piwik no script img

Nach Eklat mit Olaf ScholzZwischenrufer vor Gericht

Ein Klimaaktivist hatte auf dem Katholikentag während Olaf Scholz’ Auftritt „Schwachsinn“ gerufen. Nun hat die Szene ein juristisches Nachspiel.

Olaf Scholz und die zwischenrufenden Klimaaktivisten beim Katholikentag im Mai 2022 Foto: Arnulf Hettrich/imago

Berlin taz | Der Klimaaktivist Simon Helmstedt, der während einer Podiumsdiskussion mit Olaf Scholz auf dem Deutschen Katholikentag am 27. Mai einen Zwischenruf machte, muss sich jetzt vor Gericht verantworten. Laut dem Amtsgericht Stuttgart werden dem 23-jährigen Studenten der Biologie Hausfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen.

So sei ihm in Anschluss an seine Zwischenrufe auf der Veranstaltung ein Hausverbot erteilt worden, dem er sich vorerst widersetzt habe. Danach sei er geflüchtet, aber von Po­li­zei­be­am­t:in­nen gefasst und festgenommen worden. Dabei habe er Widerstand geleistet, weshalb ein Beamter sich leicht verletzt habe. Das Gericht konnte nähere Details, etwa zur Art der Verletzung und der Frage, wer die Anzeigen erstattet habe, nicht nennen, weil sich die zuständige Richterin im Urlaub befindet.

Beim Auftritt des Kanzlers auf dem Katholikentag in Stuttgart hatte ein Aktivist versucht, die Bühne zu stürmen, wurde daran jedoch von Sicherheitskräften gehindert und weggeführt. Ein anderer Aktivist – Helmstedt – hatte laut „Schwachsinn“ gerufen, als Scholz gerade über den Ausstieg aus der Kohleverstromung sprach und die Arbeitsplätze, die dadurch im Tagebau verloren gingen.

Scholz hatte die Störungen mit den Worten kommentiert: „Ich sage mal ganz ehrlich, diese schwarz gekleideten Inszenierungen bei verschiedenen Veranstaltungen von immer den gleichen Leuten erinnern mich an eine Zeit, die lange zurückliegt, und Gott sei Dank.“ Klimaaktivisten hatten dies als Vergleich mit der Nazi-Zeit verstanden. So warf Luisa Neubauer von Fridays for Future Scholz vor, mit seiner Äußerung die NS-Herrschaft relativiert zu haben „und auf paradoxe Art und Weise die Klimakrise gleich mit“.

Fester forderte Richtigstellung

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Emilia Fester hatte Scholz dazu aufgefordert, seine Äußerungen richtigzustellen, und kritisierte ihn für seinen Kommentar. „Was auch immer Sie sagen wollten: Die erweckten Assoziationen wirken sowohl geschichtsrevisionistisch als auch herabwürdigend für die junge Klimagerechtigkeitsbewegung“, sagte Fester im Bundestag.

„Mir ging es nicht darum, Scholz bloßzustellen, sondern darum, dass unsere Gesellschaft die Klimakrise meistert“, sagte Helmstedt der taz. Gemeinsam mit zwei anderen Ak­ti­vis­t:in­nen wird Helmstedt im gleichen Prozess auch Hausfriedensbruch in einem anderen Fall vorgeworfen. Die Aktivisten waren auf einen Kran der Baustelle Stuttgart 21 geklettert und hatten ein Banner ausgerollt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

20 Kommentare

 / 
  • „ Ein Klimaaktivist hatte auf dem Katholikentag während Olaf Scholz’ Auftritt „Schwachsinn“ gerufen. Nun hat die Szene ein juristisches Nachspiel.“

    Die Formulierung ist falsch und sollte umgehend korrigiert werden.

    Dem darauf folgenden Text nach, hat nicht die Szene sondern das verhalten der Person danach ein Nachspiel.

    Durch die Überschrift wird suggeriert, das die Meinungsfreiheit eingeschränkt wurde. Das ist in diesem Fall eindeutig nicht der Fall gewesen. Auch wenn die Veranstalter bei der Anwendung ihres Hausrechts sensibler hätten vorgehen können. Durch Anwendung des Hausrechts die Meinungsfreiheit einzuschränken, wirft kein gutes Licht auf die Katholiken. Dieses gehört klar kritisiert. Wird dadurch doch etwas Öl auf das Feuer der andauernden Kritik an der Katholischen Kirche gegossen, die sich bekanntlich mit der Aufarbeitung von Missbrauch schwer tut.

  • Scholz braucht nicht als Zeuge zu erscheinen - er kann sich doch eh nicht erinnern - oder doch.......?

