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Apartheid und IsraelEin System der Vorherrschaft

Jannis Hagmann
Kommentar von Jannis Hagmann

Human Rights Watch attestiert Israel, ein Apartheidsregime zu installieren. Doch das meint etwas anderes als das System einst in Südafrika.

Palästinenser überqueren die Grenze von der West Bank nach Israel am 6. September 2020 Foto: Oded Balilty/ap

A partheid. Kaum ein Wort polarisiert wie dieses, wenn es um den Israel-Palästina-Konflikt geht. Leider ist es dabei zum Kampfbegriff verkommen. Wer sich in dem erbitterten Lagerkampf auf palästinensischer Seite wähnt, beschuldigt Israel der Apartheid. Wer sich als „proisraelisch“ versteht, sieht im Apartheidbegriff kategorisch Antisemitismus.

Was dabei unter den Tisch fällt: Apartheid ist nicht nur das, was wir aus Südafrika kennen, also die konkrete südafrikanische Ausprägung eines institutionalisierten diskriminierenden Systems, in dem die Vorherrschaft einer Bevölkerungsgruppe staatlicherseits gesichert wurde. Apartheid ist mehr – nämlich ein allgemeingültiger Rechtsbegriff, ein definierter Straftatbestand im internationalen Recht.

Deshalb ist zu begrüßen, dass die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch nun ausführlich darlegt, warum sie in Nahost die Kriterien für das „Verbrechen der Apartheid“ erfüllt sieht. Natürlich ist die Lage nicht dieselbe wie einst in Südafrika. Das behauptet niemand, der an einer seriösen Debatte interessiert ist. Doch dass einige Kriterien von Apartheid erfüllt sind, ist kaum von der Hand zu weisen.

In Israel und Palästina gibt es keine zwei Regierungssysteme. Souverän im Gesamtgebiet ist Israels Regierung. Ein Großteil der Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen aber lebt mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit, Landenteignungen und Zwangsumsiedlungen. Im Westjordanland werden Straßen gebaut, die in erster Linie den Sied­le­r*in­nen nutzen und die das Land infrastrukturell gezielt für diese erschließen. Deshalb sind hier Züge eines institutionalisierten Regimes, das die Herrschaft einer Personengruppe über eine andere herstellt und aufrechterhält, klar zu erkennen.

Das alles rechtfertigt weder Terror noch Antisemitismus. Doch leider gehört es zur nahöstlichen Realität, dass in Gaza Terroristen herrschen, dass der palästinensische Widerstand teilweise eine antisemitische Schlagseite hat – und dass sich gleichzeitig ein höchst problematisches Vorherrschaftssystem verfestigt hat, in dem eine Gruppe ganz klar Verlierer ist.

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Jannis Hagmann
Redakteur Nahost
ist Redakteur für Nahost & Nordafrika (MENA). Davor: Online-CVD bei taz.de, Volontariat bei der taz und an der Evangelischen Journalistenschule Berlin, Studium der Islam- und Politikwissenschaft in Berlin und Jidda (Saudi-Arabien), Arabisch in Kairo und Damaskus. Er twittert unter twitter.com/jannishagmann
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21 Kommentare

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  • Sie schreiben, in Israel und Palästina gäbe es keine zwei Regierungssysteme.

    Das klingt aber neu. Der Präsident der Palästinensischen Autonomie-Behörde heißt weiterhin Abu Mazen, obzwar gealtert und tyrannisch. Der Ministerpräsident heißt weiterhin Mohammed Schtajjeh. Im Gebiet um Gasa herrscht seit dem Putsch der Hamas ebendiese Partei.

  • Guter artikel!



    Aber das:



    "Wer sich als „proisraelisch“ versteht, sieht im Apartheidbegriff kategorisch Antisemitismus."

    ist leider falsch! und genau das argument, das viel israelkritik als anti-semitisch darstellt!

    Israelkritisch ist nicht gleich 100% anti-israel! im gegenteil!



