piwik no script img

Parität in den ParlamentenAngst vor der Identitätsdebatte

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Das Karlsruher Votum zu Paritätsgesetzen zeigt: Vorgaben für Parlamente mit gleich vielen männlichen wie weiblichen Abgeordneten bleiben ein Wunschtraum.

Ein Aktionsbündnis forderte Parlamente mit gleich vielen männlichen wie weiblichen Volksvertretern Foto: Ipon/imago images

D as Bundesverfassungsgericht hat am Dienstag aufgezeigt, wie groß seine Bedenken gegen Paritätsgesetze sind. Dies war nicht das letzte Zucken des Patriarchats. Vielmehr entschied der zuständige Zweite Senat mit fünf Richterinnen und nur drei Richtern unter Vorsitz einer Frau (Doris König). Viel weiblicher wird das Bundesverfassungsgericht wohl nicht mehr werden.

Es ging um die Frage, ob Wahlen nur dann zulässig sind, wenn ein Paritätsgesetz sicherstellt, dass am Ende gleich viele Männer wie Frauen zur Wahl stehen. Eine Münchener Initiative – das Aktionsbündnis Parité – hatte 2016 zunächst in Bayern gegen die Untätigkeit des dortigen Landtags geklagt. 2017 griff die Initiative dann die Bundestagswahlen an. Wie schon das bayerische Verfassungsgericht konnte nun auch das Bundesverfassungsgericht keine verfassungswidrige Untätigkeit des Gesetzgebers erkennen.

Zu groß ist die Gestaltungsfreiheit der Parlamente. Die Unterlassungsklagen galten auch unter Parité-BefürworterInnen von vornherein als chancenlos. Dagegen gelang es in Thüringen und Brandenburg tatsächlich, Paritätsgesetze einzuführen. Um so größer dann der Schock, als beide Gesetze im Vorjahr kurz hintereinander von den Landesverfassungsgerichten in Weimar und Potsdam kassiert wurden, unter anderem weil der Eingriff in die Selbstbestimmung der Parteien bei der KandidatInnenaufstellung zu groß sei.

Obwohl beide Landesverfassungen ausdrückliche Aufträge zur Förderung der Gleichberechtigung enthielten, genügte dies den RichterInnen nicht. So bestürzend die Urteile für Parité-BefürworterInnen waren, hatten sie doch auch Kompromiss-Charakter. Während die meist rechtsradikalen Kläger Paritätsgesetze als absolut verbotenen Verstoß gegen das Demokratieprinzip sehen, räumten die RichterInnen zumindest die Möglichkeit einer Änderung der jeweiligen Landesverfassung ein.

Zweidrittelmehrheit erforderlich

Das Ziel blieb also erreichbar, nur die Hürde wurde höher. Erforderlich ist nun eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag – die angesichts der Ablehnung von CDU, FDP und AfD bis auf weiteres jedoch unerreichbar scheint. Zuletzt ruhten die Hoffnungen der Parité-BefürworterInnen deshalb auf dem Bundesverfassungsgericht. Es wurde auf ein starkes Signal gehofft, neue Anläufe in Bund und Ländern zu unternehmen.

Ein solches Signal war die am Dienstag veröffentlichte Karlsruher Entscheidung nun aber sicher nicht. Im Gegenteil: Es wurden fast nur Argumente gegen Paritätsvorgaben aufgezählt, verbunden mit dem Vorwurf an die Klägerinnen, sie hätten sich damit nicht genug auseinandergesetzt. Selbst wenn es nach der Bundestagswahl ein (derzeit unwahrscheinliches) rot-rot-grünes Bündnis gäbe und dieses sich auf ein Paritätsgesetz für den Bundestag einigen würde, müsste man zur Vorsicht raten.

Die Gefahr, dass ein derartiges Gesetz vom Bundesverfassungsgericht gekippt würde, ist ziemlich hoch. Nach den Erfahrungen von Thüringen und Brandenburg müsste man wohl dazu raten, zunächst das Paritätsziel im Grundgesetz zu verankern. Doch auch auf Bundesebene ist die erforderliche Zweidrittelmehrheit weit entfernt. Warum aber sind die VerfassungsrichterInnen so zögerlich?

