piwik no script img

Blumen für den Wahlsieger. Olaf Scholz lässt sich im Willy-Brandt-Haus feiern Foto: Daniel Biskup

Wahlsieger SPDWieder oben

Die Leidenszeit der Sozialdemokratie ist beendet. Olaf Scholz dringt auf das Kanzleramt – auf Samtpfötchen.

Stefan Reinecke
Nadine Conti
Von Stefan Reinecke, Nadine Conti und Andreas Wyputta aus Berlin und Essen

O laf Scholz verzieht am Sonntagabend in der Berliner Runde keine Miene, als Christian Lindner die Grünen umgarnt. Der FDP-Chef sendet eine überraschende Botschaft: Wir beide, Grüne und Liberale, machen aus, wer unter uns Kanzler wird. Verkehrte Rollen also. Dabei hat die SPD doch die Wahl gewonnen, sie ist zum ersten Mal seit 2002 stärker als die Union. Scholz’ Mimik bleibt unbewegt. Keine Reaktion. Ist das Schwäche? Oder Kalkül?

Ralf Stegner fühlt sich großartig. Er hat in Pinneberg das Direktmandat gewonnen. Stegner (61) zieht erstmals in den Bundestag ein. Es ist gleichzeitig ein Comeback – 2019 war der selbstbewusste SPD-Linke aus dem Parteivorstand geflogen. In der neuen SPD-Fraktion werden 48 Jusos vertreten sein, 26 davon haben ihren Wahlkreis gewonnen. Fast ein Viertel der SPD-Fraktion ist damit jünger als 35 Jahre – ein Novum.

Auch Carsten Schneider (45) fühlt sich „sehr gut“. Er hat in Erfurt direkt gewonnen, eigentlich ein CDU-Wahlkreis, und dabei noch die Grüne Kathrin-Göring Eckardt und Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow hinter sich gelassen. „Wir wurden lange ja nur noch mit Mitleid bedacht, haben aber unbeirrt weitergemacht“, sagt Schneider, der als parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion einen Schlüsselposten innehat. Die Sozialdemokratie, die als Relikt des 20. Jahrhunderts galt, ist wieder auf der Bühne. „Dieser Sieg verändert die politische Landkarte in Europa“, so Schneider vollmundig.

Erfolge also überall. Aber was ist der Sieg wert?

Vielen Sozialdemokraten ist aufgefallen, wie verhalten Scholz am Sonntagabend auftrat. Die Hoffnung der SPD ist, dass die Zeit für sie arbeitet. Dass der brüchige Friede in der Union nicht halten wird. Dass Laschet in einer Panikattacke gestürzt wird, sich ein Machtvakuum auftut und eine Jamaika-Koalition damit an Attraktion verliert. Dass den Grünen klar wird, dass sie nicht mit dem zerzausten, innerlich gespaltenen Wahlverlierer Union regieren können.

Diese Wahl war ja ein Ruck nach links – weg von der Union, hin zu SPD und Grünen. SPD, Grüne und FDP haben gewonnen, die Union hat verloren. Das soll sich am Ende auch in der neuen Bundesregierung widerspiegeln.

In der Herzkammer der Sozialdemokratie

Der Pullover, den der Sozialdemokrat Dirk Heidenblut am Abend der Bundestagswahl trägt, ist eine Liebeserklärung ans Ruhrgebiet: „Ruhrpott“ prangt auf dem dunkelblauen Sweater, „meine Heimat, meine Liebe“, und natürlich „auf Kohle geboren“. Mehr Ruhrgebiet geht nicht – denn der 60-Jährige tritt für die Sozialdemokraten im traditionell roten Essener Norden und Osten an.

Lange qualmten hier im Stadtteil Katernberg die Schlote der Kokerei Zollverein. Jetzt ist die Zeche Weltkulturerbe – und Heidenblut Favorit im Rennen um den Bundestagswahlkreis Essen II. „Ich bin immer positiv“, sagt der einstige Geschäftsführer des Arbeiter-Samariter-Bunds (ASB) deshalb, als er am Sonntagabend gegen 17.30 Uhr bei der Wahlparty seiner SPD ankommt.

