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Anschläge in EuropaTerror von zwei Seiten

Sabine am Orde
Kommentar von Sabine am Orde

Der IS ist geschwächt, aber nicht besiegt. Seine Ideologie lebt weiter. Und weltweit sollen rund 20.000 Kämpfer zum Einsatz bereitstehen.

Trauernde nach dem Terroranschlag in Wien am Donnerstag Abend

E s war ruhig geworden um den islamistischen Terrorismus in Europa. Langsam glitt er aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit. In den Fokus dagegen rückte, viel zu spät, eine andere Bedrohung: der Terror durch Rechtsextremisten. Sie, so zeigt sich Bundesinnenminister Horst Seehofer inzwischen überzeugt, stellten derzeit die größte Gefahr für die Sicherheit in Deutschland dar – nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke etwa und den Anschlägen in Halle und Hanau.

Von Islamisten war kaum noch die Rede. Doch in den vergangenen Wochen hat sich der islamistische Terror mit brutaler Gewalt in unser Bewusstsein zurückgemordet. Mit der Messerattacke auf ein schwules Paar in Dresden, bei der einer der Männer starb, mit der Enthauptung des Lehrers Samuel Paty bei Paris, der mit seinen SchülerInnen über Mohammedkarikaturen diskutieren wollte, mit dem Angriff in einer Kirche in Nizza.

Und zuletzt mit dem Anschlag in einem Wiener Ausgehviertel, bei dem ein Islamist wahllos auf Menschen schoss, dabei vier von ihnen tötete und viele verletzte. Nun heißt es, der islamistische Terror sei zurück. Tatsächlich war er nie weg. Nur ist er unauffälliger und leiser geworden. Und er schlägt in Europa weniger spektakulär zu. Kleinere Anschläge und Festnahmen von Terrorverdächtigen gab es auch in den vergangenen Jahren. Sie blieben häufig unter dem Radar der Öffentlichkeit.

Die militärische Niederlage und der Verlust seines Territoriums, auf dem der IS ein Kalifat mit einer enormen Anziehungskraft auf radikalisierte Muslime in der ganzen Welt ausgerufen hatte, schwächte die Terrororganisation zwar deutlich, doch endgültig besiegt ist sie nicht. Der IS verfügt, so schrieb der Terrorexperte Yassin Musharbash in der Zeit, über schätzungsweise 100 Millionen US-Dollar und 20.000 Kämpfer. Sie operieren in Syrien, dem Irak, Afghanistan und andernorts.

Noch vor wenigen Tagen stürmten drei IS-Kämpfer eine Abschlussfeier auf dem Campus der Universität Kabul und erschossen 22 Menschen. Spektakuläre Anschläge in Europa – wie 2015 in Paris, im Jahr darauf in Nizza und auf dem Berliner Breitscheidplatz – zu organisieren, dazu ist der IS nach Meinung vieler Experten derzeit hingegen nicht in der Lage. Nichtsdestotrotz bleibt die Gefahr bestehen. Denn die Ideologie ist nicht verschwunden. Der IS verbreitet seine Propaganda weiter im Netz.

Islamismus und Rechtsextremismus ähneln sich

Und die Polizei stuft weiterhin 627 IslamistInnen in Deutschland als GefährderInnen ein, traut ihnen also einen Anschlag zu. Einer von ihnen: der Tatverdächtige aus Dresden. Die aktuellen Täter, so ist der derzeitige Ermittlungsstand, agieren offenbar weitgehend unabhängig vom IS. Die Terrororganisation hat sich nur zu der Tat von Wien bekannt. Dennoch scheinen auch die anderen Anschläge von dem IS zumindest inspiriert gewesen zu sein.

So hat der mutmaßliche Täter aus Dresden wie auch der aus Wien in der Vergangenheit erfolglos versucht, ins Kalifat auszureisen. Ob der neue Streit um die Mohammedkarikaturen oder später dann die Enthauptung Patys – ein Mord ganz im Stil des IS – der Auslöser für die neuen Taten war, darüber kann man derzeit nur spekulieren. Ist dem so, und die Sicherheitsbehörden vermuten es, zeigt es aber, wie schnell Radikalisierte im Zweifelsfall zuschlagen.

