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EU erwägt Verfahren gegen DeutschlandKatastrophales Urteil

Schwere Folgen des Bundesverfassungsurteils gegen die EZB: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erwägt Verfahren gegen Deutschland.

Mit dem EZB-Urteil hat Karlsruhe die EU in eine weitere Krise gestürzt

Brüssel taz | Der Streit über die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) spitzt sich zu. Sowohl der Europäische Gerichtshof (EuGH) als auch die EU-Kommission haben das Bundesverfassungsgericht in die Schranken gewiesen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erwägt sogar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland.

Das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe hatte die Anleihekäufe in der vergangenen Woche als teilweise verfassungswidrig bezeichnet. Die Richter übergingen dabei auch das oberste EU-Gericht. Dessen Entscheidung zugunsten der EZB sei „objektiv willkürlich“, rügten die deutschen Juristen ihre europäischen Kollegen.

Seitdem liegen die Nerven blank. Der EuGH brach mit der guten Tradition, die Urteile anderer Gerichte nicht zu kommentieren, und las Karlsruhe die Leviten. Das Europarecht habe Vorrang, stellten die Luxemburger Richter fest. Wer davon abweiche, laufe Gefahr, „die Einheit der Rechtsordnung der EU (zu) gefährden“.

Der zweite Paukenschlag kam am Samstag aus Brüssel. Erst forderte der grüne Finanzexperte und Europaabgeordnete Sven Giegold die EU-Kommission in einem offen Brief auf, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten.

Von der Leyen: „Sache ist sehr ernst“

Nur zwei Stunden später schaltete sich Behördenchefin von der Leyen in den Streit ein. „Die Kommission ist dabei, das mehr als 100 Seiten lange Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts im Detail zu analysieren“, schrieb die CDU-Politikerin. „Auf der Basis dieser Erkenntnisse prüfen wir mögliche nächste Schritte bis hin zu einem Vertragsverletzungsverfahren.“ Sie nehme „diese Sache sehr ernst“.

Der Streit über die Anleihekäufe ist zum Politikum geworden – und das mitten in einer der schwersten Wirtschaftskrisen. Die EZB versucht mit ihrem Kaufprogramm die Konjunktur zu stützen. Wenn sich das Bundesverfassungsgericht durchsetzt, könnte es damit jedoch bald vorbei sein. Das Karlsruher Urteil gelte zwar nicht für das laufende PEPP-Programm, so Giegold. Es sei jedoch zu befürchten, dass sich Bundesbank, Bundesregierung und Bundestag „nun in der Pflicht sehen, mindestens gegen die derzeitige Ausgestaltung von PEPP vorzugehen“. Karlsruhe nötige Deutschland „in einen Konflikt mit der EZB“, schrieb er. Deshalb müsse sich die EU hinter den Europäischen Gerichtshof stellen.

Gefundenes Fressen für Polen und Ungarn

Mit dieser Meinung steht Giegold nicht allein. Auch die SPD-Europapolitikerin Katarina Barley sprach von einem fatalen Signal. Der Chef der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber, warnte in der FAS, die Entscheidung dürfe nicht dazu führen, dass Polen und Ungarn sich nicht mehr an Entscheidungen des EuGH gebunden fühlten.

Diese Sorge treibt auch Kommissionschefin von der Leyen um. Sie hat bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Warschau und Budapest eingeleitet. Wenn sich Deutschland nun ungestraft über das Europarecht hinwegsetzen sollte, könnten sich Polen und Ungarn daran ein Beispiel nehmen, fürchtet man in Brüssel. Die gemeinsame Wirtschaftspolitik sei in Gefahr.

Die Antikrisenpolitik stützt sich bisher vor allem auf die Anleihekäufe der EZB. Ohne die Hilfe aus Frankfurt könnten klamme Staaten wie Italien in Schieflage geraten. Auch Deutschland profitiert davon. Die niedrigen Zinsen bescheren dem deutschen Fiskus Einsparungen in Milliardenhöhe.