    Gute kritik ist egtl darum bemüht, zu reflektieren und sich und die welt dadurch besser zu machen.

    Im gegensatz also zu vielen rechten, die meinen man müsste sich nicht verbessern, gibt es sehr viele soziale und intelligente israelis und auch nciht-israelis und nicht-juden, die sehr wohl proisraelisch sind als auch israelkritisch sind, weil sie der meinung sind, israel könnte was besseres sein - nicht nur für israelis, aber für die eben auch!!

  • "Deshalb sind hier Züge eines institutionalisierten Regimes, das die Herrschaft einer Personengruppe über eine andere herstellt und aufrechterhält, klar zu erkennen."

    Reden wir Israel oder den Radikalislamisten, die Gaza beherrschen?

    • @Wonneproppen:

      In dem bericht wird also die Hamas, als "friedenstiftende" Gemeinschaft und nicht mehr als islamistische politische und militaristische Organisation angesehen. Können Sie mir das bitte zeigen?



      Nur weil wer Israel kritisiert, heißt es nicht, das dann die Hamas oder Fatah genau das Gegenteil sind.

  • Ein angenehm ausgeglichener Artikel für die taz. Danke.

    Dennoch befürchte ich, dass bei so gut wie allen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen bei dem Stichwort "Apartheid" sofort der Gedanke "Südafrika" kommt. Mir war er bisher auch in keinem anderen Kontext bekannt.

    Vielleicht ergibt sich ja ausnahmsweise mal eine sachliche Diskussion. Und ich höre es schon raunen: Das sagt der Richtige.

    Trotzdem.

    • @Jim Hawkins:

      @hawkins, Jossi Blum. Sie brauchen es also nur noch mal in netteren Worten gesagt. Wobei ich nicht genau erkennen kann wo genau das nettere und ausgewogenere liegen soll. Nichts anderes sagen doch all die "IsraelkritikerInnen" hier in den Leserkommentaren, mit denen Sie sich streiten doch auch. Zusammengefasst für Sie noch mal: Apartheid- Südafrika und der Jüdische Staat: Nicht das Selbe aber das Gleiche. Und zum Terrorismus und Antisemitismus. Terrorismus gab es auch von Seiten der schwarzen Südafrikaner (oder von Seiten der Vietnamesen ggn die Franzosen und Amerikaner oder der Kongolesen gg die Belgier.) war natürlich alles nichts besonders zartfühlend. Überflüssig zu fragen ob die Belgier, Franzosen und Amerikaner so zartfühlend waren, wir kennen ja die Antwort? Wenn die Vietnamesen, Kongolesen und Südafrikaner nur mit Blumen auf die Straßen gegangen wären würden sie wahrscheinlich noch heute demonstrieren. In etwa der Unterschied zw. wirksamen Sanktionen und Heiko Maas, wenn er sehr besorgt ist. Die einen nennen es Terrorismus, die anderen Widerstandskampf und beide haben recht. Würde es aber Besatzung und Siedlungen nicht mehr geben und die Israelis würden sich aus der WB zurückziehen, und die Palästinenser hätten ihren Staat wären all diese Diskussionen schnell Schall und Rauch. Die Palästinenser, von einzelnen abgesehen, wie überall, sind bestimmt keine Antisemiten und Terroristen, sie sind ein Volk unter Besatzung und natürlich sind sie antisraelisch. Noch mal der Hinweis zum Apartheitbegriff :einfach noch mal nach der Ethymologie schauen. soweit ist das Afrikaans ja nicht vom Englischen, Niederländischen u Deutschen entfernt. Insofern eine hanebüchene Diskussion. Bei Begriffen kommt es nicht darauf an welche Assoziationen irgendwer hat. Von den Taten ganz zu schweigen, es kommt aber darauf an was jmd tut und nicht was er denkt, glaubt oder fühlt.

    • @Jim Hawkins:

      Wer ein wenig über den Tellerrand hinaus schaut, konnte dies auch bei anderen Themen schon finden.



