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Schulen in der CoronapandemieNachhilfe nötig

Anna Klöpper
Kommentar von Anna Klöpper

Die Lage an den Schulen in der Pandemie ist weiter unbefriedigend. Es hapert bei der Umsetzbarkeit von Hygienevorschriften und der Digitalisierung.

Matheunterricht mit Tablet. So gut, wie es hier zu funktionieren scheint, läuft es nicht immer Foto: Julian Stratenschulte/dpa

G erne und oft sagen ExpertInnen und solche, die es wissen müssen, dass die Coronapandemie viele Schwachstellen „in der Gesellschaft“ oder „im System“ noch deutlicher zutage treten lasse, sie gleichsam wie unter einem Brennglas in den Fokus der Öffentlichkeit rücke. Jetzt, kurz vor den Herbstferien, die in den meisten Bundesländern am Montag beginnen, im Schuljahr 1 n. C., haben sich zwei Themen herauskristallisiert, zu denen die Schulgesellschaft in Deutschland erhöhten Redebedarf hat.

Das eine Thema lautet Hygienevorschriften, das andere Digitalisierung. In beiden Bereichen sind die Schulen eigentlich akut versetzungsgefährdet. Und das dem schnellen Rettungsgeld vom Bund für digitale Pop-up-Infrastruktur à la Schüler-Tablets, Lehrerinnen-Laptops und Dienstmail-Adressen zum Trotz. Die Hygieneregeln werden von den Ländern in Eigenregie gestaltet. Sie polarisieren Schülerschaft, Eltern und Kolleginnen.

So wie auch außerhalb der Schulhöfe steht die Fraktion der SkeptikerInnen fest gegen die Fraktion der MahnerInnen und besonders Vorsichtigen. Die einen geben sich gegenseitig Tipps, wie man die Masken – aktuell nur in Schleswig-Holstein auch im Unterricht Pflicht – fürs Kind möglichst fadenscheinig näht („Damit eure Kinder nicht ersticken!“). Die anderen stellen beim Elternabend die geplante Klassenfahrt gleich mal grundsätzlich infrage, ausgetüfteltes Hygienekonzept hin oder her.

Dabei ist es schon eher erstaunlich, dass – soweit erkennbar – alles so gut gegangen ist bisher. Statt flächendeckender Schulschließungen gehen lediglich einzelne Klassen in Quarantäne. Nach einer Ende September vorgenommenen bundesweiten Abfrage bei den Bildungsministerien kommt die ARD zu dem Ergebnis: Brandenburg und Nordrhein-Westfalen waren mit sechs ­respektive fünf komplett geschlossenen Schulen Spitzenreiter, danach folgte Bayern mit vier Schulen in der Momentaufnahme.

Das per Mail verschickte Aufgabenblatt allein macht noch lange keinen digitalen Unterricht

Alle anderen Bundesländer hatten maximal eine bis zwei Schulen, viele auch überhaupt keine komplett schließen müssen. In Berlin sind laut der Senatsverwaltung für Bildung 74 Lerngruppen in Quarantäne, 92 SchülerInnen und 27 LehrerInnen sind positiv getestet worden. Das Prinzip der Kontaktnachverfolgung und punktuellen Schließung scheint zu funktionieren. Bloß kein zweiter Lockdown, so lautete das Ziel der BildungsministerInnen der Länder. Vorläufig klappt es.

Man fragt sich allerdings, warum. Denn tatsächlich ist die Maxime der Gruppen („Kohorten“), die sich nach Vorgaben der Kultusministerkonferenz möglichst nicht mischen sollen, vielerorts im praktischen Schulalltag Makulatur. In Berlin erzählen GrundschulleiterInnen und Eltern unisono, dass es spätestens am Nachmittag vorbei sei mit dem Kommando Kohorte, wenn sich im Hort der Ganztagsschule die Kinder aus Platz- und Personalmangel auf dem Schulhof treffen.

In Nordrhein-Westfalen lassen sich einer Recherche der Nachrichtenagentur dpa zufolge 10 Prozent der Schulgebäude nicht ordentlich belüften. In Berlin wiederum doktert man seit Jahren an einer „Schulbauoffensive“ herum, um marode Fenster und Schultoiletten wieder verlässlich benutzbar zu machen.

