Aktivistin in der Politik: Vom Tagebau in den Bundestag
Vor Kurzem hat Kathrin Henneberger noch Kohlebagger besetzt, jetzt will sie für die Grünen ins Parlament. Kann das funktionieren?
A ls Kathrin Henneberger am Abend hastig den Laptop aufklappt, klebt noch Matsch von der Tagebaukante an ihren Sandalen. Eben erst hat die Klimaaktivistin ein Mobilisierungsvideo fertig gedreht. Mit Luftaufnahmen per Drohne und Handkamera, aufgenommen von einem professionellen Kameramann.
„Wir müssen das 1,5-Grad-Ziel einhalten und die Klimakrise stoppen“, hatte sie den Tag über immer und immer wieder in die Kamera gesagt. Zuerst freundlich, dann mit Nachdruck. So lange, bis Wut in ihrer Stimme zu hören war. „Wir brauchen mehr Emotion.“ Henneberger, 34 Jahre alt, ist lange genug in der Klimabewegung aktiv, um zu wissen, dass mit wissenschaftlichen Fakten allein kaum jemand zu überzeugen ist. Stattdessen hat sie die Macht von Bildern zu nutzen gelernt.
Die Kulisse, die sie für das Video gewählt hat, könnte kaum symbolträchtiger sein: der Tagebau Garzweiler im Rheinischen Braunkohlerevier. Ein gigantisches Loch in der Erde, kaum mehr als 50 Kilometer von Köln entfernt. Seit Jahrzehnten baut RWE hier Braunkohle ab. Mit 89 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß pro Jahr ist der Energiekonzern Europas größter CO2-Produzent.
Geht es nach Henneberger, soll damit so schnell wie möglich Schluss sein. „Einfach mal abschalten“, sagt sie. Der aktuelle Plan sieht anders aus. Die Bundesregierung will erst 2038 komplett auf Kohle verzichten. „Viel zu spät“, sagt Henneberger. Auch deshalb müsse sie jetzt in den Bundestag. Als Aktivistin bei Ende Gelände hat Henneberger in den vergangenen Jahren die monströsen Kohlebagger von RWE in der Grube mitblockiert. Auch in Polizeigewahrsam sei sie dabei geraten, sagt sie und grinst. „Bestimmt eine Handvoll Male.“
Zum Prozess gekommen sei es aber nie. Konkreter wird sie nicht. Aber ihr Lächeln verrät: RWE eins auswischen, das Leben im Klimacamp, das ist die Welt, in der sie zu Hause ist. Eine Aktivismusbubble, in der es viel Idealismus, aber kaum inhaltliche Kompromisse in puncto Klimaschutz gibt.
Nun kandidiert sie bei der Bundestagswahl für die Grünen. Auf Listenplatz 20 in NRW. Für Henneberger bedeutet das: raus aus ihrer Komfortzone und rein in eine Welt, in der machtpolitisches Kalkül und wirtschaftliche Interessen von Bedeutung sind. Wie sie sich in der Politik schlagen wird, falls ihr Plan gelingt, ist noch völlig offen.
In Umfragen liegen die Grünen derzeit zwischen 16 und 20 Prozent. Gemessen daran ist Hennebergers Listenplatz sehr aussichtsreich. Was sie mitbringt, ist die Street-Credibility, die sie sich in vielen Jahren des Protests erarbeitet hat. Außerdem die Verankerung in der Klimabewegung, die es so in dieser Tiefe bei den Grünen nicht mehr so oft gibt.
Henneberger könnte neue, jüngere Wähler:innen für die Grünen mobilisieren. Auf sie zielt auch das eben gedrehte Video ab. Die Partei profitiert von ihr. Aber wie viel wird sie von sich aufgeben müssen, um politisch erfolgreich zu sein? Und wie viele Kompromisse wird die Bewegung ihr verzeihen?
Mit ihrer Kandidatur gehört Henneberger zu einer neuen Generation von Grünen, die ins Parlament drängen. Sie sind aktivistisch, meist zwischen zwanzig und Mitte dreißig und – wenn es gut läuft – auch 2070 noch am Leben. Wie dringlich die Klimafrage für diese Generation ist, hat kürzlich auch noch einmal der Bericht des Weltklimarats deutlich gemacht.
