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Datenschutz versus InfektionsschutzLust auf Liste

Offenbar machen viele Menschen beim Ausfüllen von Corona-Adresslisten in Cafés und Kneipen falsche Angaben. Möglicherweise aus Misstrauen.

Wartet nur auf die Bestellung: Die Polizei Foto: Karsten Thielker

Auf diese Promo hätte die Berliner Gastwirtschaft wohl gerne verzichtet: 18 Menschen, Gäste und Mitarbeiter*innen aus dem Betrieb, wurden positiv auf Covid-19 getestet, wie seit dieser Woche bekannt ist. Jetzt werden zur Vermeidung einer Ausbreitung weitere frühere Gäste gesucht, aber es gibt einen Haken: Auf den vorgeschriebenen Gästelisten hatten sich Dutzende Personen mit falschen Daten eingetragen. Die Liste war also weitestgehend unbrauchbar.

Angesichts einer drohenden zweiten Welle ist das Verhalten solcher anonymer Trin­ker*in­nen gefährlich und unsozial. Dennoch fällt es schwer, sie dafür in Bausch und Bogen zu verurteilen.

Die verspätete sommerliche Öffnung der Gastronomie war ein Hoffnungsschimmer: Vielleicht war ja doch noch ein Teil der im ersten Halbjahr verlorenen Umsätze wieder reinzuholen? Eine halbwegs stabile Perspektive hängt aber nicht unwesentlich davon ab, dass es zu keiner weiteren größeren Ausbreitung des Virus kommt. Denn die würde einen, gegebenenfalls sogar härteren, zweiten Lockdown erzwingen. Die Hygieneauflagen strikt einzuhalten und die korrekte Führung von Gästelisten sind somit im Eigeninteresse der Branche, genauso wie dem der Allgemeinheit.

Funktioniert aber nur, wenn alle mitziehen – und zwar freiwillig. Eine Ausweisabschrift an der Theke will schließlich niemand. Dafür ist großes Vertrauen notwendig: dass die so gesammelten Daten für nichts, aber wirklich nichts anderes verwendet werden als zur Rückverfolgung von Kontakten im Falle eines nachgewiesenen Infektionsrisikos.

Egal, wie ehrenwert der Zweck

Eine offen herumliegende, für alle Vorbeigehenden leicht einsehbare Liste mit Namen, Adressen und Telefonnummern, wie es in diversen Wirtschaften leider gehandhabt wird, weckt so ein Vertrauen schon mal nicht. Dazu kommen vereinzelte Berichte über Stalking, das Gäste seitens Mitarbeiter*innen erlebten, die Zugriff auf diese Adressdaten hatten. Datenschutz, das zeigt sich hier, ist nicht bloß eine abstrakte Kategorie, die Behörden und Großunternehmen angeht, sondern auch im kleinen ernst genommen gehört.

Ein besonderer Vertrauensbruch jedoch ist die Herausgabe von Gästelisten an Ermittlungsbehörden, sofern die gerade nicht Infektionsketten unterbrechen wollen, sondern bequemen Zugriff auf mögliche Zeug*innen von Straftaten suchen.

So geschehen beispielsweise Anfang Juli in Hamburg nach einer Schlägerei in Sichtweite einer Kneipe, aber nicht nur dort. Es „könnten Konfliktsituationen zwischen Gastwirten und Gästen zunehmen, wenn Gäste aufgrund gehäufter polizeilicher Abfragen Vorbehalte gegen die vorgeschriebene Gästedatenregistrierung haben“, befürchtet deshalb der Branchenverband Dehoga.

Das bestätigt leider sämtliche Warnungen, die Da­ten­schüt­zer*innen jemals geäußert haben, wenn irgendwo persönliche Informationen gesammelt wurden. Denn egal wie ehrenwert der ursprüngliche Zweck: Liegen die Daten erst einmal vor, gibt es immer eine übereifrige Instanz, die sie anders nutzen möchte als vorgesehen.

Dreyer sieht kein Problem

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer ahnt vielleicht nicht einmal, welchen Flurschaden sie anrichtet, wenn sie derartiges polizeiliches Gebaren auch noch verteidigt. Dreyer findet es völlig unstreitig, dass die Polizei bei einem Anfangsverdacht auf eine Straftat auch auf die Anwesenheitslisten zugreifen könne, erklärte sie am Dienstag.

