piwik no script img

Corona und die NachwirkungenDie vergiftete Gesellschaft

Das Politische der Pandemie ist zu strikt in richtig und falsch geteilt. In diesem „Wir gegen die“ wird der Raum für Zweifel knapp.

Foto: Fabian strauch/dpa

M enschen brechen. Langsam und unsichtbar, leise oder laut, aber sie brechen. Es ist ihnen zu viel, sie sind müde oder leer oder pleite. Sie fühlen sich nicht sicher, sie fühlen sich verletzt, sie sind wie Unfallopfer, die an der Kreuzung stehen, einen Totalschaden neben sich, der Motor rauchend. Und sie sagen: Nein, nein, alles gut, während sie eine klaffende Kopfwunde haben, die sie noch nicht spüren.

Die Gesellschaft steht unter Schock. Und die Wirkungen von Corona werden erst nach und nach sichtbar, spürbar, greifbar. Ich weiß das, und ich wusste das. Ich habe ein Tagebuch über Corona geführt, das extra nicht politisch war, weil das Politische der Pandemie mir zu aufgeladen war, von Anfang an.

Es gab gleich diese Fronten. Es gab uns und die anderen. Es gab richtig und falsch und wenig dazwischen. Dabei wären Zweifel, Ausprobieren, Austausch so wichtig gewesen.

Ich wusste es also, dass Menschen brechen. Aber ich habe es erst richtig verstanden, als ich vor ein paar Wochen vor einer Werkstatt stand und mich mit dem Handwerker unterhielt, der in dieser Werkstatt arbeitet. Normalerweise jedenfalls.

Denn an diesem Tag sagte er, er könne nicht mehr arbeiten. Aber warum denn nicht, fragte ich ihn. Ich wollte etwas bei ihm in Auftrag geben. Er machte eine lange Pause, also, wie soll ich es sagen, so kam es zögernd, dann eine lange Pause, ich habe kein Geld mehr.

Eine Pause voller Angst

Es war diese Pause, die mich verfolgte, in den Tagen danach. Eine Pause, die eine Existenz verschluckt. Eine Pause, die gefüllt werden will. Eine Pause, die voller Angst war und Unsicherheit, voller Verzweiflung und Ratlosigkeit. Wie soll ich es Ihnen sagen, das waren seine Worte, als ob er es sich selbst erklären musste, wie es so weit kommen konnte. Dabei wollte er doch nur seine Arbeit machen, aber nun fehlte ihm das Geld, um seine Materialien zu kaufen.

Menschen wie ihn wird es viele geben, Tausende, Hunderttausende, die mehr oder weniger still vor sich hin leiden, weil die Pandemie ihre Existenz zerstört hat; oder eben auch eine Politik, die für viele Menschen verstörend agiert hat und stümperhaft, die Nachrichten produziert von Korruption und Zaudern, die mal hart war und mal weich, die wenig vorsorgend oder fürsorgend wirkt, die Widerstand produziert hat, der sich bislang nur in Formen äußert, die man leicht abtun kann.

Und in vielem zeigt sich in diesem Widerstand auch vor allem ein Grad an Weltabweichung, der möglicherweise pathologisch ist; in manchem aber zeigt sich auch die Wirklichkeit wie in einem Vexierspiegel, verzerrt vielleicht, aber doch die Wirklichkeit.

Verzerrt, aber nicht grundlos

Manches ist als Symptom unangenehm oder autoritär, verschwörerisch und raunend – aber manchmal ist das Symptom auch nur ein Verweis auf ein Phänomen, das tatsächlich real ist, einen Zustand, eine Frage von gesellschaftlicher Relevanz und mehr als eine Statistik.

Anders gesagt: Nur weil jemand falsch liegt, heißt das nicht, dass alles in Ordnung ist. Die Ablehnung des Abseitigen produziert auch eine Gewissheit, die trügerisch sein kann. In der Ablehnung konstruiert sich eine Geschlossenheit, die so eigentlich nicht existiert.