  • Tja, da haben die Veranstalter wohl vergessen ein paar Jubelperser im Saal zu platzieren.

  • Warum wird in der Einleitung der Eindruck erweckt, der Beschuldigte würde wegen des Zwischenrufes belangt. Es geht um Widerstand und Hausfriedensbruch. Oder gelten für solche „Aktivisten“ andere Gesetze als für den gemeinen Bürger ?

    • @Puky:

      Der Hausfrieden und dessen Bruch ist aber auf einer öffentlichen Veranstaltung die dem öffentlichen, politischen Diskurs dient durchaus etwas diffiziler zu handhaben als in einer Privatwohnung oder sollte es zumindest sein. Die Eskalation von Zwischenruf, Hausverbot, Polizeieinsatz mit gewaltsamer Festnahme und nachfolgender Gerichtsverhandlung hinterlässt meinem Eindruck nach doch ein recht großes Fragezeichen in Bezug auf Verhältnismäßigkeit, vor Allem aber auch in Hinblick auf das Demokratieverständnis des Katholikentages.



      Den Umstand, dass er dann weggelaufen ist und sich nicht einfach so hat festnehmen lassen als "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie fahrlässige Körperverletzung" zu werten ist dann eben die gängige Praxis der Polizei. Hätte er seinem Unmut über den Verlauf der Dinge Ausdruck gegeben wäre eben auch noch eine Anzeige wegen Beleidigung hinzugegekommen, etc. etc.



      Ein Bundeskanzler sollte schon in der Lage sein öffentlichen Widerspruch auszuhalten, andernfalls droht sich die ohnehin schon gefährliche Entfremdung von institutionalisierter Politik und Bevölkerung noch weiter zu vertiefen, gerade auch dann wenn die erhobenen Einwände sachlich korrekt sind.

      • @Ingo Bernable:

        "Den Umstand, dass er dann weggelaufen ist und sich nicht einfach so hat festnehmen lassen als "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie fahrlässige Körperverletzung" zu werten ist dann eben die gängige Praxis der Polizei. Hätte er seinem Unmut über den Verlauf der Dinge Ausdruck gegeben wäre eben auch noch eine Anzeige wegen Beleidigung hinzugegekommen, etc. etc."



        Ein Problem ist wohl, dass der Großteil der Staatsfixiert*innen und -gläubigen zusätzlich zu ihrer naiven/obrigkeitshörigen Haltung so gut wie keine Erfahrung von Repression und Einblicke in Polizeiwillkür hat, sie höchstens an Großdemos teilnehmen, am denen selten seitens der Polizei Recht gebeugt wird, als bei linken Demos bzw. anderen Protestformen. Ähnlih wie auf "Wenn die Polizei das gemacht hat, wird das schon so eine Gründe haben." wird wohl deren Meinung lauten.

  • Herr Scholz muss sich nicht vor Gericht verantworten, weil er "Schwachsinn" gerufen hat, sondern wegen Hausfriedensbruchs, Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte sowie fahrlässige Körperverletzung. Billiges Framing unter der Überschrift als Click-Bait? Vieleicht sollten einige Foristen vor diesem Hintergrund ihre Kommentare überdenken.

    • @Nachtsonne:

      Wäre doch mal was neues, wenn Herr Scholz sich tatsächlich für irgendwas verantworten müsste. Falschaussagen zum Beispiel.

      • @Tetra Mint:

        ;-), :-).

  • So im Hinblick auf die journalistische Sorgfaltspflicht:



    „ Ein Klimaaktivist hatte auf dem Katholikentag im Mai bei Scholz Rede „Schwachsinn“ gerufen. Nun muss er sich juristisch deswegen verantworten.“



    Das „deswegen“ macht den zitierten Text falsch. Der Klimaaktivist muss sich nicht wegen seines Zwischenrufs vor Gericht verantworten (so weit sind wir in Deutschland zum Glück noch nicht), sondern wegen seines Verhaltens nach Erteilung des Hausverbotes). Wobei man mit dem Veranstalter des Katholikentages schon mal darüber diskutieren sollte, ob es nach christlichem Verständnis tatsächlich angemessen ist, wegen eines Zwischenrufs (der jetzt keine absolute Entgleisung enthielt) ein Hausverbot auszusprechen.

  • Komisch, ich habe erst gestern eine Einstellung einer von mir ausgelösten Strafanzeige erhalten.



    Ich hatte eine Person für die Aussage in einem Online-Forum: "Dieser Mann (Anmerkung: Puti n) muss exekutiert werden." angezeigt.



