BVerfG zu Thüringer Wahlgesetz: Keine Pflicht zur Parität
Das Thüringer Paritätsgesetz ist seit 2020 außer Kraft. Einen Antrag, der das Gesetz retten sollte, hat das Bundesverfassungsgericht nun abgewiesen.
Freiburg taz | Das Bundesverfassungsgericht hat eine vom Thüringer Landesfrauenrat initiierte Verfassungsbeschwerde abgelehnt. Damit ist der Versuch endgültig gescheitert, in Thüringen paritätisch mit Männern und Frauen besetzte Wahllisten vorzuschreiben.
Thüringen hatte im Juli 2019 als zweites Bundesland nach Brandenburg ein Paritätsgesetz beschlossen. Da der Frauenanteil im Landtag bei nur 31 Prozent lag, sollten Wahllisten zur Landtagswahl abwechselnd mit Männern und Frauen besetzt werden.
Auf Klage der Thüringer AfD-Fraktion erklärte der Thüringer Verfassungsgerichtshof in Weimar im Juli 2020 das Paritätsgesetz jedoch für verfassungswidrig und nichtig. Das Gesetz greife zu sehr in das Recht der Parteien ein, ihre Kandidat:innen selbst auszuwählen. Auch das Gleichstellungsgebot der Thüringer Landesverfassung könne diesen Eingriff nicht rechtfertigen. Erforderlich wäre eine ausdrückliche Änderung der Landesverfassung.
Wenige Wochen später argumentierte das Brandenburger Landesverfassungsgericht ganz ähnlich und erklärte auch das Brandenburger Paritätsgesetz für verfassungswidrig.
Nicht willkürlich und sachfremd
In Thüringen regte sich aber Widerspruch. Der Landesfrauenrat versuchte, das Weimarer Urteil mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts zu kippen. Zwanzig Thüringer Bürger:innen erhoben eine entsprechende Verfassungsbeschwerde.
Die Thüringer Kläger:innen beriefen sich auf das Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes (Artikel 3 Absatz 2) und das Demokratieprinzip (Artikel 20 Absatz 1). Das Wahlvolk bestehe aus zwei elementaren Gruppen, aus Männern und Frauen. Beide müssten paritätisch im Parlament vertreten sein.
Eine Kammer des Bundesverfassungsgerichts lehnte die Thüringer Beschwerde nun aber ab. Das Thüringer Verfassungsgericht entscheide in Wahlfragen abschließend, weil Thüringen ein eigener „Verfassungsraum“ sei. Die Auslegung der Thüringer Landesverfassung durch das Weimarer Gericht sei auch nicht willkürlich und sachfremd gewesen.
Außerdem hätten die Kläger:innen nicht ausreichend begründet, warum aus dem Grundgesetz eine Pflicht zu paritätischen Wahllisten folge, argumentierte das Bundesverfassungsgericht. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass alle Abgeordneten das gesamte Volk vertreten und nicht nur einzelne Gruppen.
Die Ampel will Wege für Parität immerhin prüfen
Die Karlsruher Ablehnung kommt nicht überraschend. Schon vor einem Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht eine Wahlprüfungsbeschwerde gegen die Bundestagswahl 2017 mit ähnlicher Begründung abgelehnt. Es sei nicht ausreichend dargelegt worden, dass das Grundgesetz paritätische Wahllisten vorschreibe.
Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es, eine Kommission zur Reform des Bundeswahlrechts werde sich auch mit „dem Ziel einer paritätischen Repräsentanz von Frauen und Männern im Parlament befassen und die rechtlichen Rahmenbedingungen erörtern“.
Nach der Wahl 2021 stieg der Frauenanteil im Bundestag um 4 Prozentpunkte auf 34,7 Prozent. Am stärksten sind Frauen in der Grünen-Fraktion vertreten (58,5 Prozent). Es folgen die Linke (53,8), SPD (41,7), FDP (23,9), CDU (23,8) und CSU (22,2). Am wenigsten weibliche Abgeordnete finden sich bei der AfD mit 13,2 Prozent.
Leser*innenkommentare
What would The Doctor do?
Männer dominieren die Parlamente, die Vorstandsetagen, das Finanzkapital, konservative Parteien, Polizeien, Militär und Geheimdienste. Männer unterjochen im Verborgenen gewaltsam ihre hilflosen, ermorden ihre abtrünnigen Partnerinnen und deren Kinder, zwingen Mädchen und Frauen in die Prostitution, bauen Waffen, führen Kriege, beziehen höhere Löhne für gleiche Arbeit, diffamieren und marginalisieren Frauen im öffentlichen Raum. Beliebig fortsetzbar, bitte ergänzen.
70 Jahre Gleichstellungsgrundsatz im GG und etliche Grundsatzentscheidungen des BVerfG haben nicht genügt, 3000 Jahre oder mehr weitgehend globales Patriarchat in der Menschheitsgeschichte hierzulande zu überwinden. Gesetzt den Fall, es würde diese Feststellung mit Belegen untermauert, ist dies dann eine ausreichende Darlegung für die Unabdingbarkeit, die Gesetzgebung endlich paritätisch in Frauenhand zu legen?
47491 (Profil gelöscht)
Gast
Vielleicht hätten sich die Kläger mal fragen sollen, was eigentlich passiert wäre, wenn die kühnsten Träume der Feministen und Frauenkämpfer wahr werden würden.
Dass man Frauen für die stets kompetenteren, vertrauenswürdigeren und zuverlässigeren Menschen halten würde.
Dann müsste man trotzdem - laut deren Vorstoß - 50 % Männer ins Parlament wählen.
Obwohl man eigentlich 100 % Frauen wählen wollen würde.
Und was ist eigentlich mit den Menschen, die sich laut eigener Aussage keinem Geschlecht zugehörig fühlen? Oder nicht dem körperlichen Geschlecht? Können die dann beide Plätze besetzen (Also Mann wie Frau) oder braucht es entsprechend des Anteils an der Bevölkerung dafür auch festgeschriebene Sitze?
Da merkt (hoffentlich auch frau), wie wenig das Ganze mit Fakten zu tun hat. Es reicht eben, einen Schritt weiterzudenken.
Holger Steinebach
Parität auf Wahllisten ist doch völlig unsinnig, wenn nicht 50% der Mitglieder Frauen sind. Meinetwegen schreibt man vor, dass auf Wahlisten der prozentuale Anteil an Frauen dem der weiblichen Mitglieder entsprechen muss. Aber Parität, wenn nur etwa 1/3 der Mitglieder weiblich sind? Da dürfte jede Klage eines Mannes wegen geschlechtsspezifischer Benachteiligung erfolgreich wein.