Ausstellung „Blue Jeans“ in Osnabrück: In die Hose gegangen

Das Museumsquartier Osnabrück widmet der Blue Jeans eine Ausstellung. Die platzt leider aus allen Nähten: Der kuratorische Zugriff fehlt.

Eine Jeans wird mit einem Stempel bedruckt.

Die Jeans ist ein Kleidungsstück mit künstlerischem Potenzial Foto: MQ4

OSNABRÜCK taz | Bildungsaufträge treiben zuweilen seltsame Blüten. „Gegen das Muffeln hilft die Blue Jeans an die Luft zu hängen“, so informiert die Ausstellung „Blue Jeans. Kult. Kommerz. Kunst“ des Museumsquartiers Osnabrück (MQ4). Echt? Hätte man nicht gedacht. Bei schlechtem Wetter gehe auch der Trockner, lernen wir, Dufttuch inklusive. Erkenntnisse, die das Leben leichter machen.

Im Jahr 2019 hatte das MQ4 die Karl-May-Ausstellung „Blutsbrüder“ gezeigt, in sensibler Balance zwischen Unterhaltung und Lerninhalt, von der Winnetou-Silberbüchse bis zum „First Nation“-Genozid. Jetzt ist der nächste Nostalgie-Mythos dran. Bietet ja auch prächtigen Erzählstoff, der legendenumwobene Denim-Kulturkampf: Revolte gegen das Spießertum, und all das. Design- und Wirtschaftsgeschichte lässt sich so erzählen, Polit- und Kulturthemen tun sich auf.

„Blue Jeans“ tritt an, den „Werdegang eines kulturgeschichtlichen Phänomens“ nachzuzeichnen. Eine Fülle von Botschaften, Fragen und Appellen strömt auf uns ein, von Genres, Exponaten und von pädagogischen Experimenten. Wer nichts auslassen will, lernt im MQ4 mehrere Gebäudeteile kennen. Oft hängt und steht das Gezeigte eng an eng; der Platz reicht dennoch nicht. „Blutsbrüder“ hatte Mut zur Lücke. „Blue Jeans“ hat ihn nicht.

Von der Ausstellung habe jeder etwas, verspricht MQ4-Direktor Nils-Arne Kässens. Ein Irrtum: Wer so auf alle zielt, wird zwangsläufig oberflächlich und erreicht am Ende möglicherweise niemanden so Recht.

„Blue Jeans. Kult. Kommerz. Kunst“, Museumsquartier Osnabrück, bis 10. 07. 2022. Die nächsten Termine im Rahmenprogramm:

Man erfährt was über Nietenhosen-Patentierer Levi Strauss und den US-Goldrausch von 1853, liest Zitate von Cardin bis Gaultier, sieht ein Ramones-T-Shirt und Robert de Niro in „Taxi Driver“, sieht Werbung von Levis bis Wrangler, sieht „Bravo“-Cover, ein DDR-Westpaket, das Foto einer Anti-AKW-Demo aus 1980 und, hinter Plexiglas, das Jinglers-Glöckchen. Für eine Familie, bedacht auf einen bunten Nachmittag, mag das funktionieren. Wer auf Hintergründe hofft, greift schnell zum sehr informationsgesättigten Begleitheft.

„Blue Jeans“ zeigt, was eine Ausstellung zeigen muss, die das konventionsferne Lebensgefühl spiegeln will, das in der Nachkriegszeit begann: Natürlich sind James Dean, Marlon Brando und Elvis Presley zu sehen. Es geht um Beuys und Hip Hop, Punk und Warhol. Es geht um Woodstock und das Filmmusical „Hair“. Wir sehen Kommunardin Uschi Obermeier oben ohne und Performancekünstlerin Valie Export unten ohne, in ihrer „Genitalpanik“-Aktionshose.

„Blue Jeans“ versetzt uns jedoch zugleich in die Färberzunft des Mittelalters. Wer will, kann eine Nähmaschine anwerfen und eine Nietenpresse drücken, kann sich in einer Umkleidekabine Fragen stellen wie „Welches Bild von mir möchte ich heute mit meiner Kleidung vermitteln?“, kann raten, wie viele Jeans am Eingang auf einem Haufen liegen, kann sich einen fast 16-stündigen Film von Wang Bing ansehen, der eine Arbeitsschicht chinesischer Näherinnen dokumentiert.

„Von der Goldgräberhose zur Fast Fashion“, Vortrag von Carl Tillessen ( Deutsches Mode Institut): 12. 5., 18 Uhr

„Denim im 17. Jahrhundert?“, Vortrag von Ninke Bloemberg (Centraal Museum, Utrecht): 19. 5. 18 Uhr

Studierende der Uni Osnabrück füllen Wissenslücken vom Re- bis zum Upcycling, vom Ökosiegel bis zur Nano-Bubble-Technologie für den Used-Look, vom Pestizid-Einsatz bis zu den Menschenrechtsverletzungen in der Textil-Produktion. Alles richtig. Aber besser und richtiger wäre Selbstbeschränkung gewesen: Auch das eindrucksvolle Begleitprogramm, vom Trendforschungs-Vortrag bis zum Jeans-Druck-Workshop, macht das nicht wett.

Und wer sich fragt, wie „Blue Jeans“ zum Zentralthema „Frieden“ des MQ4 passt, das nicht zuletzt des jüdischen Malers Felix Nussbaum gedenkt, der 1944 in Auschwitz ermordet wurde, braucht viel Abstraktionsvermögen: „Es geht ja um unser Verhältnis zur Umwelt“, erklärt Kässens, „um unser Verhältnis zu uns selbst, und das ist durchaus ein Aspekt von Frieden. Und es geht um Identität, eine Frage, die auch Nussbaum stark beschäftigt hat.“

Einer der stärksten Parts von „Blue Jeans“ ist der Ausblick in die Kunst. Er akzentuiert die Schau, und sei es, indem er die Geschichte der Erfindung der Leinwandhose durch Levi Strauss in Frage stellt durch ein Gemälde gleich am Eingang: Den Namen Maestro de la tela jeans – also der Meister des Jeans-Stoffs – hat man einem anonymen lombardischen Genremaler Anfang dieses Jahrhunderts verliehen. Mehrere seiner Ende des 17. Jahrhunderts entstandenen Bilder zeigen einfache Leute, Bettler, Kinder gehüllt in Jacken und Kleider aus Denim, grob und blau.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.