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Fehlende muslimische SolidaritätFadenscheinige Ausreden

Das habe nichts mit dem Islam zu tun: So lautet die Ausrede für die Verbrechen des iranischen Regimes.

Menschen solidarisieren sich in Berlin mit Protestierenden im Iran Foto: Florian Boillot

E s ist schon erstaunlich: In Ostkurdistan, Iran und Afghanistan gehen Fe­mi­nis­t*in­nen unter Lebensgefahr auf die Straße, und die Solidarität vieler migrantischer Menschen und Organisationen hierzulande hält sich bei denjenigen, die bei antimuslimischem Rassismus zu Recht lange laut sind und dazu arbeiten, in Grenzen.

Das hat verschiedene und immer fadenscheinige Gründe. Einer ist, dass man denkt, was dort passiert, habe ähnlich wie bei islamistischen Anschlägen nichts mit dem Islam zu tun. Auch Außenministerin Annalena Baer­bock bedient diese These, etwa in der aktuellen Stunde im Bundestag zum Thema Iran nach Jina (Mahsa) Aminis Tod. Wie man darauf kommt, einem Regime, das jede einzelne Entscheidung mit dem Islam begründet, genau das abzusprechen, bleibt ein Rätsel und schwächt den Kampf gegen Islamismus.

Auch bei einigen Mus­li­m*in­nen ist diese These zu einem Abwehrreflex geworden, den man bei Weißen, wenn es um ihren Rassismus geht, so oft kritisiert. Baerbocks Worte im Bundestag und anderswo zu ihrer feministischen Politik kann man so lange nicht ernst nehmen, wie ihre unfeministischen Taten, wie das Durchwinken von Waffenexporten für Saudi-Arabien, gegen sie sprechen.

An viele Mus­li­m*in­nen muss man aber offenbar appellieren, sich endlich mit allen Mitteln gegen Islamismus zu stellen und dieses Feld nicht Rechten zu überlassen. Dafür muss man sich damit auseinandersetzen und kann nicht einfach sagen, das hat mit mir nix zu tun. Damit bedient man auch keinen antimuslimischen Rassismus, denn es geht um Systeme und Menschen, die den Islam als Grundlage für die Unterdrückung von anderen benutzen, auf politischer, gesellschaftlicher und kultureller Ebene, im privaten wie im öffentlichen Leben, auch hier in Deutschland. So selbstbewusst muss man schon sein, das zu durchschauen.

An die eigene Nase fassen

Die feministischen Proteste in Ländern wie Iran, wo Frauen mit Hidschab neben Frauen ohne Kopftuch demonstrieren, könnten hier zum Anlass genommen werden, eigene islamisch-patriarchale Strukturen genauer zu untersuchen. Wo bleibt die Soli mit denjenigen, die auch hier zu bestimmten Dingen gezwungen werden, die ihren Mann um Erlaubnis fragen müssen, die ihren Freund verheimlichen müssen, die nicht queer sein dürfen, die Gewalt erfahren? Wo bleibt die Solidarität mit den Frauen und Queers in den Heimatländern der Eltern, in denen man so gerne Urlaub macht und die auch starke feministische Bewegungen haben?

Es kann doch nicht sein, dass Tausende Frauen und Queers in islamisch geprägten Ländern ihr Leben für die Freiheit lassen, und hier entscheidet man sich dafür, in einer Opferhaltung auszuharren, deren teils islamistischen Ursprung man nicht hinterfragt. Handfeste Solidarität ist nicht nur nötig, sondern auch eine Chance für das Erstarken feministischer Bewegungen hier und überall, gegen Rechte und eben Islamist*innen.

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23 Kommentare

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  • Ich habe die Günen gewählt, und erwarte jetzt auch eine grüne Aussenpolitik. Kein Waffendeal mit den Saudis und eine glühende feministische Aussenpolitik zum Iran. Und nein, die These, die Vorkommnisse im iran hätten nichts mit dem Islam zu tun ist eine katastrophale Fehleinschätzung. Es gibt keine reinere islamische Theokratie als den Iran. Frau Baerbocxk darf den iranischen Frauen, den regimekritischen Männern und Exiliranern nicht in den Rücken fallen. sie sollte sich zudem beim Thema Iran dringend fortbilden, um sich qualifiziert zum Thema äußern zu können.

  • "An viele Mus­li­m*in­nen muss man aber offenbar appellieren, sich endlich mit allen Mitteln gegen Islamismus zu stellen und dieses Feld nicht Rechten zu überlassen."

    Hat irgendjemand in DE schon mal eine atheistische Demonstration gesehen ( es gab & gibt ja so ein paar atheistische Diktaturen in der Welt ).

    Nö. Niemand. Warum will man dann Proteste nach Glaubensrichtung sortiert haben? Ich halte das für Dumfug. Die Gegensätze laufen nicht parallel dazu.

