piwik no script img

Flucht vor Krieg in der UkraineSchutz für Deserteure gefordert

Wer nicht kämpfen will, soll Asyl erhalten, fordern NGOs. Vor allem Russen könnten sonst unbeabsichtigt in Verbrechen verstrickt werden.

Nicht schießen: Gewehr mit Knoten Illustration: Malte Müller/imago

Freiburg taz | Zahlreiche Organisationen der Flüchtlings- und Friedensbewegung fordern die Bundespolitik auf, sich für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus Russland, Belarus und der Ukraine einzusetzen. Diese sollen in Deutschland Asyl und damit ein gesichertes Aufenthaltsrecht erhalten. Initiiert wurde der Appell von Connection e. V., einer Initiative, die sich seit 1993 für Deserteure einsetzt.

Der Appell kann sich dabei vor allem auf zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofs stützen. 2015 urteilte der EuGH im Fall des US-Hubschrauber-Mechanikers Andre Shepherd, der nicht am Irakkrieg teilnehmen wollte. Ein Kriegsdienstverweigerer könne in Europa Asyl erhalten, so der EuGH, wenn er sonst mit hoher Wahrscheinlichkeit an Kriegsverbrechen teilnehmen müsste und die Desertion die einzige Möglichkeit war, sich dem zu entziehen. Im Fall Shepherd sah die deutsche Justiz zwar die Kriterien nicht erfüllt, aber die Maßstäbe können nun auch im Fall des Ukrainekriegs genutzt werden.

Im zweiten EuGH-Urteil von 2020 ging es um syrische Kriegsdienstverweigerer. Diese können in der EU den Flüchtlingsstatus (und nicht nur subsidiären Schutz) erhalten. Denn bei ihnen könne als Fluchtgrund vermutet werden, dass sie nicht an Kriegsverbrechen teilnehmen wollten.

Im Fall von russischen Deserteuren scheint ein Asylanspruch damit sehr nahe zu liegen. Schließlich bestreitet kein seriöser Beobachter, dass die russische Invasion in die Ukraine ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg ist, der mit zahlreichen Kriegsverbrechen an der ukrainischen Zivilbevölkerung einhergeht.

Schwierig wird es für Ukrainer

Rudi Friedrich von Connection sieht trotzdem mögliche Probleme beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). „Viele junge Männer, die Russland jetzt verlassen, um nicht in den Krieg ziehen zu müssen, tun dies, bevor sie einberufen werden, denn anschließend dürfen sie nicht mehr ausreisen.“ Das Bamf könnte daher bezweifeln, ob überhaupt eine konkrete Gefahr bestand, in der Ukraine eingesetzt zu werden.

„Hier wäre ein klares politisches Signal des Bundestags oder eine Anweisung von Innenministerin Nancy Faeser an das Bamf sehr hilfreich“, sagt Friedrich. Bisher sind ihm aber noch keine Asylanträge von russischen Verweigerern in Deutschland bekannt. Diese befänden sich derzeit noch in Ländern wie Georgien, Armenien, Serbien oder der Türkei, wohin sie visumsfrei ausreisen konnten.

Für junge Männer aus Belarus, die sich dem Krieg entziehen wollen, wäre die Lage noch prekärer, wenn sie in Deutschland Asyl beantragen. Denn bisher ist Belarus offiziell noch nicht Kriegspartei an der Seite Russlands. „Es ist aber sehr sinnvoll zu fliehen, bevor die Mobilmachung beginnt“, betont Friedensaktivist Friedrich.

Asylrechtlich am schwierigsten ist die Position ukrainischer Kriegsflüchtlinge. Denn bei der ukrainischen Armee geht es nicht um einen illegalen Angriffskrieg, sondern um eine gerechtfertigte militärische Verteidigung. Und ein generelles Asylrecht für Kriegsdienstverweigerer ist bislang weder in der EU noch in internationalen Verträgen anerkannt.

Nach der ukrainischen Mobilmachung von 2014 im Krieg um den Donbass flohen laut Connection Tausende Ukrainer nach Deutschland, erhielten aber kein Asyl. Ihre Begründung, dass sie nicht in einem Krieg kämpfen wollten, bei dem ihre Familien auf beiden Seiten der Front leben, galt nicht als asylrelevant.

Tatsächlich ist die rechtliche Position ukrainischer Deserteure aber gut – wenn es ihnen gelingt, das Land zu verlassen. Wie alle Ukrai­ne­r:in­nen können sie visumsfrei in die EU einreisen und erhalten ein dreijähriges Aufenthaltsrecht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • Die Bezeichnung des Krieges als "Spezialoperation" in der Ukraine ist nicht nur eine euphemistische Sprachregelung, die sich die russische Propaganda ausgedacht hat, sondern auch eine juristische Regelung. Russland hat bewusst, aus Angst vor der öffentlichen Meinung, keinen Kriegszustand ausgerufen. Weshalb Soldaten, die von Vorgesetzte die "Arbeitsanweisung" erhalten, in die Ukraine zu fahren, diese nicht befolgen müssen, wenn sie nicht wollen. Das gleiche gilt für Angehörige der Nationalgarde, in deren Arbeitsverträge "Auslandseinsätze" generell nicht vorgesehen sind. Solche Fälle gab es vom ersten Kriegstag an, und sich häufen sich, sowohl in den Streitkräften als auch bei der Spezialpolizei (OMON). Bei letzterer sollen es schon an die 800-1000 Fälle sein. Und neben einzelnen Soldaten, zuletzt gleich 60 Fallschirmjäger einer Eliteeineeit aus Pskow. Grundlage für eine Strafverfolgung dieser Dienst-Verweigerer gibt es nicht (offiziell íst ja kein Krieg), und dementsprechend bislang auch keine Strafverfahren. Es gab lediglich Entlassungen (wogegen die Betroffenen zum Teil vor Arbeitsgerichten klagen). Solche drohenden Entlassungen aus der Armee sind aber kein Asylgrund.