Das war gerade mal wieder am Beispiel der Schau­spie­le­r*in­nen zu beobachten, die ironisch gegen die Coronapolitik protestieren wollten, eine Aktion von orchestrierter Bescheuertheit – und gerade weil ja nicht alle von denen, die da mitgemacht haben, komplette Volltrottel sind, konnte man sich immerhin fragen, wie es so weit kommen konnte, dass sie ihren Verstand und ihr Urteilsvermögen in der Maske ließen und nackt vor das Land traten.

Ich fand die Aktion exemplarisch falsch und teilte auf Twitter einen Thread, in dem speziell die Nähe von bestimmten Aussagen über eine gleichgeschaltete Presse mit den Querdenkern beschrieben wurde.

Die Macht des Irrationalen

Und dann bekam ich eine SMS, von eben dem Mann, der mir gesagt hatte, dass ihm das Geld fehlt. Als „Gewerbetreibender und Demokrat“, schrieb er mir, müsse er mir sagen, dass ich mir einen anderen Handwerker suchen müsse, weil ich diesen Tweet „vollumfänglich“ unterstützt habe. Ich war ziemlich sprachlos.

Aber, wie gesagt, Menschen brechen. Und das erzeugt scheinbar irrationale Reaktionen. Es erzeugt eine Wut, die sich ihr Gegenüber sucht. Es erzeugt ein toxisches gesellschaftliches Klima, wenn das alles im Schema von Freund und Feind gesehen wird.

Der Mann, mit dem ich mich dann in der kalten Frühlingssonne unterhielt, hatte mich als Gegner ausgemacht. Weil ich regierungstreu sei, unkritisch, weil ich eine Politik unterstütze, die ihm schade. Ich versicherte ihm, dass ich die Politik in Weitem kritisch sehe, beschrieb ihm das Versagen und meine Alternativen. Er schien sich zu beruhigen, auch wenn seine Sorgen nicht weggehen.

Ein Schadensbericht, später

Der Punkt ist: Das ist erst der Anfang. Wenn der Schock nachlässt und damit die Anspannung, die bislang verhindert hat, dass das Ausmaß der individuellen Verwüstungen deutlich wird, dann wird sich das alles wiederholen, tausendfach, hunderttausendfach. Und ich frage mich: Sind wir dafür bereit? Haben wir die Zeit, die Aufmerksamkeit, haben wir die Strukturen und die Ressourcen, um diesen gesellschaftlichen Totalschaden erst einmal zu sehen, wahrzunehmen, anzunehmen – und dann miteinander ins Gespräch zu kommen über das, was da passiert ist?

Es geht um Existenzen, und das ist erst einmal eine wirtschaftliche Angelegenheit. Aber tatsächlich geht es auch um Existenzen im eigentlichen Sinn, und dafür braucht es Foren und Formate der Fürsorge, der Offenheit, des Austauschs und des Halts. Denn Menschen brechen. Was in den kommenden Jahren droht, wenn wir nicht aufpassen, ist eine Austerität der Herzen, mit katastrophalen Folgen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

24 Kommentare

 / 
  • @Alreech



    ja , das macht die Welt einfach:



    alles, was man/frau nicht teilt, ist rechts=böse. Bloß nicht weiter nachdenken!

    • 2G
      23495 (Profil gelöscht)
      @Petterson:

      Ja, es macht die Welt einfacher ZU FASSEN wenn klar wird wie weit rechtsaußen die Mitte so zu verorten ist... Strauß hatte das ja früher schonmal deutlich gemacht. Das Ganze ist dann aber leider im WirHabenUnsAlleSoLiebSchiSchi und NurDieLeistungZählt Gedönse nach der Wende etwas sehr untergegangen. Sie sind offensichtlich ein Produkt dieser Fehlentwicklung.

