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Mietendeckel gekipptSie stehen auf der anderen Seite

Jasmin Kalarickal
Kommentar von Jasmin Kalarickal

Nach dem Scheitern des Mietendeckels ist offensichtlich: Die Wohnungsfrage wird Wahlkampfthema. Es muss jedem klar sein, wofür FDP und Union stehen.

Happ, happ, happ: MieterInnen-Demo in Berlin 2020 Foto: Florian Boillot

D as Bundesverfassungsgericht hat den Berliner Mietendeckel gekippt. Für Mieter:innen, das sind über 80 Prozent in der Hauptstadt, ist das eine schlechte Nachricht. Für jene, deren Miete durch den Mietendeckel absenkt wurde, stehen nun happige Nachzahlungen an.

Der Mietendeckel war ein Wagnis mit ungewissem Ausgang, ein sozial ambitioniertes Experiment. Er war der Versuch, in einem komplett wahnsinnig geworden Mietmarkt die Reißleine zu ziehen. Und er ist auch als Reaktion darauf zu werten, dass auf Bundesebene zu wenig passiert ist. Dass überhaupt das Einfrieren von Mieten über einen begrenzten Zeitraum und das Festlegen einer Mietobergrenze als radikaler Schritt gelabelt wird, zeigt nur, wie asozial die Wohnraumfrage von manchen beantwortet wird. Wer will schon eine Politik, die sich allenfalls an kosmetische Änderungen traut?

Dass das Thema so stark polarisiert, weist auch auf die soziale Spaltung der Gesellschaft hin. Es gibt die, die kaufen können und denen Mietpreise herzlich egal sein können – und es gibt die, die es sich niemals leisten können. Der Kern der Wohnraumfrage ist: Wollen wir mehr Gemeinwohl oder noch mehr Profit? Mit dem Mietendeckel sind die Mieten in Berlin seit 16 Jahren erstmals gesunken. Wenn das Bundesverfassungsgericht jetzt entschieden hat, dass das Land Berlin beim Mietpreisrecht keine Gesetzgebungsbefugnis hat, dann heißt es nicht, den Kopf in den Sand zu stecken, sondern zu schauen, was denn auf Bundesebene möglich ist.

Die Frage nach bezahlbarem Wohnraum ist eine der großen sozialen Fragen unserer Zeit, und sie weist weit über Berlin hinaus. Das werden vielleicht Mün­che­ne­r:in­nen genauso sehen – unabhängig vom Parteibuch. Über die Hälfte der Menschen in Deutschland lebt zur Miete. Was heißt es eigentlich, wenn wir sagen, Eigentum verpflichtet? Die Realität in großen Städten spricht eine eindeutige Sprache. 2019 haben in dichtbesiedelten Gebieten Deutschlands 16,2 Prozent der Haushalte mehr als 40 Prozent des verfügbaren Nettoeinkommens fürs Wohnen ausgeben. Wohnen darf nicht zum Luxusgut verkommen, denn das gefährdet den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft.

Der Deckel war kein Wundermittel

Es bleibt richtig, Kostensteigerungen bei den Mieten effektiver begrenzen zu wollen. Natürlich muss auch neu und schneller gebaut werden. Wir sollten über eine Einführung einer neuen Wohngemeinnützigkeit sprechen. Aber der Mietendeckel war nie darauf ausgelegt, alle Wohnraumprobleme Deutschlands zu lösen. Bezahlbarer Wohnraum und Wege dahin – das wird ein Top-Wahlkampfthema werden.

Auch wenn vor 20 Jahren unter rot-roten und rot-grünen Landesregierungen öffentliche Wohnbestände verscherbelt wurden, so bleibt doch klar, auf wessen Seite FDP und CDU – es waren Abgeordnete dieser Parteien, die in Karlsruhe geklagt haben – stehen: Auf der Seite der Ei­gen­tü­me­r:in­nen und der Immobilienlobby. Das sollte jeder Person klar sein, die im September zur Wahl geht.

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Jasmin Kalarickal
Redakteurin
Jahrgang 1984, ist Redakteurin im Parlamentsbüro der taz.
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14 Kommentare

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  • 1G
    14390 (Profil gelöscht)

    „... so bleibt doch klar, auf wessen Seite FDP und CDU – es waren Abgeordnete dieser Parteien, die in Karlsruhe geklagt haben – stehen: ...“

    ...auf der Seite der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland!

    Es ist erschreckend, wie hier nonchalant ein klarer Verstoß gegen die in der Verfassung geregelten Gesetzgebungskompetenzen zu einer Petitesse schöngeredet wird. Die zwei Gutachten von Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichtes arbeiten klar heraus, warum der sog. Berliner Mietendeckel sowohl formell (erstes Gutachten), als auch materiell (ergänzendes zweites Gutachten) verfassungswidrig ist.

  • Mal sehen wie glaubhaft Berlin ist!!!



    Es steht RRG frei die landeseigenen Immobilienunternehmen dem Mietendeckel zu unterwerfen.

    Aber es ist wohl leichter dies nur von anderen zu fordern!

  • Der Staat muss nun selber den Neubau in die Hand nehmen. Bürokratische Fesseln wie die rein ideologische Schuldenbremse müssen daher nun weichen.

  • So, dann eben doch enteignen. Ich gehe morgen unterschreiben, wer kommt mit?

    • 0G
      05838 (Profil gelöscht)
      @Suryo:

      Wollen Sie enteignet werden?



      Ich mache mit.

  • "bezahlbarer Wohraum ist eine der großen sozialen Fragen ..." , ja das ist schon richtig. Die Beantwortung dieser Frage führt aber überknallharte Investitionen,, also unternehmerische Tätigkeit und Ausweisung Flächen und Genehmigung neuer Bauprojekte. Die Kohle dafür kommt nunmal von denen die Kohle haben oder die sie beschaffen können. Wenn "der Staat" das kann, na dann bitte! Also via eigenen Wohnbaugesellschaften.