Er sei erwartbar gewesen, sagt Henneberger, die seit Jahren auf internationalen Klimakonferenzen dabei ist. „Wir erleben ja seit Langem, dass Vorhersagen, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren, viel schneller eintreffen als gedacht.“
Was sie in solchen Momenten empfinde, sei weder Trauer noch Verzweiflung. „Die Emotion, die ich habe, ist eiskalte Wut.“ Um sie zu kanalisieren, mache sie Politik.
Henneberger sagt, sie wolle sich noch nicht mit konkreten Strategien befassen. Jetzt sei erst mal Wahlkampf angesagt. Es ist Mitte August, und sie wird gleich zum ersten Mal auf die Direktkandidat:innen der anderen Parteien treffen. Ihr Wahlkreis ist Mönchengladbach. Dazu gehören auch die Dörfer um den Tagebau.
Zu Besuch in Lützerath
Etwas außer Puste hat sie sich in Lützerath in einen abgewetzten Sessel auf die Terrasse gesetzt. Hinter ihr eine alte Villa, drumherum der Garten, ein veralgter Pool, hohes Gras. „Chill Zone“, steht auf einem selbst gemalten Schild. Aber Kathrin Henneberger kann nicht chillen. Sie muss gleich ins Netz, um dort online zu diskutieren.
Die Terrasse, auf der Henneberger hektisch in ihren Mails nach dem Zugangslink sucht, befindet sich in einem Ort direkt an der Abbruchkante des Tagebaus Garzweiler. Geht es nach dem Konzern, soll das Dorf in diesem Jahr weichen. Das wollen die Klimaaktivist:innen verhindern und haben eine Mahnwache errichtet. Außen herum ist ein buntes Protestcamp gewachsen. Zelte, Wohnwagen, Baumhäuser. Lagerfeuer, Komposttoilette und Soliküche.
Hier, in Lützerath, sagt Henneberger, sei mittlerweile ihr Lebensmittelpunkt. Den letzten Sommer habe sie hier im Zelt gewohnt. Mittlerweile hat sie in einer nahen Kleinstadt mit Bahnhof eine Wohnung. Um sich bei der „Lohnarbeit“ besser konzentrieren zu können und um mobiler zu sein, wie sie sagt. So oft sie kann, steige sie aber aufs Rad und fahre über die Feldwege nach Lützerath.
Hastig stöpselt sie sich die Kopfhörer ins Ohr und schaltet die Kamera ein. Der Verein Mehr Demokratie e. V. hat die Direktkandidat:innen zu der Diskussionsrunde eingeladen. Es geht um Bürger:innenräte und darum, ob zufällig ausgeloste Bürger:innenversammlungen demokratische Prozesse bereichern können.
„Ich will ein bisschen pöbeln“, sagt Henneberger. Aber als der Moderator sie bittet, die Einstiegsfrage zu beantworten, bricht gerade die Internetverbindung ab. „Mist“, sagt Henneberger genervt und läuft eilig ins Haus auf der Suche nach besserem Netz. Im Klimacamp ist das Internet instabil.
Henneberger ist in der Umwelt- und Klimabewegung groß geworden. 2018 und 2019 war sie eine der Pressesprecherinnen von Ende Gelände. Das Bündnis hat seit 2015 zivilen Ungehorsam in den Braunkohlerevieren im Rheinland und in der Lausitz organisiert. Auch die Baumbesetzungen im Hambacher und Dannenröder Forst hat es unterstützt. Henneberger sagt, sie habe damals viel Zeit im Hambi verbracht. Im regenbogenfarbenen Einhornkostüm hat sie Bäume besetzt.
Was die derzeit größte Gefahr für die Demokratie sei, will der Moderator wissen, als Henneberger wieder zugeschaltet ist. Die Kandidat:innen von CDU, SPD und FDP verweisen auf den zunehmenden Rechtspopulismus. Dann ist Henneberger an der Reihe. „Für mich sind der Einfluss der fossilen Industrie auf die Politik und die Kriminalisierung von Klimaaktivist:innen das größte Problem“, sagt sie. „Ebenso wie eine Politik, die weder auf die Forderungen der jungen Generation noch auf die Expertise der Wissenschaftler:innen in Bezug auf den Klimawandel hört.“
Der Moderator bedankt sich höflich, Hennebergers Worte verhallen unkommentiert. Günter Krings, der Kandidat der CDU, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium und seit 2002 Mitglied im Bundestag, lässt sich die gesamte Veranstaltung über nicht von ihr provozieren. Er wird das Thema Klimaschutz bis zum Ende kein einziges Mal erwähnen, obwohl sie immer wieder darauf zu sprechen kommt.
