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Digitaler Unterricht in NiedersachsenJobcenter zahlt kein iPad

Schülerin aus einer Familie, die Hartz IV bezieht, bekommt Apple-Tablet für den Unterricht nicht bezahlt. Sozialgericht: Familie hat keinen Anspruch.

Es muss nicht immer Apple sein: Schüler arbeiten mit Tablet-Computern Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Hamburg taz | Obwohl sie in einer iPad-Klasse sitzt, hat eine Sozialhilfe beziehende Schülerin keinen Anspruch darauf, dass ihr das Jobcenter einen Tablet-Computer bezahlt. Wie das Landessozialgericht Niedersachsen geurteilt hat, sind die Ausgaben für ein solches Gerät im Regelsatz enthalten. Ein Härtefall liege nicht vor. Abgesehen davon habe die Schule allerdings das Recht gebrochen, indem sie sich freihändig für Apple-Geräte entschieden habe.

Der Fall reicht in das Jahr 2017 zurück. Die Schülerin besuchte die sechste Klasse einer Oberschule in Garbsen, als das Lehrerteam beschloss, ab dem zweiten Halbjahr mit iPads zu arbeiten. Zuvor waren die Eltern um ihr Einverständnis gebeten worden. Alle stimmten zu – auch die Eltern der Klägerin. Hätte ein Elternteil nicht zugestimmt, wäre die iPad-Klasse nicht eingerichtet worden, sagte ein Lehrer vor Gericht.

In der Annahme, dass das Jobcenter die Kosten für das Tablet übernehmen würde, beschaffte der Vater für 461,90 Euro das vorgeschlagene iPad allerdings in einer deutlich teureren Variante. Die Lehrer hatten hilfebedürftigen Familien empfohlen, die Rechnung beim Jobcenter oder Sozialamt einzureichen und bei einer Ablehnung Widerspruch einzulegen.

Das Jobcenter lehnte tatsächlich ab und auch der Widerspruch wurde abschlägig beschieden. Deshalb klagte die Familie. Das Sozialgericht Hannover gab ihr teilweise recht: Es verpflichtete das Jobcenter, der Familie ein Darlehen in Höhe von 320 Euro mit monatlichen Tilgungsraten von 30,20 Euro für den Kauf des Tablets zu gewähren. Das Jobcenter hatte das dies abgelehnt, da die Schule einen günstigeren Ratenkauf angeboten hatte – mit 36 Monatsraten zu 10,90 Euro. Doch die Familie wollte nach wie vor einen Zuschuss.

Keine besondere Härte

Das Landessozialgericht verwarf ihre Berufung als unbegründet. Kosten für digitale Geräte seien bereits vom Regelbedarf für Hilfeempfänger mit 8,40 Euro pro Kind im Monat erfasst. Dazu komme das „Schülerstarterpaket“, eine Bedarfspauschale von 100 Euro pro Schuljahr. Im übrigen habe der Bundestag den Ländern eigens 5,5 Milliarden Euro für Digitalisierung zur Verfügung gestellt.

Nach Ansicht des Gerichts stellt der Kauf eines Tablets für die Familie auch keine besondere Härte dar. Es handele sich um eine einmalige Anschaffung so wie etwa eine Waschmaschine, die auch aus dem Regelsatz bezahlt werden müsse.

Im übrigen sei der Kauf eines Tablets, um an einer iPad-Klasse teilnehmen zu können, nicht nötig, „um im Einzelfall das menschenwürdige soziokulturelle Existenzminimum eines Schülers zu sichern“, schreibt das Gericht in seiner Urteilsbegründung. Was als „unabweisbarer Bedarf“ zu gelten habe, bemesse sich am Leben in einfachen Verhältnissen.

„Nach diesen Maßstäben stellt die Anschaffung eines Tablets, solange nicht alle Schüler, insbesondere die aus einkommensschwachen Familien knapp oberhalb des SGB-II-Bezuges von der Schulverwaltung mit einem iPad versorgt werden, einen Luxus dar“, befand das Gericht. Die fünfköpfige Familie der Schülerin bekam 2018 fast 1.800 Euro Arbeitslosengeld II im Monat.

Solange nicht alle Kinder aus Familien mit geringem Einkommen ein Tablet hätten, sei dieses ein Luxus, urteilte das Gericht

In Niedersachsen gibt es keine Lernmittelfreiheit. Die Eltern sind verpflichtet, ihre Kinder für den Unterricht auszustatten. Seit 2005 können Eltern Lernmittel gegen Zahlung einer Miete von den Schulen ausleihen. An einer anderen Schule ist das dem Gericht zufolge so geregelt worden, dass das Gerät lediglich während der Ferien in der Schule bleiben musste.