    Letztlich ist das durch Bau- und Wirtschaftspolitik zu erreichen und keinesfalls über einen sozialpolitischen Ansatz der Schwache irgendwie schützen will in dem er die, die bauen könnten davon abhält.



    Am Scheitern gibts nix zu beschönigen. Das war ein Rohrkrepierer und jetzt zu glauben ja doch irgendwie richitg gelegen zu haben, da nur dei Formalie Berlin als Einzelbundesland... aufwachen bitte, so geht das sicher nicht!

  • Der letzte Absatz beschreibt in meinen Augen ein wirkliches Problem: Die diesjährigen Wahlen. Über die Partei, die sich von Liberalen zu rechten Neoliberalen entwickelt hat, brauchen wir nicht zu reden. Am wenigsten gibt es über den Parteivorsitzenden zu reden, der ohne jede Kompetenz immer versucht, nur den schon zum Bersten gefüllten Geldsack der jetzt schon ganz Reichen zu vertreten.

    Auch die SPD hat sich mit dem skandalbeschwerten Olaf ins chancenlose Abseits manövriert. Verlorene Stimmen von der Zahl und vom Programm!

    Bei den mit einem Tarnnamen versehenen Christlichen wird einer von zwei Wendehälsen antreten. Einer war früher ein Hardest-Liner, der andere glänzt mit seinem Spiel zwischen der Gesundheit der Bürger und dem Interesse des Kapitals. Wer einmal verlautet, man dürfe unter anderen Umständen beschlossene Grenzwerte der Infektionszahlen nicht ändern und kurz darauf diese ins noch Gefährlichere ändert, an dessen Fähigkeiten muss man zweifeln.

    Aber auch die Grünen mit ihren illusionären Forderungen würden bei deren Realisierung eine Art 'Revolution' von der falschen Seite provozieren.

    Weder Linke scheinen mir wählbar, und über eine leider sogar im Bundestag vertretene Partei von ewig-vorgestrigen Nazis weigere ich mich auch nur nachzudenken.

    Ich frage mich nur, bei wem darf man mit gutem Gewissen überhaupt noch ein Kreuz auf dem Stimmzettel machen?

  • Den Gang zum Bundesverfassungsgericht würde ich nicht in ein Lager einordnen. Allenfalls wertfrei in das Lager "Rechtsstaat". Machen wir uns nichts vor, der Mietendeckel ist ein untaugliches Instrumente. Kein Lager sollte daraus jetzt politisches Kapital schlagen, sondern stattdessen bauen, bauen, bauen.

  • Die Alternative ist nicht "freier Markt" oder "dirigistische Preisbindung". Die Lösung des Wohnungsproblems liegt in einer Wiederbelebung des Modells der Wohnungsbaugesellschaften. Nichts anderes kann preiswerten Wohnraum schaffen.

  • Nun gut, für die SPD wird auch dieses Thema kein schlagendes Wahlkampfargument, das sie wie Wasser auf ihre Mühlen leiten könnte ... im Berlin mit ihren grünen und linken Regierungspartnern mutig für den Mietendeckel eingetreten und verloren - wobei es sich um eine juristische, nicht aber moralische Niederlage handelt - in der GroKo schnarchnasige Untätigkeit der verantwortlichen „Genoss*innen“.



    Der neoliberalen „babylonischen Gefangenschaft“ kann die SPD einfach nicht entkommen ... eigentlich Zeit für die Opposition im Bund - wie für die Unionsparteien - , aber eine dieser beiden wird, so wie es aussieht, nach der BTW wohl wieder mitspielen.



    Schlecht für die Mieter in diesem Land, gut für Miethaie und Spekulanten.

  • 0G
    06792 (Profil gelöscht)

    Dieser Taz Kommentar zeigt deutlich wie wenig wir hier mit Ideologie weiter kommen. "DIE anderen sind Schuld." "DIE wollen nicht das die Mieten sinken." "DIE stehen auf der anderen Seite"

    Oh Mann. Echt? Das ist die Lösung?

    Die Entscheidung des Verfassungsgerichts sollte ein Weckruf für die Pragmatiker in den Parteien sein (Parteiübergreifend).

    Mieten müssen bezahlbar sein! Wohnraum muss für jeden verfügbar sein!

    Und es gibt langweilige, erprobte Wege dahin: Sozialer Wohnungsbau, schnelle Freigabe von Bauflächen, Freigabe von Verdichtung usw.

    • @06792 (Profil gelöscht):

      Darum geht es DENEN aber nicht. Seit wann interessiert sich die FDP für das Gemeinwohl? Nein, es geht CDU und FDP ausschließlich um die Profite von Deutscher Wohnen, Akelius und Co.

    • @06792 (Profil gelöscht):

      wer ist den schuld, wenn nicht DIE?

      ne andere lösung wäre auch, häuser und wohnungen die z.b. 3 jahre lang leer stehen, warum auch immer, zu enteignen.



      wohnraum ist da! aber er wird nicht genutzt, vermietet oder verkauft.

      allein in meiner ortschaft mit 2000 einwohnern weiß ich von 12 leerstehenden objekten (mind.wohnfläche von 160qm). und dafür habe ich kein verständnis.



      das ist asozial.



      und zwar von DENEN die besitzen.



      oder von wem sonst?

  • Es zeichnet sich ab, dass wieder einmal Wahlkampf auf dem Rücken einkommensschwacher Mieter gemacht werden soll. Ein Interesse daran, die Situation von Mietern zu verbessern, hat aber nur der, der aus der schlechten Situation keinen Vorteil ziehen kann.