„Das ist das Problem an Onlinepodien“, sagt Henneberger später. „Wenn man sich nicht gegenübersitzt, kann man nicht gut aufeinander reagieren.“ Dazu die technischen Probleme. Es entsteht kein Dialog. Henneberger sagt, an Diskussionen habe sie eigentlich Spaß. „Ich saß als Grüne Jugendsprecherin schon auf unglaublich vielen Podien und habe mich mit anderen Kandidaten oder Parteijugendvorsitzenden gezofft.“
Durch Corona sei der Wahlkampf anders. „Lahmer“, sagt Henneberger. „Das empfinden wir alle so.“ Viele Podien seien gar nicht erst geplant worden, die klassischen Bratwursttermine auf Volksfesten oder in Einkaufspassagen fänden nicht statt. Die Folge ist, dass Henneberger bis dato kaum auf politische Kontrahent:innen gestoßen ist. Auch Wähler:innen, die es zu überzeugen gilt, hat sie bisher kaum gesprochen.
Wahlkampfstände, sagt Henneberger, seien sowieso nicht so ihr Ding. „Wenn ich länger als eine halbe Stunde irgendwo stehen muss, schlafe ich ein.“ Sie ziehe es vor, in Mönchengladbach Flyer zu verteilen. „Eine Erinnerung daran, zur Wahl zu gehen, mehr wollen die meisten Menschen nicht.“ Ihr Thema macht derzeit sowieso ganz von alleine PR. Welche Auswirkungen der Klimawandel haben kann, hat Anfang Juli die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz deutlich gemacht, bei der mehr als 180 Menschen ums Leben gekommen sind.
„Eine andere Welt ist möglich“, ist Hennebergers Wahlkampfslogan. Ihr Plakat erinnert an die Plakate von Hans-Christian Ströbele. Bunt, gezeichnet, ein großer Regenbogen, ein Einhorn, das auf einem Kohlebagger tanzt. Baumhäuser, eine inklusive Gruppe Menschen mit Transparenten, die hinter ihr stehen. Ein Gegenentwurf zu den sonst üblichen Konterfeis.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
„Ich finde es total komisch, mein Foto überall hängen zu sehen“, sagt Henneberger. „So gezeichnet ist das gleich viel weniger cringe.“ Anders als bekannte Fridays-for-Future-Aktivist:innen ist Henneberger keine typische Influencerin. Instagram beherrscht sie mit knapp 1.500 Followern nicht besonders gut. Ihre Stärke ist das Netzwerken. Dass dann andere stärker im Vordergrund stehen, scheint sie nicht zu stören.
Ströbele, sagt Henneberger, sei für sie eine Inspiration. „Er hat einfach immer stabile Politik gemacht.“ Von 2002 bis 2013 holte er als einziger Bundestagsabgeordneter der Grünen in vier Wahlen in Folge das Direktmandat.
In den Jahren der rot-grünen Bundesregierung war er einer der härtesten parteiinternen Kritiker von Joschka Fischers Außenpolitik. „Ströbele wählen heißt Fischer quälen“, lautete 2002 sein Wahlkampfslogan. Verhindern konnte er die Zustimmung seiner Partei zu den Kriegseinsätzen der Nato im Kosovo und der Bundeswehr in Afghanistan letztlich nicht. Wird das auch Hennebergers Rolle sein? Viel mahnen, aber nicht gestalten? Ein aktivistisches Feigenblatt für grüne Realpolitik?
Henneberger lacht die Frage erst weg. Dann wählt sie ihre Worte mit Bedacht. „Ich komme aus einer ganz anderen Generation, aus einer ganz anderen Bewegung und aus einem ganz anderen Struggle als Christian Ströbele“, sagt sie. „Und für die Rolle als Feigenblatt bin ich wirklich viel zu unbequem.“
Hennebergers Biografie ist durch und durch politisch. Aufgewachsen ist sie in der Kölner Südstadt, „im Schatten der Ölraffinerien von Shell“, wie sie erzählt, in einem Haushalt ohne Fernseher, mit einer älteren Schwester, die sich als Wissenschaftlerin mit der Klimakrise befasst. Der Vater war Restaurator, die Mutter Kunsthistorikerin. „Linksgrün versiffte Gutmenschen“, sagt Henneberger und grinst. Mit 13 schloss sie sich einer Kölner Jugendgruppe von Greenpeace an. Dort habe sie gelernt, Kampagnen und Proteste zu organisieren.