Die Essener Ge­nos­s:in­nen feiern im Hinterhof ihres Parteihauses in der Innenstadt, haben eine leicht abgeranzte Dreifachgarage in eine hippe Partylocation verwandelt. Davor stehen weiße, mit Luftballons geschmückte Zelte. In der Garage liegen Sitzkissen, den Boden bedeckt ein abgewetzter Orientteppich. An den Wänden hängen gerahmte Bilder berühmter So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen wie Hannelore Kraft und Willy Brandt wie Familienfotos – Agendakanzler Gerhard Schröder findet sich verschämt versteckt in einer Ecke.

Hurrah, Freude in Essen, denn Dirk Heidenblut im blauen T-Shirt hat sich das SPD-Direktmandat geholt Foto: Andreas Teichmann

Trotzdem kommt um 18.01 Uhr kaum Stimmung auf – auf einem riesigen Fernseher sieht die erste ARD-Prognose SPD und Union gleichauf. Während im Berliner Willy-Brandt-Haus gejubelt wird, schweigen die allermeisten der etwa einhundert Ge­nos­s:in­nen in der Severinstraße. Hier im Ruhrgebiet, im roten Kernland Nordrhein-Westfalens, haben sie mehr erwartet.

Entspannter wird die Stimmung erst, als sich in den nächsten zwei Stunden der Vorsprung der SPD immer stärker herausschält. „Bei mir kann nichts mehr anbrennen“, lächelt Heidenblut um kurz nach 20 Uhr. Mit 37,8 Prozent wird er den Essener Norden am Ende holen.

Die SPD ist zurück

Heidenbluts Wahlkreis steht damit stellvertretend für das ganze Ruhrgebiet: Fast alle Direktmandate gewinnen hier die Sozialdemokraten. Auch bei den Zweitstimmen ist das Revier und sein Umland rot, ebenso Teile Ostwestfalens um die traditionelle SPD-Hochburg Bielefeld, der Süden Düsseldorfs und der größte Teil Kölns.

Dort hat der in der Pandemie auf allen Fernsehkanälen omnipräsente SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach seiner christdemokratischen Konkurrentin eine bittere Niederlage beschert. Gegen Nordrhein-Westfalens Integrations-Staatssekretärin Serap Güler gewinnt der Mediziner den Wahlkreis Leverkusen – Köln IV mit satten 45,6 Prozent.

Gereon Wolters (sitzend) erfährt kurz vor 22 Uhr, dass er das Mandat in Essen III verpasst hat Foto: Andreas Teichmann

Zwar bleiben der ländliche Raum Nordrhein-Westfalens, das Sauerland, der Niederrhein und das Münsterland schwarz. Für absolute CDU-Mehrheiten aber langt es auch dort nicht mehr. Selbst Friedrich Merz, Ikone des konservativen Wirtschaftsflügels der Union, holt im Hochsauerlandkreis nur 40,4 Prozent – noch 2013 waren hier für die Christdemokraten mehr als 56 Prozent drin.

Für die SPD aber reicht der Sieg in den Metropolen an Rhein und Ruhr. Sie sind in ihrem einstigen Stammland wieder stärkste Kraft, liegen bei den Erststimmen mit 31,1 und bei den Zweitstimmen mit 29,1 Prozent auf Platz eins. Von den 155 Bundestagsabgeordneten, die das bevölkerungsreichste Bundesland mit seinen knapp 18 Millionen Menschen im neuen, 735 Par­la­men­ta­rie­r:in­nen umfassenden Bundestag vertreten werden, sind 49 von der SPD und nur 41 von der CDU.

Bei der Wahlparty der Essener SPD aber bleibt die Stimmung bis in den späten Abend verhalten. Zwar geht auch der Wahlkreis Mülheim – Essen I souverän an den Sozialdemokraten Sebastian Fiedler: Der Vorsitzende des Bunds deutscher Kriminalbeamter marschiert dort mit 36,3 Prozent durch. Das Rennen im Wahlkreis Essen III aber, der den reichen Essener Süden ebenso umfasst wie das gentrifizierte Rüttenscheid, wird zum Wahlkrimi.