Es wäre also ein großer Fehler für die Sicherheitsbehörden und auch für die Zivilgesellschaft, die Gefahr, die von Islamisten ausgeht, aus dem Blick zu verlieren und ihre Bekämpfung zu schwächen, ganz unabhängig davon, dass es so notwendig wie überfällig ist, die Bedrohung durch Rechtsextremisten endlich ernst zu nehmen und diese entschieden zu bekämpfen. Ohnehin ähneln sich beide mehr, als häufig gedacht wird:

Es sind menschen- und demokratiefeindliche Ideologien, die sich gegenseitig in die Hände spielen. Denn jeder islamistische Anschlag fördert Muslimfeindlichkeit, ein Kerngeschäft der Rechtsextremen. Und die Angriffe der Rechtsextremen zielen häufig auf Migranten und Muslime, was deren Radikalisierung fördern kann: Die Spaltung der Gesellschaft nützt beiden.

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Sabine am Orde
Innenpolitik
Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.
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7 Kommentare

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  • Ich halte es immer noch für die beste Variante, dem IS irgendwo auf dieser Welt, es muss doch noch ein paar unbewohnte Gegenden geben, Land zur Verfügung zu stellen. Dann können die Anhänger dieser Ideologie (Sekte?) dort entsprechend ihren Vorstellungen leben. Es gibt Männer und Frauen die so leben möchten und wenn verhindert werden kann, dass sie in andere Länder ausreisen und wirklich nur in einer bestimmten Region leben, ist es aus meiner Sicht in Ordnung. Unter ihresgleichen werden sie vielleicht friedlicher leben als mit uns zusammen. Es muss nur sichergestellt sein, dass sie nicht ausreisen.

    • @*Sabine*:

      Ihre Idee wurde bereits umgesetzt: In Ländern wie Saudi Arabien gilt die Scharia und wird auch durchgesetzt. Die Interpretation des Islam ist mit der des IS absolut vergleichbar. Der Unterschied ist, dass die Monarchie dort seit langem etabliert ist und die Welt sich an die Nachrichten von Urteilen der dortigen Terror-Justiz gewöhnt hat: Todesurteile, Auspeitschungen, usw!

      Kinder, die dort geboren werden, werden wohl nie die Wahl haben, ob sie Muslime sein wollen oder ob sie in aller Freiheit keiner oder eine anderen Religion angehören wollen.

      • @Winnetaz:

        Dann verstehe ich nicht, dass die Scharia-Anhänger oder IS-Anhänger in westlichen Ländern leben wollen und nicht in Saudi Arabien. Zumal ich, nur eine Vermutung, annehme, dass Saudi Arabien aus religiösen Gründen verpflichtet ist, Glaubensbrüder aufzunehmen.

        Davon abgesehen nehme ich aber an, dass die IS-Anhänger oder Taliban nicht in Saudi Arabien leben sondern ihren eigenen Staat aufbauen wollen. Ich verstehe das sogar sehr gut und denke darüber nach, wo das sein könnte, wo sie unter ihresgleichen nach ihren religiösen Regeln leben können. Für "uns" wäre das auch angenehm, wenn wir die Gefährder etc. dann einfach "dorthin reisen". Win-Win. :-)

  • Diese ganze Problematik war vorhersehbar. In jeder ihrer Facetten.

    Wenn es Menschen nicht gut geht, radikalisieren sie sich leicht. Und das Potential ist gigantisch.

    In der einen oder anderen Version ist die Geschichte voll davon, in Millionen von Versionen. Das Muster ähnelt sich.

    Wie geht es jungen Menschen ohne Job, ohne Sex, doch in der Nähe faschistischer Ideologien?

    Es geht hier noch nicht mal so sehr um diese 627 Gefährder und den IS.

    Den schleichenden Rechtsextremismus und Faschismus in seinen alltäglichen Auswirkungen, die keine großen Schlagzeilen machen, halte ich für viel gefährlicher.

    Zum Beispiel:

    www.faz.net/aktuel...ntin-16968462.html

    • @shantivanille:

      Der Straßburger Fall machte allerdings große Schlagzeilen. Zum Beispiel auch diese hier:



      www.spiegel.de/pan...-b95a-e8d1f4e4f6ec

      Was natürlich die grundsätzliche Aussage Ihres posts nicht unbedingt in Frage stellt.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @shantivanille:

      Da ist durchaus was dran!

  • Ein katholischer und ein protestantischer Theologe:

    "Nach dem Terroranschlag in Wien: Die Probleme müssen benannt und dürfen nicht verschleiert werden.

    Die Bluttat ist geschehen, nun sind die obligaten Aufrufe zu Einheit und Dialog zu hören. Aber sie bleiben so lange ambivalent, wie das Problem nicht benannt wird: Es gibt Muslime, die Gewalt gegen Andersgläubige für legitim halten."

    www.nzz.ch/feuille...-werden-ld.1585537