Mit 15 trat sie der Grünen Jugend in Köln bei. „Hier durfte ich sein, wer ich bin“, sagt sie, „eine queere Teenagerin, die die Rahmenbedingungen ändern will.“ 2007 wurde sie in den Bundesvorstand der Grünen Jugend gewählt. 2008 war sie dessen Sprecherin. Zu einer Zeit, als die Grünen für Hartz IV stimmten, für eine Beteiligung am US-amerikanischen „war on terrorism“ in Afghanistan und einen Kompromiss beim Ausstieg aus der Atompolitik, der von vielen in der Klimabewegung heftig kritisiert wurde.
2009 trat Henneberger dann nicht mehr an. „Ich hatte damals das Gefühl, dass ich in der Politik in Sachen Klimaschutz nicht viel erreichen kann, auch weil es keine starke Bewegung gab“, sagt sie heute. Sie kehrte der Parteipolitik den Rücken und radikalisierte sich.
Im selben Jahr mobilisierte sie für die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen. Dort habe sie den Glauben daran verloren, dass Politiker:innen vernünftig handeln. Während viele die noch junge Klimabewegung verließen, habe sie gedacht: „Okay, Leute. Strategiewechsel.“
Dieser Strategiewechsel war Ende Gelände. Gezielter ziviler Ungehorsam mit klarem Fokus auf ein Thema, medienwirksam inszeniert. „Die Bilder, die wir hier produziert haben, Tausende in der Kohlengrube, die gingen um die Welt“, sagt Henneberger. Es sei dem Bündnis zu verdanken, dass Kohlekraft in der Klimadebatte mittlerweile problematisiert werde. Ganz bewusst lobt sie sich nicht allein, sondern nennt sich Teil des Kollektivs. Sie braucht den Rückhalt aus der Bewegung, die Kraft der Straße, wenn sie im Parlament etwas erreichen will.
Kathrin Henneberger
Jetzt also wieder ein Strategiewechsel: zurück in die Politik. Statt Stimmung zu machen, will sie jetzt um Stimmen kämpfen. Diesmal sei es weniger Frust, der sie antreibt, sagt Henneberger. Vielmehr sei der Wechsel in die Politik der nächste logische Schritt. „Die Bewegung ist stark, wir haben die Fridays, die einfach nur rocken, mich braucht es hier nicht mehr“, sagt sie. „Was jetzt fehlt, sind Menschen in den Parlamenten, die sich von der Bewegung pushen lassen und versuchen, stabil für deren Ziele zu kämpfen.“
In der Partei sei ihre Kandidatur nicht allen recht. Namen nennen will sie nicht. Nur so viel: Einzelne hielten sie wohl für zu emotional. Wieder lacht sie. Viele Grüne fremdeln mit der radikalen Klimabewegung. Ebenso wie die Klimabewegung mit der Partei. Grund dafür ist auch die Rodung im Dannenröder Forst. In der schwarz-grünen Koalition agierten die hessischen Grünen machtpolitisch und regelkonform. Der umstrittene Ausbau der A49 ist im Koalitionsvertrag verankert. Der grüne Verkehrsminister Tarek Al-Wazir beharrte darauf.
In der Klimabewegung sehen viele die Grünen deshalb als Verräter. Eine Aktivistin, die aus der Bewegung zu den Grünen wechselt, hat womöglich keinen leichten Stand. Auch auf diese Diskussion lässt Henneberger sich nicht ein. Spaltungen? Gibt es in ihrem Universum offiziell nicht. Der Eindruck, den sie vermitteln will, ist der von Schulterschluss und Solidarität. „Sweet“ ist ein Wort, das sie häufig verwendet, egal ob sie von der Bewegung oder von ihren Parteikolleg:innen spricht. „Alle ganz sweet.“
Anderntags am Telefon mit einem von Hennebergers Parteikollegen hört sich das anders an. „Der Dannenröder Wald ist die Geschichte eines abgebrochenen Dialogs“, sagt Sven Lehmann. Er wolle die hessischen Grünen nicht nur verteidigen, fügt er an. „Die haben ihren Anteil daran.“ Aber es sei auch schwierig, den Dialog aufrechtzuerhalten, wenn man als Abgeordneter beschimpft wird, weil es in den Verhandlungen nur für einen Kompromiss gereicht habe.