Gereon Wolters muss zittern – und verliert

Für die SPD fordert hier Gereon Wolters, Professor für Strafrecht an der Ruhr-Universität Bochum und stellvertretendes Mitglied des NRW-Verfassungsgerichtshofs, den christdemokratischen Finanzpolitiker Matthias Hauer heraus. Im Jahr 2017 hat Hauer hier das einzige Direktmandat der CDU im ganzen Ruhrgebiet geholt – jetzt hoffen die Essener Ge­nos­s:in­nen auch im Wahlkreis Essen III auf einen Sieg.

Ihre Hoffnung ist der durch und durch seriös wirkende Hochschullehrer Wolters. Der 55-jährige stellvertretende Vorsitzende der Essener SPD soll die Skandale vergessen machen, die seine Partei über Jahre erschütterten: Erst wanderte die graue Eminenz der Essener So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen, Willi Nowack, nach Korruptionsvorwürfen ins Gefängnis. Für bundesweite Schlagzeilen sorgte 2016 dann die Bundestagsabgeordnete Petra Hinz: Ihr Lebenslauf war komplett gefälscht. Die Sozialdemokratin hatte kein Abitur, nicht Jura studiert, ihr juristisches Staatsexamen erfunden – und deshalb auch nie als Anwältin gearbeitet.

Essens SPD erschien deshalb lange wie eine Partei im Zerfall. Das feine Netz aus So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen in Betriebsräten, Gewerkschaften, Vorfeldorganisationen wie dem Arbeiter-Samariter-Bund und städtischen Gesellschaften, das lange die Macht der Partei sicherte und das viele schlicht „roten Filz“ nannten, schien zerrissen. Im Rathaus regiert seit 2015 der Christdemokrat Thomas Kufen.

Auch Hoffnungsträger Wolters kann um kurz nach 18 Uhr seine Enttäuschung kaum verbergen. „Trauer“, das sei das Gefühl, das er jetzt spüre, nachdem er im Wahlkampf „so viel investiert“ habe, nachdem er „so viel gelaufen, so viel gekämpft“ habe, sagt er: „Ich fürchte, dass wird ein kurzer Abend für mich.“

Gefeiert wird bei der Essener SPD in einer Hinterhofgarage der Parteizentrale Foto: Andreas Teichmann

Um ihn herum üben sich Ge­nos­s:in­nen in Wahlkampfanalyse, die erklären soll, warum die SPD bundesweit nicht besser abgeschnitten hat, warum deshalb auch die Chancen in Essen III nicht gut stehen: Schröders Hartz-Reformen kosteten die Partei noch immer viele Stimmen, glaubt der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Holsterhausen. „Bei uns wurde noch nie jemand von den Agenda-Aposteln, von den Schröder-Jungs eingeladen“, sagt der 65-jährige Berufsschullehrer Benno Justfelder über die Stimmung in seinem Stadtteil.

Ab halb acht Uhr aber wird der Wahlabend für den SPD-Professor Wolters zur Achterbahnfahrt. Über zwei Stunden liegt er in den live auf die Bildschirme gespiegelten lokalen Auszählungen vor seinem CDU-Konkurrenten Matthias Hauer – mal beträgt der Vorsprung nur wenige Dutzend, mal beruhigendere 900 Stimmen. Wolters kann wieder hoffen, auf seinem Handy erreichen ihn erste Glückwünsche.

Die Essener Juso-Vorsitzende Sophie Kallweit analysiert dennoch nüchtern, warum die SPD im Bund nicht noch weiter vorn liegt. Vielleicht hätten sich zu viele junge Leute „auf dem Höhenflug vor zwei, drei Wochen, als uns manche schon bei 26, bei 27 Prozent sahen“, zu weit zurückgelehnt, fürchtet sie. „Vielleicht hätten wir auch das Klimathema noch weiter in den Vordergrund stellen müssen.“ Insgesamt sei der Straßenwahlkampf bei Jüngeren aber gut angekommen, sagt die Jungsozialistin.

Kandidat Wolters geht währenddessen durch ein Wechselbad der Gefühle. Um kurz vor 22 Uhr sind die SPD-Hochburgen seines Wahlkreises ausgezählt – und trotzdem liegt der CDU-Mann Hauer plötzlich vorn. Der Hochschullehrer hat Essen III nicht gewinnen können. Am Ende holt Hauer 46.639 Stimmen, für Wolters entscheiden sich 45.609 Wähler:innen. In Prozenten heißt das 30,72 für die CDU, 30,04 für die SPD.

Wolters versucht, die Niederlage mit Fassung zu tragen. „Ich kann mit diesem knappen Ergebnis leben“, sagt er, nachdem er lange angespannt mit gefalteten Händen auf die letzten Auszählungen geschaut hat. „Es ist nicht peinlich für mich – und ich falle ja nicht ins Bodenlose.“

„Eine Achterbahn“ sei der Wahlabend gewesen, sagt Essens SPD-Chef Frank Müller. „Ein lachendes, ein weinendes Auge“ habe er jetzt, freue sich für Heidenblut – und trauere mit Wolters. Danach macht der Landtagsabgeordnete seinen Ge­nos­s:in­nen Mut: „Wir sind wieder stärkste Kraft in Essen“, ruft er unter viel Applaus – bei der Landtagswahl im kommenden Mai müsse sich die CDU „warm anziehen“.

Dass gerade Essens SPD ihren Teilsieg auch dem starken Olaf Scholz verdankt, weiß Müller aber auch: „Demütig“ sollten die Ge­nos­s:in­nen im anstehenden Landtagswahlkampf bleiben, mahnt er. „Eine zweite Chance“ habe seine Partei „von den Bürgerinnen und Bürgern bekommen“ – mehr nicht.

Siegerlaune in Hannover

In Hannover feiert die SPD in der Nordkurve, dem Biergarten am Stadion, in dem sonst die 96-Fans zu Hause sind. So sind sie, die Sozis in Niedersachsen – Schotter, Bänke, Bier und Bratwurst – bodenständig, solide Sachwalter, im Wahlergebnis nicht so volatil wie anderswo, aber auch nicht unbedingt von Visionen geplagt. Ein bisschen so wie Olaf Scholz also.

Die ersten Reaktionen am Sonntagabend changieren irgendwo zwischen Erleichterung und Trotz. „Was haben wir uns nicht alles anhören müssen“, ist der Satz, der in Variationen am häufigsten fällt. Mit aller Macht haben sich hier viele in den letzten Wochen noch einmal in den Straßenwahlkampf geworfen, so präsent war sonst kaum eine Partei. Ein gewaltiger Kraftakt, eine große Geschlossenheit sei von der Partei ausgegangen, betont Ex-Generalsekretärin Yasmin Fahimi.

Mit Erfolg: Allein in und um Hannover hat die SPD vier Direktmandate abgestaubt, 25 Abgeordnete werden die niedersächsischen Sozialdemokraten insgesamt in den neuen Bundestag entsenden.

Und zumindest zwei Wahlkreise galten dabei keineswegs als sichere Bank: In Hannover-Süd musste sich ein Grüner auf den letzten Metern Yasmin Fahimi geschlagen geben. Und im nördlichen Umland, im Wahlkreis Hannover Land I, verlor der CDU-Vertreter sein Direktmandat an eine absolute Newcomerin, Rebecca Schamber (SPD).

Die WählerInnen haben gemerkt, dass die älteste Partei Deutschlands über die besten Rezepte für die Zukunft dieses Landes verfügt

Matthias Miersch, wiedergewählter SPD-Bundestagsabgeordneter aus Hannover

„Die Wäh­le­r:in­nen haben gemerkt, dass die älteste Partei Deutschlands über die besten Rezepte für die Zukunft dieses Landes verfügt“, sagt Matthias Miersch, bisher stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag, der seinen eigenen Wahlkreis zum vierten Mal gewonnen hat. Und hinter dieser etwas verqueren Formel verbirgt sich wohl das, was viele denken, aber niemand so gern offen sagen mag: Die Deutschen haben wieder mal ein bisschen Wandel gewählt.