    Für mich ist das ein Aufruf zu Mord (man kann Parallelen zu dem Mord an Walter Lübcke sehen). Die Staatsanwaltschaft Bonn hat mir geschrieben, das dies eine von der Meinungsfreiheit gedeckt "Unmutsbekundung" sei die keiner entsprechend Tat zu Grunde liegt.

    Man muss sich also nicht wundern, wenn in der Gesellschaft die Verrohung zunimmt. Oder traf es da nur den richtigen?

    Wegen einem Schwachsinn bei einer Diskussionsrunde solche Geschütze aufzufahren, bei anderen aber selbst Anstachelung und Aufruf zu Mord (wie soll der denn sonst noch erfolgen da dieser "rechtliche relevant" werden könnte, wenn dem Opfer schon das Messer oder die Knarre an den Kopf gehalten wird) so einfach durchgehen zu lassen.

    • @Daniel Drogan:

      Wenn Sie sich den Artikel genau durchlesen, werden Sie erkennen, dass die Person gar nicht wegen "Schwachsinn" vor Gericht gelandet ist, sondern wegen seinem Verhalten, als das Hausrecht durchgesetzt werden sollte.

      Die Überschrift ist falsch.

    • @Daniel Drogan:

      vom Juristen: Ich stimme Ihrem allgemeinen Rechtsempfinden durchaus zu, Moralisch ist es ganz richtig, dass Putin-Mord-Fantasien & das Abfeiern des feigen Mordes an einer jugen Frau Ausdruck von rechtsfeindlichen & niedrigen Gesinnungen sind, wie man sie in Deutschland nun einmal in der Breite der Bevölkerung vorfindet. Im vorliegenden Fall ist der "Aufruf" (kein Rechtsbegriff) allerding in der Tat nicht strafrelevant, weil er als "Anstiftung" tatsächlich eine konkret erfolgte oder zumindest versuchte Tat bräuchte, der er zuzuordnen wäre, & als "Volksverhetzung" geeignet sein müsste, den öffentlichen Frieden in Deutschland zu stören, woran Anklagen wegen dieses Straftatbestandes regelmäßig scheitern. Vor allem aber sollten sie davon ausgehen, dass solche Anzeigen dann auch gerne aus purer Überarbeitung rasch eingstellt werden. Für die personelle Ausdünnung & Überlastung unserer Justiz können Sie sich hier bedanken:



      Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)



      Vertreten durch den Parteivorsitzenden Friedrich Merz MdB und den Generalsekretär Mario Czaja MdB



      Klingelhöferstraße 8



      10785 Berlin

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    Die störenden Kritiker werden als Sand im Getriebe wahrgenommen, verunglimpft und verfolgt.



    Dabei verkörpern sie genau den Unterschied zwischen einer Demokratie und einer Diktatur.

  • Leider ist das (Scholzsche) Argument mit den Arbeitsplätzen im Tagebau gar kein Schwachsinn, solange wir das Existenzrecht von Menschen mit (der Pflicht zu) Erwerbsarbeit verknüpfen.



    Diese Verknüpfung gilt es aufzulösen, was nach meiner Wahrnehmung leider auch in der Klima- und Umweltbewegung noch nicht genug Leute verstanden haben.



    bge-rheinmain.org/jobismus

    Ich halte es für äußerst unwahrscheinlich, dass wir die Klimakrise, das Artensterben und was sonst noch an Krisen ansteht, ohne die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens in den Griff kriegen werden. Hoffentlich wird es bald gelingen, eine breite Allianz dafür zu bilden

  • Ein Wunder, dass die Anklage nicht gleich auf "Majestätsbeleidigung" lautet. Ich finde es schon sehr bedenklich, wenn Schwachsinn nicht Schwachsinn genannt werden darf, nur weil er von einem Bundeskanzler stammt. Der sich - nebenbei bemerkt - als Klimakanzler um sein Amt beworben hat. Und sich nun anmaßend zeigt und mit einem sehr selektiven Gedächtnis.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Je länger Ereignisse zurückliegen, desto besser können sich Menschen mit - ich sage mal Gedächtnisschwund daran erinnern.

    "Hausfriedensbruch", noch dazu in Anwesenheit des lieben Gottes, ist eben gefährlicher für das Überleben der Menscheit als politisch-administratives Versagen vor dem planetarischen Notstand.

  • "... erinnern mich an eine Zeit, die lange zurückliegt..."

    Ach. Plötzlich hat der Mann ein Gedächtnis. Der ist immer wieder für eine Überraschungen gut.

    • @tomás zerolo:

      Damit ist klar, daß er nicht die NS-Zeit meinte, sondern irgendwas ab 2017. Also doch den G20-Gipfel!