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Über Kleidung und soziale KlasseDas Dilemma mit der Jeans

Ständig passiert es, die Jeans reißt im Schritt. Eine gute Lösung gibt es nicht. Doch lieber flicken, als neu kaufen, findet unser Autor.

Modische Emanzipation von den Eltern beginnt mit Streit darüber, was sie einem zum Anziehen geben Foto: Eugenio Marongiux/imago images

L etztens ist sie schon wieder gerissen. Da, wo sie immer reißt. Im Schritt. Ich weiß nicht, wie viele Jeans ich so schon verloren habe. Ich weiß auch nicht, warum sie immer genau an dieser Stelle reißen. Einmal dachte ich, ich hätte eine Lösung gefunden. Da bin ich zu einem Schneider um die Ecke gegangen.

Er hat geschmunzelt und mir eine fremde Jeans ins Gesicht gehalten, deren Schritt er zugenäht hatte. Weil der Schneider ein ehrlicher Schneider ist, sagte er, dass das vermutlich nicht lange halten werde, dass er das den Leuten immer wieder sage, dass manche trotzdem immer wieder mit derselben Jeans zu ihm kämen. Vielleicht liege es an der emotionalen Verbindung der Jeansträger zu ihren Jeans, so seine Vermutung.

Auch ich überreichte ihm dann zwei Jeans. Er flickte sie zusammen. Und beide rissen ein paar Monate später wieder an denselben Stellen. Jetzt liegen sie in einer Kommode, und irgendwas in mir treibt mich wider jegliche Vernunft wieder zu dem netten Schneider. Weil ich die Jeans nicht wegwerfen kann.

Weil ich Kleidung wegschmeißen fast genauso schlimm finde wie Essen wegschmeißen. („Was? Du kannst nicht mehr? Okay, komm, dann ess ich’s auf.“) Dabei ist mir überhaupt nicht egal, was ich trage. Kleidung begreife ich nicht als etwas vor allem Funktionales, wie sie meine Eltern begriffen, als sie noch die Hoheit über mein Outfit hatten: Hauptsache billig und halbwegs ordentliche Qualität. Meine modische Emanzipation von ihnen fing mit pubertären Streiten darüber an, was ich von ihnen zum Anziehen bekam. Ich hatte Ausdauer.

Diffuse Schuld beim Kaufen

So habe ich die Jeans von der teuren Skatermarke, die ich heute hässlich finde, auch irgendwann bekommen. Ich habe sie dann mit Scham getragen, weil ich natürlich wusste, dass es bei dem Modestreit nicht um Konvention oder Geschmack, sondern vor allem um Geld ging. Die erste Hose, die ich mit meinem eigenen Geld gekauft habe, hat sich ganz anders getragen. Klamotten zu kaufen, die ich schön finde, auch wenn sie ein bisschen was kosten, das war Teil meiner Klassenreise. Vor ein paar Jahren bin ich mit meinem Vater ungeplant in einem Klamottenladen gelandet. Im Schaufenster hing ein sehr schönes hellblaues Hemd. Drinnen habe ich es mir vor die Brust gehalten und ihn gefragt, ob er es auch schön findet. Er fand es: zu teuer.

Man bekommt Menschen aus ihrer Herkunftsklasse raus, aber die Klasse nie ganz aus ihnen. Deshalb fühle ich bis heute eine diffuse Schuld, wenn ich Kleidung einkaufe. Hübsche und elegante Hemden zu tragen war schon im Studium Teil meines neuen Selbstbewusstseins. Diese Hemden zu kaufen ist mir aber intuitiv immer noch eine Qual. Bei Hosen ist es nicht anders. Deshalb werde ich wieder zum Schneider gehen. Von dem Geld, das du fürs Flicken ausgegeben hast, hättest du dir viele neue Hosen kaufen können, wird er sagen. Ich werde etwas hilflos nicken und schnell das Gesprächsthema wechseln.

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Volkan Agar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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32 Kommentare

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  • Vielen Dank für Eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

  • Ich trage seid 50 Jahren jeans, mir ist noch nie eine im Schritt gerissen.

  • Ungewöhnlich, daß die Jeans im Schritt kaputtgeht. Ich sehe fast täglich junge Leute mit Querrissen der Hosenbeine, meist direkt an beiden Knien. Scheint mir das größere Problem zu sein.

  • Warum reißt die Hose im Schritt?



    Wegen eine zu kleinen Hose, mindere Qualität, zu volle Taschen und Gangart (Reiben)

    Da kann man auch unabhängig von der "Herkunftsklasse" was machen und volle Taschen sind bei manchen Herkunftsklassen ja schon per Herkunft nicht möglich.

  • Trage seit Jahren Modell Clarks der Marke Joker , saddle stitched.



    Noch nie sind die Nähte aufgegangen.

  • Alternative zum Flicken: Weiter tragen!



