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Verträge begünstigen KriegsstaatRussland verdient auch ohne Gas

Laut den Gasverträgen müsste auch bei einem Embargo Geld nach Russland fließen. Der Kreml profitiert auch von den hohen Preisen.

„In den ersten beiden Wochen des Krieges floss mehr Gas aus Russland nach Deutschland als zuvor“ Foto: Peter Kovalev/ITAR-TASS/imago

Berlin taz | In der öffentlichen Debatte über ein mögliches Ende des Gasbezugs aus Russland wurde ein Aspekt bisher wenig thematisiert: Die langfristigen Lieferverträge für Erdgas beinhalten in der Regel Klauseln, aufgrund derer die Käufer des Erdgases verpflichtet sind, eine Mindestmenge auch dann zu bezahlen, wenn sie diese nicht abnehmen.

Dieser Pflichtanteil ist in der Regel sogar hoch: „Bei den langfristigen Gasverträgen sind sogenannte Take-or-Pay-Klauseln üblich“ sagt Thekla von Bülow vom Beratungsunternehmen Aurora Energy Research in Berlin. „Dabei werden bis zu 80 Prozent der maximalen Liefermenge als Mindestabnahme fixiert, die der Kunde auf jeden Fall bezahlen muss – egal, ob er sie abnimmt oder nicht.“ Zwar sind die einzelnen Importverträge nicht öffentlich zugänglich, doch in der Branche insgesamt sind das die üblichen Konstellationen.

Zugleich erlauben die Verträge aber auch eine Mehrabnahme, innerhalb eines gewissen Rahmens. Diese Option wurde offenbar jüngst in Anspruch genommen: „In den ersten beiden Wochen des Krieges floss sogar mehr Gas aus Russland nach Deutschland als zuvor“, sagt von Bülow. Vermutlich nutzten in dieser Situation deutsche Importeure ihre zugesicherten Kontingente maximal aus, um noch bestmöglich ein paar Reserven aufzubauen.

Die Take-or-Pay-Klauseln im Erdgasmarkt haben eine lange Geschichte. Sie entstanden mit der Erschließung der Erdgasfelder im niederländischen Groningen in den 1960er Jahren, um für die Pipelines eine langfristige Finanzierung zu sichern. Als 1973 das erste Erdgas aus Russland nach Deutschland kam, setzte man diese Praxis fort.

Preise an die Börse gekoppelt

Neben der Menge sind in den Verträgen natürlich auch die Preise des Importgases definiert. Meistens sind diese variabel. Früher waren sie oft am Ölpreis indexiert – in einer Zeit, als der Erdgasmarkt noch wenig liquide war und die Gasbranche sich durch eine solche Preisbindung mehr Planungssicherheit erhoffte.

Mit zunehmendem Absatz von Erdgas und der Liberalisierung des europäischen Gasmarktes in den 2000er Jahren wurden die Verträge jedoch zunehmend an die sogenannten Hub-Preise gekoppelt, also an kurzfristige Börsenpreise. Auch in den oft über Jahrzehnte abgeschlossenen Gaslieferverträgen mit Russland sind die Preise inzwischen größtenteils Spotmarkt-indexiert. Fatale Konsequenz dessen: Russland profitiert seit Kriegsbeginn von den gestiegenen Gaspreisen in Europa.

Unterdessen sind die Verträge beim Flüs­sig­erd­gas (LNG), das über Tankschiffe rund um den Globus geliefert wird, mitunter anders gestaltet. Während Katar als einer der führenden Lieferanten seine Mengen zu großen Teilen auch langfristig verkauft, liefern die USA ihr LNG in großem Stil über sogenannte FOB-Verträge, was für „Free on Board“ steht. In diesem Fall kann das Schiff oft jenes Terminal ansteuern, an dem der Energieträger gerade am meisten Geld bringt. So entscheidet sich mitunter sehr kurzfristig, in welche Weltregion das Erdgas geht.

Für die politische Bewertung der Gasimporte aus Russland ist das Wissen um die Art der Verträge ein wichtiger Aspekt. Denn das Ziel, mit einem Importstopp Putins Kriegswirtschaft die Einnahmen zu entziehen, könnte angesichts dieser Konstellation unerreichbar sein. Erstmalig öffentlich hingewiesen auf die betreffenden Klauseln in den Gasimport-Verträgen hatte kürzlich die Akademie Bergstraße für Ressourcen-, Demokratie- und Friedensforschung. Deren Leiter Henrik Paulitz erklärte: „Es könnte die kuriose Situation entstehen, dass Deutschland weit überteuertes LNG-Gas beispielsweise aus den USA bezieht und zugleich an Russland Überweisungen für heiße Luft vornehmen müsste.“

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30 Kommentare

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  • 1G
    14231 (Profil gelöscht)

    Für all jene, die denken man könne die Verträge einfach brechen:

    Zum einen stellt dies eine Steilvorlage für Putin dar, die westliche Vertragsbrüchigkeit propagandistisch auszuschlachten, zum anderen bringt das brechen vertraglicher Vereinbarungen eine Schwächung der eigenen Glaubwürdigkeit und Kreditwürdigkeit mit sich. Da spielt es auch keine Rolle, wer der Vertragspartner ist oder weshalb Vereinbarungen nicht gehalten werden. Es ist auch nicht das gleiche wie die hoheitspolitische Maßnahme, Vermögenswerte sanktionierter Staaten oder Personen zu sperren.