    Wer seine Rechte kennt, und nicht an diesem Angriffskrieg teilnehmen möchte, kann sich zur Zeit, ohne politische Verfolgung befürchten müssen, einfach weigern.



    Momentan sieht es auch nicht so aus, als ob sich das ändern wird. Die militärische Führung ist wohl eher darauf aus, diese Fälle unter dem Teppich zu halten, damit das Beispel nicht Schule macht.



    Falls der Kriegszustand ausgerufen und eine Generalmobilmachung ausgerufen werden sollte (wonach es bislang aber nicht aussieht), muss das natürlich neu bewertet werden.

  • Asylrecht für alle Kriegsdienstdeserteure, egal ob Russe, Weißrusse oder Ukrainer. Ohne wenn und aber!



    Der US -Deserteur André Shepherd wartet übrigens bis heute auf die Genehmigung seines Asylantrags.

    • @Andy Krisst:

      Bin völlig Ihrer Meinung. Ohne wenn und aber!

  • Juristisch bestimmt eine interessante Zusatzfrage, ab wieviel Prozent Uniformität genau man denn das Recht auf Zivilisation verliert. Nicht daß diese Entscheidung so unlösbar ist, wie das halbvolle bzw. halbleere Glas, welches selbst journalistisches Urgestein reihenweise in die Neurose treibt.

  • @WONNEPROPPEN, @KAPPERT JOACHIM

    Jaja, dann kommen ja alle her.

    Draussen ist Frühling. Gehen Sie mal ein wenig raus.

  • Bei wachsender Militarisierung der Welt erwarten wir dann Millionen Asylsuchende aus etwa 150 Ländern. Das sollte genau bedacht werden. Asyl für Menschen aus Militärdiktaturen (z,B. Eritrea, Myanmar) unterstütze ich voll. Für Russland, Belarus und Ukraine sehe ich diese Lage nicht.

    • @Kappert Joachim:

      "Asyl für Menschen aus Militärdiktaturen (z,B. Eritrea, Myanmar) unterstütze ich voll. Für Russland, Belarus und Ukraine sehe ich diese Lage nicht."



      Was unterscheidet jetzt die Russländer von den genannten Diktaturen genau?

    • @Kappert Joachim:

      Ich schon.

  • Ein generelles Asylrecht für Kriegsdienstverweigerer wäre mal ein echter Beitrag zum Weltfrieden.

    • @tomás zerolo:

      Öffnet halt wieder Tür und Tor für jeden jungen Kerl zwischen 18 und 30. In so ziemlich jedem armen Land herrscht Wehrpflicht.

      • @Wonneproppen:

        Das Gegenteil ist der Fall. Die meisten haben eine Berufsarmee.

      • @Wonneproppen:

        Na klar, die sitzen auch schon alle auf ihren Seesäcken und wollen sich auf den Weg machen.

        Natürlich sollte man Kriegsdienstverweigerern Asyl gewähren.

        Immer diese Angst, dass die sich dann im eigenen Vorgarten breit machen.

        Empathie? Fehlanzeige.

      • @Wonneproppen:

        "In so ziemlich jedem armen Land herrscht Wehrpflicht."



        In den reichen übrigens auch. Nur mal so.

      • @Wonneproppen:

        Man könnte es im Notfall soweit einschränken, daß der Kriegsfall eingetreten ist (Russland, Ukraine) oder droht (Belerus).

        • @Yvvvonnne:

          Wenn der Kriegsfall droht? Nach welchem Maßstab?



          Das wären dann im Zweifelsfall neben den genannten grundsätzlich



          Nachbarstaaten Russlands (-> Kasachstan, Georgien) oder Chinas (-> Taiwan). Vom afrikanischen Kontinent will ich gar nicht anfangen.

          Einschränken?

  • Für Russland dürfte das auf absehbare Zeit, die nächsten Monate auf jeden Fall, nichts bringen.

    Es gibt nur 2 Termine im Jahr, zu denen die Wehrpflichigen zum zwölfmonatigen Wehrdienst einberufen werden, die Herbst-Wehrpflichtigen zum 1. Oktober und die Frühlings-Wehrpflichtigen zum 1. April und die für April haben den Bescheid schon, die haben einen Beweis das sie einberufen wurden.

    • @Sven Günther:

      Desertieren kann man auch nach der Einberufung. Sogar direkt in der Ukraine. Natürlich bringt Schutz für alle Deserteure immer etwas. Zu wissen, dass es Schutz gibt, kann ein wichtiger Grund für die Entscheidung sein.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Meine Antwort bezog sich ausschließlich auf diesen Teil des Textes.

        „Viele junge Männer, die Russland jetzt verlassen, um nicht in den Krieg ziehen zu müssen, tun dies, bevor sie einberufen werden, denn anschließend dürfen sie nicht mehr ausreisen.“ Das Bamf könnte daher bezweifeln, ob überhaupt eine konkrete Gefahr bestand, in der Ukraine eingesetzt zu werden."

        Hier wird ein Problemszenario kreiert, das so aktuell schlicht nicht existiert.