiöse Rechtfertigung im Köcher. Alle können sich gut fühlen, man ist mal wieder auf der richtigen Seite im Dienste des Guten unterwegs.

  • Danke für dieses Interview, bzw natürlich für die klaren und nachvollziehbaren Antworten.

  • Großartiges Interview, es macht nachdenklich vielleicht doch wieder in die Kirche einzutreten

  • Ich stimme der Bischöfin in allen Punkten zu und ergänze: Kohelet 3, 1-15



    www.uibk.ac.at/the...um/bibel/koh3.html