Lehmann ist sozialpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag und kennt Henneberger noch von der Arbeit bei der Grünen Jugend in Köln. Er sagt, an ihrer Person werde deutlich, wie wichtig eine glaubwürdige und effektive Brücke sei, die zwischen Politik und Bewegung kommuniziere. Dass der Dialog zwischen Bewegung und Grünen 2018 im Hambacher Wald nicht abgebrochen sei, habe auch mit ihr zu tun.
Mehrfach sei er, ebenso wie andere Politiker:innen, als parlamentarischer Beobachter mit Henneberger im Wald gewesen. „Sie hat uns immer wieder eingeladen, mit Aktivist:innen bekannt gemacht und dafür gesorgt, dass wir uns für deren Anliegen einsetzten.“ Das habe nicht nur bei ihm funktioniert.
Wie Henneberger ihre Rolle als Politikerin versteht, lässt sich an einem kalten Morgen Anfang Dezember beobachten, zehn Monate vor der Bundestagswahl. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Die Temperatur liegt unter null. Eine Gruppe von 15 Menschen wartet zu Beginn eines verschneiten Feldwegs in der Dunkelheit, dick eingepackt in mehrere Schichten Wintersachen. Ihr Atem gefriert in den dünnen Lichtkegeln der Stirnlampen.
Zu Besuch im Dannenröder Forst
Der Feldweg führt hinein in den Dannenröder Forst, zu den Baumhausdörfern der Klimaaktivist:innen, die die Rodung des Waldes und den umstrittenen Ausbau der A 49 zwischen Kassel und Gießen verhindern wollen. Oder zu dem, was Anfang Dezember noch davon übrig ist.
Die Menschen, die hier am Waldrand warten, sind keine Baumbesetzer:innen. Sie sind – wenn man so will – Teil der klima- und umweltaktivistischen Prominenz, Menschen mit Reichweite auf Social Media und darüber hinaus. Fridays-for-Future-Sprecherin Luisa Neubauer ist dabei, Autor Peter Wohlleben, die Vorstände von Greenpeace, Campact, BUND und Germanwatch. Fast alle sind zum ersten Mal im „Danni“. Eine Räumung durch die Polizei, wie sie zu erwarten ist, haben die wenigsten schon mal mitgemacht.
Die Unterhaltungen sind gedämpft, als Kathrin Henneberger dazustößt. Hennarotes Haar, eisblaue Augen. Eine blaue, selbst gestrickte Wollmütze. Wegen Corona eine Stoffmaske mit Einhörnern drauf. Kurz sucht ihr Blick nach dem Gesicht von Luisa Neubauer. Unter Mütze, Kapuze, Maske und Schal ist es kaum auszumachen. Ein paar geflüsterte Worte. Dann formt die Gruppe einen Kreis. „Ich bin Katze“, sagt Henneberger und lächelt verschwörerisch in die Runde. „Ich mache hier manchmal so lustige Dinge im Wald.“
Wenig später folgt die Gruppe dem roten Licht ihrer Stirnlampe. Henneberger hat den action part des Ausflugs organisiert. „Freunde zusammenführen“, nennt sie das. Dabei ist dieser Besuch sehr genau kalkuliert. Auch eine Presseerklärung ist geplant.
„Kathrin ist gut vernetzt und hat einen Blick für den richtigen Move im richtigen Moment“, sagt Ruben Neugebauer Monate später via Zoom. Neugebauer hat Sea-Watch mitgegründet und ist Sprecher der NGO. Er war außerdem Hennebergers Mitbewohner in ihrer 6er-WG in Berlin-Neukölln, in der sie für Hauptstadtbesuche nach wie vor ein Bett im unbeheizten Wintergarten stehen hat.
