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Parteitag der GrünenPragmatisch und einig

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Auf ihrem Parteitag zeigen sich die Grünen diszipliniert und pragmatisch: Baerbock erhält volle Unterstützung, beim CO2-Preis wagt man nur wenig.

Stand bei ihrer Rede sichtbar unter Druck: Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock Foto: Kay Nietfeld / dpa

Z ynisch kann man sagen, dass den Grünen die durchgedrehte Benzinpreisdebatte sogar genutzt hat. Dass CDU, SPD und Bild-Zeitung auf die Ökopartei einprügelten, obwohl die Groko den CO2-Preis-Anstieg selbst beschlossen hatte, dürfte auch dem rebellischsten Basis-Grünen klar gemacht haben, wie brutal dieser Wahlkampf ist.

Brav, diszipliniert und pragmatisch lehnten die Delegierten des Grünen-Parteitags jede Verschärfung des Wahlprogramms ab. Höherer CO2-Preis? Nö. 70 km/h auf Landstraßen? I wo. Früheres Aus für den Verbrenner? Bloß nicht. Wie die Grünen-Spitze antizipiert auch die Basis, dass man den Gegnern nicht ohne Not Angriffsfläche bietet. Das ist klug und nachvollziehbar.

Die Grünen werden in der öffentlichen Debatte ja gerne in ein Bullshit-Bingo gezwungen. Vor der Klimaschutzbewegung müssen sie sich dafür rechtfertigen, nicht radikal genug zu sein – während gleichzeitig Paul Ziemiak vor der grün-sozialistischen Verbotsrepublik warnt.

In diesem Spannungsverhältnis haben sich die Grünen auf ihrem Parteitag gut geschlagen. Das Wahlprogramm enthält ambitionierte Anliegen, die – würden sie Wirklichkeit – einiges verändern würden in der Republik. Ein milliardenschweres Investitionsprogramm, ein klimapolitischer Mix aus Preis- und Ordnungspolitik sowie Anreizen, ein Mindestlohn von 12 Euro, eine sanktionsfreie Grundsicherung für Arbeitslose – diese Pläne würden vielen Menschen helfen, gerade solchen mit wenig Geld.

Beim CO2-Preis nicht ambitioniert

Was davon in einer Koalition mit der Union übrig bleibt, ist eine andere Frage (klimapolitisch einiges, sozialpolitisch wenig). Aber manchmal trauen sich die Grünen zu wenig. So warb der Klimaaktivist Jakob Blasel in einem Antrag dafür, die Preisforderung auf 80 Euro pro Tonne Kohlendioxid zu erhöhen. Die Idee war gut begründet, wissenschaftlich valide – und sie wäre für die Deutschen verkraftbar, wenn es einen sozialen Ausgleich gäbe.

Allein die Grünen zuckten zurück. Nun werden sie beim CO2-Preis, einem zentralen Baustein der Klimawende, mit einer Forderung in den Wahlkampf ziehen, die sich nur in Nuancen von der Groko-Linie unterscheidet. Das kann man machen, aber man sollte es nicht ambitioniert nennen. Das Dilemma solcher Zugeständnisse an die Mehrheitsfähigkeit ist, dass die Klimakrise für die Grünen dann doch nicht so dringend scheint, um wirkliche Risiken einzugehen.

Annalena Baerbock wirkte gebremst, ihr war der enorme Druck anzumerken, der auf ihr lastet. Ihre Rede, mit der sie sich der Republik als mögliche Kanzlerin präsentieren wollte, gelang ihr mäßig gut, auch wenn die grüne Fankurve pflichtbewusst Lobgesänge anstimmte. Und den Grünen ist bewusst, dass nach dem Fehler mit den Nebeneinkünften, nach den Ungereimtheiten im Lebenslauf nicht mehr viel kommen darf.

Aber alle, die bei den Grünen etwas zu sagen haben, stehen geschlossen hinter ihr – und die Basis auch. Das war bei gescheiterten SPD-Kanzlerkandidaten anders. Für die Bundestagswahl heißen Baerbocks Pannen der vergangenen Wochen nichts, alles ist offen. Ob es einen heißen Sommer gibt, wird entscheidender für den Wahlausgang sein als ein paar peinliche Vitakorrekturen.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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14 Kommentare