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29 Kommentare

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  • Die EU ist kein Staat, sondern eine Vereinigung souveräner Staaten. Und diese haben sich bislang noch nicht entschieden, ihr Königsrecht abzugeben. Auch wenn es als eventuelle Garantieleistung leise durch die Hintertür reinschleicht. Die Begründung ultra vires ist korrekt.

  • Prächtig, der Entlastungsangriff aus Karlsruhe ist da, gerade noch rechtzeitig. Bevor sich die schon bestandene Rezession im Zuge der Corona Pandemie zur veritablen Depression eskaliert, können wir die Diskussion um das Treiben der EZB und die un-, bzw. zumindest in Teilen semidemokratische Inthronisierung der europäischen Institutionen, direkt zu den Akten legen. Denn wenn Deutschland wankt und das wird es, wenn die EU es verklagt und das medial BILDgerecht aufbereitet wird.



    Auseinanderbrechen, Ende der europäischen Idee, wirtschaftliches Siechtum, Rechtsradikale übernehmen, womöglich sogar wieder Krieg?



    Bei solchen Problemen wird doch keiner mehr wagen, die eigentlichen Probleme des Konstruktes anzusprechen, oder? Karlsruhe verschafft so den Hinterzimmern in Brüssel die notwendige Ruhe durch abgelenkte Aufmerksamkeit, für Kunkeleien, die wir wohl erst 2035 zur Gänze werden erfassen können.

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Worin genau besteht jetzt die "Katastrophe"? Im Urteilsinhalt? In der Tatsache, dass überhaupt verhandelt wurde?

  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Der Europäische Gerichtshof entscheidet letztinstanzlich über die Auslegung des EU- Rechts. Nicht mehr und nicht weniger. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über Belange innerhalb der BRD. Wenn die Meinung vertreten wird der Europäische Gerichtshof hätte kein Durchgriffsrecht, kann man auch die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in die Tonne treten.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @97287 (Profil gelöscht):

      Noch bis vor kurzem bin ich davon ausgegangen, es gäbe eindeutige Abgrenzungen, was Zuständigkeit von Länder- und EU-Gerichten angeht. Das müsste - nach logischem Denken - doch überprüfbar sein.

      Und falls es nicht sein sollte, mag ich nicht an Zufälle zu glauben. Dann ist die Konfusion eine gewollte.

      Doch wer hätte etwas davon?

  • Entscheidungen von EU-Institutionen können niemals über der deutschen Verfassung stehen oder gar gegen deutsche Grundrechte verstoßen. Tun sie dies - und das zu prüfen ist Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts -, dann sind sie schlicht unanwendbar. Erinnern wir uns daran, dass die EU kein Bundesstaat ist, über keine "Regierung" im demokratischen Sinne verfügt - da nicht durch eine Wahl legitimiert - und dass das "EU-Parlament" nur ein Scheinparlament ist, da ihm wesentliche Parlamentsrechte wie etwa die Regierungsbestellung oder das Haushaltsrecht fehlen.

    Es ist menschlich verständlich, dass die Richter des EuGH sich jetzt pikiert geben. Das nützt aber nichts, denn das vom BVerfG beanstandete EUGH-Urteil war in der Tat nicht nachvollziehbar und somit willkürlich. "Willkür" ist das Gegenteil von Rechtsstaatlichkeit und neben Rechtsbeugung der schlimmste Vorwurf, den man Richtern machen kann.

    • @Cristi:

      Das Bundesverfassungsgericht erkennt ja die Hoheit des EuGH in dieser Frage an, kritisiert aber dessen Ureil als "objektiv willkürlich" und sieht damit einen Ausnahmetatbestand gegeben, sich darüber hinwegsetzen zu können.

      Das ist eine Hybris, die sich das BVerfG in vergleichbaren Fällen in Deutschland niemals bieten lassen würde.