Seit vor vier Jahren ein „Screening“ der jeweils für ihre Schulgebäude zuständigen Berliner Bezirke ergab, wie enorm der Sanierungsbedarf eigentlich ist, ist der Reibungsverlust zwischen Bezirken (Schulträger) und Landesebene (Geldgeber) zwar etwas verringert worden. Doch so richtig Dampf auf dem Kessel war da nie, und angesichts der wirtschaftlichen Schieflage ist bereits klar, dass einige Fenster auf absehbare Zeit kaputt bleiben dürften.

Schulsanierung über Jahre versäumt

So macht Corona sichtbar, was seit Langem schiefläuft: der bundesweite Personalmangel, gerade auch bei den ErzieherInnen und gerade auch im Ganztagsbereich, und die über lange Jahre verschlafene Schulsanierung. Nun scheint die fehlende Seife in vielen Schultoiletten und der Nachmittagshort für die Verbreitung des Virus gar nicht so relevant zu sein wie befürchtet. Die Politik hat auf Risiko gespielt, gewonnen haben die Eltern und die SchülerInnen.

Denn auch das hört man von SchulleiterInnen immer wieder: Wenn die Struktur des Präsenzunterrichts wegbricht, dann verlieren wir gerade die schwächeren SchülerInnen, die von Hause aus mit weniger Ressourcen, konkret: Nachhilfe, ausgestattet sind. Womit man beim zweiten Thema wäre, das Corona den Schulen groß an die Wandtafel geschrieben hat: die Digitalisierung. Man hole einfach nicht auf, was man in 20 Jahren versäumt habe, hört man Schulleiter seufzen.

Tatsächlich ist die Frage: Welche der vielen losen Enden nimmt man zuerst auf? Die Sofortgelder für Tablets sind natürlich nicht schlecht, nützen aber wenig, wenn LehrerInnen nicht fortgebildet werden. Das per Mail verschickte Aufgabenblatt macht noch lange keinen digitalen Unterricht. Dienstlaptops und digitale Lernplattformen nutzen wenig, wenn Schulen kein zuverlässiges Breitbandinternet haben.

Oder wenn man sie beim Thema Datenschutz und welche Chatprogramm erlaubt sind, im Ungefähren lässt. An einer Schule im hessischen Kassel sind 3.000 Laptops von dem frischen Coronageld bestellt und nicht abgeholt worden, weil an den Schulen niemand da ist, der Zeit hat, die Dinger einzurichten. Klar ist, dass es ohne IT-BetreuerInnen auf Vollzeitstellen an den Schulen nichts werden wird mit der Digitaloffensive.

Vielleicht bleibt vor allem das als gar nicht mal so nörgelig gemeinte Zwischenfazit, bevor es in den zweiten Coronawinter geht: Man weiß jetzt ziemlich genau, was zu tun ist. Ein bisschen Geduld werden freilich alle haben müssen. So ist das, wenn man lange schläft. Da dauert es ein bisschen, bis man richtig wach wird.

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Anna Klöpper
Leiterin taz.eins
Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.
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3 Kommentare

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  • Das genau ist das Problem mit den „Schwachstellen“ in der „Gesellschaft“ oder im „System“: sie spalten die Gesellschaft.

    Das kann man wollen oder auch nicht. Ich fürchte, manche Leute hierzulande wollen es genau so. Weil sie sich was davon versprechen, wenn die Gesellschaft zerfällt in Sieger und Verlierer.

    Genau wie der durchschnittliche „Wir-sind-ein-Volk-Rufer“ anno 1990, rechnen offenbar auch ganz viele „Wessis“ immer noch damit, irgendwann mal Profiteure eines ungerechten „Systems“ werden zu können. Mit jeder neuen Schwachstelle, mit jedem neuen Verlierer sehen sie ihre Chancen wachsen. Dummheit, Ignoranz, Neid und Selbstüberschätzung haben halt immer schon eng beieinander gelegen.

    Dagegen hilft auch keine Digitalisierung, schätze ich. Denn ob jemand wach wird und wenn ja, ob er seinen Hintern dann auch aus dem Bett hievt, hängt nicht davon ab, wie lange er geschlafen hat. (Wer nicht genug schläft, schafft es manchmal auch nicht aufzustehen.) Entscheidend ist, ob das Aufstehen irgendwie attraktiv wirkt für den Schläfer. Und wer glaubt, nur verlieren zu können, wenn er in den Aufrechter-Gang-Modus wechselt, der kommt in hundert Jahren noch nicht aus dem Knick.