Henneberger habe eingefädelt, dass FFF-Sprecherin Luisa Neubauer und Seenotrettungskapitänin Carola Rackete zusammen einen Gastbeitrag für den Spiegel verfassten, sagt Neugebauer. Außerdem habe sie Greta Thunberg im August 2019 in den Hambi geholt. Luisa Neubauer bestätigt das: „Kathrin schrieb mir damals: ‚Kannst du nicht mal Greta in den Hambi einladen?‘ Ich war so: ‚Kathrin, please!‘ Aber als ich mit Greta beim Frühstück saß, habe ich sie gefragt: ‚Greta, the people from the Hambach Forest are inviting you.‘ Gretas Antwort: ‚Great! Let’s go.‘ “
„Das war für die Klimabewegung wahnsinnig wichtig“, sagt Neugebauer. „Damit hat Kathrin die Reihen der radikalen Teile und Fridays for Future solidarisch geschlossen.“ Die Bild titelte am nächsten Tag: „Greta Thunberg im Hambacher Forst: Vermummte führt Klima-Kids durch besetzten Wald“. Gretas Besuch im Hambi machte klar, dass sich die Klimabewegung nicht spalten lässt.
Pyrotechnik, Gewaltbereitschaft, Landfriedensbruch. Derartige Vorwürfe von konservativer Seite ist Henneberger als ehemalige Ende-Gelände-Sprecherin gewohnt. Sie rollt mit den Augen, wenn sie dazu befragt wird. „Das sind Versuche, die Bewegung zu kriminalisieren, um nicht über Inhalte sprechen zu müssen.“ Henneberger lässt sich davon nicht beirren. Ruft Journalist:innen vor großen Ereignissen persönlich an. Ist erreichbar, teilt Infos, vermittelt Protagonist:innen.
Luisa Neubauer sagt, sie habe Henneberger zum ersten Mal auf der RWE-Hauptversammlung im Mai 2019 wahrgenommen. Henneberger war der Einladung der Kritischen Aktionäre gefolgt.
Vier Minuten lang rechnete sie dort mit dem Energiekonzern ab. „Eure Verantwortungslosigkeit werden wir euch nicht mehr durchgehen lassen“, rief sie ins Mikrofon, während das Raunen im Saal immer lauter wurde. „Ich kann nicht tatenlos zusehen, wie ihr zerstört, und deswegen stelle ich mich zusammen mit Tausenden anderen vor eure Kohlebagger und stoppe sie. Wir sehen uns in der Grube!“ Seitdem hat sie bei RWE Hausverbot.
Innerhalb der Klimabewegung gibt es aber auch Stimmen, die ihren Aktivismus bei Ende Gelände kritisch sehen. Henneberger sei schon immer mehr Parteipolitikerin gewesen, sagt eine Person, die sie aus ihrer Zeit bei dem Bündnis kennt. Das habe mit Klimagruppen im Rheinland immer wieder zu Konflikten geführt. Ins Detail gehen will die Person nicht. Die Solidarität überwiegt auch hier. Aber sie sagt, Henneberger habe sehr genaue Vorstellungen, die sie durchsetzen wolle, und das passe oft nicht zur kollektivistischen Bewegungsarbeit. Gebe es keinen Konsens, arbeite sie einfach alleine weiter daran.
Um halb acht erreicht die von ihr angeführte Gruppe das verschneite Camp im Dannenröder Wald. Im Morgenlicht ragen die noch verbliebenen Bäume in den Himmel. Die letzten vier Baumhäuser hängen verloren in den Wipfeln. Weiter unten haben sich Aktivist:innen mit Klettergurten und Seilen an die Stämme geschnallt. Eine halbe Stunde später kommt die Polizei. Eine Hundertschaft in schwarzen Uniformen und weißen Helmen umstellt zügig das mit Brettern und Müll verbarrikadierte Camp. Im Baum kräht jemand die Titelmelodie von „Star Wars“ in ein Megafon. Der Kampf beginnt.
Die Besucher:innengruppe um Henneberger kniet sich noch schnell für ein paar gute Bilder in den Matsch. Dann rettet sie sich auf ein Podest, um abzuwarten, was passiert. Als Luisa Neubauer von einem Aktivisten aufgefordert wird, symbolisch ebenfalls einen Baum zu besetzen, nimmt Henneberger sie in Schutz. „Lass dir nichts einreden“, sagt sie. „Jeder soll machen, wonach er sich fühlt.“
Ihre Verwurzelung in der radikalen Klimabewegung mache einzelne Grüne nervös, sagt Henneberger. Befürchtet werde ein Joschka-Fischer-Moment, eine öffentliche Debatte zu ihrer Vergangenheit, in der die Legitimation von Gewalt zum Thema werde. Das bestätigt auch die NRW-Landesvorsitzende der Grünen, Mona Neubaur. „Dieser Bundestagswahlkampf ist ein Lagerwahlkampf: Alle politischen Mitbewerber gegen die Grünen“, sagt sie am Telefon. „Natürlich ist es da wichtig, gut vorbereitet zu sein.“ Sie stehe diesbezüglich mit Henneberger im Austausch.