      Und es öffnet Tür und Tor für ähnliche Argumentationen in anderen Mitgliedsstaaten - besonders, wenn deutsche Politiker gegen Polen und Ungarn (zu recht) schimpfen. Ganz abgesehen davon, dass die deutschen Politiker z.B. bei Griechenland immer auf Regeltreue gepocht haben und keinerlei Ausnahmetatbestand zuließen.

      Wir können froh sein, dass dieses Urteil durch die Corona-Krise überdeckt ist, sonst hätte es aus sich heraus eine große Krise verursacht.

    • @Cristi:

      in der realen Welt ist lt. Art 19 EU-Vertrag der EUGH die höchste Instanz was alle Dinge angeht, die die EU und ihre Institutionen betreffen. Und damit sind seine diesbezüglichen Entscheidungen SELSBTVERSTÄNDLICH für Deutschland bindend. Das BVerfG hat also nichts anderes getan, als ein Urteil einer übergeordneten gerichtlichen Instanz (denn genau das ist der EUGH in Sachen EU) zu konterkarieren

      • @Kaboom:

        Ich lebe in der realen Welt.

        Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind die Kompetenzen der Europäischen Union von der Übertragung durch die Mitgliedstaaten abhängig. Im Besonderen ergibt sich dies auch



        aus Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG. Die Übertragung von Hoheitsrechten erfolgt hiernach durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates (sog. Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung). Dies bedeutet, die Europäische Union darf nur dann



        Hoheitsrechte ausüben, wenn ihr die nötige Kompetenz durch



        die Mitgliedstaaten übertragen wurde. Dies geschieht in



        Deutschland durch ein Zustimmungsgesetz.

        In Folge dessen überprüft das BVerfG, ob sich Unionsrechtsakte im Rahmen



        der der Europäischen Union übertragenen Kompetenzen



        bewegen. Doch auch im Rahmen dieser Überprüfung beachtet das BVerfG den Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit. Einen Kompetenzverstoß sieht das BVerfG deswegen nur als gegeben an, wenn der EuGH die Möglichkeit hatte, zur Kompetenzfrage anhand des Primärrechts Stellung zu nehmen. Sieht der EuGH hierbei selbst einen Kompetenzverstoß als gegeben an, löst sich der Kompetenzkonflikt auf,



        weil der EuGH in diesem Falle zu Gunsten der Kompetenzen der Mitgliedstaaten entschieden hat. Verneint der EuGH hingegen eine Kompetenzüberschreitung, so widerspricht das BVerfG diesem Votum nur dann, wenn der Kompetenzverstoß hinreichend qualifiziert ist. Hierzu muss das kompetenzwidrige Handeln der Europäischen Union offensichtlich zu Tage treten und schwerwiegend ins Kompetenzgefüge zwischen Mitgliedstaaten und Europäischer Union eingreifen.

        Sollte das BVerfG ein solches annehmen – sog. ausbrechender Rechtsakt – ist die Rechtsfolge der Ausspruch der Nichtanwendbarkeit des Unionsrechtsakts im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland (ultra-vires-Kontrolle).

  • Ergänzt:

    Verkehrte Jurisprudenz Welt, Bundesverfassungsgericht (BVG) rügt out of Order durch Urteil zur Anleihekäufe EZB Praxis, statt der deutschen Politik, Legislative, Regierung, Bundestag gesetzgebende Heilung anzumahnen. EuGH, EZB, für die das BVG mit Rügen nicht zuständig sein kann, wie umgekehrt der EuGH nicht Richtung BVG, handelt damit Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren durch EU Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) in Brüssel ein, als sei das alles ein abgekartetes Szenario, Deutschland auf den Lieferantenaufgang zur Akzeptanz von Eurobonds zu bringen?

  • Das eigentliche Thema ist nicht die EZB. Sondern die Frage, welche Kompetenzen Regierung und Bundestag an die EU abgeben können und dürfen.



    Das Bundesverfassungsgericht sagt, nicht so viele wie bisher.