    Ich kann nicht nähen. Und ein Neukauf gebietet sich nicht. Außerdem tragen doch die vielen jungen Leute auch Löcher in den Hosen.

  • Hm, sollte da evtl. ein Zusammenhang bestehen zwischen dem "Was? Du kannst nicht mehr? Okay, komm, dann ess ich’s auf.“ und der ständig gerissenen Jeans? Zuviel essen -> dicker Hintern, dicke Schenkel -> kaputte Hose? 😂

  • Ich nehme seit meinen Punkzeiten immer Superkleber und Stoffreste zum Jeans flicken. Geht.

  • Es ist wohl auch ein Männer-Frauen-Ding. Ich habe mal ein Interview mit einer Frau gehört, die ein "Kleidermuseum" hat, die meinte, es gäbe nur Frauenkleider dort, weil Männer ihre Kleidung so lang tragen, bis sie auseinanderfällt. Ich habe kurz überlegt und es stimmt.

    Wenn ich etwas aussortiere, dann entweder so gut, dass es noch ein Bekannter oder Verwandter wie neu weitertragen kann - oder es ist nur noch für den Müll geeignet.

  • "Ständig passiert es, die Jeans reißt im Schritt."

    Bin ich hier die Ausnahme von der Regel?

  • Eigentlich tragen hippe Teens gar keine Jeans mehr:

    www.youtube.com/watch?v=n5kRnxF6bxQ

    • @Jim Hawkins:

      Jung - Who the fuck - is Bo … ? ???

      The Orijinol - the only one -



      Bo DIDDLEY - You Can't Judge A Book (1972) —



      m.youtube.com/watch?v=ayj7eqM2mx8



      “ You can't judge an apple by looking at a tree



      You can't judge honey by looking at the bee



      You can't judge a daughter by looking at the mother



      You can't judge a book by looking at the cover



      Oh can't you see



      Oh you misjudge me



      I look like a farmer, but



      I'm a lover



      Can't judge a book by looking at the cover



      Oh come on in closer baby



      Hear what else I gotta say



      You got your radio turned down too low



      Turn it up



      You can't judge sugar by looking at the cane



      You can't judge a woman by looking at her man



      You can't judge a sister by looking at her brother



      You can't judge a book by looking at the cover



      Oh can't you see



      Oh you misjudge me



      I look like a farmer, but



      I'm a lover



      You can't judge a book by looking at the cover

      Oh can't you see



      Oh you misjudge me



      I look like a farmer, but



      I'm a lover



      Can't judge a book by looking at the cover“

      • @Lowandorder:

        You can't book a judge?



        Dat wüss ich evver...



        Aber das ist wohl eine andere Geschichte

        • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

          Hab die berliner Adaption with a judge mal weggelassen - besser is das - 🎷 -

  • Naja, Herr Kollege!



    Wenn man selber nicht mehr so arg flexibel ist dann kriegt das halt die Hose zu büßen. Das soll die dann selbst irgendwie hinkriegen. Das kenn ich irgendwo her. Hab bloß grad vergessen woher.



    Egal! - Problemlösung: Hosen um 2 Nummern größer kaufen, Gürtel in die Tonne und endlich auf Hosenträger umsteigen. Ein wahrer Befreiungsschlag, das sag ich Ihnen. Diesen Freedom-Day wird Ihnen auch Ihr bester Freund danken.



    Nein, nix zu danken, passt schon! ... Hoffe ich jedenfalls.

  • Ah - the experts - 🙀🥳 - 👖👖👖 -

    Fang mal mit Klasse & Binnendifferenz ala Bourdieu an: “Is Opa K. ein Messi?“



    “Nö. Aber er schmeißt ungern was weg - weil er denkt - er könnte es noch mal gebrauchen. “Kriegskind“ halt.“ Ja - sie kennt ehrn Vaddern - ming Daughter!;)



    & öh… - 🤔 -



    Hosen/👖 durch via 🚲 - Schonn. Uns Ohl monierte den spitzen Hintern.



    Aber Jeans - reißend im Schritt? Never. Tragt ihr die beim Spagat? Oder was!



    Doch halt - meine 👩schlacksabgelegte mit den lila Flecken! Der Gerichtshit in Kölle! Doch - Am Hohen Göll - als vom Blitz weggesprengte Kletterseile erst am nächsten Tag ersetzt wurden & ich - verstiegen - 300 m unter mir das Schneefeld - nur noch spreizen konnte - ein letzter Ruck & ratsch - das gute Stück riß - im Schritt! Aber sonst in 60++ nicht.

  • Zwei Tipps an den Autor:

    1. Selbst zu Nadel und Faden greifen spart den Schneider.

    2. Kleidung in der richtigen Größe kaufen.

  • "Man bekommt Menschen aus ihrer Herkunftsklasse raus, aber die Klasse nie ganz aus ihnen."