Erst mal ein Bier im Willy-Brandt Haus: Erleichterung bei Olaf Scholz in der Wahlnacht Foto: Daniel Biskup

Das wollen sie jetzt unbedingt feiern: Zu den Klängen von „We will rock you“ von Queen laufen gegen Viertel nach acht die Direktkandidaten und der frisch gewählte Regionspräsident Steffen Krach geschlossen auf. Den darauffolgenden Song „We are the champions“ bricht man anfangs aber lieber erst noch ab – wer weiß, was da noch kommt.

Die sich abzeichnenden schwierigen Sondierungs- und Koalitionsgespräche sind durchaus geeignet, die Stimmung zu verhageln. Vor allem, weil die Schlüsselrolle der Grünen hier ein paar frische Wunden berührt.

Dass die sich aufgemacht haben, bei den Kommunalwahlen SPD-Hochburgen zu erobern, stößt vielen sauer auf. Groß war die Befürchtung, dass sich das in der Bundestagswahl fortsetzt, wie Fahimi durchblicken lässt: „Von den fünf Stadtbezirken, die „ergrünt“ sind, lagen letztes Mal vier in meinem Bezirk“, sagt einer. Aber zum Glück würden die Wähler wohl doch differenzieren, um welche Wahl es hier gerade geht, und nun seien die Grünen wieder „auf dem Boden der Tatsachen angekommen“. Unter den Tischen entsteht unwirsches Füßescharren, wenn die Fernsehübertragungen allzu lange bei den Grünen verweilen.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Matthias Miersch will das aber keinesfalls überinterpretiert wissen: „Es gibt doch trotzdem ein großes rot-grünes Herz hier in Niedersachsen und doch auch ganz viele Stellen, wo wir erfolgreich kooperieren.“

Der Experte für Klima und Energie setzt voll auf die Ampel, in einer Jamaika-Koalition würden die Grünen doch zerrieben, glaubt er. Davon wiederum versteht Miersch etwas: In seinen Fachgebieten ist er in den letzten Jahren von der CDU/CSU oft ausgebremst worden. Noch ein Grund, das bisschen Wechsel tunlichst zu feiern. Und zu späterer Stunde wird „We are the champions“ doch noch ausgespielt.

Olaf Scholz lockt die FDP

Am Montag steht Olaf Scholz im Willy-Brandt-Haus vor einem Wald von Kameras und Mikros und wirkt ziemlich relaxt. Und er sagt: Der „sichtbare Auftrag“ dieser Wahl sei, dass „die drei Wahlgewinner“, SPD, Grüne und FDP, regieren sollen. Es brauche eine sozial-liberal-ökologische Regierung, die für Fortschritt stehe und vertrauensvoll zusammenarbeite.

Fortschritt und Vertrauen – das ist Scholz’ Lock­angebot an die FDP. Eine Ampel wäre, anders als die schwarz-gelbe Regierung bis 2013, die für die Liberalen eine üble Erfahrung war, etwas Neues. Eine Ampelregierung müsse so agieren, dass sie wiedergewählt wird, sagt Scholz. Auch dieses Versprechen zielt auf die FDP, die 2013 nach der Streitkoalition mit Merkel aus dem Bundestag flog. Scholz lockt die Liberalen. Er findet es „okay, dass Grüne und Liberale sich treffen“.

Scholz will bald mit den beiden Parteien sondieren, wann genau, bleibt erst einmal offen. Nichts überstürzen. Die SPD will wohl abwarten, ob die Konkurrenz im Konrad-Adenauer-Haus der SPD nicht doch noch den Gefallen tut, sich selbst zu ruinieren. Man werde die Sondierungen „pragmatisch, bescheiden und mit großer Professionalität“ angehen, sagt Scholz. Das hat, trotz aller hübsch verpackten Präsentkörbe für die FDP, dann doch eine Subbotschaft. Sie lautet: Die SPD wird anders sondieren als Lindner, der am Sonntagabend wie ein Spieler auftritt, der sein Blatt überschätzt.

Stegner unterstützt Scholz’ Art, die Sache anzugehen. „Die SPD agiert, aber nicht auf der Bühne.“ Und: „Bei Verhandlungen muss man am Ende stark sein.“ Es soll sein wie bei der Wahl: Erst skeptisch belächelt, dann vorne.