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  • Wenn wir schon am "Präzisieren" von Lebensläufen sind, sollten wir uns unbedingt auch dem Lebenslauf von Habeck zuwenden. Herr Habeck wird in den Medien ja gerne als "Philosoph" bezeichnet. Nun ist Philosoph ja eine durchaus respektable Berufsbezeichnung, das weis so gar Lieschen Müller. Die Frage ist: ist Habeck tatsächlich ein Philosoph? Zu seinem Magisterstudium erfahren in seinem öffentlichen Lebenslauf und bei Wikipedia, dass er Philosophie, Germanistik und Philologie studierte. An keiner einzigen Stelle wird erwähnt welches dieser Fächer sein Hauptfach und welches die beiden Nebenfächer waren. War z.B. Philosophie oder Germanstik das Hauptfach. Seine Magisterarbeit über einen gescheiterten Dichter der Frühromantik des 18./19. Jahrhunderts legt nahe, dass Habecks Hauptfach Germanistik und nicht Philosophie war. Nun hat Habeck sich aber an der Philosophischen Fakultät promoviert (über literarische Ästhetizität) womit wir wieder bei der Germanistik wären. In der Philsophen Fakultät versameln sich auch nicht nur Philosophen sondern auch Germansiten, Philologen etc. Sie alle tragen den Titel Dr. phil. Wenn man dann noch die nachfolgende berufliche Tätigkeit (Kinderbücher schreiben) dazu nimmt, dann wirkt das Narrativ "Philosoph" doch etwas aufgepimpt. Die Bezeichnung studierter Germanist und Literat wäre wohl zutreffender - klingt halt nicht so cool.

    • @Pi-circle:

      Habeck ist sicherlich mehr Germanist als Philosoph und tatsächlich hat er den Beruf des publizierenden Schrifstellers ein paar Jahre ausgeübt. Trotz des Kokettierens mit dem Etikett des Philosophen erscheint mir seine akademische Karriere als sehr solide und ernsthaft. Ein Aufschneider ist er nicht, aber auch kein Kanzler.

      Bei Baerbock hingegen ist mehr Schein als Sein und das Kanzleramt ist einfach ein paar Nummern zu groß für sie. Da fehlt es auch intellektuell an Format. Die Grünen haben bei ihr voll auf die Wirkung der Oberfläche gesetzt und gehofft, die Strahlkraft würde die mangelnde Substanz verdecken. Diese tritt jetzt offen zutage, je mehr sie reden muss. Bei ihr wirkt alles eher wie auswendig gelernt und aufgesagt, nie wie tief verinnerlicht.

      Schwer vorstellbar auch, dass Baerbock im Ausland ernsgenommen werden wird, besonders nicht von Putin, Erdogan, Xi, den Mullahs und den Saudis. Man muss nur an von der Leyen und Erdogan denken. Und vdL ist eine gestandene Politikerin mit langjähriger Ministererfahrung und in dieser Hinsicht zweifellos eine Respektsperson.

      Auf internationalem Parkett herrscht aber ein rauer Wind und der Terminkalender führt einen in Weltregionen, deren politische Vertreter sich nicht von einem empörten "How dare you!" beeindrucken lassen.

      Über Helmut Kohl hieß es, dass er auf viele ausländische Staatschefs schon allein aufgrund seiner Körpergröße (1,92) bzw. -masse beeindruckend wirkte und bereits dadurch eine gewisse Autorität ausstrahlte.

      Solche archaischen Dinge spielen immer eine Rolle und fallen umso stärker ins Gewicht, je weiter man sich außerhalb des Westens in ganzen anderen Werte- und Normenkreisen bewegt.

  • Ach Herr Schulte, den hab ich noch:



    www.youtube.com/watch?v=FH8kCttdUSA

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    "Brav, diszipliniert und pragmatisch lehnten die Delegierten des Grünen-Parteitags jede Verschärfung des Wahlprogramms ab. "



    Diszipliniert, pragmatisch, brav...



    So blöd ist nicht einmal ein Schaf. (Määäh)

  • Meinen herzlichsten Glückwunsch !

    Und willkommen im Club der Cheater-Kanzlerkandidat:innen !

    Der eine fälscht Noten, der andere Umsatzsteuerbelege und der/die dritte den eigenen Lebenslauf.



    Priiima Kandidaten haben wir da !

  • Ich finde es o.k., wenn Deutschland Vorbild für andere Nationen beim CO2-Ausstieg sein will. Allerdings würde ich es nicht verstehen, wenn dies gegen den Bürgerwillen geschehen soll und die daraus resultierenden Belastungen auf dem Rücken der Verbraucher in Deutschland ausgetragen werden. Denn die Abgabenquote für den Durchschnittsbürger in Deutschland ist ohnehin bereits zu hoch.

  • Ich fand es spannend was Laschet auf die jüngsten Beschlüsse der Grünen entgegnet hat. Damit ist eigentlich eine schwarzgrüne Regierung nicht möglich. Und ich finde das gut.







