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Todesstrafen in IranWo bleibt der Aufschrei?

In Iran steigt die Zahl der Hinrichtungen, berichtet Amnesty. Das Regime schickt gleichzeitig versöhnliche Zeichen an den Westen – und der schweigt.

Tanzen statt töten! Fordert hier eine Aktivistin von One Law in London Foto: Hollie Adams/getty images

Man beobachte in Iran eine „beispiellose Hinrichtungswelle“: So steht es im jährlichen Bericht von Amnesty International zu Todesstrafen, der an diesem Dienstag veröffentlicht wird. Demnach war das iranische Regime im Jahr 2022 für 65 Prozent aller weltweit bekannt gewordenen Hinrichtungen verantwortlich. In diesem Jahr wurden laut Amnesty bereits mindestens 209 Menschen exekutiert. Zurzeit sind es im Schnitt zehn Menschen pro Woche, die am Strang sterben.

Dazu hört man von EU und Bundesregierung: nichts. Dem iranischen Regime ist es wieder einmal gelungen, die europäischen Regierungen einzulullen.

Denn die Machthaber in Teheran wissen, dass Bundesregierung und EU sich ungern öffentlich zu den Menschenrechtsverletzungen in Iran äußern. Öffentliche Ermahnungen verkomplizieren den gewohnten und geschätzten Umgang mit dem Regime in Teheran: Stille Diplomatie – die halten deutsche Bundesregierungen seit vielen Jahren für das erfolgreichste Vorgehen, gegen alle Evidenz.

Und so gibt sich das iranische Regime seinerseits Mühe, das Aufhebens um die Hinrichtungen so klein wie möglich zu halten. Erstens, weil knapp die Hälfte der Todesurteile wegen „Drogendelikten“ gefällt werden. Sie sind also auf den ersten Blick „nicht politisch“. Das sind sie aber sehr wohl: Sie dienen der „Verbreitung von Angst“, so schreibt die Menschenrechtsorganisation Iran Human Rights in einem kürzlich erschienenen Bericht. Soziale Kontrolle durch Hinrichtungen: Das ist die klandestine „Politik“ des iranischen Regimes.

Es gibt keine Hashtags

Zweitens: Es werden überdurchschnittlich viele Menschen hingerichtet, die ethnischen Minderheiten angehören – Belutsch*innen, Kurd*innen, Araber*innen. Der „Vorteil“: Die meisten dieser Menschen leben in Armut und in Gegenden, in denen es kaum Internetzugang und Smartphones gibt. In diesen Regionen des Landes haben viele Menschen keinen Personalausweis, ihre Identität bleibt oft verborgen. Ihre Namen und Bilder erreichen nicht die Weltöffentlichkeit, es gibt keine Hashtags. Sie sterben in Anonymität. Anonyme Tote machen keine guten Geschichten, erzeugen kein Mitgefühl, werden vergessen.

Gleichzeitig schickt das Regime vermeintlich versöhnliche Zeichen an den Westen: zum Beispiel durch die eben erfolgte Freilassung der Franzosen Benjamin Brière und Bernard Phelan. Natürlich ist das Timing inmitten der Hinrichtungswelle bewusst gewählt. Auch das eine bewährte Strategie, westliche Regierungen zu manipulieren.

Nun ist es natürlich nicht so, dass es der Bundesregierung ernsthaft verborgen bleiben würde, was in Iran vor sich geht. Die Berichte von Menschenrechtsorganisationen und Ak­ti­vis­t*in­nen sind so eindeutig wie eindringlich. Der ausbleibende mediale Aufschrei aber macht es der Regierung leicht, den Kopf in den Sand zu stecken.

Aufmerksamkeit ist lebensrettend

Das ist tragisch. Denn gerade im Fall des iranischen Regimes ist Aufmerksamkeit lebensrettend. Die iranischen Machthaber fürchten Aufmerksamkeit wie der Teufel das Weihwasser. Sie untergräbt das Selbstbild eines legitimen Staats, das für die Führungsriege und ihre Gefolgsleute zentral ist. Wird diese Legitimität infrage gestellt, könnte das den inneren Zusammenhalt und damit das gesamte System ernsthaft gefährden.

Trotzdem schweigt die Bundesregierung, die von sich behauptet, eine wertegeleitete, gar „feministische“ Außenpolitik zu verfolgen. „Die internationale Gemeinschaft muss den politisch-diplomatischen Druck auf die iranische Regierung spürbar erhöhen und sich vehement für das Recht auf Leben einsetzen“, heißt es in dem Bericht von Amnesty International. Dass Deutschland und die EU dazu gewillt sind, das bleibt, so zeigt die Erfahrung, leider zu bezweifeln.