  • Lieber Autor, mein Herz feiert Ihren Artikel! Ich frage mich seit Wochen, wie ich genau diese Gedanken wohl am besten unters Volk bringen kann. Und nun haben Sie es getan und ich kann in Ruhe darüber nachdenken, was der nächste Schritt sein könnte. Ich teile alles, ausnahmslos. Aber ich bin optimistischer als Sie. Ich bin 20 Jahre schwer seelisch krank gewesen: ein Wechselbad zwischen Suizidgedanken, Depressionen, Aggressionen und Ängsten. Jetzt sitze ich hier (morgen werde ich geimpft) seit über einem Jahr zuhause und gesunde. Plötzlich nehme ich wahr, dass Dinge, die nie in den Medien aufgegriffen wurden, endlich ans Tageslicht gelangen. Dass es immer mehr Menschen gibt, die wissen, dass Umweltschutz und seelische Gesundheit zusammengehören. Dass wir auf die vermeintlich "Schwächsten" der Gesellschaft achten müssen. Alles wackelt: die Superleague, der DFB, der FC Bayern, CDU/CSU, die katholische Kirche, die unkritischen Medien, das deutsche Filmgeschäft, die Despoten, Freundschaften und Familienkontakte, von denen man eigentlich schon vor der Pandemie wusste, dass man sie schon hätte längst beenden sollen...fürs eigene Seelenheil. Ich befreie mich gerade, gesunde und freue mich darüber, dass ich endlich Dinge lese, höre und sehe, die mir schon immer auf der Seele lagen. Ich fühle mich nicht mehr alleine. Und doch sehe ich diese vergiftete Gesellschaft, die vergiftete Welt. Aber, das war auch vor der Pandemie schon so. Jetzt wird es endlich greifbar. Danke!! Sollten Sie, lieber Autor, mit mir Kontakt aufnehmen wollen, gerne unter Twitter: LuisaJonas4 (Habe mich nur wegen Ihrem Artikel bei Twitter angemeldet).

  • Bravo, bravo.



    Nach über einem Jahr ist in der TAZ ein erfreuliches helles und menschliches Licht(lein) am Ende des medialen Kriegsgeschreitunnels zu sehen.



    Vielen Dank, lieber Georg Diez

  • Das ist ja nun tatsächlich mal ein Beitrag, der Reflexion erkennen lässt und den gegner nicht verteufelt. Chapeau für Ihren Lerneffekt

  • Mein erstes Kommentar in meinem ganzen Leben unter einem Artikel der sog. Mainstream-Presse:

    Mich hat der Artikel beeindruckt und ich habe gemerkt, dass ich mit dem Autor menschlich in weiten Teilen übereinstimme, obwohl ich seine (vermutlich sehr linke) politische Einstellung kaum teilen kann. Ich fühlte mich in meinen Sorgen verstanden. Normalerweise rege ich mich eher über Artikel aus der Feder der taz auf. Bei diesem ist es anders, vielen Dank dafür, Sie haben die Welt ein kleines Stück besser gemacht.

    Viele Grüße von rechts :-)

  • Gerade Medien und auch politisch denkende Menschen sollten die Fähigkeit trainieren bzw. bewahren, die Grundtatsachen, die unverhandelbar sind zu trennen von dem, was sehr wohl zu diskutieren ist - und dabei die Umstände im Auge behalten:

    Unverhandelbar sind wissenschaftliche Ergebnisse - auch wenn sie vorläufig sind oder begrenzt in ihrer Aussagekraft. Es muss klar sein, was das bedeutet - und vor allem, um welche Wahrheit es dabei geht.



    2. Konsequent sind Maske, Abstand, Soziale Distanz einfach mal anzuerkennen als objektiv geeignet und richtig, um eine objektiv sich rasant ausbreitende tödliche Krankheit deutlich einzudämmen.

    Belegt ist darüber hinaus, dass alle Länder, die es "laufen ließen" oder solange sie es "laufen ließen" mit enormen menschlichen und wirtschaftlichen Kosten bezahlen.

