Ampel streitet über den Haushalt: Geld für Kinder – oder Panzer
In der Ampel gibt es Streit über die Prioritäten in der Finanzplanung. Projekte wie die Kindergrundsicherung stehen auf dem Spiel.
Die vom Finanzminister aufgestellten Eckwerte für den Bundeshaushalt 2024 und die forsche Forderung des neuen Verteidigungsministers Boris Pistorius (SPD) nach weiteren 10 Milliarden Euro für die ihm unterstellte Truppe veranlassten Habeck dazu, an den Kollegen Lindner zu schreiben.
Auch im Namen der grünen Minister:innen bat er vergangene Woche darum, keine weiteren Vorfestlegungen zu treffen, die einseitig Ausgaben priorisierten; etwa die Aktienrente oder die Bundeswehr. Kollege Lindner schrieb einen Tag später in spitzem Ton zurück, dass er sich wundere: Die Grünen hätten der Finanzplanung doch zugestimmt
Der Haken ist aber: Mehrkosten, etwa wegen der Wohngeldreform, sind in Lindners Finanzplänen noch gar nicht eingepreist. Zudem rechnet der Finanzminister mit weiteren Zusatzausgaben in zweistelliger Milliardenhöhe, etwa durch die steigende Zinslast und höhere Personalausgaben.
Gleichzeitig wird eine bislang sprudelnde Geldquelle fast trockengelegt. Noch ist es dem Bund erlaubt, neue Kredite in dreistelliger Milliardenhöhe aufzunehmen. Doch ab diesem Jahr gilt die Schuldenbremse. Weniger Einnahmen bei steigenden Ausgaben – man muss kein Mathegenie sein, um zu verstehen, was das bedeutet. In einer Präsentation aus dem Bundesfinanzministerium vom Januar heißt es denn auch unmissverständlich: Kürzungen in den jeweiligen Ressorteinzelplänen könnten nicht ausgeschlossen werden.
Bei Grünen und SPD wächst daher die Sorge, dass noch nicht mal beschlossene Großvorhaben wie die Kindergrundsicherung dem Spardiktat zum Opfer fallen könnten. Öffentlich versuchen die Haushaltspolitiker zwar zu beschwichtigen: Es sei doch politische Normalität, dass sich Minister über den Bundeshaushalt auseinandersetzen, meint etwa der Grünen-Haushälter Sven-Christian Kindler zur taz. Er gehe davon aus, dass das Kabinett eine gute Lösung finde, und er betont: „Die Kindergrundsicherung ist eines der wichtigsten Projekte aus dem Koalitionsvertrag und alle drei Partner sind bei der notwendigen Finanzierung gefragt.“
Auch SPD-Haushälter Dennis Rohde verweist auf den Koalitionsvertrag. „Der bildet auch weiterhin für uns die Grundlage für die weitere Haushaltaufstellung.“ Doch er räumt ein: Der Haushalt für 2024 werde eine große Herausforderung.
Das grün geführte Familienministerium erarbeitet gerade das Gerüst für die Kindergrundsicherung. Erste Eckpunkte vom Februar, die der taz vorliegen, zeigen, dass es in der Tat ein teurer Bausatz werden könnte. Im Raum stehen je nach Modell Mehrkosten von etwa 11 Milliarden Euro.
So will das Familienministerium, dass der Staat künftig aktiv auf Familien zugeht und so die verdeckte Armut lindert. Den einkommensabhängigen Kinderzuschlag von maximal 250 Euro nimmt zum Beispiel aktuell nur ein Drittel der Familien in Anspruch, die ein Anrecht darauf haben, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht.
Mit der Kindergrundsicherung soll der Staat bezugsberechtigte Familien über diese Option informieren und ermuntern, den Zuschlag zu beantragen. Der Kreis der Empfänger:innen könnte sich also verdreifachen.
Grundsätzlich soll die Kindergrundsicherung aus einem Garantiebetrag bestehen, den alle Eltern bekommen. Er wird wohl auf dem Niveau des heutigen Kindergelds liegen, das pro Kind 250 Euro beträgt. Des Weiteren soll es einen „Zusatzbetrag“ geben, der armen Familien zugute kommen soll.