Sagen wir mal, zwei Polizeibeamte hätten ohne richterlichen Beschluss eine Servicekraft in einem Gastrobetrieb um eine solche Liste bedrängt, zum Beispiel um einen Autodiebstahl aufzuklären. Genau darauf läuft es nämlich in einer solchen Gemengelage hinaus. Eine ziemlich offensichtlich rechtswidrige Praxis wird einfach durchgezogen. Spätere gerichtliche Klärung ändert daran dann auch nichts mehr und verhindert erfahrungsgemäß auch nicht die Wiederholung.

Aus Fehlern muss gelernt werden. Dass das geht, hat sich ja bei der Tracing-App des RKI gezeigt

Nun lässt sich selbstverständlich argumentieren, dass die relativ niedrige Häufigkeit der (bekannt gewordenen) Datenschutzverletzungen hinter das wichtige Anliegen des Infektionsschutzes zurückgestellt werden sollte.

Aber das ist zu einfach. Sicher, Fehler passieren, gerade wenn dringliche Erfordernisse zum Schutz von Leib und Leben vorliegen. Aus diesen Fehlern aber muss gelernt werden. Dass das geht, hat sich ja bei der Entwicklung der Contact-Tracing-App des RKI gezeigt. Nach öffentlicher Kritik an der Konzeption wurde ein dezentrales Speichermodell gewählt, das den Missbrauch von Daten zwar nicht ausschließt, aber immerhin deutlich erschwert.

Für die Gastronomie heißt das, dass eine datenschutzkonforme Listenführung garantiert sein muss. Für die Polizei, dass sie konsequent der Versuchung zu widerstehen hat, auf Listen zuzugreifen. Und für die Politik, dass sie Zuwiderhandlungen nicht bagatellisieren darf. Sind diese Punkte erfüllt, fällt es auch leichter, die Gäste jener Berliner Kneipe für ihr unsoziales und gefährliches Verhalten zu verurteilen.

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18 Kommentare

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  • "Ein Mann bedrohte angeblich Passanten und Gäste mit einem Teppichmesser, .... Der Verdächtige wurde dank der Hilfe von Zeugen eine Viertelstunde später im Planten un Blomen festgenommen, wo er weitere Menschen bedrohte, ...." heißt es im verlinkten Artikel.

    Der verlinkte taz-Artikel spricht von "angeblich".Warum sollte die Polizei da nicht weitere Augenzeugen zum Hergang befragen? Aufklärung von Fällen ist schließlich deren Aufgabe und auch in der DSGVO so geklärt. Sowohl der Täter oder auch die Bedrohten haben ein berechtigtes Interesse an der Aufklärung.

    Bei sogenannten berechtigtem Interesse ist es Usus, das solche Daten herausgegeben werden müssen. Man denke nur an Hassreden und Volksverhetzungen im Internet.

    • @Rudolf Fissner:

      Beispiel taz: Sebastian Heiser / Keylogger-Affäre bei der taz:

      "Die Gründe dafür, Sebastian Heisers Namen zu nennen, sind gewichtiger. Dass ein öffentliches Interesse an der Sache besteht und die Vorwürfe gegen ihn in ihrer Dimension besonders sind, steht außer Frage. Für die taz kommt hinzu: Wird sein Name nicht genannt, stehen prinzipiell viele unbeteiligte KollegInnen unter Verdacht. Auch die, mit denen er im Namen der taz zu tun hatte, haben ein Recht, von dem Vorfall zu erfahren"

      Dort nennt man in einer Art Selbstjustiz sogar selber Namen in aller Öffentlichkeit.

  • Wer schon Alexa und Co (im Haushalt unserer Tochter heißt sie "Computer") bei sich zu Hause nutzt, sollte dann nie vergessen, abends die Schlafzimmertür zu schließen.



    Da unsere seit gut zwei Jahrzehnten nachts offen steht - die Kinder sind längst aus dem Haus - muss eben Alexa draußen bleiben - und es geht gut so.

  • Es ist mein Eigeninteresse und im Interesse meiner Familie und Freunde, dass ich kontaktiert werden kann, falls Infektionsfälle auftreten und ich somit gewarnt und getestet werden kann.

    Wenn ich nebenbei noch Zeuge eines Autodiebstahl werde sollte, macht es doch auch Sinn, wenn die Polizei auf diesem Weg meinen Namen erfährt und ich helfen kann, eine Straftat aufzuklären. Warum sollte mir das als ehrlicher Bürger nicht recht sein?

    Die Berichte über Stalking finde ich da schon unangenehmer. Hoffentlich wirklich nur Einzelfälle...