In seinem Schlusswort kritisierte das Gericht, dass die Schule mit ihrer Festlegung auf Apple gegen ihre Neutralitätspflicht verstoßen und der Firma einen zusätzlichen Kundenstamm verschafft habe. Die Lehrer hatten argumentiert, diese Geräte seien robust und böten einen besseren Virenschutz.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falls hat das Gericht eine Revision zugelassen.

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14 Kommentare

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  • // Das Jobcenter hatte das dies abgelehnt, da die Schule einen günstigeren Ratenkauf angeboten hatte – mit 36 Monatsraten zu 10,90 Euro. Doch die Familie wollte nach wie vor einen Zuschuss. //

    Tja, sagt doch alles. Warum haben die nicht das Angebot der Schule angenommen? Sorry, habe kein Mitleid.

  • „In der Annahme, dass das Jobcenter die Kosten für das Tablet übernehmen würde, beschaffte der Vater für 461,90 Euro das vorgeschlagene iPad allerdings in einer deutlich teureren Variante.“

    Das war (vielleicht) ein Fehler. Man muss dann aber einräumen, dass damit gerechnet wurde, dass der Mehrbedarf für das iPad noch aus den Mitteln der Familie hätte aufgebracht werden können – bei Erstattung des „Grundpreises“ durch das Jobcenter.

    Außerdem könnten andere Familien der Klasse ebenfalls die teureren Geräte angeschafft haben, der technischen Vorteile wegen.

  • wir haben diese Frage, ob I-Pad oder ein anderes Produkt - gerade abschliessend im Stadtrat geklärt.

    Die IT VErwaltung hat alle möglichen Optionen überprüft und ist zu dem Schluss gekommen, dass keine andere Firma/Hersteller die 100% ige Einhaltung der europäischen DAtenschutzrichtlinie einhalten kann.

    Bei allen anderen werden auf jeden FAll DAten in die USA übertragebn.

    Somit dürfen sie nicht rechtskonform im Unterricht verpflichtend benutz werden.

    Diese regelung gilt jetzt wohl für ganz Rheinland Pfalz.



    Deshalb werden aus dem Bundesprogramm zur Zeit nur I.Päds beschafft für den digitalen Unterricht.

    Auch das könnte ein Grund sein zumindest duiese nebenfrage des VerwGer zu klären.

    DAss solche geräte sicher nicht aus den lkaufenden Hartz4 Sätzen zu finanzieren sind ist eigentlich klar.

    Es wird Zeit, dass dieses endlich wörtlich in die gestze übernommen witrd, so dass es bei den JobCentern keinen Ermessensspielraum mehr zulässt.

    Was macht denn eine Familie mit mehreren Kindern?



    5 I Päds kaufen?

    Und wie ist der Zugang zum Netzt für alle geregelt?



    Wer übernimmt diese Kosten?

    Es wird Zeit für das bedingungslose Grundeinkommen für ALLE in wirklich ausreichener Höhe.

    • @Friderike Graebert:

      Vielen Dank für Ihren Kommentar Frau Graebert. Er liefert wichtige Hintergrund informationen, die es zu bedenken gilt. Und er verweißt auf etwas wichtiges: Die Auseinandersetzung um die Bildungssituation von Kindern in den Bedarfsgemeinschaften von "Hartz IV" findet noch da statt, wo sie zuallererst hingehört, in den "demokratischen Instanzen" wie den kommunalen Parlamenten. Nur dort können die Vorraussetzungen geschaffen werden, damit die Benachteiligung der genannten Kinder in Sachen Bildung endlich aufhört. Denn Bürokratie und Rechtssprechuung können sich gegenwärtig nur noch in entzetlicher Verwicklung dazu Verhalten. Die gestzlichen Regelungen sind einfach völlig unpassend. Viel Erfolg für Ihre Arbeit.

  • Warum musste es ein teures IPad sein? Für die Hälfte gibt es vergleichbare, voll funktionsfähige Konkurrenzprodukte. Noch nicht mal bei uns in der Firma gibts teure Apple-Produkte. Für so eine Entscheidung der Schule habe ich kein Verständnis, daher sollte es auch keinen Zuschuss geben.

    • @Holger Steinebach:

      ja aber wollen Sie jetzt die Schüler verantwortlich machen für die Entscheidung der Schule?

  • Die Hartz IV-Sätze sind aus Perspektive der Teilhabe sicher zu niedrig angesetzt und insbesondere um den Hartz-Status nicht weiterzuvererben wären höhere Budgets für Bildung und Kultur definitiv notwendig. Aber in diesem Fall haben Amt und Gericht einfach Recht, ausgerechnet Apple Produkte einsetzen zu wollen ist Luxus und nicht für den Bildungserfolg maßgeblich.