    Der beschriebene Sachverhalt bedeutet im übrigen aber auch, dass es Putin nicht ganz so leicht von der Hand gehen würde, Gaslieferungen einfach einzustellen, schließlich verliert Russland seine Ansprüche damit gänzlich.

    • @14231 (Profil gelöscht):

      Angesichts der Tatsache, dass Russland die Grenzen der Ukraine bereits 1991 vertraglich anerkannt, diese nach dem Ende ukrainischer Atomwaffen sogar nochmals garantiert und damit überdeutlich bewiesen hat, wie sehr es auf Verträge pfeift, kann man sich da selbst noch an Verträge mit Russland gebunden sehen?

    • @14231 (Profil gelöscht):

      Das wird man wohl hinnehmen müssen, Putin schlachtet ja selbst noch die Massaker der eigenen Truppen propagandistisch aus. Wie soll da Rücksicht darauf nehmen können welche Lügen er jedweder Handlungsweise entgegensetzen könnte?

    • @14231 (Profil gelöscht):

      Und das Beharren auf Verträgen mit Kriegsverbrechern bringt keinen Verlust an Glaubwürdigkeit und moralischer Verlässlichkeit mit sich???

      Sie finden es also rühmlich und ehrenhaft, sich an Verträge zu halten, die letztlich zum Tod von tausenden und aus klimatischer Sicht von Millionen Menschen führen werden?

    • @14231 (Profil gelöscht):

      Glaubwürdigkeit und Kreditwürdigkeit?



      Wie wäre es mit Menschenwürde?



      Und...Putin schlachtet alles aus. Selbst die gar nicht stattgefunden Verfehlungen.

  • pacta sunt servanda?

    Im Grunde versucht der Autor den Grundsatz „pacta sunt servanda“ zu erklären. Das deutsche Recht kennt hingegen den Tatbestand der „Störung der Geschäftsgrundlage“ (§ 313 BGB). Ich kann mir kaum vorstellen, dass es für internationale Verträge nicht ähnliche Regelungen gibt. Hier hätte ich mir gründlichere Recherchen gewünscht. Wenn ein Angriffskrieg einschließlich abscheulichster Kriegsverbrechen keine „Störung der Geschäftsgrundlage“ ist, ja, was denn dann?

    Darüberhinaus finde ich die ganze Argumentation des Artikels merkwürdig. Das Geld eines Oligarchen auf meiner nationalen Bank einzufrieren, entspricht doch auch nicht den ursprünglich vereinbarten Regelungen und wäre folglich pfui bah? Und trotzdem wird es sehr erfolgreich eingesetzt.

    Wir erleben mit dem Überfall auf die Ukraine einen historischen Ausnahmezustand. Es geht doch gerade um - mehr oder weniger dosierten - Regelbruch in diesen Zeiten. Putin jedenfalls dürfte über die Bedenkenträgerei, die in diesem Artikel zum Ausdruck kommt, schallend lachen.

  • Wenn Putin darauf besteht, in Zukunft Rubel für sein Gas haben zu wollen, ist er derjenige, der die Verträge bricht. Da kann er sich seine Mindestabnahmemenge an den Nagel hängen.

  • Und mit keinem Wort wurde erwähnt, dass Putin auf Pacta sunt servanda doch schon geschissen hat. In den Verträgen steht auch eine Währung. Nur noch Rubel? Steht nicht in den Verträgen. Deren Gültigkeit wurde also von Putin aufgehoben. Was sollen uns da dann noch die Zahlungsverpflichtungen interessieren?

  • Gut, dass es auch noch Stimmen gibt, die nicht nur ihren Emotionen folgen...

  • Privatrechtliche Verträge sollen den Rahmen dafür setzen was politisch beschlossen werden kann? Ein sehr eigenartiges Politik und Demokratieverständnis ...

  • "Die langfristigen Lieferverträge"

    Wen interessieren die denn? Mit welchen Mitteln will Russland das durchsetzen?

    Russland bricht mit allen internationalen Regeln und führt Krieg und wir machen Mimimi, weil es irgendwelche Verträge gibt, die man nicht brechen darf?

  • Ernsthaft? Das ist doch nicht so schwer. Schon mal daran gedacht, dass wir die Verträge dann einfach brechen? Was soll Russland schon tun? Deswegen einen Krieg starten? Oder die WTO anrufen? Haha.

    • @Graustufen:

      Ganz so lächerlich ist das nicht, Russland bleiben durchaus einige Möglichkeiten, seine Forderungen zu befriedigen.

      Zunächst würde deutsches Eigentum in Russland enteignet. Nun, das ist nicht so schlimm, da wohl in erster Linie Eigentum des deutschen Staates betroffen sein wird und das dürfte nicht so sehr viel sein.