    Das ist der Kern des Urteils - das spät, aber hoffentlich nicht zu spät kommt: auch wenn die Merkel-Regierungen das Ausschalten des Bundestags über Brüssel nicht erfunden haben, so unsere Bundeskanzlerin es immerhin geschafft, die Hinterzimmerkungelei über die EU in eine neue Dimension zu heben. Ein gutes Beispiel sind Handelsverträge. Zollabkommen hat die EU zwar immer schon geschlossen. Durch die neue Interpretation, Umwelt- und Verbraucherschutz als "Handelshemmnisse" per internationalen Verträgen ab zu schaffen, haben Bundesregierung und EU aber dem Bundestag Kompetenzen in zentralen Bereichen entzogen, die eben nicht EU-Aufgaben sind. Und wenn man überlegt, welche Risiken und welche Auswirkungen EZB-Entscheidungen auf jedes Detail unseres Lebens haben können, ist die Frage berechtigt, ob eine Regierung, selbst ein Bundestag die Entscheidungsgewalt auf eine internationale Organisation übertragen darf, über die sie keine Kontrolle hat.

    • @Peter_:

      Nicht nur durch die Exekutive wird die Gewaltenteilung beschädigt. Es dürfen z.B. auch Amtsgerichte bei uns direkt den EuGH anrufen und anschließend Urteile fällen die in Widerspruch zu unseren Gesetzen und unserer Verfassung stehen. So wird die Gesetzgebungskompetenz des Bundestags ausgehebelt und der normale Instanzenweg umgangen.

      rsw.beck.de/cms/?t....root&docid=415579

  • Nicht das Urteil ist katastrophal, sondern irgend etwas im Verlauf der Vertragsschließungen der Staaten der Europäischen Union. Denn das Bundesverfassungsgericht hat nur das getan, wozu es da ist – zu prüfen, ob Gesetze, Weisungen o.Ä. im Einklang mit dem deutschen Grundgesetz stehen. Diese resultierende Feststellung kann man nun doch nicht dem Richtergremium anlasten, wenn die Politik zuvor bei der Unterzeichnung von Verträgen Bockmist gemacht hat. Wer sich über das Verfassungsgericht mokiert wie die unsägliche v.d.L., hat nicht so ganz das Thema Gewaltenteilung im Mitgliedsstaat Deutschland verstanden.

    • @Markus Wendt:

      Genau das ist doch der Kern. Es wundert mich, dass dieser Punkt so nicht in den Medien thematisiert wird, weder von denen , die das Urteil gut heissen noch von denen, die es kritisieren. Hat sich Deutschland nun vertraglich verpflichtet, Urteile des EUGH zu akzeptieren und wenn ja, durfte es das. Und wenn auch das zu bejahen ist, müssten doch die Kompetenzen des BVerfG entsprechend geändert werden ( wohl nur mit 2/3 Mehrheit ?). Es kann doch nicht sein, dass ein BVerfG einen Fall verhandelt und das Ergebnis vorher schon vom EuGH vorgegeben ist. Dann dürfte das BVerfG doch einen solchen Fall gar nicht mehr verhandeln können. Es ist doch offensichtlich, dass hier grundsätzliche Widersprüche in den letzten Jahrzehnten vetraglich vereinbart wurden, durch die offenbar nicht mal mehr Experten so genau durchblicken. Wer die EU retten will, muss diese Widersprüche heilen und darf nicht Richterschelte betreiben.

      • @Karl B:

        Ganz einfach, weil dies nicht der Punkt ist. Dieses Urteil benennt eben nicht die Problematik der Verträge.

        Das BVerfG nimmt für sich ein Ausnahmerecht in Anspruch, dass es so nicht gibt. Es hat augenscheinlich gehofft, dass seine Anfrage an den EuGH in seinem Sinne entschieden werde. Da dies nicht der Fall ist, mussten die Deutschen Verfassungsrichter, die sich eben als die Krone der juristischen Schöpfung sehen. plötzlich von Willkür und Ausnahmen reden in völliger Verkennung ihrer Position.