    • @Winnetaz:

      Schon mal was von Mißbrauch gehört? Und wenn Mißbrauch möglich ist, passiert er auch, wie wir ja kürzlich lesen konnten.

  • Bei falschangabe (Handy-IMEI, Kameras etc. wird ausgewertet) und Ansteckung einer oder mehrerer Personen Übernahme des Verdienstausfalls/Keankengeldes/Behandlungskosten.

  • vielleicht sollte man alle daten die zur aufklärung von infektionsketten gesammelt werden-wie es der artikel vorschlägt dezentral speichern und die bürger*innen jeder stadt einen rat der datenschutzbeauftragten wählen lassen der aufpasst,dass die gesammelten daten nicht für andere zwecke verwendet und nach einer bestimmten frist gelöscht werden.



    das würde dem misstrauen ein stück weit entgegenwirken

  • Na und dann ist es ja ganz verständlich wenn demnächst Kneipen nur für Gäste zugänglich sind die auch die Corona App vorweisen... Der Datenschutz der persönlichen Daten ist dann gewährt....



    Mal sehen wie Techphobe Gäste dann reagieren....

    • @Cranz:

      Die Gäste müssen nicht techphob sein, es reicht schon, wenn sie kein Smartphone haben, ob das nun altersbedingt ist oder daran liegt, dass man den Nutzen eines solchen Gerätes nicht einsieht.

    • @Cranz:

      Mal abgesehen davon das das nix bringt... grün bedeutet ja nicht gesund. Grün bedeutet das man vor ca. 14 Tagen niemand mehr als 15min getroffen hat der krank war.

    • @Cranz:

      Ja, das wäre mir ISd Datenschutzes auch lieber. Auch vermeidet es Zweckentfremdung vom Gastwirt selbst. Leider nur als Gerücht habe ich gehört, dass sich bereits (einzelne?) Frauen beschwert haben, dass sie mittels der angegebenen Daten nach einem „Date“ gefragt wurden.

      Aber: die App ist böse. Neulich beim Mittagessen mit der Familie hat meine Schwester empört reagiert. Sie käme nie auf die Idee, diese App zu installieren. Auf meinen Hinweis, dass es etwas inkonsequent ist, Alexa-Geräte zu nutzen, die (auf welche Art und Weise auch immer) mithören, aber eine vom CCC unbedenklich eingestufte App nicht, erhielt ich keine Antwort...

      • @Strolch:

        Irrationales Verhalten gibt es immer, ich hab 2 Monate für Nachbarn eingekauft, die waren total schockiert, das ich fast alle Einkäufe im Supermarkt mit Kreditkarte gezahlt habe, was da meine Kreditkartengesellschaft alles über mich wüsste.

        Aber ihre Paybackkarten sollte ich immer einetzen ;-)

      • @Strolch:

        Ein Date per dieser App. Manche haben Phantasie. Da soll dann eine Nachricht hochpoppen? Das steht nicht im Quellcode. Die Corona App ist die mit dem komischen C. Das ist rot blau. Ja nicht mit c-Date verwechseln. Vielleicht geben Sie den Hinweis mal weiter ;)

        • @sachmah:

          Ok Spätchecker. Ich Depp dachte Dateanfrage via Corona App. Ne klar, bezog sich auf die Ausfülltabelle.

  • RS
    Ria Sauter

    Habe mich auch gewundert über eine offen ausgelegte Liste.



    Vor mir war angeblich Karl Lauterbach und Angelina Joli in dem Cafe in der Pampa.

  • Ich weiss nicht, ob das tatsächlich immer "Fehler" sind. Herr Spahn hat sich ja ansonsten auch nicht durch besondere Datenschutzfreundlichkeit hervorgetan.

    Ich denke, das ist ein "man kann's ja mal probieren...". Opportunismus dürfte eine weit verbreitete Berufskrankheit bei Politiker*innen sein -- wer dem aus dieser Berufsgruppe widersteht hat meine Hochachtung (Malu Dreyer nicht mehr).

    Ein Grund mehr für mich, Kneipen und Restaurants eher zu meiden. Ob ich meine richtigen Kontaktdaten im Falle eines Falles eintrage kann ich noch nicht sagen (bisher war ich nicht in der Verlegenheit, ich koche viel zuhause).

  • 9G
    96173 (Profil gelöscht)

    Gebe nur noch Email an, seitdem ich Computeranrufe bekommen habe !!!