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Intensivmediziner über Lage in Kliniken„Oftmals am Limit“

In den Krankenhäusern liegen immer mehr Covid-Patient:innen. Der Hamburger Klinikdirektor Stefan Kluge erwartet, dass die Zahl noch steigt.

Medizinisches Personal bei der Versorgung einer an Covid-19 erkrankten Person Foto: Tobias Wuntke/dpa
Marthe Ruddat
Interview von Marthe Ruddat

taz: Herr Kluge, die Corona-Neuinfektionen sind hoch, Ihre Kol­le­g:in­nen warnen vor einer drohenden Überlastung der Krankenhäuser. Wie macht sich die aktuelle Lage im UKE bemerkbar?

Stefan Kluge: Es ist wie in der Vergangenheit auch: Den Anstieg der Infektionen merken wir in den Kliniken erst verzögert. Die Personen, die positiv getestet werden, kommen erst etwa zehn Tage später ins Krankenhaus, weil sie erst dann entsprechend krank werden. Insofern erwarte ich in Hamburg und den Bundesländern, in denen die Inzidenzen weiter hochgehen, in den nächsten Wochen auch ansteigende Pa­ti­en­t:in­nen­zah­len.

Nun haben wir aber auch die Impfungen, die Menschen sehr gut vor Ansteckung und schwerer Erkrankung schützen.

Obwohl mittlerweile viele Menschen geimpft sind, gibt es nach wie vor eine Korrelation zwischen hohen Infektionszahlen und der Krankenhausbelegung, weil das Infektionsgeschehen diffus ist.

Inwiefern?

Wir wissen, dass sich zurzeit insbesondere Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene infizieren, und die werden sehr selten schwer krank. Aber es wird häufig ausgeblendet, dass kein Kind alleine wohnt, sondern da Eltern, Großeltern und andere Kontakte sind. Wenn ein Kind positiv ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich auch die Familie und das Umfeld infiziert, gerade bei der sehr ansteckenden Deltavariante, sehr hoch. Und wenn darunter ein ungeimpfter, 70-jähriger Großvater ist, dann haben wir ein Problem.

Was für Pa­ti­en­t:in­nen behandeln Sie denn gerade?

Wir behandeln auf der Intensivstation überwiegend ungeimpfte Patienten mit Risikofaktoren wie höheres Lebensalter, Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Das Alter geht von 25 bis 75 Jahre. Viele haben eine Sprachbarriere.

Im Interview: Stefan Kluge

53, ist Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Außerdem ist er Mitglied im Präsidium der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi).

Glauben Sie also, dass die Impfkampagne noch nicht alle Menschen erreicht hat?

Ja, das sehe ich so. Wir haben bei uns immer mal einzelne Impfgegner auf der Intensivstation liegen, die anderen, die nicht geimpft sind, würde ich als Impfzauderer bezeichnen. Diese Menschen sind nicht abgeholt, nicht ausreichend informiert worden. Und wenn ich durch Hamburg fahre und gucke, wo ich mich impfen lassen kann, dann sehe ich nicht genug Angebote. Bremen mit höherer Impfquote hat hier anscheinend mehr Menschen erreicht.

Nach Angaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) stehen rund 4.000 Intensivbetten weniger zur Verfügung als noch Anfang des Jahres. Warum ist das so und macht sich das auch bei Ihnen bemerkbar?

Das macht sich in ganz Deutschland bemerkbar und auch hier bei uns. Durch den deutschlandweiten Mangel an Pflegekräften hatten wir auch schon vor der Pandemie gesperrte Intensivbetten. Die Belastungen der Pandemie haben zusätzlich für einen Pflexit gesorgt: Viele Pflegende haben ihre Arbeitszeit reduziert oder sich nach anderen Berufen umgesehen. Das sorgt dafür, dass wir weniger Betten betreiben können.

Im vergangenen Jahr wurde ein System entwickelt, wonach Pa­ti­en­t:in­nen verteilt werden können. Gilt das weiterhin?

