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Prozess gegen Linke Lina E.Schnell, brutal und unbekannt

Die Polizei durchsucht am Mittwoch Wohnungen von Linken in Leipzig-Connewitz. Vor Gericht zieht sich die Beweisaufnahme gegen Lina E. hin.

Durchsuchung im Leipziger Stadtteil Connewitz Foto: Jan Woitas/dpa

Dresden taz | Die Ermittlungen gegen die autonome Szene in Leipzig-Connewitz und das Umfeld der vermeintlichen Gruppe um Lina E. gehen weiter. Am Mittwoch durchsuchte die Polizei vier Objekte im Stadtteil. Den Betroffenen werden Brandstiftung, Sachbeschädigung oder Strafvereitelung vorgeworfen. Festgenommen wurde niemand.

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden wirft zwei der Beschuldigten, Paul M. und Henry A., vor, dem Lebensgefährten von Lina E., Johann G., beim Untertauchen geholfen zu haben – eine mögliche Strafvereitelung. Der 28-Jährige ist seit Sommer 2020 verschwunden und soll ebenfalls führendes Mitglied der Gruppe um Lina E. gewesen sein.

Zwei weiteren Beschuldigten wird der Vorwurf gemacht, 2019 einen Bagger angezündet und 2021 ein Gebäude in Leipzig beschädigt zu haben. Auch diese Taten gelten als linksmotiviert, haben aber keine Verbindung zum Fall E. Hier ermittelt die Staatsanwaltschaft Leipzig.

Lina E. wurde bereits im November 2020 festgenommen, seit September 2021 muss sich die 26-jährige Studentin mit drei Mitangeklagten vor dem Oberlandesgericht Dresden verantworten. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr vor, eine kriminelle linksextreme Gruppe angeführt zu haben, die mehrere brutale Angriffe auf Neonazis verübte. Es ist die schwerste Anklage gegen Autonome seit Jahren.

Die Beweisaufnahme bleibt zäh

Im Prozess gegen Lina E., der am Mittwoch fortgesetzt wurde, sorgten die Durchsuchungen für Irritationen und Verzögerungen. Ihr Verteidiger Erkan Zünbül forderte die Ermittlungsakten zu den aktuellen Razzien für das Verfahren an. Für eine faire Verhandlung müsse man wissen, um welche Vorwürfe es gehe und ob sie das Verfahren gegen Lina E. beträfen.

Im Prozess sagte am Mittwoch Maximilian A. aus, ein rechtsextremer Kampfsportler, der im Oktober und Dezember 2019 in Eisenach angegriffen wurde. Die Angriffe schreibt die Bundesanwaltschaft Lina E. und drei Mitangeklagten zu. Beim ersten Angriff, in der Szenekneipe Bull’s Eye, „ging alles ziemlich schnell“, weniger als eine Minute, sagte A. aus. Ein gutes Dutzend Vermummte sei in das Lokal gestürmt, hätte auf die anwesenden Gäste eingeschlagen. Er selber habe sich mit einem Barhocker verteidigt und nur einen Schlag auf den Arm und Pfefferspray abbekommen.

Beim zweiten Angriff, auf den Betreiber des Bull’s Eye, den Rechtsextremen Leon R., seien sie mit Stangen und wohl einem Hammer attackiert worden. Als sie sich in ein Auto flüchteten, sei auch dieses demoliert worden. Identifizieren könne er die Angreifer aber nicht, sagte der 21-Jährige. Beide Male sei aber eine Frau dabei gewesen, die zum Rückzug gerufen und mit einem Reizstoff gesprüht habe. Dass eine Frau beteiligt gewesen sei, habe ihn schon „gewundert“.

Solche Aussagen ziehen sich bisher durch den Prozess. Sechs Angriffe wirft die Bundesanwaltschaft Lina E. und teilweise den drei Mitangeklagten vor. Die bisher vernommenen Zeu­g:in­nen konnten die Angeklagten aber bisher nicht identifizieren. Auch deshalb gestaltet sich die Beweisaufnahme zäh, das Gericht verlängerte die Prozesstermine bereits bis in den Sommer hinein.

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11 Kommentare

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  • Der deutsche Staat zeigt immer wieder, dass er kaum gewillt ist, konsequent gegen Faschismus vorzugehen. NSU-Akten geschreddert, weggeschlossen, Nazis zu Einzeltäter*innen gemacht, Faschist*innen in Parlamenten, Polizei, Armee und Ämtern ... Gleichzeitig gibt es Hetze, Übergriffe und Morde. Die Losung "Nie wieder Faschismus" ist zu einer hohlen Phrase verkommen. Aus dem Eindruck heraus kann mensch verstehen, dass Antifaschist*innen nicht bereit sind, diesem "Treiben" tatenlos zuzugehen. Das wie der Aktionen mag diskutabel sein, das ob nicht. Was der Staat eben auch anhand der Bilanz der Strafverfolgung zeigt, ist, dass er über Gebühr gewillt ist, gegen Linke und weitere politische Menschen, wie Klimaaktivistis, die reibungslose Kapitalverwertung stören wollen, vorzugehen.