      Die zweite Option wäre, Forderungen aus dem Erdgasgeschäft mit fälligen Krediten zu verrechnen. Dies würde (international) Banken, Versicherungen und alle treffen, die in russische Staatsanleihen investiert haben. Und Russland hätte wohl sogar gute Chancen, damit durchzukommen. Schon bei der UN-Abstimmung über die Verurteilung des Angriffskrieges gab es eine Menge Abweichler. Wie würde wohl eine Abstimmung ausfallen, wenn Deutschland internationales Handelsrecht bricht? Also müsste Deutschland den Verlust hinnehmen und vermutlich die Gläubiger entschädigen.

      Und auf diesem (Um-)Weg werden dann die russischen Forderungen doch erfüllt...

      • @Cerberus:

        Beides ist bereits erfolgt. Deutsches Eigentum wird von Russland verstaatlicht. Und Kredite werden in wertlosen Rubel, frisch aus der Druckerpresse, beglichen. Beides ist schlimm, aber beides passiert bereits und kann also keine Konsequenz auf einen Bruch der Gasverträge sein.

  • Eine Frage, die vielleicht naiv erscheint: Wer kann mir erklären warum es so wichtig ist im Falle eines Embargos die Verträge hier einzuhalten und weiter zu bezahlen? Was ist der Mechanismus? Natürlich ist Vertragstreue ein wichtiges Gut, aber angesichts von Mord&Totschlag von Seiten eines Vertragspartners erscheint mir das doch eher sekundär?

    • @Tink Tank:

      Das ist die offensichtliche Frage, die sich auch der Artikelautor hätte stellen müssen. Selbstverständlich würden wir diese Verträge nicht einhalten. Russland gegenüber sind wir jetzt sicherlich keine Vertragstreue mehr schuldig.

  • In der Überschrift steht "Laut den Gasverträgen müsste auch bei einem Embargo Geld nach Russland fließen."

    Der Text hingegen sagt:



    "Die langfristigen Lieferverträge für Erdgas beinhalten in der Regel Klauseln (...) könnte angesichts dieser Konstellation unerreichbar sein (...) Es könnte die kuriose Situation entstehen..."

    Ich sehe hier sehr viel Konjunktiv. Lässt sich das nicht verifizieren?



    Immerhin steht ja nicht mal im Artikel, ob diese Verträge nun geheim sind oder nicht.

    Ein bißchen Recherche hätte dem Artikel gut getan.

  • Tja, wie so häufig scheint auch beim beliebten Putingasboykott der Teufel in einem kleinen, leicht zu übersehenden Detail zu stecken...

  • Sowie ein wichtiges Detail betreffend "Was eigentlich kann das Management".



    Gas wurde viele Jahre an den Ölpreis gekoppelt indexiert, später dann Festpreise. In Zeiten fallender Energiepreise wollte man dann weg vom Festpreis und hin zum Börsen Preis weil man unbedingt an fallenden Preisen partizipieren wollte. Blöd, dass es eben dann wenn es aufwärtsgeht auch höhere Preise zu akzeptieren sind. Es wurde dann meines Wissens komplett umgestellt und nicht, wie es vernünftig gewesen wäre einen gewissen Teil auch weiter zum Festpreis zu vereinbaren. Jetzt sind wir halt den Märkten ausgeliefert.

    • @Tom Farmer:

      Märkte kann man manipulieren, wir könnten die Preise kollektiv drücken. Ein m³ Gas könnten wir für 1ct kaufen, die restlichen 60ct Differenz zum wirklichen Gas Preis werden dann nicht mehr für Gas bezahlt sondern für einen Kugelschreiber. Der Kugelschreiber kostet dann eben 1 Milliarde €, dieses Spiel spielen globale Player schon lange mit Tochterunternehmen um Kapital an den Steuern vorbei zu schleusen. Wir spielen es jetzt eben um die Russen um ihr Geld zu bringen und trotzdem Gas beziehen zu können.

  • Wofür dann die Diskussionen? Die Bundesregierung wird zunehmend lächerlich.

  • Ja und ... ?! Es herrscht Krieg. Russland hat fast alle roten Linien überschritten. Was gelten da noch Verträge. Es wird mit Russland keine Geschäfte mehr geben, bis sich in Russland die Verhältnisse komplett verändert haben und die Kriegsverbrecher abgeurteilt sind.

    • @shitstormcowboy:

      Wie oft hat man solche Sprüche schon gehört?

  • Hallo Herr Janzing,

    was ist denn für den Fall vetraglich vereinbart, dass der Lieferant technisch garnicht liefern kann? Z.B. weil Pipelines zerstört sind.



    Kann ja passieren.

    • @yul:

      Passiert aber nicht. Die Ukraine fordert zwar ständig von uns, die Gasimporte zu beenden, lässt das Gas aber durch.

  • Pervers!

  • Danke für diese wertvolle Information. Das könnte denen den Wind aus den Segeln nehmen, die - nur um des eigenen moralischen Überlegenheitsgefühls willen - auf Sanktionen setzen, die weder effektiv noch effizient sind.