    • @Rudolf Fissner:

      Wenn allerdings Muslim:innen diskriminiert werden oder "falsche" Bilder gemalt werden, ist aber schon ein Zusammenschluss erkennbar. Aber plötzlich soll sie das nichts angehen?

      • @resto:

        Die Grenze im Iran verläuft nicht zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen sondern zwischen Liberalismus und Fundamentalismus.

  • Wenn die martialisch durchgesetzten Bekleidungsvorschriften, nur gültig für Frauen, nix mit dem Islam zu tun haben, warum gibt es die nicht auch in nicht-islamischen Gesellschaften?



    Und wer ernsthaft meint, dass das nichts miteinander zu tun hat, der darf auch keinen Zusammenhang zwischen sexualisierter Gewalt durch Priester und dem katholischen Zölibat herstellen. Hat dann auch nur einen assoziativen Zusammenhang

    • @Ignaz Wrobel:

      Wer als Mann denkt, dass das Patriarchat von Religiösen erfunden wurde und nicht von Männern will sich nur aus der Verantwortung schleichen.

      Es sind Männer, die weltweit unabhängig von Glauben oder Nichtglauben für Kriege, Gewalt, Vergewaltigungen, Folter verantwortlich sind.

  • Danke für den hervorragenden Kommentar!



    Eine kluge Freundin von mir hat mal gesagt: Der Islam ist ca. 600 Jahre jünger als das Christentum. Und die Phasen und Veränderungen, die das Christentum in den letzten 600 Jahren durchgemacht hat, muss der Islam noch durchmachen- sprich: Reformation, Glaubenskrieg mit irgendwann friedlichem Miteinander- Ökumene, Aufklärung mit Trennung von Staat und Religion. Hoffen wir, dass es schneller geht.

  • Die Situation im Iran hat genau so viel mit dem Islam zu tun, wie die bei weitem bessere Situation im toleranten Oman.

    Donald Trump (mit seinem fundamentalistischen Unterstützungskreis) hat genau so viel mit dem Christentum zu tun, wie Desmond Tutu.

    Natürlich gibt es eine Beziehung, nur muss diese Beziehung eben nicht zu solchen Verhältnissen wie im Iran führen und sie muss auch nicht zu den christlichen Fundamentalist:innen in den USA führen.

    Wenn aber jetzt die Unterstützung des Widerstandes der Bevölkerung und der Frauen im Iran als Ausdruck eines Kampfes gegen den Islam deklamiert werden würde, wäre das so ziemlich das dümmste, was wir tun könnten, jedenfalls dann, wenn wir die Proteste wirklich unterstützen wollen.

    Die Mullahs wollen es nämlich so sehen, und werden sich auf jede Äußerung stürzen, die dies als einen Kampf gegen den Islam an sich definiert.

    Alle - Muslim:innen oder Nicht-Muslim:innen sollten mehr Solidarität zeigen.

    Immerhin lese ich Folgendes:

    "Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) hat die Gewalt der iranischen Sicherheitskräfte gegen Demonstranten verurteilt. „Viele deutsche Muslime haben großen Respekt vor dem Mut der protestierenden Frauen auf iranischen Straßen“, sagte der ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek. "

    religion.orf.at/stories/3215305/

    Es ist also nicht so, dass alle Muslim:innen schweigen würden, aber lauter dürften sie werden.

    • @PolitDiscussion:

      Sie hat allerdings etwas mit Islamismus zu tun. Und das spricht der Artikel an.



      Und die Proteste sind sehr wohl ein Kampf gegen eben diese islamistische Ideologie, auf der das Regime im Iran basiert.

    • @PolitDiscussion:

      "Die Mullahs [...] werden sich auf jede Äußerung stürzen, die dies als einen Kampf gegen den Islam an sich definiert." So ist es.



      Danke auch, dass Sie die weit verbreitete Vorstellung kritisieren, iranische Verhältnisse ließen sich "aus dem Islam" (was immer das jetzt heißen soll) direkt ableiten. Das wäre ungefähr so, als würde man die ständestaatlich organisierten Faschismen des 20. Jahrhunderts (Franco, Salazar, Dollfuß, Tiso usw.) direkt "aus dem Christentum" ableiten.

      • @My Sharona:

        Sie behaupten allen ernstes hat nix mit Islam zu tun, d.h. die Autorin Amina Aziz mit ihrer Expertise schreibt hier Unsinn?



        Sie belehren die Autorin? was ist ihre Expertise? Ist das eine Variante von paternalistischem Kolonialismus? Haben Sie sich schon mal mit Familien, Personenstandrecht oder Strafrecht in Ländern mit Islam als Staatsreligion befasst? Abgeleitet aus Scharia? Die Spannbreite ist weit , aber gemeinsam ist, dass in keinem dieser Länder von der Gesetzgebung her gleichberechtigt sind. Und gerade über das Familienrecht wachen die islamischen Geistlichen egal wo.