    3. Was Wissenschaftler*innen in ihrer absolut großen Mehrheit zu sagen haben, ist nicht durch anonyme oder "Meinung" von Schauspielern und anderen Nicht-Fachleuten zu schlagen. Sondern ganz im Gegenteil erstmal wichtig und, so durch Studien belegt, auch richtig (schließlich baut unsere ganze Welt und ihre Funktionsweise von Flugzeug über U-Bahn bis Intensivstation auf dieser Wissenschaft auf...). Diskutabel sind hier nur ganz bestimmte, einzelne Schlussfolgerungen.



    - Die Abwendung einer Pandemie ist folglich nur durch Maßnahmen möglich, die auf der ganzen Welt letztlich in den Grundzügen ähnlich sind.



    5. Menschen machen Fehler, Medien machen Fehler, Politiker*innen und sogar Wissenschaftler*innen machen Fehler - das ist aber nicht das Gleiche, wie zu unterstellen, dass diese Gruppen gezielt gegen den Rest der Gesellschaft, "die" Freiheit" oder "die" Wirtschaft arbeiteten.

    Es wäre viel gewonnen, wenn wir uns diese Grundtatsachen gerade als Linke nicht von anonymen Dummköpfen nebenbei oder von organisierten rechten Trollarmeen gezielt kaputt schreiben ließen.

    Und auf Grundtatsachen lässt sich auch sehr rational diskutieren...

    • @agtaz:

      Also ich würde Ihre Sicht so nicht mitgehen. Was Wissenschaftler sagen, ist auch recht bunt, welche Maßnahmenn man daraus ableitet auch. Verschiedene Maßnahmen sind nicht nur kleine Nuancen, für viele Menschen hängt davon viel ab. Viele Entscheidungen sind politischer Natur, da geht es um Abwägungen zwischen Zielkonflikten und Vorlieben, die Menschen haben - also Dinge, die nichts mit Wissenschaft zu tun haben.

      Natürlich bin ich sehr dafür Dinge auch technisch-wissenschaftlich zu betrachten. Wissenschaftliche Fakten sollte man nicht ignorieren - aber die sagen nur in seltenen Fällen, was genau zu tun ist.

      In der Summe, wo unsere Gesellschaft heute steht, bin ich eher skeptisch gegenüber den Strömungen, die die Wissenschaft betonen und als Begründung weit nach vorne schieben. Mir scheinen das stark eher solche Kreise zu sein, die an einem wirklich offenen Nachdenken über die technisch-wissenschaftlichen Möglichkeiten weniger interessiert sind. Aber das ist nur mein subjektiver Eindruck aus dem Teilspektrum der Gesellschaft, das ich wahrnehme.

  • Zu Beginn der Pandemie war alles nur in den Nachrichten real. Schlimme Bilder aus China, ich habe Freunde dort, das ging mir zu Herzen, aber eine persönliche Bedrohung fühlte ich nicht. Die ersten Fälle in Bayern - das kriegen die schon in den Griff.

    Dann schlimme Bilder aus Italien, Diskussionen um Masken ja/nein, es gab eh keine. Von da ab freiwillige Selbstisolation, da ein schwerer Verlauf bei meiner vorgeschädigten Lunge mein Todesurteil wäre. Vielleicht würde mein Immunsystem mit dem Virus fertig, aber ich zocke nicht um mein Leben.



    Einnal die Woche in den Supermarkt, gelegentlich Klönen 3m übern Gartenzaun, ansonsten strikte Isolation.



    Ca ein Jahr lang war das OK, ich bin kein Party-Typ, in Urlaub war ich >20 Jahre nicht (erst Pflege in der Familie, dann deswegen krank, dann deswegen arbeitslos).



    Aber langsam geht selbst mir Einsiedlerin der Saft aus.

    Ich müsste mal wieder neue Klamotten kaufen, die letzte Jeans ist hinüber. Onlinekauf ist Sch*** bei meiner Nicht-Norm-Figur.



    Im Garten müsste mal wieder was gepflanzt werden. Online werden keine neuen Kunden angenommen (überlastet), vor Ort ist das Angebot mau (Lieferprobleme) oder zu.



    Einfach mal spontan im Biergarten einkehren...

