Nach der Räumung des Dannenröder Forstes: Der große Vertrauensverlust

Vor drei Monaten fiel im Dannenröder Forst das letzte Baumhaus. Aber die Ak­ti­vis­t*in­nen sind noch immer vor Ort. Was treibt sie an?

Eine Polizeiabsperrung vor einer gerodeten Waldfläche

Die letzten Baumhäuser im Dannenröder Forst im Dezember vergangenen Jahres Foto: Christof Mattes/imago-images

DANNENROD taz | „Da drüben war „Unterwex“, sagt Coyote und deutet auf eine weite Fläche aus zerhacktem Holz. „Unterwex“ hieß ein Baumhausdorf, das es nicht mehr gibt, „Coyote“ nennt sich der Anfang 20-jährige Aktivist mit schwarzen Haaren und runder Brille. Er steht an einem mit Natodraht gesicherten Bauzaun. Dahinter Sägespäne, Äste und Zweige, ein paar Baumstümpfe. Kein Transpi, kein Seil oder sonst etwas, was an die Besetzung erinnern könnte. Neben Coyote steht Linda und blickt durch den Baumzaun auf die autobahnbreite Schneise der Zerstörung: „Für mich ist das wie ein anderer Realitätsstreifen.“

Vor drei Monaten fiel im ehemals besetzten Dannenröder Forst das letzte Baumhaus. Seit Oktober 2019 hatten Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen den alten Mischwald in Mittelhessen besetzt. In 13 Baumhausdörfern lebten sie in teilweise mehrstöckigen und isolierten Baumhäusern, bauten eine Versorgungsinfrastruktur aus und eine Gemeinschaft auf.

Obwohl sie die Waldwege aufwändig verbarrikadiert, sich mit Beton in Erdlöchern befestigt und immer wieder neue Bäume besetzt hatten, räumte die Polizei den Wald mit einem Riesenaufgebot innerhalb von vier Wochen. Noch immer patroullieren Be­am­t*in­nen Tag und Nacht auf der abgesperrten Schneise, die den Wald in zwei Hälften teilt. Alle paar Meter steht ein Flutlichtmast, nachts ähnelt der Kahlstreifen einer Flugzeuglandebahn mitten im Wald.

Noch laufen die Aufräumarbeiten, aber sobald der Waldboden von Holzresten und Munitions-Altlasten befreit ist, soll hier planiert und betoniert werden. Mit dem Ende der Rodungssaison am 1. März übergab die Autobahngesellschaft die Baustelle an die Bau- und Betreibergesellschaft Strabag. Die will ab Mitte des Jahres massive Betonpfeiler in tiefe Erdschichten des Trinkwasserschutzgebiets rammen. Zwar besetzten Baum­schüt­ze­r*in­nen in den vergangenen Wochen immer wieder einzelne Bäume am Rande der Trasse. Doch den meisten ist klar, dass eine Handvoll Leute nicht verhindern wird, was im Herbst nicht gelang, als der „Danni“ für ein paar Wochen zum Hotspot der Klimabewegung wurde.

Frühling bringt Hoffnung

„Wir sehen darin keinen Grund aufzugeben“, sagt Linda. Die 27-jährige sitzt in der zarten Mittagssonne eines kalten Märztages auf einer Bierbank und trinkt frisch gepressten Orangensaft aus einer Blechtasse. Auf dem Hof vor dem Gasthof im 160-Seelen-Ort Dannenrod sitzen mit einigem Abstand 15 weitere Personen, rauchen und unterhalten sich. Entspannte Elektromusik schallt über den Hof, Corona scheint weit weg.

Linda ist seit sechs Monaten hier, ein WG-Zimmer in der Stadt aus der sie kommt, hat sie nicht mehr. Die Januarnächte bei minus 17 Grad, als der Tee im Becher gefror, seien hart gewesen, sagt sie. Der Frühling habe für alle Erleichterung gebracht, jetzt kämen auch wieder mehr Leute vorbei. Den Zeltplatz, auf dem die meisten Zelte leer stehen, haben die Ak­ti­vis­t*in­nen gerade wieder als „Versammlung“ bei der Stadt verlängert, für April planen sie hier ein Klimacamp. Im Gasthof kochen die Ak­ti­vis­t*in­nen zwei Mal täglich 40 Portionen Essen, waschen Wäsche und organisieren ihr tägliches Miteinander.

Was wollen sie noch? „Zwar konnten wir die Bäume nicht retten, aber der Kampf um die Mobilitätswende ist noch lange nicht verloren“, sagt Linda. Die A49 sei schließlich nicht die einzige Autobahn in Planung, die Bundesregierung will in den nächsten Jahren noch hunderte Kilometer Fernstraßen durchs Land bauen. Dagegen vernetzen sich Ak­ti­vis­t*in­nen jetzt bundesweit – ein Erfolg, der aus der Danni-Besetzung hervorgegangen ist.

Zentrum des Klimaaktivismus

Die Ak­ti­vis­t*in­nen wollen außerdem den Gasthof kaufen, um ihn als Zentrum des Klimaaktivismus zu erhalten. „Wenn wir dauerhaft etwas bewirken wollen, muss unser Widerstand nachhaltig sein“, so Linda. Deshalb sei sie hier. Das Geld wollen sie per Crowdfunding sammeln, 300.000 Euro sind im Gespräch. Klingt unrealistisch? „Mit Realismus hat man noch nie Revolution gemacht“, sagt Linda.

