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Streit um Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­onEnteignung des Wählerwillens

Marie Frank
Kommentar von Marie Frank

Kurz vor ihrer ersten inhaltlichen Sitzung gerät die Enteignungskommission in die Kritik. Die Vorsitzende will die politischen Vorgaben unterlaufen.

Die Geschäftsordnung der Enteignungskommission sorgt für Unmut Foto: Jörg Carstensen/dpa

E s ist so eine Sache mit der direkten Demokratie: Fragt man die Bür­ge­r*in­nen nach ihrer Meinung, kommen dabei manchmal auch Sachen raus, die Po­li­ti­ke­r*in­nen nicht in den Kram passen. Wie beim Berliner Volksentscheid über die Vergesellschaftung von Unternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen. Vor dem Hintergrund explodierender Mieten hatte im September vergangenen Jahres mit gut 59 Prozent eine breite Mehrheit der Ber­li­ne­r*in­nen für den Gesetzesvorschlag der lnitiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ gestimmt.

Der rot-grün-rote Senat ist sich in dieser Frage weniger einig: Während die Linke das Vergesellschaftungsvorhaben voll und ganz unterstützt, sehen die Grünen darin lediglich ein letztes Mittel, die SPD lehnt das Ziel des Volksentscheids gänzlich ab.

Nun sollte man meinen, dass eine Metropole wie Berlin, die sich Bür­ge­r*in­nen­be­tei­li­gung groß auf die Fahne schreibt, diesen Wäh­le­r*in­nen­wil­len nicht einfach ignoriert oder gar sabotiert. Genau dieser Vorwurf steht jedoch im Raum. Bereits bei der Besetzung der Expert*innenkommission, die die Umsetzung des Enteignungs-Volksentscheids prüfen soll, hagelte es Kritik, weil die SPD vor allem ausgewiesene Ent­eig­nungs­geg­ne­r*in­nen benannt hat.

Kurz vor ihrer ersten inhaltlichen Sitzung am 9. Juni befindet sich die Kommission erneut in einer Legitimationskrise: Linke, Grüne und die Initiative „DW & Co enteignen“ werfen Kommissionschefin Herta Däubler-Gmelin (SPD) vor, die mühsam ausgehandelten politischen Vorgaben zur Arbeitsweise des Gremiums zu unterlaufen.

Öffentlichkeit wird ausgeschlossen

So soll laut einem von der ehemaligen SPD-Justizministerin vorgelegten Entwurf der Geschäftsordnung das Gremium seine monatlichen Sitzungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit abhalten. Dabei hatte der Senat genau das Gegenteil beschlossen: „Die Kommission gestaltet ihre Arbeit im Grundsatz öffentlich, damit die Prozesse transparent sind und die Ergebnisse hohe öffentliche Akzeptanz finden können“, heißt es im Einsetzungsbeschluss.

Auf Unmut stößt auch das Vorhaben Däubler-Gmelins, selbst an Abstimmungen teilzunehmen. Auch hier war die politische Verabredung eine andere: Die zwölfköpfige Kommission wurde zwischen den Parteien und der Initiative viertelparitätisch besetzt. Sollte die Vorsitzende nun mit abstimmen, drohen die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Ent­eig­nungs­kri­ti­ke­r*in­nen zu kippen.

Für die Grünen ganz klar ein „Foulspiel der SPD“, die Linke spricht gar von einer „Missachtung des Senatsbeschlusses“ und fordert die Einhaltung der „politisch verabredeten Rahmenbedingungen“.

Dazu gehört auch, dass die Kommission innerhalb eines Jahres „Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen der Umsetzung des Volksentscheids“ prüfen soll – und nicht, wie von der Kommissionschefin beabsichtigt, auch über Alternativen zur Vergesellschaftung diskutiert.

Immerhin haben sich die Ber­li­ne­r*in­nen klar für Enteignungen, und nicht für eine andere Mietenpolitik ausgesprochen. Diesen Wäh­le­r*in­nen­wil­len zu respektieren, gehört zu einer Demokratie dazu – egal, ob er einem passt oder nicht.

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Marie Frank
Leiterin taz.berlin
Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.
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17 Kommentare

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  • Seit wann interessiert sich irgendjemand für den Wählerwillen ?



    In Berlin schafft man es ja nicht einmal, eine ganz normale Bundestags- und Landtagswahl so zu organisieren, daß der Wählerwille sich auch im Parlament widerspiegelt.

  • "Für die Grünen ganz klar ein „Foulspiel der SPD“"



    Maulen die Grünen nur herum oder machen versuchen sie ihre Position durchzubringen? Immerhin hätten sie mit der Linke offenbar einen Koalitionspartner der gleicher Meinung ist. Oder kommt das Taktieren der SPD gelegen, weil mensch doch eigentlich nicht enteignen wolle, die SPD aber dafür in den kritischen Fokus gerät ...

  • Wenn eventuell bessere Alternativen nicht berücksichtigt werden, wird das eine Enteignung mit Sicherheit vor dem Verfassungsgericht zu Fall bringen.

    Die Hardcore-Enteigner fahren das ganze bereits jetzt mit Ansage vor die Wand.