    Warten. Dass es einen Impftermin gibt (hier für mich wohl nicht vor 2022). Dass die Pandemie vorbei geht.

    Dieser Wartezustand ist kaum noch zu ertragen und macht Apathie Platz. Anziehen? Egal. Ich treff eh keinen. Kämmen? Dito.



    Putzen? Hängt mir zum Hals raus, wozu auch?



    Ich hab mich beim Brotschneiden in den Finger geschnitten, das war mir sowas von egal.

    Das ist keine Depression, die kenn ich auch, diese bleierne verzweifelte Handlungsunfähigkeit. Das hier ist anders, Gleichgültigkeit der Gleichgültigkeit gegenüber, eine Art Schwebezustand in einer irrealen Welt.



    Wenn das bis 2022 nicht aufhört, geh ich zu den Querdenkern.

    Aber jetzt lern ich noch ein paar chinesische Vokabeln. Für den Fall, dass ich auswandern muss, und um mein Hirn am Laufen zu halten.

  • Die Regierung (und auch das "Volk") hat viele Fehler gemacht.

    Ein Teil der Fehler war kaum vermeidbar, da die Situation eine bisher so noch nicht dagewesene war. Bei unvollständiger Informationslage und häufigen Erkenntnis-Updates wäre eine richtige Entscheidung ZU BEGINN der Pandemie nichts weiter als ein Glückstreffer gewesen. Und dann stellt sich die Frage: Für wen oder was richtig?

    ABER: Diese unvermeidlichen Fehler wurden noch potenziert durch profilierungssüchtige Provinzfürsten, Gefälligkeiten gegenüber mächtigen Lobbyisten (z.B. Fluglinien, Autoindustrie), persönliche Bereicherung aka Korruption, eine Kakophonie widersprüchlicher Einzelinteressen sowie eine seit Jahren ausgeblutete Infrastruktur, ergänzt durch den starren Blick auf die Wahlen 2021.

    Es gab keine Strategie, die man so hätte nennen könnte, nur "Rin inne Kartoffeln, raus ausse Kartoffeln". An sich erträglich - siehe Satz 2, aber wenn Fürst A "rin inne Kartoffeln" sagt, und Fürst B 10 km nebenan "raus ausse Kartoffeln", und das in wildem Wechsel, nimmt irgendwann keiner mehr ALLE Fürsten ernst.

    Was macht dieser Hühnerhaufen eigentlich, wenn mal tatsächlich eine richtig böse Pandemie so in Pocken- oder Ebola-Qualität loskegt, oder "die Russen kommen", wie es von manchen kalten Kriegern als realistisches Szenario an die Wand gemalt wird?

  • „Nur weil jemand falsch liegt, heißt das nicht, dass alles in Ordnung ist. Die Ablehnung des Abseitigen produziert auch eine Gewissheit, die trügerisch sein kann. In der Ablehnung konstruiert sich eine Geschlossenheit, die so eigentlich nicht existiert.“

    Der Autor beschreibt hier diesen einengenden Mechanismus ganz anschaulich. Und im direkt folgenden Abschnitt wird deutlich, dass er bei ihm selbst wirksam ist. Die Künstler „wollten“ nicht ironisch gegen die Coronapolitik protestieren, sie haben tatsächlich ironisch protestiert!

    Man kann diese Aktion bescheuert finden aber das bedeutet nicht, dass ihr Gegenstand nicht ironisch gestaltet ist. Und dass der Autor die Aktion „exemplarisch falsch“ findet bedeutet keineswegs, dass sie falsch ist. Der Autor stellt hier möglicherweise nur seine eigene oben beschriebene „Geschlossenheit“ zur Schau. Man kann die Aktion auch als gelungenen Anstoß zu einer öffentlichen Debatte verstehen, die sich eigentlich nur vordergründig mit der Coronapolitik beschäftigt und sich aber dann mit Wucht auf ihre Folge, die drohende Spaltung der Gesellschaft, bezieht.