Parteiliche Quotenregelung

Vermutlich hat dies weniger mit der Frauenfrage zu tun als mit grundsätzlichen Einwänden gegen identitätspolitische Vorgaben an die Zusammensetzung von Parlamenten. Es besteht wohl die Befürchtung, ein Parlament werde bald nur noch dann als legitim anerkannt, wenn es spiegelbildlich zur Gesellschaft zusammengesetzt ist. Und natürlich könnten nach den Frauen auch MuslimInnen, ArbeiterInnen oder Nicht-AkademikerInnen verlangen, entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil im Parlament vertreten zu sein.

Die Aushandlungsprozesse über die gruppenspezifische Zusammensetzung des Parlaments würde zu einem neuen ständigen Unruheherd und Legitimationsproblem. Es ist gut nachvollziehbar, dass man diese neue Metaebene der Politik, bei der vor allem darüber diskutiert wird, wer etwas beschließt, erst gar nicht eröffnen will. Und die Lage ist auch nicht so, als ob Paritätsgesetze die einzige Möglichkeit wären, den Frauenanteil in Parlamenten zu erhöhen.

Ausgehend von den Grünen treten immer mehr Parteien bei Wahlen mit quotierten Listen an. Auch die Linke hat eine fünfzig-Prozent Quote, die SPD sichert 40 Prozent der Listenplätze für Frauen. Sogar die CDU bewegt sich und will bis 2025 eine Fünfzig-Prozent-Quote einführen. Frauen (und Männer) haben also genügend Möglichkeiten, Parteien mit hoher Frauenrepräsentation zu wählen. Am Ende bliebe vielleicht nur die AfD als offen frauenignorante Partei.

Der Frauenanteil der AfD-Fraktion im Bundestag beträgt derzeit nur elf Prozent. Hieran wird sich ohne ein Paritätsgesetz wohl so schnell nichts ändern. Aber ist es so wichtig, den Frauenanteil in der AfD-Fraktion zu erhöhen? Ist es eine der drängendsten Forderungen, mehr Alice Weidel und mehr Beatrix von Storch im Bundestag zu haben?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Und auch hier? Was ist mit den anderen Geschlechtern?

  • “ Aber ist es so wichtig, den Frauenanteil in der AfD-Fraktion zu erhöhen? Ist es eine der drängendsten Forderungen, mehr Alice Weidel und mehr Beatrix von Storch im Bundestag zu haben?“

    kurz - Da sei der Föhrer vor. Gellewelle.



    “ Gröfaz - der größte Frauenheld aller Zeiten“



    images.app.goo.gl/NTGmcFNtkTUGhjo7A



    www.sueddeutsche.d...r-zeiten-1.3933125 - den dazu hück passenden Aufkleber - gell;) - zitier ich wg Netti mal lieber nich - 😂 - & klar servíce - 🤫 -

  • gut, dann mal ein paar Gründe, warum es richtig ist, sich nicht auf eine "Identitätsdebatte" einzulassen, wie die Überschrift sagt.

    Nehmen wir an, ich bin - nicht alles davon stimmt - dick, weiß, rumänisch-stämmig, reich, rothaarig, überdurchschnittlich intelligent, habe nur 1 Arm, bin ein Mann, schwul, habe starken Fußschweiß - nichts davon habe ich mir ausgesucht (okay, den Reichtum könnt ich ändern)....

    Dabei sind einige Kriterien, mit denen ich privilegiert bin, mit anderen habe ich es eher schwerer als der Durchschnitt. Wer entscheidet denn darüber, welche der Eigenschaften jetzt wichtig sind, mit denen ich es leichter habe und welche unwichtig? Und vor allem: will ich das überhaupt: will ich in x Katagorien eingeteilt werden, um meinen Diskriminierungsstatus zu ermitteln, oder will ich einfach als der Mensch gesehen und behandelt werden der ich bin, mit all meinen Eigentschaften?