Carsten Schneider, der gebürtige Thüringer, findet, dass es ein Unding wäre, „die SPD als stärkste Partei im Osten zu ignorieren“. Im Osten ist die SPD nach dieser Wahl die Konkurrenz zur AfD. Eine Regierung ohne SPD, so Schneider, wäre eine Schwächung des demokratischen Widerstands gegen die AfD.

Also die Ampel. „Das wird klappen“, sagt Schneider. „Alles andere wäre ein Desaster“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

18 Kommentare

 / 
  • Was wird, wenn die Grün-Gelbe 'Koalition' sich gegen Scholz entscheidet? Sie könnte ja für eine Zusammenarbeit mit den Schwarzen 'Christlichen' eine Bedingung machen: Laschi abservieren!

    vielleicht sogar einen parteilosen Kanzler auswählen!

  • Lindners gemeinsamer Nenner mit der SPD ist doch klar, deshalb die Vorverhandlungen mit den Grünen. Verhandlungen mit der SPD? "Radikal zurück zur schwarzen Null" heißt die Ampelformel, um Lindner an den Ampelknopf zu locken, und während Lindner mit den Grünen verhandelt, kann die SPD schon einmal üben, diese Formel zu buchstabieren.

    Was nicht heißt, dass keine Sozialpolitik möglich ist. Aber wohl eher durch Umschichtungen im Sozialbudget. Oder durch einen Mietendeckel bundesweit - kostet den Bund nix, spart aber Sozialausgaben (Wohngeld). Und das wichtigste: Ein Mietendeckel verschafft Juristen neue Beschäftigung im Streit um seine Auslegung. Und Anwälte gehören zum Mittelstand, also zur potetiellen FDP-Klientel.

    Das mit dem Anwaltbeschäftigungsprogramm geht übrigens auch prima mit neuen Umweltverordnungen, weshalb Klimaschutz auch vorkommen kann im Regierungsprogramm, denn so eine Ampel muss ja auch mal auf Grün schalten ;-)

  • KEINE MÄTZCHEN, HERR MÜTZENICH!



    //



    Hallo Herr Mützenich!



    Gestern da hörte ich/



    Etwas von "kleiner" Partei/



    Da seid ihr fast dabei/



    Mit einem Viertel Stimmen/



    Weniger ErstwählerInnen/



    Als Grüne und FDP./



    Es sollte die SPD/



    Nutzen Diplomatie/



    denn für Werben schadet nie/



    Freundlich sein mit Respekt/



    Da im Dilemma steckt/



    Nämlich Laschet mit drin:/



    So macht es daher Sinn/



    Kompetenzvoll die Fragen/



    Sachlich, um's nett zu sagen:/



    Souverän anzugehen/



    Sonst hat das Nachsehen/



    Dann doch die SPD -/



    Marie-Agnes' FDP/



    Will empathischen Stil/



    Im Umgang und viel/



    Mehr Anteil an Macht/



    Damit sie nicht kracht/



    Ihre größte Option:/



    Opposition für Union./



    Denn Selbstläufer kaum/



    Wird ungalant Traum/



    Vom Kanzleramt/



    So uncharmant./



    //



    September 2021, MR

  • Und sie bewegt sich doch ...



    Die Mitte der Wählerschaft hat sich etwas nach links bewegt, um in diesem überkommenen links/rechts-Bild zu bleiben. Immerhin eine Bewegung. Finde ich gut.

  • Es sollten jene der Linkenpolitiker, die Realpolitik machen wollen, - also Ramlow, Wagenknecht, Kipping usw. - in die SPD wechseln .

  • Ja, super. Wahlsieger. Jetzt muss sich nur noch Lindner mal wieder verzocken, und schon landen wir wieder bei GroKo und alles beim Alten.

  • Ein wirklich interessanter Einblick in die heutige Sozialdemokratie. Offensichtlich hat sich die SPD vor allem personell stark erneuert und verjüngt. Ob die Wahl allerdings wirklich einen Ruck nach links darstellt ist doch sehr die Frage. Olaf Scholz wird gut daran tun diesmal die Hoffnungen seiner Basis zu respektieren, denn der jetzige Erfolg sind vor allem Vorschusslorbeeren. Die FDP täte auch gut daran diesen Artikel zu lesen und sich ihre Illusionen abzuschminken. Scholz mag ja "flexibel" sein, die SPD ist es weit weniger. Noch handelt es sich für die Sozialdemokraten weniger um eine Wiedergeburt, sondern eher um eine allerletzte Chance. Taktisch macht Scholz erstmal alles richtig. Die Zerstörung der CDU ist ein Selbstläufer und die FDP darf erstmal gegenüber den Grünen beweisen, dass sie kooperieren will und kann. Taktisch wird aber dann bald nicht mehr ausreichen, dann kommen die sozialen "sine qua non" und die müssen sitzen.

  • Liggers. Beide Vorredner legen den Finger - hinter die Fassade - !



    Linksruck? Ein Brüller der Ahnungslosen •



    (Sojet Vollunfug - ist nur im Linken Portal aka Bayernkurier Schwatz-Immergriins di taz2021 möglich!



    Wo Ignoranten das Sagen haben - die Mielke auf Rädern für Demokratie einladen & ala SM “kenne nicht mehr rechts-links“ - VORSICHHINBRAMABARSIEREN & SICH VOLL2FJUSCHTERN -



    Es ist schlicht ein intellektuelles Elend •

    NA MAHLZEIT

  • Ein Ruck nach Links bei dem man die Linke Parteiführung komplett und bewusst aus der Öffentlichkeit gehalten hat weil diese für große Teile der Bevölkerung unwählbar sind?

  • In Hamburg haben die Grünen den Bezirk Altona gewonnen, hier trat Scholz früher selbst an, hier startete er 1998 die Bundeskarriere, in Eimsbüttel hat es für Staatsminister Annen nicht gereich, die SPD mag ja gewonnen haben, aber die Zeitenwende folgt ihnen dabei. Und Scholz war auch schon mal Scholzomat und ein inaktiver Verteidiger von Gerd Schröder und der Agenda 2010. Nun hat er dies beendet und dies geschafft, soweit stimmt das. Andererseits gab es einen Optimismus, dass Scholz 30 Prozent schaffen könnte, die CDU bei 20 oder 22 Prozent abgeschlagen hängt, aber so kam es auch nicht.



    Die SPD ist gut beraten, sich zu freuen, denn allzu lange wird diese Freude nicht andauern. Es sind sozialpolitische Veränderungen notwendig, ärmere Schichten müssen besser behandelt werden, Arbeitnehmer wieder aufgewertet werden, dass sie überhaupt abgewertet wurden, lag auch an der SPD. Die Kritik von Links wird noch zunehmen, die Linke kämpft jetzt ums überleben, sowas mobilisiert Kraft und Kräfte.



    Und dann sind wir noch sehr, sehr weit weg von früheren SPD-Ergebnissen. Wie die zwei Wahlkreise in Hamburg zeigen, die Welt ist jetzt eine andere. Noch hat die SPD genug Personal, jedenfalls auf den ersten Blick, auf den zweiten Blick, na ja, viele Politiker der SPD haben wenigs bis gar nichts zu sagen, es mangelt an politischer Debatte und Kultur. Momentan ist dies übertüncht, denn Scholz ist eigentlich aus den linken Jusos hervorgegangen, ist durchaus ein belesener und intellektueller Typ, aber es gibt viele SPD-Politiker, die sich durch die Kommunalpolitik gebissen haben, die kaum mehr zu sagen haben, als wie mein Kleinkleckersdorf mit Stromm und Ampeln versorgt.



    Vielen Politikern fehlt auch ideologischer Antrieb, sie sind an all rauen Winde angepasst, aber nahezu unkenntlich. Dass die AfD diese Wahlen relativ gut überstanden hat, zeigt dies - leider - auch. Für anhaltenden Erfolg, wäre mehr erforderlich. Ob das die SPD liefern kann? Ich habe arge Zweifel.

  • Wie man bei um die 25% von einem „Sieg“ halluzinieren kann ist mir ein Rätsel. Wir bekommen jetzt einen Kanzler dessen Partei in vielen Landstrichen von 75-85% nicht gewählt wurde. Wir bekommen wohl auch noch eine Regierungskoalition die in vielen Ländern weit unter 50% liegt.

