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Prozesse gegen Ak­ti­vis­t*in­nenTönnies zerlegt Protest

Weil Tier­schüt­ze­r*in­nen einen Schlachthof blockierten, stehen sie vor Gericht. Tönnies klagt aus taktischen Gründen in 13 Städten gegen Einzelne.

Aktionen wie diese im Sommer 2020 würden Schlachthofkonzerne gerne unterbinden Foto: Guido Kirchner/dpa

Kiel taz | Rund zwölf Stunden standen die Messer still im Schlachthof von Kellinghusen: 26 Ak­ti­vis­t*in­nen der Gruppe „Tear down Tönnies“ demonstrierten im Herbst 2019 auf dem Betriebsgelände und blockierten Schweinetransportern den Weg. Nun beklagt Tönnies die Beteiligten. Es geht um rund 15.000 Euro Schadensersatz und die Grundsatzfrage, ob das Werksgelände eines Großkonzerns denselben rechtlichen Schutz genießt wie ein privater Garten.

In einem Park gegenüber dem Kieler Landgericht protestieren Ak­ti­vis­t*in­nen gegen Massentierhaltung und Großschlachtbetriebe. Die Plakate sind vom Gebäude aus zu sehen, in dem das Verfahren gegen Leyla S. (Name geändert) eröffnet wird. Bei der Blockade in Kellinghusen vor eineinhalb Jahren war sie auf das Dach des Schlachthofs geklettert, während andere Mitglieder ihrer Gruppe die Rampen blockierten, über die sonst die Schweine hineingetrieben werden.

Auch gegen diese Ak­ti­vis­t*in­nen finden derzeit Prozesse statt – aktuell sind es 13 Verfahren in verschiedenen Städten bundesweit, abhängig vom Wohnort der Beschuldigten. Weitere könnten noch folgen.

„Rechtsmissbrauch“, meint Verteidiger Dieter Magsam, der gemeinsam mit Anwältin Ulrike Donat mehrere der Ak­ti­vis­t*in­nen vertritt. Tönnies setze diese Aufteilung als „Zermürbungstaktik“ ein und verursache unnötige Kosten. Schließlich wäre es auch möglich, alle Fälle in Kellinghusens nächstem Gerichtsstandort Itzehoe zu verhandeln.

15.000 Euro plus Gebühren

Martin Bocklage, Geschäftsführer der Tönnies Central Services, einer Tochterfirma des Schlachtkonzerns, erklärt, dass die Firma aus prozesstaktischen Gründen „kein Interesse“ an einem gemeinsamen Verfahren hatte.

„Wenn die Folge sein sollte, dass sich das Gegenüber künftig im Vorfeld überlegt, welche Konsequenzen ein Verhalten hat, spricht nichts dagegen“, sagt er der taz. Immerhin seien alle Ak­ti­vis­t*in­nen erwachsen, und Tönnies nutze die legalen Möglichkeiten. Legal, dennoch problematisch, findet Magsam: „Hier soll Kritik mundtot gemacht werden.“

Das erste der Verfahren ist bereits beendet. Das Gericht verurteilte einen Aktivisten zu 15.000 Euro plus Gebühren – eben jene Summe, um die es auch im Prozess gegen Leyla S. geht. Diesen Schadensersatz kann die Firma von allen Beklagten verlangen, doch wenn das Geld einmal gezahlt wird, ist der Fall insgesamt erledigt. Es bleiben dann individuelle Unterlassungsklagen. Da die Verteidigung im ersten Prozess Berufung eingelegt hat, bleiben die weiteren Verfahren offen.

Ein Fall hätte in Braunschweig verhandelt werden sollen, das dortige Gericht erklärte sich aber für nicht zuständig und schickte die Klage nach Itzehoe weiter.

Die Richterin im Kieler Verfahren zweifelt hingegen nicht an ihrer Zuständigkeit: „Es steht dem Kläger frei, den Ort zu wählen.“ Dennoch fragt sie detailliert nach, worauf sich der Schadensersatzanspruch des Schlachthofs gründet. Laut Tönnies seien Kosten entstanden, weil eigene wie fremde Arbeitskräfte warten mussten, und ein Stall musste gemietet werden, um die Tiere unterzustellen. Zudem hätten die Schweine durch das Warten an Wert verloren.