Mit Realismus kennt sich Barbara Schlemmer gut aus, sie ist Stadträtin der Grünen in Homberg, wo die Autobahn lang führen soll. Die Räumung der Klimaschützer*innen, teilweise mit Polizeigewalt, war für die hessische Ökopartei nicht gerade glorreich. Auf ihre Partei sei sie wütend, sagt sie am Telefon, vom hessischen Verkehrsministers Tarek Al-Wazir fordere sie nicht nur den Rücktritt, sondern gleich den Parteiausschluss. „Was hier passiert, ist nicht nur ungrün, sondern sehr weit im kriminellen Bereich“, sagt Schlemmer, die auch Sprecherin des Aktionsbündnisses „Keine A 49“ ist. In dem Bündnis sind auch An­woh­ne­r*in­nen und Naturschutzverbände vertreten. Manche von ihnen engagieren sich schon seit 40 Jahren gegen die Autobahnpläne.

Mit dem „kriminellen Bereich“ meint Schlemmer illegale Rodungen im Februar, die außerhalb der genehmigten Flächen im angrenzenden Maulbacher Wald vorgenommen wurden. Von wem, ist unklar, An­woh­ne­r*in­nen hatten sie entdeckt und gestoppt, aber weder das Forstamt noch das Verkehrsministerium in Wiesbaden will sie in Auftrag gegeben haben. Schlemmer hat Strafanzeige gegen unbekannt gestellt. Sie führt einen nervenaufreibenden Papierkrieg gegen die Autobahnbefürworter*innen. Es geht um Richtlinien, die überschritten werden, Anträge zu Planänderungsbeschlüssen und alternative Planfälle. Bezüglich der Vereinbarkeit mit europäischen Wasserrichtlinien liegen schon vier Gutachten vor, die sich gegenseitig widerlegen.

„Natürlich ist das frustrierend“, sagt Schlemmer. „Aber es ist die einzige Chance, die es noch gibt.“ Erschwerend kommt hinzu, dass sich schon im nächsten Landkreis niemand mehr für den kleinteiligen Verwaltungsstreit interessiert. Auch das sei frustrierend, sagt die Stadträtin, denn die Auswirkungen der Autobahn wären schließlich alles andere als lokal. Eine halbe Million Menschen im Rhein-Main-Gebiet beziehen ihr Trinkwasser aus dem Gleental, durch das die Autobahn gehen soll.

Erste Bürgerwehr

Gegen die illegalen Rodungen hat sich in Maulbach jetzt eine Bürgerwehr gegründet. Ramona Endres organisiert sie in einer Whatsapp-Gruppe. Die Anwohnerin hat das Vertrauen in die Behörden verloren. Seit sie manchmal auf Demos spricht, fühle sie sich nicht mehr sicher im Ort. Kürzlich sei sie beim Schlittenfahren mit ihren beiden Kindern nahe der Trasse von Po­li­zis­t*in­nen beobachtet worden.

„Die Ohnmacht ist das schlimmste“, sagt Endres. Für die eigene Psyche sei es besser, alles versucht zu haben um sich zu wehren. Wohnen bleiben will sie in dem 420-Einwohner*innen-Örtchen Maulbach wohl aber nicht, wenn die Autobahn da ist. Diese wird das Dorf dann von zwei Seiten einschließen, an einen Lärmschutz hat wohl niemand gedacht. Endres sagt: „Ich glaube, die meisten hier können sich noch gar nicht vorstellen, was das bedeutet.“

Dabei kann man das schon ganz gut sehen. Die plattgewalzte Erde reicht bis auf 10 Meter an das Grundstück von Thorsten Müller heran. Laut Planfeststellungsbeschluss müsste der Abstand 45 Meter betragen. Das Grundstück ist nicht groß, der Abstand der zukünftigen Autobahnkante zum hölzernen Geländer der Terrasse des Hauses beträgt etwa 15 Meter. Ein Fenster sei schon durch die Erschütterungen zu Bruch gegangen, sagt Müller.

Wenn er spricht, hört man ihm an, wie wütend er ist: „Die Autobahngesellschaft kommt für mich gleich nach der Mafia“, sagt er zwischen zwei Zügen an seiner selbst gedrehten Zigarette. Zwei Bäume auf seinem Grundstück standen zu nahe an der Trasse, die Deges kam mit Baggern, zerstörte das Gartentor und fällte sie. Dabei seien die Strom- und die Wasserleitung kaputt gegangen, ein Schaden von 17.000 Euro. Er sei an dem Tag beruflich im Ausland gewesen und habe nichts geahnt. Ramona Endres und ihr Mann seien mit ein paar Nach­ba­r*in­nen herbei geeilt, hätten die Fällarbeiten aber natürlich nicht aufhalten können. Alles sei voller Polizei gewesen, sagt Endres, „albern“ sei das gewesen. Ihr Mann pflichtet ihr bei: „Die Polizei nimmt hier niemand mehr ernst.“ Selbst ihr achtjähriger Sohn habe neulich beim Spielen im Wald angefangen, eine Barrikade zu bauen.

Auch ein Merkmal, das den Protest rund um den Dannenröder Forst auszeichnet: Der Widerstand ist generationen- und spektrenübergreifend. Bürgerliche und linksradikale Ak­ti­vis­t*in­nen arbeiten vertrauensvoll zusammen, Anwohner*innen, die seit den 1970ern gegen die Autobahn kämpfen, organisieren sich gemeinsam mit denen, die sich bei Fridays for Future politisiert haben. Gerade von letzteren haben viele im Wald eine Gemeinschaft gefunden, die sie nicht missen wollen. Der Danni ist ein Ort, wo sie anpacken und sich ausprobieren können, wo ihnen niemand sagt, was sie tun und lassen sollen. Gerade in Zeiten pandemiebedingter Beschränkungen ist das viel wert, dieses kleine Stück Utopie.

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