Allerdings ist noch unbekannt, wie hoch dieser Betrag sein wird und wer davon profitieren wird. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte auf einer Fachtagung Ende Januar gesagt, dass sie diesen flexiblen Betrag anheben wolle. Zusammen sollen Garantiebetrag und Zusatzbetrag das Existenzminimum des Kindes sichern. Auch dieses Existenzminimum soll neu berechnet werden.
Für Paus ist die Kindergrundsicherung „das zentrale sozialpolitische Projekt dieser Bundesregierung“ und der Kampf gegen Kinderarmut „meine zentrale Motivation am Amt“.
In Deutschland leben circa 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche von staatlichen Leistungen. Über die Hälfte, etwa 1,6 Millionen Kinder, stammen aus Haushalten mit erwerbstätigen Eltern. Die Kindergrundsicherung könnte laut einer Berechnung, die das Ifo-Institut 2021 für die Grünen angestellt hat, die Zahl der von Armut bedrohten Menschen verringern. Sie käme vor allem Alleinerziehenden zugute, die besonders häufig von Armut betroffen sind.
Die familienpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Heidi Reichinnek, verfolgt den Koalitionsstreit mit Unbehagen: „Die Ampel arbeitet auch hier ganz offensichtlich gegeneinander – ich befürchte, der große Wurf bleibt bei der Kindergrundsicherung aus“, sagt sie.
Fließen soll das Geld zwar erst 2025. So lange dauert es, um die unterschiedlichen sozialen Leistungen, die Kindern heute zustehen, bei einer Stelle zusammenzuführen und die digitale Grundlage zu schaffen, um das Geld direkt an die Betroffenen auszuzahlen. Aus der Grünen-Fraktion heißt es aber, die Kindergrundsicherung müsse jetzt dringend in die Finanzplanung aufgenommen werden. Und ja, die Ausgaben dafür stünden dann durchaus in Konkurrenz zu den Bundeswehrmehrausgaben.
Dass die von Pistorius geforderten zusätzlichen 10 Milliarden Euro für die Bundeswehr aus regulären Haushaltsmitteln kommen, sieht Grünen-Haushaltspolitiker Sven Kindler jedoch nicht. „Aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr sind erst 13 Milliarden verplant“, verweist Kindler auf den vor einem halben Jahr beschlossenen Topf.
SPD-Spitze bremst Pistorius
Auch aus der eigenen Partei bekommt Pistorius Gegenwind, etwa von SPD-Chefin Saskia Esken, die ebenfalls auf den Sondertopf zeigt. Doch selbst wenn Pistorius mit seinem Vorstoß zurück ins Glied beordert wird, reicht das nicht, um einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen. Der ist bereits ohne Sonderwünsche in zweistelliger Milliardenhöhe überbucht, wie die Aufstellung des Finanzministeriums zeigt. Woher also zusätzliches Geld nehmen?
Selbst in der FDP denkt man nun über Steuererhöhungen nach. Selbstverständlich nicht für Reiche oder Unternehmer:innen. Deren Belastung will die FDP verringern. Stattdessen plädieren Teile der Fraktion dafür, Ausnahmen von der Mehrwertsteuer zu streichen. Für die Grünen-Finanzpolitikerin Katharina Beck der absolut falsche Schritt. „Denn Verbrauchssteuern wie die Mehrwertsteuer belasten kleine und mittlere Einkommen mehr“, so Beck zur taz. „Gerade mit Blick auf die immer noch sehr hohe Inflation wäre eine umfassende Erhöhung von Verbrauchssteuern zugunsten genereller Senkungen von Unternehmenssteuern ein soziales Unding.“
Mitte März will die Regierung die Eckwerte für den Haushalt 2024 und den Finanzplan bis 2027 beschließen. Das Nachdenken darüber, wie man die Balance zwischen Einnahmen und Ausgaben hinkriegt, dürfte danach noch mal Fahrt aufnehmen. Und der eine oder andere Brief wird vielleicht noch geschrieben werden.
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