    Das sind dann eben "Die feinen Unterschiede". Leute aus derselben Klasse erkennen sich in der Regel.

    Was geflickte Jeans angeht, ich hatte mal eine Freundin, die unter anderem, auf der Nähmaschine wie auf einem Flügel spielte.

    Sie verzauberte eine fadenscheinige 501 in eine Neily-Young-Look-A-Like-Jeans, wie sie auf der Rückseite von "After the Gold Rush" zu finden ist:

    richeff.blogspot.c...-youngs-jeans.html

    • @Jim Hawkins:

      Ein wunderschönes Cover, auch wenn es aufgeklappt wird: N.Y. in seiner jungen Pracht - nachdenklich und erschöpft - lang auf einer Couch gestreckt. Wahrscheinlich in einer Künstlergarderobe während einer Konzertpause, umgeben von seinen Gitarren. Eine Frau (seine Frau?) raucht in der Ecke eine Zigarette.

      Ich hatte seinerzeit auch so eine Jeans auf der über Knie und Oberschenkel ein sehr schöner Teppichrest mit verschlungenem Arabeskenmuster genäht war.

      Nun ja.



      Heute trage ich immer noch 501. Die es leider ohne Stretch (das ist diese Elastanseuche) nicht mehr in stonewashed zu kaufen gibt.

      Also kaufe ich mir die in dunkelblau ohne Elastan. Die braucht dann mindestens ein Jahr, bis sie einigermaßen annehmbar aussieht. Dann bekommt die allerdings vom vielen Radfahren schon erste Löcher an den Sitzhöckern und so.

      Jetzt habe ich folgende Taktik: Wenn sich das andeutet kaufe ich möglichst schnell eine neue Dunkelblaue und bringen dann das gute schon verwaschene Stück noch mal frisch aus der Waschmaschine gezogen zu einer herausragend guten Schneiderin aus der Türkei.



      Die flickt die dann mit Liebe und vollem Einsatz durch von Innen eingelegte und dann kunstvoll vernähte Jeansreste für einen Obulus zwischen 8 und 12 Euro. Einen fünfer lege ich dann noch oben drauf.

      Dann ziehe ich die neue zur Arbeit und die schöne Alte, jetzt inwändig Erneuerte und Verstärkte zum rausgehen an. Da ich mehr arbeite als rausgehe hält die Alte dann noch mal so lange. Bei mir hat sich da so ein 2 Jahres- Rhythmus eingespielt.

      Wenn die dann aber noch viel später dann auch auf den Oberschenkeln durchgeschlissen ist, kommen da keine Neil Young Teppichreste mehr drauf, die Zeiten sind vorbei.



      Dann geht's schlussendlich dann leider doch in die Tonne.

      All Things Must Pass (G.H.)

      • @Waage69:

        Und @ 🏴‍☠️: Knöpfe gehen gar nicht.



        Da brech ich mir die Finger ab, bevor ich die Blase entleert kriege, oder es dauert und -



        ...geht in die Hose...



        Muss nicht sein!

        • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

          Wenn man sich aber mal was im Reißverschluss einklemmt, da hat man dann lange Freude dran.

          • @Jim Hawkins:

            Auch wieder wahr, ist mir aber bis heute noch nicht passiert.

            • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

              Da haben Sie aber Glück gehabt!!



              ...und dazu gibt es sogar einen Beleg: in "Verrückt nach Mary" ist das Ben Stiller passiert. :-(

              Mit der 501 wäre er auf der sicheren Seite gewesen. Mit der 501 ist man immer auf der sichern Seite!

              • @Waage69:

                Kein Glück, Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!

                • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

                  Weiter so!

                  • @Waage69:

                    Ist ein bisschen wie bei Corona, wenn auch andere Baustelle 😷

      • @Waage69:

        Vielen Dank für diesen schönen Beitrag!

        Ich trage auch fast nur 501. Nur die Größe ändert sich im Lauf der Jahre.

        Leider bekommt man sie fast nie unwashed. In Paris fand ich mal einen Laden, der sie führte. Dort heißen sie Jeans brut. Ich habe einen ganzen Stapel gekauft.

        Ein Levis-CEO sagte Mal in einem Interview, dass er seine nie wäscht, sondern ins Gefrierfach legt.

        So halte ich es auch und die Jeans halten viel länger. Sauber werden sie davon nicht, aber es killt Bakterien und Sackratten.

        • @Jim Hawkins:

          Scheint ein Männerproblem zu sein. Mir ist noch nie 'ne Jeans anderswo als am Knie gerissen.

          Dear Jim, ich möchte Dir keine Illusion rauben, aber Tante T-online sagt, dass das Killen von Bakterien ein Mythos sei:

          www.t-online.de/le...-bakterien-ab.html

          Cin Cin, + habt Spass

        • @Jim Hawkins:

          In meinem Gefrierfach verstecke ich mein Geld: so habe ich immer cold hard cash! :-)