    • @Rudolf Fissner:

      Ich glaube das ist auch das Ziel, dann kann man sich wieder bequem auf die Fundamentalopposition beschränken. Weil wenn man die Enteignung wirklich umsetzt wäre man ja dann auch verantwortlich für alle Konsequenzen = Enteignungskosten werden viel höher als gehofft, Betriebskosten sind viel höher als gehofft, keine neuen Wohnungen werden mehr gebaut, etc. etc.

  • Wenn irgendwelche Krisen oder Kriege woanders sind, rennen die Berliner:innen auf die Straße und protestieren. Ich frage mich, wann die Bürger:innen auch wegen der fragwürdigen, teilweise desaströsen Berliner Politik auf die Straße geht und demonstriert. Das gilt im übrigen nicht nur für den Volksentscheid, sondern für viele andere Schieflagen - sowohl auf Länder- als auch Bundesebene.

  • Warum setzen sich wissenschaftliche Erkenntnisse nicht um ? Einmal, weil die Wissenschaft sich viel zu sehr aufsplittet: Dem Klimaforscher fehlt die ökonomische Einsicht in die Wirkungsweise der Marktwirtschaft, die ja eigentlich für die Treibhaushausemissionen verantwortlich sind, auch wenn sie in ihrer Beeinflussung durch immer neue Konsumanreize die Öffentlichkeit mit ins Boot holt. Auch wenn sich politisches Handeln, wie zum Beispiel die militärische Unterstützung der Ukraine durch eine US-Regierung, als Schutzmassnahme in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte darstellt, sich im Grunde dahinter ökonomische Einflüsse tarnen. Und in Deutschland (mit seinem Versuch, seinen Einfluss in Europa gegenüber amerikanischen 'Interessen' zu erhalten!) mag es sein, dass ein 'weitsichtiger' denkender Kanzler Angst davor hat, dass sich sein Staat dabei überfordern könnte, mit immer weiterer Verschuldung und an Handlungsfähigkeit gegenüber den globalen ökonomischen Einflüssen verlieren könnte, ohne dass er das zugeben mag, nicht zuletzt, weil seine Klientel auf zunehmende Armut nicht eingestellt werden kann. Und eine öffentliche Debatte um wirtschaftliche Depression, die die Grünen überhaupt noch auf der Rechnung haben, können sich demokratischen Parteien in dieser Situation, wo es in der Ukraine um demokratische und Menschen-Rechte geht, derzeit kaum leisten, weil der/ die inaktive Wähler*in darauf gar nicht vorbereitet wurde. So kommt es dazu, dass eine Friede, Freude, Eierkuchen-Ministerpräsident in Kiel wiedergewählt wurde, weil -eine kleiner werdende Mehrheit- Zukunftsängste lieber verdrängt. Nur eine Frage: Warum wird inzwischen so viel Geld investiert in mehr oder weniger fragwürdige Gutachten, die den -weniger qualifizierten- Politkern Hilfestellung leisten sollen, wenn es auch oft nur um verharmlosende Fragen geht ? Wo bleibt der Ruf einer sich stark einmischenden qualifizierten Wissenschaft, die uns GEMEINSAM die wichtigen Krisen und Hilfestellung leistet ?

  • Grüne und Linke müssen jetzt ernsthaft darüber nachdenken, die Koalition mit der SPD aufzukündigen. Nachdem die Wahl in Berlin unregulär war, sollte auch ganz neu gewählt werden.

    • @Dorian Müller:

      Sehe ich auch so.

  • Die Vergesellschaftung (also die Enteignung zugunsten ein paar weniger Mieter) wird alles durcheinander wirbeln, jahrelang die Baubranche verscheuchen und am Ende gekippt werden. Genau so ein Griff ins Klo, wie der Mietendeckel. Es gibt nun mal Spielregeln für alle, auch für die Antikapitalisten.

    • @Magnus_15:

      Also, hier verstößt doch offenbar die SPD gegen "Spielregeln". Antikapitalistisch sind die, glaube ich, nicht. ;-)

      • @Uranus:

        "Immerhin haben sich die Ber­li­ne­r*in­nen klar für Enteignungen, [...] ausgesprochen."

        Nö.

        Die Berliner haben sich nicht für Enteignungen ausgesprochen, wenn diese zu teuer sind, nichts bringen oder den Wohnungsneubau zum Stillstand bringen.

  • Zur Demokratie gehört auch dazu, dass das Ergebnis der Befragung nicht rechtlich bindend ist und dass die gewählten Volksvertreter eine Entscheidung treffen müssen.

    • @DiMa:

      Zu unserer Demokratie gehört auch, dass die gewählten Volksvertreter einem das Blaue vom Himmel versprechen, nichts davon halten und einem nachher dafür wildfremde Menschen erklären, dass das gut und demokratisch sei.

      • @pitpit pat:

        Mag wohl so sein, ist jedoch in diesem Fall nicht zutreffend, da Frau Giffey ihre Ablehnung bereits vor der Wahl zum Ausdruck gebracht hat.

        Sie setzt lediglich um, was sie ihren Wähler versprochen hat. Ist wohl demokratisch.

        • @DiMa:

          Nein, sie hat gesagt, dass sie das Volksbegehren ernstnimmt. Tut sie aber nicht und bescheisst dabei noch die Koalitionspartner.



          Ist wohl demokratisch.

  • Die Spezialdemokraten haben in NRW ja durchaus schon erfahren dürfen, was der Wähler von ihnen hält.

    Und daher: Liebe SPD, macht weiter so, ihr seit auf dem richtigen Weg !