    Es wird ein echtes politisches Meisterstück nötig sein um diese Situation irgendwie in den Griff zu bekommen…

    Und zur SPD, die ist von 20% auf. 25% hoch. Wenn die 5% den Unterschied zur „Leidenszeit“ bedeuten, dann ist die Leidenszeit wohl vorbei. Aber ich glaube halt doch, dass die Leidenszeit erst richtig beginnt, wenn man versucht aus einer derart schwachen Position heraus zu regieren…

    We will see… 2025…

  • es ist leider wieder nichts passiert, wir sehen ein paar wochen gezenk... dann grocko... :-(

  • Wenn die FDP mitregiert, werden noch mehr Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren und dieses Land verlassen. Das wäre auch angesichts unserer Verantwortung für Europa eine rücksichtslose Politik.

  • Die SPD hat gewonnen weil sie sich bürgerlich gegeben hat, ob mit Scholz oder Giffey. Mal sehen ob die SPD es auch schafft bürgerliche Politik zu machen oder ob man wieder in die Linksfalle tappt.

    • @lord lord:

      Was soll den bitteschön "bürgerliche Politik" sein?

    • @lord lord:

      Hä? & btw sag ich mal beeder nich - 💩 -



      Wat’ n - Lord - op gau plattdütsch bedüden dei! - 🤣 - Düwel ook!;)) - 😈 -

  • Dass diese Wahl ein echter Ruck nach links gewesen wäre, kann ich nicht nachvollziehen. SPD und v.a. Grüne gewinnen zwar dazu, die Linken verlieren jedoch. Unter dem Strich ist der Zugewinn wenig beeindruckend und immer noch deutlich unter 50%. Ob die SPD nach einer Koalition mit der FDP noch einmal wird auftrumpfen können, ist mehr als zweifelhaft. Womöglich war das nur ein letztes Aufbäumen vor dem endgültigen Niedergang.

    • @hannsha:

      Sehe ich genauso.



      Die SPD war noch nie 'links' (siehe: Notstandsgesetze, Berufsverbote nur gegen Linke, Schmidt sowieso nicht, Hartz-IV, keinerlei Aktivität gegen die vielen Nazis im Staatsapparat, etc., etc.).



      Die Grünen sind genau wie die SPD für Hartz-IV verantwortlich und werden mittlerweile von Ehrgeizlingen wie Baerbock dominiert, die ALLES tun würden, damit sie bei den vermeintlich 'Großen' mitspielen dürfen. Wie reibungslos die mit der CDU zusammenpassen, kann man wunderbar in Hessen und Sachsen-Anhalt studieren, wo sie schön stll halten, während die CDU dafür sorgt, dass die Aufklärung des durch Polizisten begangenen Mordes an Oury Jalloh genauso wenig aufgeklärt wird wie andere Nazi-Aktivitäten von Beamten (z.B. NSU 2.0-Drohmails).



      Dazu noch die FDP, die härtesten Vertreter des Sozialdarwinismus ...



      Deutschland ist anscheinend ein hoffnungsloser Fall: Ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, obwohl eine riesige Mehrheit dieses Drittels Fulltime (oder sogar mehr!) arbeitet, und die Linke bekommt nicht mal 5 % der Wählerstimmen ...



      Und jetzt komme mir niemand mit den Fehlern, die von den Linken (tatsächlich) gemacht wurden: Sie haben auch nicht mehr gestritten, als z.B. Söder, Merz und Laschet. Sie haben sich keine Millionensummen durch ihre Abgeordnetenpositionen "hinzuverdient", wie gewisse Unions-Ehrenmänner. Sie haben auch keine keine Milliardengeschenke (für die Abschaltung schrottreifer Kohlekraftwerke) an Milliardäre verteilt wie Laschet, und sie haben auch nicht die Aufklärung der Wirecard-Verbrechen behindert wie Scholz, der darüber hinaus auch einem der Initiatoren und Mittäter der Cum Ex-Verbrechen, nämlich der Warburg-Bank, quasi zur Belohnung eine zweistellige Millionensumme an Steuerschulden erlassen hat. Ach, und von dem ehrenwerten Herrn Scheuer war ja noch gar nicht die Rede ...