    Der Handwerker lehnt den Autor als Kunden ab und was tut der Autor? Er beschreibt diesen Handwerker hier öffentlich erstmal als gebrochenen Menschen, der dadurch, dass er gebrochen ist, zu der irrationalen Handlung den Autor als Kunden abzulehnen neigt. Dabei handelt der Handwerker komplett rational.

    Er kann aufgrund seiner Lage keine Materialien bestellen und muss eh jeden Kunden ablehnen. Der Grund dafür liegt in der Coronapolitik (und nicht im Virus und auch nicht an sogenannten „Coronaverharmlosern“) Der Autor neigt dazu regierungskritische Aussagen aus der Mitte der Bevölkerung zu stigmatisieren und unterstützt somit indirekt, gewollt oder ungewollt die Regierung, auch wenn er von sich meint ihr gegenüber kritisch zu sein.

    Ein guter Artikel, WEIL man ihn kontrovers diskutieren kann.

  • Chapeau an den Handwerker.

  • Nicht alles wartet auf die Zeit nach der Pandemie!



    Bei uns im Kirchenvorstand ging auf einmal Mobbing los - heftig, aggressiv, und wie jedes Mobbing: ungerechtfertigt, ausser durch das Ego der Mobber selbst.



    Es begann schon im ersten Lockdown letztes Jahr...



    Ja, die Pandemie hat übele Folgen und schlägt böse Wunden.



    Aber immer noch besser als Sterben in noch höheren Zahlen als ohnehin schon!

  • Ein sehr kluger Artikel, die Sorge des Autors teile ich und allein dieser Satz ist Gold wert:



    "Nur weil jemand falsch liegt, heißt das nicht, dass alles in Ordnung ist."

    • @Dr. McSchreck:

      Finde das auch sehr klug und auf lange Sicht sehr wichtig. Es fehlen die DIskursräume, in denen ECHTER Austausch von Argumenten und das Ringen um echte Antworten stattfindet. Das gefährdet zunehmend unsere Form des Zusammenlebens.

      • 2G
        23495 (Profil gelöscht)
        @Lauer Hans-Martin:

        Nur das ist ja nicht erst seit Gestern (Corona) so. Die Problematik ist System immanent wie ich finde. Spätestens seit dem WIR sind wieder wer Taumel der frühen 90iger.

  • Der beste Artikel zum Thema seit langem. Ich fürchte nur, dass solche Verwerfungen im Nachholrausch der Nichtverlierer untergehen. Und vieles andere auch.

  • RS
    Ria Sauter

    Danke für diesen klugen und wahren Kommentar!



    Es wird einen Sturm geben, wenn alle sich zu Wort melden, die am Abgrund stehen oder sich schon unter den Verschütteten befinden.



    Was Sie hier beschreiben, erlebe ich auch im Freundes- und Bekanntenkreis. Die Menschen sind am Ende, wirtschaftlich und seelisch .



    Dieses völlige "am Ende sein"habe ich in der Aktion der Schauspieler/innen gesehen.



    Was darauf hin erfolgte, hat mich mehr erschreckt als diese Aktion.



    Für letztere kann ich sogar Verständnis aufbringen auch angesichts der Darstellung.

    Aus einer sicheren Position heraus, vermute ich mal, haben viele den Knüppel rausgeholt und losgedrescht. Das ist erschreckend. Die neu Elite, die sich besser und überlegener fühlt.



    Jemand sagte mir, Augen auf bei der Berufswahl und wer jetzt kein Einkommen hat, kann ja flexibel sein und Häuser anstreichen.



    Mehr braucht es nicht, um die Spaltung der Gesellschaft zu kennzeichnen.

    • @Ria Sauter:

      und solche Leute (wie Sie am Ende erwähnen) jammern dann gleichzeitig herum, dass der Diskurs verrohe durch Aktionen wie die der Schauspieler.....aber seit Monaten erzählen sie, dass jeder, der einen anderen Kurs will, Menschen opfern will für die Wirtschaft oder sogar, um Party feiern zu dürfen....das ist dann wohl nicht "roh".