        • @Bär Lauch:

          Interessant, was Sie aus meinem Kommentar so rauszulesen meinen - oder rauslesen wollen. Meine Aussage lautet doch ganz klar, dass eine reduktionistische Lesart der Verhältnisse im Iran, die "den Islam" zentralstellt, komplett inadäquat ist. Als gäbe es Klassenstrukturen, ethnische Gruppen, ein internationales Umfeld oder schlicht Geschichte nicht. Verschieden interpretierte und gelebte Praktiken des Islam gehören auch dazu, keine Frage, - im Iran, in der muslimischen Welt, in der Diaspora (die der Meinungsbeitrag ja direkt anspricht). Ab und an mal Schaum vor dem Mund oder Apelle (so und so sollen die Verhältnisse aber sein) sind schön und gut, aber nüchternes Verstehen (nicht Entschuldigen), Einordnen, Analysieren und Abwägen bedarf es eben auch. Und mein Eindruck ist, dass es davon zu wenig gibt.

    • @PolitDiscussion:

      Kennen Sie ein islamisches Land, in dem Frauen alle Rechte und Freiheiten wie Männer haben?

  • Man sollte Baerbock schon ernst nehmen. Das was sie sagt, hat böse Konsequenzen.

    Sie legitimiert die Ideologie, die hinter den Islamisten steht. Legitimert die getöten und gefölterten Frauen rund um den Globus.

    Baerbock hatte in einer Bundestagsrede behauptet, die Gewalt gegen Frauen in Iran – angeordnet von einem islamistischen Regime – habe mit Religion und Kultur "nichts, aber auch gar nichts zu tun".

    Ich hatte bereits vor der Bundestagswahl viele Vorbehalte gegen Baerbock. Jetzt toppt sie alles.

    Die Frauen im Iran, die gegen das Kopftuch und das islamistische Regime mit so viel Mut und unter Einsatz ihres Lebens protestieren, hätten wahrhaftig besseres verdient.

    Volle Solidarität!

  • Es sind ja nicht nur die Muslime, die sich zurückhalten. Es sind doch fast alle.

    Anders in Frankreich. 53 französische Schauspielerinnen und andere Prominente haben sich Haarsträhnen abgeschnitten, um damit ihre Solidarität mit den Kämpfenden im Iran zu zeigen:

    www.liberation.fr/...FEQ7FGP5VEQ4GNFRA/

    In Deutschland undenkbar.

    • @Jim Hawkins:

      Und dann ist da doch noch etwas:

      "Solidarität mit der feministischen Revolution im Iran: Über 500 bundesdeutsche Autorinnen, Schriftsteller*innen und Musiker*innen haben in einem offenen Brief den Protestierenden im Iran, die seit der Ermordung der 22-jährigen Jina Amini durch die Sittenpolizei in Teheran am 16. September auf die Straße gehen, ihre Unterstützung versichert."

      Deutschland, das Land der Offenen Briefe. Aber immerhin.

      www.nd-aktuell.de/...unterstuetzen.html

  • So ein guter Artikel!

    Und die Kommentarfunktion geblockt. Gab es zu viele positive Kommentare?

  • Es ist schon so, wie es Volker Pispers gesagt hat: Schuld ist nicht die Religion, die Politik, Hautfarbe oder das Geschlecht. Es gibt überall Arschlöcher. Und wenn die in Staaten die Macht haben, sind es Schurkenstaaten. D.h. Jeder Staat kann zum " Schurkenstaat" werden. Das geht nicht immer plötzlich. Manche Staaten sind auf dem Weg weiter als andere. Einige haben das Ziel bereits erreicht. Wenn die aber wichtige Rohstoffe haben, gibt es nur zwei Möglichkeiten..

  • Danke Amina Aziz für ihre offene Worte über ein Thema das uns noch lange beschäftigen wird.

    • 0G
      06455 (Profil gelöscht)
      @Jojo Schröder:

      Dem schliesse ich mich an!

  • Die Antwort könnte lauten: zu viele der engagierten Muslim_innen, insbesondere diejenigen, die sonst sehr gern das Kopftuch als persönliche Entscheidung feiern und jede Kritik daran abblocken, vertreten in Wirklichkeit eben doch den politischen Islam und finden staatliche Kleidungsgebote und ähnliche Scharia-Regeln tatsächlich gar nicht so schlecht.

    Aber es ist zu befürchten, dass dieser Erklärungsansatz zumindest auf der linken Seite des politischen Spektrums nicht weiter verfolgt werden wird.

    • @Suryo:

      "... zumindest auf der linken Seite ....nicht weiter verfolgt werden wird."

      Und genau das macht die Rechten stark. Ein Bärendienst.

  • Gratulation für diese exzellente Wiedergabe des aktuellen Zustandes hierzulande.