Wir haben in Hamburg immer auch Pa­ti­en­t:in­nen aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein behandelt und das ist auch jetzt so. Und es wird auch auf uns zukommen, dass Pa­ti­en­t:in­nen innerhalb von Deutschland verlegt werden müssen. Aber das Ganze ist ein unheimlicher organisatorischer Aufwand. Es ist auch für Pa­ti­en­t:in­nen nicht angenehm, Hunderte Kilometer transportiert zu werden. Auf dem Papier klingt das alles gut, aber es ist eher eine Notlösung. Ich gehe davon aus, dass auf Sicht auch eine Diskussion einsetzen wird, inwiefern welches Bundesland Pa­ti­en­t:in­nen aufnehmen kann. Die Krankenhäuser arbeiten oftmals am Limit.

In der Vergangenheit mussten auch Operationen verschoben werden, droht das nun wieder?

Erste Kliniken in Bayern oder Thüringen haben bereits damit angefangen. Die Patient:innen, die nach einer Operation auf einer Intensivstation liegen, haben in der Regel keine Hüftprothese. Das sind Menschen nach großen Herzoperationen, nach Tumoroperationen oder Transplantationen. Und diese Pa­ti­en­t:in­nen können nicht monatelang auf eine Operation warten. Meine Sorge ist im Moment, dass andere Pa­ti­en­t:in­nen – Notfallpatient:innen, aber auch die, die relativ kurzfristig operiert werden sollten – unter der Coronasituation leiden werden. Im Moment ist das bei uns noch nicht so, aber wenn ich mir die Zahlen anschaue, gehe ich davon aus, dass auch in Hamburg in den kommenden Wochen OPs verschoben werden.

Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung denn notwendig, damit die Überlastung der Kliniken verhindert wird?

Wir haben alle Maßnahmen an der Hand: die Impfungen, das Masketragen, den Abstand, das Testen. Es muss darum gehen, diese Dinge aufrechtzuerhalten. Aber die Impfquoten sind noch nicht ausreichend, wir haben zu wenige mobile mehrsprachige Impfteams und es wird überall suggeriert, dass wir die Masken nicht mehr brauchen. Dann das Ende der epidemischen Lage von nationaler Tragweite

Das halten Sie für keine gute Idee?

Es wird suggeriert, wir hätten alles im Griff und müssen uns keine Sorgen mehr machen. Stattdessen hätte man sagen müssen: Jetzt kommt der Herbst und der Winter, wir brauchen die Maskenpflicht in vielen Situationen und müssen besonders vorsichtig sein. Viele Menschen sind auch einfach verwirrt. Ich muss auch gestehen, wenn ich von Hamburg nach Niedersachsen fahre, weiß ich ad hoc auch nicht, wie dort die Regeln sind. Wir hätten vor der vierten Welle einheitliche bundesweite Regeln gebraucht. Diese Unterstützung haben wir nicht bekommen und das ist extrem schade.

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7 Kommentare

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  • @MOPSFIDEL

    Ich wollte Sie gar nicht "als Coronaleugner hinstellen", wo haben Sie das nur her?

    Wenn Sie von "Alarmismus in den deutschen Krankenhäusern" [ich zitiere wörtlich] sprechen, dann müssen Sie sich meine Frage auch gefallen lassen. Nochmal:

    Keine vollen Notaufnahmen? Keine überlasteten Pfleger*innen? Alles nur Marketing, um mehr Kohle abzugreifen?

  • @MOPSFIDEL

    Sie meinen, das bilden sich die Ärzt*innen alles nur ein?

    • @tomás zerolo:

      Haben Sie meinen Beitrag komplett gelesen? Wollen Sie thematisch etwas dazu beitragen?



      Sie wollen mich hier eventuell als Corona-Leugner hinstellen. Der Versuch wird Ihnen allerdings nicht gelingen.

  • Wie "gut", dass die taz nicht zu den Subventionen nachgefragt hat.