Zu Beginn der Brokdorf-Proteste hieß es auch, die Demonstrationen dürften nicht vor Ort stattfinden

Dieter Marksam, Verteidiger der Tierrechts-Aktivist*innen

Bocklage beschrieb seine Branche als „traditionelles Geschäft, ganz wie früher auf dem Viehmarkt“, nur dass inzwischen per Mail oder Telefon gehandelt werde. Dennoch gebe es kaum Verträge, nur mündliche Absprachen. Die Extrakosten, die die Blockade verursacht habe, habe Tönnies freiwillig bezahlt, berichtete Bocklage: „Der Viehmarkt in Schleswig-Holstein ist überschaubar. Man trifft jeden Tag auf dieselben Leute, da ist man gut beraten, die Marktmacht nicht auszuspielen.“

Und diese Marktmacht ist groß: Tönnies schlachtet im Jahr europaweit 21 Millionen Schweine, die allein in Deutschland von 16.000 Land­wir­t*in­nen oder Erzeugergemeinschaften geliefert werden.

In den Belegen, die Tönnies dem Gericht vorlegte, seien die Zahlen nicht plausibel, so die Richterin. Problematisch sieht sie auch die weitreichende Unterlassungsklage, die Leyla S. künftig sogar verbieten würde, draußen auf der Straße gegen den Schlachtbetrieb zu demonstrieren. So weit dürfe die Unterlassung nicht gehen.

Meinungsfreiheit versus Eigentumsrecht

Für Verteidigerin Ulrike Donat dreht sich das Verfahren um einen zentralen Punkt: „Natürlich darf niemand in einem privaten Garten demonstrieren, aber wie privat ist das Gelände einer Firma mit beherrschender Marktmacht?“

In einer ersten Einschätzung wiegt die Richterin das Recht auf Meinungsfreiheit gegen das Eigentumsrecht auf: „Das Recht auf Demonstrationen findet Grenzen im Eigentumsrecht.“ Doch das Recht verschiebe sich an diesem Punkt gerade, sagt Donat, und Dieter Magsam stimmt zu: „Zu Beginn der Brokdorf-Proteste hieß es auch, die Demonstrationen dürften nicht vor Ort stattfinden.“

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12 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Ich habe damals sehr genau überlegt, was ich studieren sollte. Jura kam überhaupt nicht in Frage.



    Das war die richtige Entscheidung. Werde gerade von windigen Anwälten abgezockt. Gibt es einen Berufsstand, der permanent mit einem Bein auf der falschen Seite steht?

  • Es wäre doch gut, wenn engagierte Journalisten einmal die Vertriebswege von diesem Tönnies erforschen und der Öffentlichkeit mitteilen könnten. Dann könnte jeder für sich entscheiden, wie wichtig es für ihn ist, durch seinen Kauf von Tönnie-Fleisch und -Produkten den durch die Pandemie stark getroffenen Unternehmer zu unterstützen. Ein Schelm, wer sich Böses dabei denken würde.

    • @fvaderno:

      Es gibt eine ganze Reihe von Reportagen über das Geschäftsgebaren und die Verflechtungen der Firmen um Tönnies. Vielleicht einfach mal Google benutzen.



      Hilfe?



      Suchbegriffe:



      Tönnies Firmengeflecht Reportage

  • Betriebsgelände besetzen sind keine Meinung, sondern wenn man davor steht.



    Darf ich alle betriebsfremden mit Zwangsmaßnahmen von einer Betriebsstätte entfernen?

  • Stellt sich die Frage, ob man den Tieren in den Transportern einen Gefallen tut, wenn sie noch länger ohne Futter und Wasser rumstehen.

    Am Ende ist es das Verhalten des Endverbrauchers, das die Wende bringt. Wie bei allem, die Wirtschaft reagiert ausschließlich auf unser Verhalten.