    Nein, das ist kein Genörgel. Das ist Erfahrung. Auch eine persönliche. Wenn wir das Rattenrennen nicht beenden, wenn wir nicht neue Anreize finden als nur das Geld oder die Macht, die mit der Ausbeutung Schwächerer verdient werden, wird keiner von uns überleben. Wenn wir nicht an Corona sterben, dann spätestens an seiner fünften Mutation. Allerdings nur, wenn uns nicht vorher die Luft ausgeht dank Waldvernichtung, der Klimawandel uns ersäuft bzw. grillt oder das Artensterben uns verhungern lässt. Davon, dass der Krieg ums Wasser und andere Ressourcen noch etwas auf sich warten lassen müsste, gar nicht zu reden.

    Also hop, Leute, kommt auf die Hufe! Dass der Weltuntergang wartet, bis ihr ausgeträumt habt, ist echt unwahrscheinlich. Jetzt gilt es: Alle oder keiner.

  • Nicht die Schulen allein, die Gesellschaft hat die letzten 10 Jahre gepennt. Alles, was aus dem Silicon Valley kam, wurde kritiklos angenommen und konsumiert. Selbst Oma hat heute ein Smartphone, kann es sogar bedienen und ist ganz hingerissen von den Möglichkeiten - das heißt aber eben nicht, dass sich Oma mit der Technik nun auch auskennt. Ganz im Gegenteil, denn "smart" ist folgender Deal: easy to use, dafür übernehmen Apple, Google und Microsoft die Vormundschaft für dich: wo du deine Daten hinlegst, was du wo gerade benutzen darfst, dass du jetzt ein Update brauchst, wann du ein neues Gerät anzuschaffen hast. Auch junge Menschen, die den älteren angeblich total überlegen sein sollen, haben sich schon längst an die totale Fremdbestimmung gewöhnt. Die wissen, wo man bei Insta klicken muss. Und wissen nicht - wenn sie ein Referat halten sollen - wo ihre Präsentationsdateien eigentlich liegen ("komisch, zu Hause ging's noch..."). Aha, fehlt "Bildung"? - Nein! Gegen eine Industrie, die alle Fäden in der Hand hat, kann man auch mit "Bildung" nicht anstinken. Das will diese Gesellschaft auch gar nicht. Und solange nur eine kleine Minderheit es überhaupt hinbekommt, sich zu dem kapitalistischen Digitalzirkus eine kritische Distanz zu erarbeiten, wird es auch mit einer *sinnvollen* Digitalisierung von Schulen nichts. Denn um Medien pädagogisch sinnvoll einsetzen zu können, muss man sie verstehen (was beim Computer leider deutlich komplizierter ist als beim OH-Projektor), man muss sich eine an pädagogischen Erfordernissen ausgerichtete, stabile Arbeitsumgebung schaffen (also *keine* iPads), in der der Computer ein *Werkzeug* darstellt, und dann müssen Konzepte her. Ja, und da starten wir tatsächlich bei 0. Wäre aber schön, wenn's endlich losginge...

  • "Das per Mail verschickte Aufgabenblatt macht noch keinen digitalen Unterricht". Das ist wohl wahr. Aber wie soll digitaler Unterricht eigentlich aussehen?



    Diese Frage wurde nie gestellt, ganz einfach, weil man sich über solche pädagogischen Fragen nur dann Gedanken machen kann, wenn man weiß, was Digitaltechnik überhaupt ist. Wo ihre Möglichkeiten liegen, ihre Chancen, aber auch: wo sie einfach nichts bringt oder gar kontraproduktiv ist.



    Bislang bestimmen IT-Konzerne, dass Digitalisierung Pflicht ist und wie sie zu laufen hat, natürlich auch in der Schule. Politiker hingegen, aber auch Schulleiter, Lehrer und Schüler, konsumieren fleißig smarte Digitaltechnik, wissen aber NICHTS. Was wohl leider auch auf taz-Journalisten zutrifft. Viele von ihnen glauben - im Überschwang der Gefühle - begriffen zu haben, womit sie da hantieren. Wissen sie aber nicht. Folgerichtig werden sie von der IT-Industrie zu Datenvieh degradiert - und freuen sich noch über die tollen Möglichkeiten ihrer smarten Geräte.



    Dieses Setting macht Schuldigitalisierung nicht nut zur Datenschutzhölle - selbstverständlich benutzt man in der Schule Microsoft Teams, Widerstand zwecklos, und der "Datenschutzbeauftrage" drückt beide Augen zu, weil es ja nicht anders geht - vor allen Dingen ist man aber den Launen einer profitorientierten Industrie ausgesetzt, die Apps gibt und nimmt. Das KANN so nichts werden!!!