      China, USA, Myanmar,...Solche Information ist keine Bringschuld.

      Beschrieben wurde sie mit dem System in Südafrika, aber sie wurde natürlich erweitert, so dass sie allgemein nutzbarer ist. Denn nach Ihrer und Jossi Blums Auffassung, wäre aktuell eine Apartheid nur dann wenn 1. es sich um Südafrika handeln würde, 2. wenn dieselben Strukturen vorhanden sind und 3. nur jene die in Südafrika galten. Leichte Abänderungen wären schon fragwürdig.

      Genau aus dem Grund hat man es im internationalen Recht aufgenommen , erweitert und vorerst komplettiert (bis neue Situationen aufkommen, wo Menschen auf noch schändlichere Gedanken kommen).

    • @Jim Hawkins:

      Ja, der Begriff Apartheid ist untrennbar mit Südafrika verbunden so wie mir beim Begriff Antisisemitismus bei mir sofort NS-Deutschland, Verfolgung, Entrechtung, Deportation und Vernichtung der europäischen Juden einfällt.

  • "Deshalb sind hier Züge eines institutionalisierten Regimes, das die Herrschaft einer Personengruppe über eine andere herstellt und aufrechterhält, klar zu erkennen."

    also für mich ist klar erkennbar, dass die herstellung auf einen abgewehrten angriffskrieg zurückzuführen ist und die aufrechterhaltung mit generationsübergreifender weigerung einen staat in frieden mit israel zu errichten, zu begründen ist.



    dass die beliebte ausblendung der ursachen wenig zur überwindung des beklagten zustandes beiträgt, ist eigentlich logisch und betrachtete man:frau den bds unterstützenden verfasser bei hrw omar shakir unter brücksichtigung der kritik des mittlerweile ausgeschiedenen gründers robert bernstein des hrw, ist ebenfalls unverkennbar, dass der hrw sich in dieser frage zu einem politischen instrument hat missbrauchen lassen.

    • @Ali Bert:

      Abgewehrter Angriffskrieg - ja, ein Fakt. Aber wenn man einen Krieg gewonnen hat, kann man die Verlierer so oder eben anders behandeln. Ein mögliche alternative Strategie wäre es, Verlierer sogar besonders gut (als "first class citizen") zu behandeln um dauerhaften Frieden in den Köpfen und Herzen zu ermöglichen und dem ehemaligen Feind zu beweisen, dass man auf der hellen Seite der Macht steht.

      Ich erinnere an die Großzügigkeit, mit der die westlichen Alliierten nach 1945 mit Westdeutschland umgegangen sind. Es war für sie dauerhaft von Vorteil. Aus Erbfeindschaft (Deutschland/Frankreich) wurde sogar Freundschaft. So eine Vision hätte ich für Israel und Palästina.

      • @Winnetaz:

        Die Antwort waren die 3 nein v khartoum.



        Es gehören immer zwei zum tango...

    • @Ali Bert:

      zur vor-geschichte dessen, was israelische soziologas ethnocrathy und israelische menschenrechtla+NGOs apartheid nennen



      theintercept.com/2...ok-rashid-khalidi/



      eine der stimmen, auf die leider nicht gehört wurde.

      • @christine rölke-sommer:

        Danke.

  • In der "Anti-Apartheid-Konvention der UNO, wird das Apartheid-Verbrechen, unter ausdrücklichem Hinweis auf ähnliche Politiken und Praktiken RASSISCHER Segregation und Diskriminierung in Südafrika wie folgt definiert: „inhumane Akte, ausgeführt mit dem Ziel, die Herrschaft einer

    RASSISCHEN Personengruppe über irgendeine andere RASSISCHE Personengruppe

    herzustellen und aufrechtzuerhalten und [die Letztere] systematisch zu unterdrücken“.