      • @Karl B:

        Ergänzung: "Katastrophal" ist nicht das Urteil, sondern die rechtlichen Umstände, dass es so weit kommen konnte.

  • Man muß diesem Herrn Giegold ja dankbar sein, daß er jedem deutlich macht, wofür die Grünen wirklich stehen.



    Ich frage mich aber, wie so ein Vertragsverletzungsverfahren aussehen könnte, und was das Ziel sein soll.



    Schließlich haben wir Gewaltenteilung in Deutschland, und die Bundesregierung ist an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes gebunden.



    Die Stellung und die Machtbefugnis des Bundesverfassungsgerichtes ergibt sich aus dem Grundgesetzt.



    Die entsprechenden Passagen können mit 2/3-Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat geändert werden.



    Wenn Herr Giegold die Gewaltenteilung aufheben und das Verfassungsgericht entmachten will, soll er das auch klar sagen und dafür sorgen, daß seine Partei einen entsprechenden Gesetzentwurf einbringt.

  • Die EU hat ja bereits in der Vergangenheit einige Änderungen an unserem Grundgesetz durchgedrückt.



    Und wenn man dann noch im Hinterkopf hat, dass lange nicht alle Gremien der EU demokratisch gewählt werden - dann wird einem Angst und Bange.

  • Es wird kritisiert dass man bei der juristischen Abwägung die politischen Konsequenzen nicht in Betracht zieht? Gott schütze uns vor unabhängigen und unpolitischen Gerichten... oder...?

    • @Questor:

      Mit "politisch" ist hier die Frage der Machtarchitektur innerhalb der EU gemeint. In Wirklichkeit hat Karlsruhe hier doch politisch gehandelt - nämlich außerhalb seiner Befugnis über die Geldpolitik der EZB zu befinden

      • @Lurkus:

        Ich sehe sehr wohl eine Befugnis Karlsruhes, die dt. Regierung steht auch mittelbar nicht über dem deutschen Gesetz und darauf hat Karlsruhe zu achten.



        Und natürlich sollten Urteile unabhängig von den politischen Konsequenzen gefällt werden, dafür haben wir doch die Gewaltenteilung. Wenn die Gesetzeslage so ist dass es bei korrekter Auslegung ein politisches Erdbeben geben muss, dann kann die Legislative entweder versuchen die Gesetze anzupassen oder es gibt ein politisches Erdbeben. Es ist nicht an der Judikative Gesetze auszusetzen weil sie politisch gerade nicht in den Kram passen.

    • @Questor:

      Also Herr Voßkuhe betont die politische Dimension immer wieder. Ein Urteil sollte so sein, dass es eben nichts zum Einsturz bringt. Bringt dieses Urteil ds BVerfG auch nicht. Eine Begründung wird geliefert werden und das Programm läuft erst einmal weiter. Man sollte aber die Chance nutzen, die dieses Urteil bietet, also die Diskussion und Entscheidung über Dinge wie Umgestaltung des GG, europäische Verfassung, Tiefe der europäischen Integration. Jetzt heißt es Farbe bekennen.

  • Ist das nicht sehr schwierig? Ich erinnere mich an die zunehmend aufgeheizten gesellschaftlichen Diskussionen der letzten Jahre so, dass es ein demokratisch-bürgerliches Lager gab und gibt, das fest gegen Populismus und andere Anfeindungen stand und steht und als eines der festen Standbeine unsere Verfassung hat. Die dafür relevanten Teile der Verfassung bestehen aus wenigsten Sätzen. Deswegen meint man in der Praxis mit "unsere Verfassung" das BVerfG und das BVerfG sieht sich auch selber so und ist immer so akzeptiert und unterstützt worden.

    Jetzt ist das BVerfG auf einmal zu igrnorieren, gar gefährlich.