    • @Uranus:

      "Das wie der Aktionen mag diskutabel sein". "Uranus" zeigt seine Verachtung für den Rechtsstaat. Da hilft auch der Hinweis auf Taten von Faschisten nicht. Kommentar bearbeitet. Bitte halten Sie sich an die Netiquette. Die Moderation.

      • @Gustav Hoch:

        Wie ich beispielhaft aufzeigen wollte, sind Ausgewogenheit, Konsequenz und Verhältnismäßigkeit als Beschreibungen für staatliches Handeln in vielen Teilen nicht gegeben. Rechtsstaat wäre, wenn überhaupt ein Ideal, was offenbar in der Realität so nicht existiert. Zumal ja noch der größere Rahmen hinzugedacht werden müsste, der die angeblich neutrale Justiz/Staat von grundauf auf eine schiefe Bahn stellt: Die gesellschaftlichen Verhältnisse, die das Justizsystem/der Staat widerspiegelt und reproduziert.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    Ohne die Traumata der angegriffenen, zB. rechtsextremen Kampfsportler wirklich relativieren zu müssen stellt sich schon die Frage, wie im Vergleich dazu zB. angesichts der Opfer gegen den NSU vorgegangen wurde.



    In Sachsen.

  • Über ein Jahr sitzt nun Lina im Knast. Ob sie an den Taten beteiligt war weiss man nicht.

    Nicht gerade... vertrauenerweckend, nicht?

    • @tomás zerolo:

      Die Hauptangeklagte im NSU Prozess saß über 5 Jahre ohne rechtskräftiges Urteil. Es ist durchaus üblich, daß Straftäter lange auf ihr Urteil warten müssen und dann schon "sitzen". Dies wird im Allgemeinen der schwere der Straftat und der Flucht- / Verdunkelungsgefahr geschuldet sein.

    • 0G
      05989 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      Vorsichtshalber ist bereits das Strafverfahren Strafe!

      • @05989 (Profil gelöscht):

        Ob berechtigt oder nicht, wissen wir ja derzeit nicht.



        Und wenn das Gericht zweifel an der Schuld hat, wird es entsprechend entscheiden. Bisher haben die Zweifel an einer Schuld jedoch nicht ausgereicht, um die U-Haft auszusetzen.

        • @DerHorst:

          Es gibt leider kein (justiz)historisches Beispiel aus der Geschichte und Praxis der Bundesanwaltschaft und mit ihr arbeitender (Staatsschutz)Gerichte, so es gegen das geht, was (auch) in diesem Milieu staatlicher Institution "links" oder "linksextrem" genannt wird,



          für das der berühmte Satz "im Zweifel für die / den Angeklagte/n zur Anwendung kommt.



          So ist es nun mal.



          Da kann sich ein linksliberal-demokratisches Milieu wünschen was es will.



          Diese demokratische Öffentlichkeit hat sich ja noch nicht einmal bemüht, mit dem Abstand von 30-40 Jahren hunderte Prozesse gegen sogenannte "Unterstützer der RAF"..."legale RAF" dahingehend zu untersuchen oder zu begreifen: Lauter Prozesse, Urteile, sehr sehr lange Haftstrafen, auf der Basis von Beweisaufnahmen und Urteilen, die keine rechtsstaatlichen Überprüfung standhalten.



          Klingt wie eine ziemlich radikale Behauptung. Aber radikal ist nur diese Tatsache.



          Man sollte halt nicht dabei stehen bleiben festzustellen, das letzte "ehemalige NSDAP-Mitglied" sei in den 90er Jahren in der Bundesanwaltschaft in Pension gegangen. Weiss ja auch kaum einer wer Generalbundesanwalt Rebmann, oder Alexander von Stahl war. Letzterer war sowas wie ein Vorgänger von VS-Chef Maaßen. Nach der Karriere in der Bundesanwaltschaft, wollte der aus dem Landesverband der FDP Berlin so etwas wie den Vorläufer der AfD machen.

          Es ist nicht so neu, dass Staatschutzprozesse "gegen Linke" vor allem die Nachricht und Fähigkeit verbreiten sollen: Wie werden euch auch dann verurteilen, wenn uns die Beweise für eine Verurteilung eigentlich fehlen. Soll jede und jeder (Antifaschist) wissen.



          DAS ist die justizhistorisch belegbare "Generalprävention" und das Versagen der angeblich rechtsstaatlich-demokratischen Öffentlichkeit. Immer und immer wieder.



          Seit Jahrzehnten.

        • @DerHorst:

          Ehrlich? In Sachsen, wo es überall braun heraustrieft? Ich hätte gerne Ihren Optimismus. Die Bundesanwaltschaft hatte ihn nicht, als sie klandestin UNTER AUSLASSUNG DER SÄCHSISCHEN BEHÖRDEN ihre Aktion gegen die Nazibande in Freital startete. Soweit ich weiß, ein sehr rarer Fall, spricht aber Bände über die Justiz dort...

          • @Armand Armand:

            Überall? Sie haben nicht zufällig Vorurteile? Wenn ja, verschonen Sie mich bitte damit.