    de.wikipedia.org/w...Konvention_der_UNO

    die israelische politik verdient es in mancherlei hinsicht inhuman genannt zu werden und verstösst zweifelsohne oft gegen die menschenrechte und systematisch und permanent gegen das völkerrecht

    aber da das verbrechen der apartheid seiner definition gemäss RASSISMUS voraussetzt und dieser vorwurf nicht zutrifft







    sollte Israel nicht vorgeworfen werden ein apartheid-regime zu sein

    der zionismus ist keine rassistische ideologie sondern ein nationalismus.es gibt auch viele andere nationalistische ideologien die keine rassismen sind



    nationalismus und rassismus sind NICHT ein und dasselbe.man kann und muss und sollte sie voneinander unterscheiden

    übrigends ist auch der palästinensische nationalismus kein rassismus sondern ein nationalismus

    die vernünftigeren unter den palästinensischen nationalist*innen betonen immer wieder dass sie keine antisemit*innen sondern antizionist*innen seien .und dass es sich bei dem konflikt nicht um einen religionskonflikt handle .



    auch dies ist eine wichtige unterscheidung zumal es ja auch viele jüdinnen und juden in der welt gibt die sich die zionistische ideologie nicht zueigen gemacht haben oder sie sogar ablehnen

  • Da hier offensichtlich mal wieder die Objektivität hängt siehe hier:



    www.ngo-monitor.or...ation-bds-lawfare/

  • Das Kernproblem ist ein ganz anderes. Und muss irgendwie von der internationalen Gemeinschaft gelöst werden: Die hat nämlich nach dem zweiten Weltkrieg den Juden ein Gebiet zugesprochen, das gar nicht der internationalen Gemeinschaft gehörte, sondern schon bevölkert war.

    Somit gibt es jetzt zwei Gruppen mit einem legitimen Anspruch auf dasselbe Gebiet. Und einen Konflikt, den die beiden Parteien kaum alleine lösen können.

    • @Peter_:

      "schon bevölkert war"

      Unter anderem von Juden, die unter anderem vor der Geburt Christi da lebten.

      • @h3h3y0:

        Das soll was bedeuten? Das sie ein Vorrecht haben. Aber die anderen Religionen nicht?



        Wäre toll wenn Sie mehr Infos geben könnten. Was ihr Einwand bedeuten soll.

        • @Daniel Drogan:

          Es geht hier nicht um Religionen:



          de.wikipedia.org/wiki/Juden

          • @Henriette Bimmelbahn:

            Israel versteht sich als jüdischen Staat. Sprich die Mehrheit soll und muss jüdisch sein, laut eigener Definition.

            Auch in damaligen Geschichte wurde Israel als ein Ort für Juden betitelt, damals nur noch nicht so klar. Das damit gemeint ist am liebsten keine Araber.

            Nun ging es aber um die Aussage von H3H3Yo, der meinte das durch die Anwesenheit der Juden im Mandatsgebiet Palästina, damals wohl quasi ein Recht sich ergab das dort das Gebiet/Land Israel entstehen dürfe. Nur nebenbei, zur damaligen Zeit gab es auch an vielen anderen Orten jüdisches Leben. Heißt das umgekehrt, das dort auch ein Recht bestand ein Israel 2,...und so zu etablieren?

            Es gab selbst für das Mandatsgebiet Palästina verschiedenste Kommissionen, die zu unterschiedlichen "Landvergaben"kamen. Manche eben proisrael, manche prorest. So gibt es auch Kommissionsberichte, nach denen die Führung des späteren Israels sich NICHT darauf geeinigt hätten. Just das was die Palästinenser heute aufgrund Grundlage der UN-Resolution 181 immer wieder ins Gespräch bringen, das dies nicht abgesprochen war.

            Darüber hinaus, ist die Resolution 181 und auch 242, und 338 wichtig. Letztere beiden sind Ankerpunkte der Friedensverträge von Israel mit Jordanien und Ägypten. Man kann ja selbst sehen, wie damals der Teilungsplan ausschaute und wie heute oder eben zukünftige der "Teilungsplan" aussehen wird.



            Expansiv ist ein gut gewähltes Wort leider dafür.