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Dreikönigstreffen der LiberalenChamäleon Lindner

Jasmin Kalarickal
Kommentar von Jasmin Kalarickal

Mit seiner Sowohl-als-auch-Rhetorik will der FDP-Chef das Potenzial seiner Partei vergrößern. Man darf sich davon nicht blenden lassen.

Talent zum chamäleonhaften Farbwechsel: FDP-Chef Christian Lindner beim Dreikönigstreffen Foto: Arnulf Hettrich/imago

W er Christian Lindners Rede beim diesjährigen Dreikönigstreffen verfolgt hat, der konnte vor allem eins sehen: einen nachdenklich wirkenden Redner, der sich durch alle wichtigen Themen arbeitet: Pandemie, Bildung und Soziales, Migration bis hin zu Klima und Wirtschaft.

Furchtbare Patzer gab es nicht, aber auch wenig, was hängen blieb. Das lag nicht nur am ruhigeren Tonfall, den sich der FDP-Chef in den vergangenen Monaten angeeignet hat – scharfe Oppositionsrhetorik wäre als neuer Hüter der Finanzen auch völlig deplatziert.

Das Ganze hat aber auch parteistrategische Gründe. Die Ampel birgt wahnsinniges Potenzial für die Liberalen. Die Union sitzt in der Opposition und hat auf ihrem Erneuerungskurs einen Mann der Vergangenheit hervorgekramt. Die Chance besteht darin, der Union den Platz der konservativ-bürgerlichen Mitte streitig zu machen – kein Wunder, dass Lindner betont, auch für Uni­ons­wäh­le­r:in­nen Politik machen zu wollen.

Die bürgerliche Mitte heißt rhetorisch übersetzt offenbar: sowohl als auch. Lindner zufolge gehe es in der Pandemie darum, „konsequenten Gesundheitsschutz einerseits mit möglichst viel gesellschaftlicher Freiheit andererseits“ zu verbinden. Bei der umstrittenen Impfpflicht erlaubt er sich, keine eindeutige Haltung zu haben. Er sei „nicht prinzipiell dagegen“, aber auch nicht „positiv entschieden“.

Die nächste Debatte zu sicheren Herkunftsstaaten kommt

Das Gleiche bei Einwanderungspolitik oder Klimaschutz. Menschen müssten „unbürokratisch zu uns kommen können“. Aber es brauche auch „tragfähige und in der Praxis funktionierende Rückführungs- und Migrationsabkommen mit anderen Staaten“. Bei Mobilität gehe es um das Fahrrad – und das Auto.

Diese Sowohl-als-auch-Rhetorik soll der FDP einen sozialeren Anstrich geben und ihr konservatives Profil in der Ampel stärken. Man darf sich davon nicht blenden lassen. Lindners Sprache verändert sich wie die Farbe eines Chamäleons, aber nicht seine politischen Überzeugungen. Das wird sich sicher bei der nächsten Debatte um sichere Herkunftsstaaten zeigen oder der ein oder anderen Herausforderung beim Klimaschutz.

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Jasmin Kalarickal
Redakteurin
Jahrgang 1984, ist Redakteurin im Parlamentsbüro der taz.
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20 Kommentare

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  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Man darf sich davon nicht blenden lassen.“ Sagenhaft, dieser Lindner. Wie ein König von Ithaka. „Odysseus war ein Blender.“ © polyphem.os (Aber vielleicht wird es ken Epos sondern nur eine Kurz-Geschichte.)

  • auch ein Wolf der Kreide frisst bleibt ein Wolf.

  • Ich finde den Kommentar unterkomplex: Sie sagen "ich mag ihn nicht. Glaubt ihm nicht." So wahr?

  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Dabei hat das blinde Huhn dann auch mal ein Korn gefunden. Lindner hat auf dem Dreikönigstreffen der Kernkraft eine Absage erteilt:

    "Manche träumen davon. Wo gibt es eine Bereitschaft für neue Anlagen? Wo gibt es private Betreiber? Wo gibt es privates Kapital? Wo gäbe es einen privaten Versicherer, der das Risiko der Kernenergie im Markt versichern würde? Das gelingt nur mit Staatshaftung. Für einen Marktwirtschaftler ist das bereits ein Anzeichen, dass Kernenergie auch ordnungspolitisch nicht vertretbar ist."

  • Mal vorneweg: Herr Lindner ist nicht mein Lieblingspolitiker und die FDP nicht meine Lieblingspartei. Aber er weiß, die Wege, die das Lebens innerhalb der Legislaturperiode nehmen wird, können überraschend sein.



    Insofern wäre es leichtsinnig, die eigene Ideologie wie eine Monstranz vor sich herzutragen und von vornherein alles auszuschließen, was nicht da hineinpasst. Falls man im Falle von erforderlichen Kompromissen eben doch nachgeben muss, steht man als Looser da. Oder anderenfalls als Schuldiger, wenn daran die Ampel zerbricht.



    Herr Lindner scheint das zu wissen. Er wird entscheiden, wie er das im konkreten Fall für nützlich hält. Mal sehen, wie konkret die Grünen ihrer bei ihrer nächsten Konferenz sind. Und was daraus wird, wenn es später hart auf hart kommt.

