Apartheid und Israel: Ein System der Vorherrschaft
Human Rights Watch attestiert Israel, ein Apartheidsregime zu installieren. Doch das meint etwas anderes als das System einst in Südafrika.
A partheid. Kaum ein Wort polarisiert wie dieses, wenn es um den Israel-Palästina-Konflikt geht. Leider ist es dabei zum Kampfbegriff verkommen. Wer sich in dem erbitterten Lagerkampf auf palästinensischer Seite wähnt, beschuldigt Israel der Apartheid. Wer sich als „proisraelisch“ versteht, sieht im Apartheidbegriff kategorisch Antisemitismus.
Was dabei unter den Tisch fällt: Apartheid ist nicht nur das, was wir aus Südafrika kennen, also die konkrete südafrikanische Ausprägung eines institutionalisierten diskriminierenden Systems, in dem die Vorherrschaft einer Bevölkerungsgruppe staatlicherseits gesichert wurde. Apartheid ist mehr – nämlich ein allgemeingültiger Rechtsbegriff, ein definierter Straftatbestand im internationalen Recht.
Deshalb ist zu begrüßen, dass die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch nun ausführlich darlegt, warum sie in Nahost die Kriterien für das „Verbrechen der Apartheid“ erfüllt sieht. Natürlich ist die Lage nicht dieselbe wie einst in Südafrika. Das behauptet niemand, der an einer seriösen Debatte interessiert ist. Doch dass einige Kriterien von Apartheid erfüllt sind, ist kaum von der Hand zu weisen.
In Israel und Palästina gibt es keine zwei Regierungssysteme. Souverän im Gesamtgebiet ist Israels Regierung. Ein Großteil der Palästinenser*innen aber lebt mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit, Landenteignungen und Zwangsumsiedlungen. Im Westjordanland werden Straßen gebaut, die in erster Linie den Siedler*innen nutzen und die das Land infrastrukturell gezielt für diese erschließen. Deshalb sind hier Züge eines institutionalisierten Regimes, das die Herrschaft einer Personengruppe über eine andere herstellt und aufrechterhält, klar zu erkennen.
Das alles rechtfertigt weder Terror noch Antisemitismus. Doch leider gehört es zur nahöstlichen Realität, dass in Gaza Terroristen herrschen, dass der palästinensische Widerstand teilweise eine antisemitische Schlagseite hat – und dass sich gleichzeitig ein höchst problematisches Vorherrschaftssystem verfestigt hat, in dem eine Gruppe ganz klar Verlierer ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen