piwik no script img

Seehofers Anzeige-Ankündigung gegen tazMysterium im Innenministerium

Horst Seehofer zögert die Entscheidung weiter hinaus, ob er die taz wegen einer Kolumne verklagt. Die SPD geht auf Kontra.

„Große, große Sorgfalt“ – was sonst: Innenminister Horst Seehofer Foto: Hannibal Hanschke/reuters

Berlin taz | Und er zögert immer noch. Auch am Mittwochnachmittag konnte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer nicht entscheiden, ob er – wie angekündigt – eine Anzeige gegen die taz erstattet oder nicht. Die Entscheidung erfordere „große, große Sorgfalt“, sagte der CSU-Mann auf einer Pressekonferenz in Berlin. „Das ist keine Petitesse.“ Vielleicht werde er noch am Abend eine Entscheidung treffen, vielleicht am Donnerstag.

Dabei hatte Seehofer am Sonntag noch über die Bild vollmundig erklärt, er werde die taz wegen einer Kolumne über die Polizei verklagen. Schon am Montag aber bekundete er, er müsse dies noch mit seinen Juristen besprechen. Gleichzeitig bestätigte Regierungssprecher Steffen Seibert „vertrauliche Gespräche“ zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Seehofer in der Sache. Am Dienstag tauchte Seehofer dann gänzlich ab, sagte die Vorstellung des jährlichen Verfassungsschutzberichts ab und die Teilnahme an einem Festakt in Neustrelitz.

Inzwischen macht aber auch der Koalitionspartner von der SPD klar, was er von der Anzeigen-Idee hält: gar nichts. Betont wird dort die Pressefreiheit, eine Anzeige gegen eine Journalistin von staatlicher Seite verbiete sich. Zudem klingt „Minister klagt gegen Autorin“ wie eine Nachricht aus Ungarn oder der Türkei.

Und Seehofer hat einen Zusammenhang zwischen der „Enthemmung der Worte“ und der „unweigerlich folgenden Enthemmung der Taten“ wie bei den Krawallen in Stuttgart konstruiert. Dass er sich dort vor einem eigens für das Fotoshooting herbeigeschafften demolierten Polizeiauto ablichten ließ, wirkt auch nicht gut.

„Heute oder morgen“

Am Mittwochnachmittag nun stellt sich Seehofer den Medien, auf einer Pressekonferenz mit Österreichs Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) in Berlin. Ein länger geplanter Pflichttermin. Seehofer lobt Nehammer wegen Corona und Migrationspolitik, Nehammer lobt Seehofer wegen Corona und Migrationspolitik. Dann geht es um die taz.

Er sei ja sowohl Verfassungsminister, und damit für die Pressefreiheit zuständig, als auch Innenminister mit Fürsorgepflicht für die Polizei, sagt Seehofer. Deshalb müsse er sorgfältig abwägen. Auch könne er sich damit nicht dauernd befassen, er habe viele Termine. Entscheiden werde er nun, „heute oder morgen“. Warum Seehofer diese „sehr sorgfältige“ Abwägung nicht vor der donnernden Ankündigung einer Strafanzeige getroffen hat, verrät er nicht.

Dabei wusste Seehofer es am Mittwoch letzter Woche selbst schon mal besser. In der nichtöffentlichen Sitzung des Innenausschusses im Bundestag äußerte er Bedenken gegen juristische Schritte. Ein AfD-Vertreter hatte dort laut Teilnehmern über den „Polizeischmähartikel“ geklagt und Seehofer gefragt, wie er sich nun vor die Polizei stelle. Auch die Ausschussvorsitzende Andrea Lindholz (CSU) fand den taz-Text unterirdisch.

Seehofer sagte darauf laut vorläufigem Ausschussprotokoll, er könne dies nur unterstreichen. Sein Haus müsse prüfen, ob es „da einen Ansatzpunkt für strafrechtliche Reaktionen“ gebe. Dann aber folgte seine klare Einschätzung: „Die Pressefreiheit ist ja immer so hoch, dass man kaum die Möglichkeit hat, da strafrechtlich etwas zu unternehmen.“

Krude Verweise auf Nazi-Terror

Offenbar aber schwankte Seehofer schon damals. Auf den Einwurf der AfD, dass man Anzeigen doch nicht den Polizeigewerkschaften überlassen dürfe, entgegnete ein CDU-Mann, der Text disqualifiziere sich selbst. Seehofer stellte daraufhin klar, dass dies „für uns Vernunftgeleitete“ gelte. Und verwies dann ausgerechnet auf die Anschläge von Hanau und Halle. „Solche Artikel lösen bei verwirrten Geistern möglicherweise auch Taten aus. Deshalb ist es für mich keine Bagatelle.“

Von einer eigenen Anzeige sprach Seehofer damals also noch nicht – wohl aber war ihm der Stellenwert der Pressefreiheit bewusst. Vier Tage später, am Sonntag, galt das nicht mehr.

Woher der Sinneswandel? Eine Erklärung: In der Zwischenzeit nahm Seehofer in Erfurt an der Innenministerkonferenz teil, auch dort wurde die taz-Kolumne dem Vernehmen nach scharf kritisiert, ebenso wie die jüngste Polizeikritik von SPD-Chefin Saskia Esken.

Am Freitag verfassten die Innenminister gar eine „Vertrauenserklärung“ für die Polizei. Eine Gleichsetzung der deutschen mit der US-Polizei sei abzulehnen, „jeder Generalverdacht verbietet sich“. „Wir stellen uns entschlossen vor die Polizei, wenn sie diffamiert wird.“ Zwei Tage später gab Seehofer über die Bild seine geplante Anzeige gegen die taz bekannt, die er als „als Bundesminister“ stellen werde. Ohne Zweifel und Konjunktiv.

Offenbar versucht Kanzlerin Merkel den irrlichternden Seehofer seitdem von der Strafanzeige abzubringen. Am Mittwoch besprachen sich beide dazu am Rande des Kabinetts. Die Kanzlerin und der Innenminister, so eine Regierungssprecherin am Mittwoch, seien „sich einig über den Stellenwert der Pressefreiheit“. Am Nachmittag, nach Seehofers Pressestatement, ist man sich da nicht mehr so sicher.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Ist ja jetzt raus. Seehofer verzichtet auf eine Anzeige. Und wieder mal hinterlässt Seehofer ein seltsames Bild: Auf der einen Seite verbietet er weiter rassistische Vereinigungen und dann diese ganze Anzeigeankündigung.

    Aber liebe taz, Seehofer hatte nie vor die taz zu verklagen, sondern nur Anzuzeigen. Seehofer ist strafrechtlich nicht Klageberechtigt (nur unabhängige Staatsanwaltschaften können das) und zivilrechtlich wahrscheinlich erfolglos, da nicht betroffen.

    • @Andi S:

      Verzichtet auf eine Anzeige, behauptet aber weiter, es liege eine Straftat vor - wenn er sich dabei weiter auf angebliche Volksverhetzung bezieht, müsste er die beweisen können, wenn's keine Verleumdung sein soll. (s.a. § 187 u § 190 StGB, 'wider besseres Wissen' könnte gerade der Verzicht auf eine Anzeige belegen).

      Mir kommt in der Debatte zu kurz, dass es Gauland war, der die "Deutschtürkin" Özoguz "entsorgen" wollte (über Heinrich Schmitz, der sich kurz zuvor über deutsche Kultur auch im Tagesspiegel geäußert hatte, hingegen kein Wort) und dass Seehofer oder Wendt seit Jahren politisch der AfD hinterherdackeln - "Herrschaft des Unrechts", Migration als "Mutter aller Probleme" (S.), "aufoktroyierte Willkommenskultur" (W.).

      Und mich beschleicht der Verdacht, dass "deren" (wg sich schützend davorstellen) Polizisten längst, täglich und brachial, solche Vorstellungen auf der Strasse umsetzen, Rassismus in der Polizei aktueller ist als vermutet.

      Wer täglich schikaniert oder schlimmeres wird, kann sich wie Müll behandelt vorkommen: da - überspitzt - anzusetzen, zu sagen: dann sollen denen, die das tun, die Menschen entzogen werden und sie da - unter sich - arbeiten, wo der Müll real ist, finde ich eine treffende Polemik, die eben genau sagt: Menschen dürfen NICHT wie Müll behandelt werden.

      Dass es da offensichtliche Rezeptionsprobleme gibt, das auch in TAZ-internen Diskussionen schon mal ins Gegenteil verdreht wird, zeigt m.E. einen immer noch eklatanten Mangel an Bewusstheit für das Thema, wie wichtig die so angestossene Diskussion ist.

      Und, deutscher als Sprichworte in dieser Sprache ist wohl weniges: Getroffene Hunde bellen!

  • "Und er zögert immer noch."



    Große Klappe, nichts dahinter. Ist aber bei Seehofer nichts Neues, und deshalb auch alles im grünen Bereich.

  • "Eine Gleichsetzung der deutschen mit der US-Polizei sei abzulehnen"



    (Innenministerkonferenz)



    -------------------------------------------



    Ja nee is klar,



    Darum haben deutsche Polizeien auch die US-Amerikanischen Polizei-Uniformen imitiert und darum werden in allen Polizei-Foren die US-Polizeizeien auch als Vorbild genannt.



    Darum gibt es auch praktisch kaum noch "normale" Festnahmen, sondern die Bullen sehen es als völlig normal an, eine Person bei Verdacht ertmal mit Vier BeamtInnen zu Boden zu reißen.

  • Boah. Langsam wird das Gewese um die Müllkolumne lächerlich.



    Die Kolumne war als Satire nicht mal so lala und schlägt Wellen wie nix gutes. Ich empfehle Tim Wolffs "Nackte Kokeljockel" taz.de/Die-Wahrhei...ile2=1591488000000 als Lehrstück.



    Das war lustig. Artikel und Forumssturm im Wasserglas. :)

  • Ich hoffe sehr, dass Herr Seehofer sie anzeigt. Hetze gegen einzelne Bevölkerungsgruppen geht gar nicht. Und als Innenminister soll er seine Beamten davor schützen.

  • Setzt zum Sprung an wie ein Tiger und landet als Bettvorleger. Standard operational procedure bei Herrn Seehofer... Schon immer...

  • jede Wette - Seehofer zieht den Schwanz ein.