    Wir Wähler sind aufgefordert Stellung zu beziehen. Und wenn 45% CDU und AfD wählen und somit eine andere Regierung unmöglich machen, dann zeigt das auch wo wir als Gesellschaft stehen. In der Demokratie muss ich auch Scheisse schlucken wenn ich das nicht verhindern kann.

    Es scheint heute nicht möglich zu sein neue Ansätze mehrheitsfähig zu machen, die unsere Probleme (Arm-reich, Klima, Biodiversität etc.) lösen ohne gleichzeitig jedem zu sagen, materiell wird es aber zu keinerlei Verzicht kommen. Alle werden immer mehr haben.

    Wir sind ein sattes verwöhntes abhängiges Volk, dass Freiheit mit Konsum gleichsetzt und sich sozialen Ausgleich nur Schulden finanziert vorstellen kann.

    Und da sind wir dann international in der Völkergemeinschaft fest verankert.

    • @Heiner Petersen:

      „Wir sind ein sattes verwöhntes abhängiges Volk, dass Freiheit mit Konsum gleichsetzt und sich sozialen Ausgleich nur Schulden finanziert vorstellen kann.“ Sprach‘s und ging seinem sonntäglichen Müßiggang nach.

  • Vielen Leuten ist überhaupt nicht bewußt was in den kommenden vier Jahren auf dem Spiel steht: nämlich der Anfang vom Ende des Euro und mglw. der gesamten EU. Um die Katastrophe in der Eurozone/EU abzuwenden, müssen die Löhne in Deutschland jährlich um 5% steigen. Auch das wird es mit der CDU nicht geben. Die sich abzeichnende schwarz-grüne Bundesregierung ist der Sargnagel für den Euro. Was nach dieser Katastrophe politisch in Deutschland los sein wird, z.B. Schwarz-Braun im Bund, darüber möchte unsereins am liebsten gar nicht nachdenken.

  • "Höherer CO2-Preis? Nö [noch nicht]. 70 km/h auf Landstraßen? I wo [hier und da, dann überall]. Früheres Aus für den Verbrenner? Bloß nicht [schaun mer mal]."

    Wart's ab. Wenn alle in der Kiste sind, dann gibt's die Ökodiktatur. HARR HARR HARR ;-)

    Das ganze ist ein Prozess. Sind die Grünen drin, dann sind wir nicht gleich "gerettet". Aber es könnte hilfreich sein.

    Ich find's immer lustig, dass genau die, die von der Ökodiktatur schwallen diejenigen sind, die keine Probleme damit haben, ihre Kinder zum Erledigen der Hausaufgaben zwingen.

    • @tomás zerolo:

      "Höherer CO2-Preis? Nö [noch nicht]. 70 km/h auf Landstraßen? I wo [hier und da, dann überall]. Früheres Aus für den Verbrenner? Bloß nicht [schaun mer mal]."

      Dann besteht ja noch Hoffnung. Vielen Dank für diesen Hoffnungsschimmer.

    • @tomás zerolo:

      Die Grünen wären ja nicht das erste Mal in Regierungsverantwortung. Wenn ich mich an die letzte Koalitionsregierung erinnere, wurde auch manches verbockt und die eine oder andere Kröte hat ihnen der Basta-Kanzler zusätzlich verpasst.



      Aber man muss andererseits auch ein Signal der Verlässlichkeit senden, das trifft's dann auch eher mit der CO2-Preisgestaltung. Obschon das meiner Überzeugung nach sehr zu Lasten des 1,5° Zieles geht. Ich glaube ernsthaft, der Zug ist abgefahren.



      (Real-)Politik ist leider immer nur ein Kompromiss...

  • Da kann sich ein Großteil der bürgerlichen Leitmedien ja beruhigt auf die Schulter klopfen. Die monatelange Hetze, die Kampagnen und Fake - News - die zuletzt gar vor antisemitischen Ressentiments nicht halt machte - siehe INSM - hat gewirkt: Erst stürzen die Grünen ins Bodenlose, jetzt werden die wichtigsten mit der der Erhöhung der Hartz IV Sätze und des Mindestlohns auch die wichtigsten sozialpolitischen Forderungen gekippt. Das war´s dann auch schon mit echter Sozialpolitik bei den Grünen. Freuen wird´s AFD und Union. Wobei Laschet via Bild schonmal ankündigte, auch die beschlossenen Punkte durch den shwarzen Schredder zu drehen.

    • @David Kind:

      'Erst stürzen die Grünen ins Bodenlose' ? Echt jetzt ? Ich denke, wenn sie tatsächlich bei 20 % landen sollten, ist das allemal nicht bodenlos und mehr als genug für sie.