    • @Pfanni:

      Nun ja, die neoliberale Ideologie besticht ja geradezu darin, sich als ideologiefrei zu präsentieren, dabei alle anderen - Konservative wie Linke - unter Ideologieverdacht zu stellen ... der gesellschaftspolitische Kompromiss a la FDP bzw. Ampel zeichnet sich eben dadurch aus, dass in den entscheidenden Politikbereichen alles so bleibt, wie es ist, auch wenn nach außen hin "Modernität", "Fortschritt" und dergleichen suggeriert wird.

  • Es ist unerträglich und unverständlich, wie jemand mit diesen Typen eine Koalition eingehen konnte, in der sich jetzt eine FDP als Opposition in der Koalition aufspielt und sich in der Corona-Frage (Freiheit!) sogar noch der AfD annähert. Von diesen Demagogen abhängif Politik zu machen, ist ein Himmelfahrtskommando und beweist die Schwäche der 'Partner' !

    • @Dietmar Rauter:

      Die "Schwäche der Partner" liegt nun mal darin, allein nicht die Hälfte der Abgeordneten zu stellen.

  • Ach Gott....was täte das linke Lager eigentlich den ganzen Tag, wenn man sich nicht an der FDP abarbeiten könnte?

    Vielleicht lohnt sich dann ein Blick über den Tellerrand und eine kritische Berichterstattung darüber, warum Baerbock und Habeck einem Bundespräsidenten weitere fünf Jahre zugestehen, der weiß, alt und männlich ist?! Was für eine vertane Chance auf Erneuerung.

  • Ein bemerkenswert schlechter Text für taz-Verhältnisse.

    Erstens nämlich ist der Versuch, Rhetorik als Hüter zu platzieren, stets zum Scheitern verurteilt (da könnten sich Schäfer die Hunde sparen).

    Und zweitens sollte es ein seriöses Medium nicht nötig haben, wie wahnsinnig mit Jargon-Epitheta um sich zu werfen.

  • In einer weitgehend liberalen Gesellschaft fällt ihm nichts Besseres ein, als den Liberalismusbegriff beliebig zu instrumentalisieren und zu pervertieren. Ich warte darauf, dass Journalisten*innen, Medien und das Infotainment ihn endlich dazu stellt, dass er die 'Freiheit' seiner potentiellen Wählerklientel über die Freiheit der gesundheitlich betroffenen Mehrheit setzt.



    Neoliberalismus halte ich nicht für seinen Markenkern. Den würde er voraussichtlich sogar (eben chamäleonhaft) bekämpfen, wenn es seiner Partei dient. Und er wird auf noch haarsträubendere Ideen kommen, als die Freiheit gegen die Gesundheit in Pseudo-Position zu bringen, wenn er merkt, dass die Zustimmung zur FDP erwartungsgemäß wieder abnimmt. Ein gelbes Flackerlicht der Ampel.

  • Die FDP als neues Zuhause für CDU/CSU Wähler ist Lindnersche Wunschvorstellung und sonst nichts.



    Die aktuelle Sonntagsfrage zeigt leichte Verluste bei CDU/CSU und der FDP zugunsten der Grünen und SPD.

    Gruß vom Mondlicht

  • Die Neoliberalen wollen weiterhin die Fäden ziehen. Klare Absage 👎 dafür zumindest von mir.

  • "Lindners Sprache verändert sich wie die Farbe eines Chamäleons, aber nicht seine politischen Überzeugungen." Gott sei dank ist das so! Und ich denke bei der Leserschaft der taz ist das Risko relativ gering, dass die sich von Lindnern blenden lässt. Oder glaubt die Verfasserin, dass besonders viele FDP Wähler die taz lesen.

  • Ein schmieriger Typ...der kann sich noch so oft die Hände waschen, neoliberaler Dreck geht nicht ab...

    • @Struppo:

      Das ist ungefähr das gleiche wie die Linke. Die können sich auch die Hände so oft waschen wie sie wollen, sie sind die Nachfolge der SED.

      • @Rudi Hamm:

        Rudirallala - gähn. Aberse wisse scho - wiema'n männliches 🧠 auf Erbsengröße kriegt? Genau Genau 🌬 &



        le petit cheflereporter el Superhyperpipers Perle meinte unlängst völlig zu recht “alter 🤬“ Gellewelle! - &



        Nich zu bestreiten! Ja. Frauen sojet bedeutender Persönlichkeiten!



        Tun gern auch mal was bunt - die Wahrheit kund!;)) Na Gottseidank. Gell!

        Na Mahlzeit

  • Ja, Chamäleon trifft das.

    Er ist das Gesicht auf den Plakaten einer Werbeagentur. Auch das muss flexibel sein. Hauptsache seine Hauptauftraggeber (wer das sind? Schaut doch in den Parteispendenlisten nach) sind zufreiden.

  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    "Man darf sich davon nicht blenden lassen."

    Passiert mir nicht, denn ich habe Lindner von Anfang an für einen Blender gehalten.

  • Ob Corona oder Umweltschutz: "Wasch mich, aber mach mich nicht nass" ist die Devise der Stunde. Da ist Lindner natürlich nicht nur ganz vorne mit dabei, er ist immer schon Prototyp solch falscher Versprechen gewesen. Das ist seine Funktion und die der FDP: Versprechungen machen, die nicht einzuhalten sind.