    Zudem ist die "Digitalisierung" der Schulen ohnehin ein teurer Irrweg. Ein Schulbuch kostet in der Anschaffung vielleicht 30€ und hält etwa 20 Schuljahre (wobei für den permanenten Gebrauch etwa 5-10 Stück nötig sind), ein iPad oder Notebook ist in der Anschaffung 10 bis 20 Mal so teuer, wird den Schulalltag aber kaum länger als 5 Jahre überleben und auf weitere Infrastruktur an den Schulen wie Netzwerk/WLAN, Server einen Administrator angewiesen um sinnvoll und zuverlässig nutzbar zu sein. Es steht also eine massive Kostensteigerung für Steuerzahler/Eltern im Raum um ein digitales Lernen zu ermöglichen, das im besseren Fall marginal effektiver ist als mit analogen Lehrmitteln, im schlechteren deutlich ineffektiver weil Youtube und Fortnite eben interessanter sind als Vokabellernen und sich mit den Geräten auch ansonsten allerlei Schabernack anstellen lässt.

    • @Ingo Bernable:

      und was genau bringt das dem Kind, das jetzt als einziges in der Klasse nicht digital lernen kann? Die Entscheidung war ja nicht: es bekommt kein apple Produkt, sondern Geld für irgendeines, sondern es bekommt gar kein Geld!

      • @RosaLux:

        "und was genau bringt das dem Kind, das jetzt als einziges in der Klasse nicht digital lernen kann?"



        Es ist doch egal ob das Kind digital oder analog lernt, wichtig ist, dass es lernt. Zudem dürfte es wahrscheinlicher sein, dass die Lehrkräfte den Unterricht in der Folge wieder auf Lehrmittel umstellen, die allen zugänglich und in den Anschaffungskosten dem Steuerzahler zumutbar sind, als den kompletten Unterricht dauerhaft doppelt für iPad und Papier zu planen.

  • taz: "In Niedersachsen gibt es keine Lernmittelfreiheit. Die Eltern sind verpflichtet, ihre Kinder für den Unterricht auszustatten. Seit 2005 können Eltern Lernmittel gegen Zahlung einer Miete von den Schulen ausleihen."

    Was ist das eigentlich für ein Land geworden? Deutsche Steuerzahler haben seit 2008 fast 300 Milliarden Euro für die Bankenrettung bezahlt und jetzt in der Corona-Pandemie werden vom Staat 600 Milliarden Euro für mittlere und größere Unternehmen bereitgestellt, aber für unsere Kinder ist kein Geld für Lernmittel da?

    Der Kabarettist Georg Schramm hatte recht, als er vor Jahren sagte: „Vielleicht wird die Produktion von PISA-Idioten wissentlich in Kauf genommen, weil ein gerüttelt Maß an Dummheit förderlich ist, weil dann der Urnenpöbel nicht bemerkt, welche Gestalten sich bei den Parteien schon zusammengesammelt haben.“

    • @Ricky-13:

      Und zu all der berechtigten Kritik hat wieder noch niemand an die Strahlenbelastung in den Schulen gedacht, wenn hunderte Schüler lautlose Smartphones in den Taschen haben und obendrein hunderte IPads und Laptops per W-Lan benutzen!

      Es sei auch den Direktoren mal dringend empfohlen beim Bundesamt zum Strahlenschutz nachzulesen, was die empfehlen!!

      Was ist wichtiger? Der Industrie in die Hände spielen oder Gesundheitsschutz von tausenden jungen Menschen? Digitales Lernen hat keine Vorteile, es ist nur sauteuer.

    • @Ricky-13:

      Was das für ein Land geworden ist, wird man in den nächsten Wochen in aller Deutlichkeit vorgeführt bekommen.

      Für die notleidenden Flughäfen hat Scheuer gestern eine weitere Milliarde Stütze angemahnt. Als Bundesminister bekommt er für seine Tätgkeit monatlich gut 15.000 Euro brutto, also rund das Zehnfache einer Aushilfskraft auf der Covid-Intensivstation.

      Keine Pointe.

  • ja, das ist schon lange eine Streitfrage, bei der die Bundesagenturen sich gegen die Meinung von Bundesgerichten stellen. Deswegen sollte die Familie weiter klagen wenn sie das kann. Vielleicht kann sie ja Unterstützung von tacheles oder so dabei bekommen?



    Zur Debatte: www.freitag.de/aut...-wichtige-prozesse

    • @RosaLux:

      Ich stimme Ihnen ja ersteinmal zu. Weiterführend wäre zu fragen, warum sich denn die Bundesagenturen gegen die Rechtssprechung der Bundesgerichte so ohne weiteres stellen können? Das ist doch auch pol. Wille, der da dahinter steht.



      Und was gänzlich fehlt, ist der pol. Gestaltungswille, diese unsägliche Verwirrung zwischen Gesetzgebung, Handeln der BA und der Rechtssprechung endlich durch klare Regelungen im Sinne der Kinder endlich aufzulösen.



      Danke für die Einstellung des informativen Links.