    Der Alarmismus in den deutschen Krankenhäusern geht in die Verlängerung. Man hat wohl erkannt, wie gut man damit durch die letzte Pandemiewelle gekommen ist. Zu keinem Zeitpunkt gab es - auch zum Glück - keinen Engpass. Ein exponentielles Wachstum bei der ITS Belegung ist derzeit nicht zu sehen, und dennoch wird wieder die dunkle Wand aufgefahren.

    Mit dem COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz geht es den Krankenhäusern zumindest finanziell betrachtet nicht schlecht. Freihalteprämien, 50T Euro Zuschuss pro neuem ITS Bett, Anpassungen der Honorarverteilung, reduzierte Rechnungsprüfung durch den Med. Dienst, Aussetzung der Qualitätsprüfungen, und so weiter.

    Es mag an Pflegepersonal mangeln. Dazu habe ich zu wenig Einblick. Die Hygienemaßnahmen sind durch Covid-19 auch nicht einfacher geworden. Und dennoch passt vieles nicht zusammen. Schon gleich gar nicht der ständige Alarmismus.

    • 0G
      05989 (Profil gelöscht)
      @Mopsfidel:

      Ich denke, dass das Problem einfach in der unterschiedlichen Belastung liegt. Wenn bayrische Landkreise Inzidenzen über 600 haben und Ostfriesland keine 100, dann hilft das den bayrischen Häusern überhaupt nicht, dass im Mittel nur 350 herrschen.

      Das Problem ist weiterhin die Pauschalierung im Gesundheitswesen.

      Aber an die eigentliche Lösung des Problems - Rekomunalisierung, aufwandsabhängige Abrechnung und strikte Tarifregelungen - will halt niemand mehr 'ran.

      • @05989 (Profil gelöscht):

        Ja, die momentan wieder etwas angespanntere Corona-Lage ist nur ein vergleichsweise kleines Puzzleteil.

        Das Personal in den Krankenhäusern hatte bereits in den Jahren vor Corona mit die schwersten Arbeitsbedingungen im Land und das zu vergleichsweise überschauberer Bezahlung.

        Dann wurden in der ersten Welle (die de facto gar keine richtige Welle war) deutschlandweit für viele Monate OPs aufgeschoben, ohne dass es merklich Corona-Fälle gegeben hätte, die das nötig machten. Seitdem sind die Kliniken immer am Limit, da der da geschaffene Berg an aufgeschobenen OPs zu keinem Zeitpunkt vollständig abgearbeitet werden konnte.

        Das, was momentan durch Corona an ITS-Fällen generiert wird, ist für sich genommen nicht der Rede wert. Nur durch das Missmanagement der Vergangenheit ist selbst das fast wieder grenzwertig, was Corona jetzt noch auslösen kann.

        Wir brauchen ein Umdenken im Gesundheitswesen. Bessere Bezahlung, dadurch mehr Ausbildungskräfte, um mittelfristig wieder ein leistungsfähiges System zu haben. Sonst wird das auch nach Corona nicht besser, im Gegenteil, die Spirale dreht sich momentan weiter abwärts.

        Davon auszugehen, dass wir in Deutschland ein gutes Gesundheitssystem haben, hat sich leider als Trugschluss erwiesen. Viele haben da wohl noch die Zeiten vor der Privatisierung im Kopf.

  • "Viele Pflegende haben ihre Arbeitszeit reduziert oder sich nach anderen Berufen umgesehen. Das sorgt dafür, dass wir weniger Betten betreiben können."-- die arbeitsbedingungen der pflegekräfte haben sich ja auch trotz applaus und anfänglichem medialen held_innen status nicht wirklich verbessert. kein wunder, dass da viele abspringen. und... dass wer sich nicht impft (und das könnte) unsolidarisch handelt wissen wir ja alle schon. schön dass wir in einem land, leben wo die gesellschaft solidarisch auch die mitschleppt, die so unsolidarisch handeln.