  • Da es sich um eine akute Gefährdung des Tierwohls handelt, ist jede Form des Protestes eine Notwehr, die sicher Vorrang vor dem Eigentumsschutz hat. So kann auch die Feuerwehr nicht auf eine Genehmigung zum Betreten warten, wenn auf einem Privatgrundstück jemand ertrinkt. Die Aktivisten und Aktivistinnen allerdings kurz als Aktivist:innen zu bezeichnen, wird der persönlichen Würdigung ihres Mutes nicht gerecht.

  • 0G
    09968 (Profil gelöscht)

    Einfach mal genauer lesen, insbesondere den Satz vor dem zitierten Teil. Dann könnte mann verstehen, dass es in der Aussage um die ständig neu auszuhandelnde Balance vom "Recht auf Meinungsfreiheit gegen das Eigentumsrecht" geht. Und letzteres ist kein absolutes, es wird z.B. in Abs. (2) von Art. 14 GG ganz klar begrenzt: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen."

    Wenn nun in einem "privaten" Unternehmen durch die Art der Produktion eine Gefährdung oder Schaden für die Gesellschaft entsteht, dann ist der Meinungsfreiheit (und meiner Meinung nach auch die Versammlungsfreiheit auf einem "privaten" Firmengelände) höher zu bewerten, als das Eigentumsrecht.

    Die Darstellung, es ginge hier nur um "Unternehmenspolitik", die nicht gefällt, ist tendenziös und verharmlost den Anlass der Proteste. Die Art und Weise, wie Lebensmittel hergestellt werden oder wie Tiere gehalten werden, geht uns alle an. Tendenziös ist der Versuch hier, eine Grenze über den Begriff "Privatheit" zu konstruieren, hinter die niemand sehen und schon gar nicht mitreden darf. Natürlich dürfen (und müssen) wir mitreden und dabei kommt es hier nicht auf die Mitarbeiter*innenzahl an, sondern ob mehr als ein Tier gehalten wird, egal ob es die Kuschelkatze oder Schlachtvieh ist.

    Wenn das Reden mit den Besitzern des Schweinesystems nicht hilft, dann könnte man sogar noch schwerwiegender Eingreifen, z.B. die Betriebserlaubnis aufheben oder ggf. auch Enteignen.

    • @09968 (Profil gelöscht):

      "Wenn nun in einem "privaten" Unternehmen durch die Art der Produktion eine Gefährdung oder Schaden für die Gesellschaft entsteht, dann ist der Meinungsfreiheit (und meiner Meinung nach auch die Versammlungsfreiheit auf einem "privaten" Firmengelände) höher zu bewerten, als das Eigentumsrecht."

      Wenn dies so wäre, dann hätten es die Gerichte feststellen können. Diese angebliche "Gefährdung" ist eine unbewiesene Behauptung. Den Entzug der Betriebserlaubnis zu beantragen steht natürlich jeder Person frei. Wird wahrscheinlich so erfolgreich wie der Berliner Mietendeckel sein.

    • 0G
      09968 (Profil gelöscht)
      @09968 (Profil gelöscht):

      Das sollte eine Antwort auf Meinnick2021 sein...

      • @09968 (Profil gelöscht):

        Hallo,



        ich bin durchaus der Meinung, dass das Verhalten und die Geschäftsgebaren von Tönnies nicht ok sind. Ich bin auch durchaus dafür dagegen zu demonstrieren.



        Was mir aber allmählich echt auf den Wecker geht, ist die Selbstgefälligkeit von Aktivist*innen, die der Meinung sind, ihre Vorstellungen rechtfertigen jede Aktion, sie könnten über Recht oder Unrecht entscheiden. Nur weil ich ich Akti... nenne bin ich deswegen noch lange nicht im Recht. Ich habe zwar vielleicht vom moralischen Gesichtspunkt recht, daraus mehr abzuleiten, ist mitunter widerrechtlich. Wenn jemand der Meinung, etwas sei rechtswidrig, dann hat er das Recht, dagegen zu klagen, das Recht Anzeige zu erstatten, kann die Polizei zu Hilfe rufen. Er muss sich aber auch gegenhalten, wenn jemand der Meinung ist, er sei in seinem Recht beschränkt.



        Eine akute Gefährdung des Tierwohls - wie Herr Hötzendorfer behauptet - kann auch angezeigt werden.