  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    Mein Gefühl ist, das die Länder, die am besten durch die Pandemie gekommen sind, sich zu 100% auf ihre Wissenschaftler verlassen haben.



    Deren Regierungen haben diese Empfehlungen zur absoluten Grundlage ihres Handelns gemacht, und die Bevölkerung hatte genug Vertrauen um sich mehrheitlich dahinter zu stellen.



    Die trifft auf Deutschland und fast alle europäischen Nationen nicht zu.



    In Schweden hat man es immerhin versucht, hat aber leider die falsche Prämisse genommen.

    Der oben beschriebene Handwerker ist in Israel, Taiwan, Neuseeland, Vietnam und China nicht pleite gegangen sondern sitzt heute irgendwo ohne Maske im Café oder einer Bar gemeinsam mit anderen.

    • @05867 (Profil gelöscht):

      Wenn Sie die hier im Artikel beschriebene, psychische Situation der Bevölkerung vergleichen, dann kommen Sie zu einem ganz klaren Ergebnis, wer besser durch die Pandemie gekommen ist, Deutschland oder Schweden.

      Verloren haben wir die Pandemie zu Beginn. Und zwar aufgrund des Versagens der von der Politik herangezogenen Wissenschaftler. Diese haben nämlich keineswegs empfohlen, früh Einreisekontrollen durchzuführen. Diese gingen davon aus, dass sich das Virus hier schon nicht ausbreiten würde.

      Ist ein solches ansteckendes Virus in ganz Europa verbreitet, ist die Sache verloren. Wir sind dann auf die Strategie der Niedriginzidenz eingeschwenkt unter der Theorie, dass mind. 50 bis eher 80% der Erkrankungen so symptomatisch verlaufen, dass man diese erkennt und daher Infektionsherde einfach nachverfolgen kann.

      Diese Annahme war leider falsch und die Kontaktverfolgung konnte so zu keinem Zeitpunkt der entscheidende Vorteil werden, den man sich erhoffte.

      Funktionierende Strategien:



      - Nullinzidenz (Virus von Anfang an draußen halten), beste Lösung in jeder Hinsicht (Ostasien, AUS, Neuseeland)



      - Teilimmunität (das Virus nur in so weit einschränken, als dass eine Überlastung des Gesundheitssystems verhindert wird), vorteilhaftester Weg in Bezug auf Einschränkung persönlicher Freiheiten, KiTas, Grundschulen sowie Gastronomie waren in Schweden nie geschlossen und auch bei uns wäre das nicht zwingend nötig gewesen,die Inzidenz steigt dort immer weiter, aber die Sterblichkeit sinkt, da das Immunsystem von immer mehr Menschen das Virus bereits kennt.

      Wir (aber die meisten anderen Länder auch) haben ganz klar den psychologisch schwierigsten Weg eingeschlagen, die Strategie "Niedriginzidenz". Die erste Welle wurde mit viel Aufwand sehr früh gestoppt, dadurch entstand kein immunologischer Vorteil für weitere Wellen, was dadurch im Winter bis heute extreme Einschränkungen erforderte.

      Nicht auszudenken, wenn uns die Impfstoffe gerade nicht den Arsch retten würden.

  • Nun, objektiv gesehen, sind sie tatsächlich sein Gegner und außerdem der Gegner aller jungen Menschen, vielleicht mit Ausnahme der dank ihres Elternhauses wohlhabenden jungen Menschen.



    Ich kann den Mann gut verstehen und würde Sie an seiner Stelle auch als Kunde loswerden wollen.

  • Corona war in mancher Hinsicht ein Stich ins Wespennest. Da brechen unzählige Widersprüche auf, die es schon lange gegeben hat, die uns jetzt aber um die Ohren fliegen. Dass es in Krisen nie eine "richtige" Lösung gibt, die alles so weitergehen lässt wie vorher, gerät da leicht aus dem Blick. DASS nicht, sagen dann viele, auch wenn sie einen anderen Weg vielleicht noch viel weniger begrüßt hätten, aber den sehen sie halt nicht, weil er nicht begangen wurde.