    Wird das nicht auch für andere gesellschaftliche Diskussionen gefährlich, weil man dann den Eindruck haben könnte, dass hinter dem klaren demokratisch-bürgerlichen Lager gar nicht universelle Werte und die Verfassung sondern einfach persönliche politische Vorlieben stehen?

    • @Markus Michaelis:

      EU-Recht ist aber gegenüber den Verfassungen der Mitgliedsstaaten höherrangig. Wenn das EU-Recht aber der deutschen Verfassung widerspricht, hätten wir die entsprechenden Verträge gar nicht unterzeichnen dürfen.

      Deshalb gilt: Wenn der EuGH und das BVerfG sich uneins sind, dann gilt das Urteil des EuGH. Punkt.

      Zu der Frage gibt es hier noch einen sehr interessanten Artikel: www.spiegel.de/wir...-a086-169965595a32

      • @Smaragd:

        Nochwas @Smaragd: zu dem Spiegel-Artikel: Inflationskontrolle ist nicht mehr das Hauptziel, dem EuGH ist das sogar ziemlich egal. Das Hauptziel des EuGH ist es ein einheitliches Europa zu schaffen (ich denke auch möglichst einen europäischen Bundesstaat). Die EZB macht notgedrungen oder überzeugt mit, weil es nicht um ein paar Prozent Inflation, sondern das überleben der EU geht.

        Insofern hat der Spiegel-Artikel recht: das BVerfG-Urteil gefährdet den Euro und Europa - klar hat es diesen Aspekt. Andersherum gefährdet Europa (konkret hier der Euro) Teile des Grundgesetzes und die EZB-Geldpolitik verschiebt den Euro-Crash vielleicht nur, bis dieser so schlimm wird, dass er auch die EU sprengt. Möglicherweise erreichen EuGH und EZB also das Gegenteil.

        Genug Grund zum Diskutieren also.

      • @Smaragd:

        @Smaragd Das kann man so sehen und es sehen sicher auch sehr viele Menschen so. Aber kann man dann nicht auch die Bedenken der EU-Gegner verstehen: hier wurde etwas angepriesen als "ist NUR dies und das", "Frieden zwischen den Nationen" etc. Die Leute haben das alles nicht so genau verstanden und jetzt sagt die Rechtsabteilung, wie es zu laufen hat, was für jeden mit tieferem Rechtsverständnis auch eine klare Sache ist (oder zu sein scheint), aber doch viele Menschen etwas schwindlig argumentiert?

      • @Smaragd:

        Deutschland ist nicht die Verwaltungsebene eines EU-Staates, die EU ist der Zusammenschluß von souveränen Staaten.



        Dementsprechend haben auch die Verfassungen der Mitgliedstaaten Vorrang vor EU-Recht.

      • @Smaragd:

        Als die Verträge abgeschlossen wurden war aber eine solche Politik der Zentralbank nicht absehbar und EU-Recht schlägt eben nicht immer das GG. Man sollte das Urteil des BVerfG dazu nutzen um die bestehenden Widersprüche aufzulösen.

  • 8G
    83191 (Profil gelöscht)

    Also wenn das dt. Verfassungsgericht ein Urteil wegen einer Schlechten Begründung, z.B. weil es im Eilverfahren durchgedrückt wurde, bis zur Nachreichung einer anständigen Begründung nicht annimmt, ist das dt. Verfassungsgericht der Böse? Insbesondere ein Urteil, was KEINE akuten Auswirkungen hat.

    Das ist ein Signal, klar. Ebenso wie die Androhung eines Strafverfahrens ein Signal ist. Wird das dann vor dem EuGH ausgefochten? Denn das klingt schon sehr nach Schauprozess ;-)

    Ich mag die Idee von Europa, aber irgendwie sehe ich mich hier im Fall der Fälle eher auf der Seite des Dt. Verfassungsgerichtes.

    PS: Deutschlands Staatsanleihen haben auch ohne dieses Programm niedrige Zinsen. Das ist im besten Fall ± 0