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11 Kommentare

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  • Es sollte erwähnt werden dass bezüglich Hinrichtungen in Ägypten und Saudi Arabien (wurden dort letztes Jahr an einem Tag 83 Menschen enthauptet) auch beide Augen zugedrückt werden.

    Da muss sich Frau Baerbock mir Ihrer wertebasierten Außenpolitik ganz schön verbiegen.

  • Whataboutism ist das komplette Gegenteil von dem was ich beschrieben hatte. Im Artikel wird der Fokus einzig und alleine auf den Iran gelenkt. Ohne auch nur den kleinsten Zusatz auf die vielen anderen Hinrichtungen auf der Welt. Eventuell hat die Autorin einen persönlichen Fokus für den Iran.

    Die 65% aller weltweiten Hinrichtungen kommen mir etwas seltsam vor und zu sehr abgeschrieben von der Wikipedia. Ruft man andere Quellen auf, so sind z.B. alleine in China seit 2007 geschätzte 8000 Personen hingerichtet worden. Also jährlich über 500. Bei Wikipedia steht hingegen "6+".

  • "Dazu hört man von EU und Bundesregierung: nichts."

    Das ist nicht wahr:

    Wegen der Todesurteile wurde erst der iranische Botschafter einbestellt:

    www.tagesschau.de/...eile-iran-101.html

    Dann 2 Diplomaten aus Deutschland ausgewiesen:

    www.tagesschau.de/...-amt-iran-101.html

    Sanktionen seitens der EU wurden beschlossen:

    www.consilium.euro...ls-and-one-entity/

    Wurde das nur nicht recherchiert oder "vergessen"?

    "(...) dass Bundesregierung und EU sich ungern öffentlich zu den Menschenrechtsverletzungen in Iran äußern."

    Äußerung der EU zum Thema:

    www.eeas.europa.eu...executions-iran_en

    Stellungnahme der Bundesregierung:

    www.auswaertiges-a...ekonferenz/2568802

    "Stille Diplomatie – die halten deutsche Bundesregierungen seit vielen Jahren für das erfolgreichste Vorgehen, gegen alle Evidenz."

    Mich würd diese Evidenz mal interessieren; wo ist denn jene Studie die belegt, dass es nicht oder weniger erfolgreich ist, als andere Vorgehen?

  • Hängen Menschen an Baukränen auf, versenden Zeichen der Vetsöhnung. Und der Westen schweigt. Gehts noch?

  • Nicht dass man bei diesem Thema relativieren sollte. Doch wieso nur der Fokus auf den Iran?



    In China werden jährlich tausende per Todesstrafe verurteilt. In Saudi-Arabien sind es pro Jahr im Schnitt circa 100 Personen. In Japan sterben mal mehr, mal weniger Menschen durch Erhängen, Die Liste ist noch länger - ganz abgesehen vom Iran.

    • @Mopsfidel:

      "Nicht dass man bei diesem Thema relativieren sollte."

      warum tun Sie es dann?

      1:China hat um einiges Mehr Einwohner als Iran ... oder die USA.

      Wichtig sind die Hinrichtungen in Relation zur Einwohnerzahl.

      Und da steht der IRAN an 1 Stelle!

      Jedes andere Land zu erwähnen und Vergleiche zu ziehen ist mehr als nur "Relativieren".

      Vor China kommen übrigens noch die Bahamas, oder auch Verbündete wie Saudi Arabien oder Agypten.

    • @Mopsfidel:

      Hm, Ihr Einwand fällt meiner Meinung nach unter die Kategorie "Whataboutism".



      Wenn doch, wie die Autorin anführt, "das iranische Regime im Jahr 2022 für 65 Prozent aller weltweit bekannt gewordenen Hinrichtungen verantwortlich [war]", ist das einen ganz eigenen Artikel mehr als wert, finde ich.

      • @Madi:

        das was die Autorin anführt ist nur eine Seite der Medaille und viel komplexer! Was MOPFIDEL schreibt kann ich nur zustimmen!

      • @Madi:

        "Weltweit bekannt" ist das Stichwort. China hält die meisten seiner Todesstrafen aber geheim.

  • Furchtbar.

    Unsere "Werte" sind lediglich Opportunismus. Wo's strategisch passt (Ukraine, China), da maulen wir laut -- wo's grad' nicht passt (Qatar, Saudi, und ja -- Iran oder USA), da gucken wir verschämt weg.

    Unsere "Werte" sind wie das Bild der Weide und der glücklichen Kuh auf der Milchverpackung aus Massentierhaltung.

    Kein Wunder, dass uns andere den Mittelfinger zeigen, wenn wir denen mit "Menschenrechten" kommen.

    • @tomás zerolo:

      Was wäre denn aus Ihrer Sicht das richtige Vorgehen? Was sollte die Deutsche Regierung tun?