  • Sie formulieren sehr höflich, dass es sich nicht um ein starkes Signal in Richtung PRO Parité handeln würde.



    Wenn ich den Unzulässigkeitsbeschluss des BVerfG lese, kann ich nur konstatieren: Das ist eine ziemliche Klatsche für die Parité-Idee.



    Die wesentlichen Argumente:



    Da jede(r) Abgeordnete das gesamte Volk vertritt, ist es aus dem Grundgesetz auch zwingend so zu tun und das Parlament ist gerade nicht ein verkleinertes Spiegelbild des Elektorats (=Wahlvolks).



    Die Idee stößt an verfassungsrechtliche Grenzen, namentlich der Wahlfreiheit und Wahlgleichheit.



    Damit ist es dem Gesetzgeber m.E. gerade nicht erlaubt, bestimmte Vorgaben hinsichtlich der Verteilung der zu Wählenden zu machen.



    Was Sie richtig konstatieren, ist die Möglichkeit der Parteien selbst, nach selbst geschaffenen Kriterien (z.B. Geschlecht) die Posten zu verteilen.

  • Wie man zu der Idee von Parität steht sei einmal dahingestellt. Das eine Quote mit der Parität erzwungen wird mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist war jedoch für jeden absehbar, der sich einmal den entsprechenden Passus angesehen hat.



    Wer hiervon schockiert ist sollte sich dringend fragen ob er nicht zu tief in der eigenen Filterblase versunken ist. Hier würde sich dann mal eine vernünftige Mediendiät anbieten, die nicht nur auf Medienerzeugnisse setzt, die einem permanent die eigene Sichtweise bestätigen.

    Eine unheilige Parallele zu diesen Vorgängen in Deutschland lässt sich grade in den USA beobachten, wo man von links dieser Tage versucht einige Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegungen wieder abzuschaffen, damit man die „Rasse“ von Bewerbern wieder zum Einstellungskriterium erheben kann. Das alles natürlich zum Zweck der Gleichstellung.

    Die relativ breite Zustimmung zu derartigen Maßnahmen innerhalb des linken Lagers zeigt auf bedauerliche Weise auf das es mit einem angeblichen liberalen Universalismus nicht weit her ist, wenn sich die Gelegenheit bietet autoritäre Maßnahmen im eigenen Sinne einzusetzen. Der Zweck soll die unschönen Mittel heiligen, es ist ein Offenbarungseid.

  • "Vermutlich hat dies weniger mit der Frauenfrage zu tun als mit grundsätzlichen Einwänden gegen identitätspolitische Vorgaben an die Zusammensetzung von Parlamenten. Es besteht wohl die Befürchtung, ein Parlament werde bald nur noch dann als legitim anerkannt, wenn es spiegelbildlich zur Gesellschaft zusammengesetzt ist. Und natürlich könnten nach den Frauen auch MuslimInnen, ArbeiterInnen oder Nicht-AkademikerInnen verlangen, entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil im Parlament vertreten zu sein."

    ...und es unterstellt, dass diese ganzen identitären Gruppen und Grüppchen sich nur durch ihresgleichen vertreten fühlen können.



    Was bedeutet, die Wähler zu bevormunden, wenn man identitäre Paritäten/Quoten einführen will.



    Ich fühle mich im Zweifelsfall von einer kompetenten Frau auch als Mann gut vertreten. Darf ich künftig nur noch Männer wählen? Scheint mir undemokratisch und absurd.

  • Es gibt viele Punkte an denen man beim Wahlrecht ansetzen kann, eine quotale Regelung aufgrund von welchen Merkmalen muss strikt abgelehnt werden, abeschreckende Staatenbeispiele gibt es ja, häufig ist Religion hier das bestimmende Merkmal. Am Ende führt es zu einem "Stammesdenken" und langfristig zum Scheitern.

  • Ich schätze die Artikel von Herrn Rath.