        Den Vergleich mit der Feuerwehr - Der Feuerwehr kann auf Grund von Gefährdungslagen gemäß Gesetz hoheitliches Handeln zugestanden werden, wie z.B. das Recht rote Ampeln zu überfahren und Lärm zu machen (Martinshorn). Selbstjustiz ist in Deutschland aus guten Gründen verboten. Wenn jemand in vermuteter Nothilfe oder Notwehr handelt, dann wird das im Nachgang auch überprüft, wenn jemand dies anzeigt oder geschädigt wird.



        Übrigens ist in Deutschland der Begriff Aktivist inzwischen die Rechtfertigung für alles.



        Aktivist... habe z.B. durch Befreiungsaktionen von Nerzen schon regelrechte Katastrophen für die Natur ausgelöst. "Befreite" Minke und Nerze haben in ganzen Regionen Kleinsäuger und Vögel dezimiert.

        • 0G
          09968 (Profil gelöscht)
          @MeinNick2021:

          Wenn Du "vom moralischen Gesichtspunkt recht" hast, aber das bis dato gesetzte Recht dagegen steht, dann muss (!) dieses Recht überprüft und geändert werden.

          Aktivist*innen legen die Finger in die Wunden und Lücken des gesetzten Rechts, was immer illegal ist, weil die Gesetze noch nicht angepasst sind. Ich erinnere an Kampagnen wie "Ich habe abgetrieben", all die verbotenen und kriminalisierten Anti-AKW-Demos, die Christopher Street Randale als Vorbedingung zur Abschaffung des §175, die von den Suffragetten eingeworfenen Fensterscheiben zur Erstreitung des Frauenwahlrechts, ...

          Ohne solchen Aktivismus würden "das Gesetz" noch immer in Rom in Stein gemeißelt stehen.

  • "Doch das Recht verschiebe sich an diesem Punkt gerade, sagt Donat, und Dieter Marksam stimmt zu"



    Aha, in welchen Rechtsverordnungen und Gesetzen hat sich diesbezüglich eine Änderung ergeben? Wenn dem so ist, dann bitte auch entsprechende nennen. Nur weil mir eine Rechtsauffassung nicht gefällt, zu erklären, dass sich das Recht verschiebe (was ist das übrigens für ein Ausdruck aus dem Mund juristisch ausgebildeter Personen?!)



    Hat die Verteidigung gegen die Rechtsauffassung oder entsprechende Gesetze geklagt? Nein, sie will dass trotz bestehender Gesetze, die eben auch Unternehmen schützen - hehre Gründe für einen Rechtsbruch kann man gerne nennen, in wie weit sie Berücksichtigung bei der Sanktionierung finden, tut da nichts zur Sache - gegen diese geurteilt wird, dem Unternehmen sein Recht genommen wird.



    Ich beschließe also persönlich, dass ein Unternehmen, dessen Unternehmenspolitik mir nicht passt, zu entrechten sei? Vielleicht passt es einem anderen Unternehmen ja nicht, dass ich grün, blau, rot oder was immer ich denke und beschließt, dass ich unter Fallschirme eingehüllt werde, damit keiner sieht, was ich tue, oder lässt mit Hilfe von Richtmikrofonen jedes Wort, das ich sage, ins Internet streamen - es ist ja für eine gute Sache,.. - ich wünsche mir da schon, dass ich dann klagen kann, dass ich nicht dorthin zu einer Klage reisen muss, wo es dem Unternehmen passt. Das Unternehmen hat mich geschädigt. Das ist auch der Sinn dahinter, dem Kläger die Wahl des Gerichtsortes zu überlassen.



    Ob jetzt das Unternehmen ein Grosskonzern ist? Was trägt das zur Sache bei?



    Darf ich demnächst auf dem Gelände eines Großkonzerns gelagerte Rohstoffe stehlen - weil es ein Grosskonzern ist? Was ist ein Grosskonzern? Ab 5000 Mitarbeitern, ab 10000,... ? Privates Recht, das für wenige gelten soll? Ist es nicht gerade das, was Gerichten gern vorgeworfen wird? Ich entscheide darüber, ob ich ein Gesetz sinnvoll und rechtens ist? Ich überlege, dass für mich eine rote Ampel nicht gilt?