„Für uns Grüne ist vollkommen klar, dass wir Straftaten nicht als Mittel zur Durchsetzung politischen Willens sehen“, sagt Neubaur. Henneberger sagt, sie mache sich keine Sorgen. „Ich bin schon sehr viel geschubst worden von der Polizei, und vermutlich könnte es eine mehrstündige Doku darüber geben, wie ich mit der Polizei diskutiere, aber was Krasseres habe ich nie gemacht.“
Den Listenplatz in NRW habe sie sich hart erarbeiten müssen, sagt Henneberger. „So sehr wie um diesen Platz habe ich noch nie gekämpft.“ Eigentlich habe sie auf einen besseren gehofft. So sei es mit den Kreisverbänden abgesprochen gewesen. Als dann andere weibliche Kandidatinnen nach vorne drängten, wich sie auf einen der „offenen Plätze“ aus. Bis zum Schluss habe sie mit einer männlichen Gegenkandidatur rechnen müssen. Doch sie habe Druck gemacht. Am Ende sei der Mann nicht gegen sie angetreten.
Henneberger sagt, sie wolle vor der Wahl weder über Koalitionen noch über mögliche Kompromisse spekulieren, aber ihre präferierte Konstellation sei „eine progressive, linke Koalition“. Will heißen Rot-Rot-Grün. „Man sagt immer: Damit kann man die progressivste Politik machen, aber mit Wagenknecht und der SPD wird das trotzdem nicht leicht.“
Armin Laschets Politik, die sie aus NRW gut kennt, nennt sie „desaströs“. Sie deutet in Richtung Tagebaukante. „Wenn wir uns 150 Meter von uns entfernt anschauen, wie Laschets Politik einfach alles zerstört, dann sind das keine schönen Aussichten.“ Wie sie mit dieser Haltung eine schwarz-grüne Koalition mittragen könnte? „Das frage ich mich auch.“
Sven Lehmann, sozialpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag
Wenn Henneberger über ihre zukünftige Arbeit im Parlament spricht, klingt das, was sie sich vorgenommen hat, ganz einfach. „Mein Büro wird das Büro der Bewegung sein“, sagt sie. „Was ich im Parlament mache, das will ich sehr eng mit der Bewegung absprechen, weil wir eine Familie sind.“ Dass sie damit Partikularinteressen vertritt, sieht sie nicht als Problem. Im Gegenteil: „Wer vertritt denn die Menschen in den Dörfern um den Tagebau, die bleiben wollen? Wer vertritt die jungen Menschen, die auf die Straße gehen und noch nicht wählen können?“
„Im Parlament werden politische Entscheidungen ausgehandelt, die für die gesamte Gesellschaft gelten, also auch für die Wirtschaft und die Industrie“, sagt Sven Lehmann, ihr Weggefährte aus Köln, seit 2017 für die Grünen im Bundestag. Ohne Kompromisse gehe das nicht. Henneberger hält dagegen. „Diejenigen, die im Bundestag die Interessen der fossilen Industrie verteidigen, haben auch nicht alle Menschen im Blick.“ Sie stehe wenigstens dazu, wessen Vertreterin sie sei.
Läuft alles nach Plan, ist Henneberger nicht allein. Mehr als 70 Menschen unter 35 Jahren kandidieren in diesem Jahr auf grünen Landeslisten für den Bundestag. Das sind mehr als in den anderen Parteien. Henneberger sagt, sie habe längst begonnen, sich zu vernetzen. Karl Bär, 36 Jahre, der auf Listenplatz 12 in Bayern antritt, hat Henneberger im Klimacamp in Lützerath besucht. Er setzt sich für ökologische Landwirtschaft ein und kämpft gegen Ackergifte. Ebenso Jan-Niclas Gesenhues, der grüne Kandidat aus dem Münsterland, Listenplatz 8. „Absoluter Biodiversitätsexperte“, sagt Henneberger.
„Meine Bezugsgruppe“, nennt sie die Truppe scherzhaft. Man habe vereinbart, sich im Bundestag inhaltlich zu unterstützen. „Das ist für mich hier alles keine Egoshow.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen