EZB-Entscheid vom Bundesverfassungsgericht: Von der Leyen wird gründlich prüfen

Wie es nach dem Urteil zur EZB weitergeht, ist offen. Ein Vertragsverletzungsverfahren ist möglich, ein Showdown ist aber unwahrscheinlich.

Ursula von der Leyen steht an einem Mikrofon. Hinter ihr zwei EU-Flaggen.

Steht nach dem deutschen Urteil vor schweren Entscheidungen: Ursula von der Leyen Foto: dpa

Die EU-Kommission hat noch nicht entschieden, ob sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten wird. Am Wochenende hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine entsprechende Prüfung angekündigt. Anlass ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Anleihekaufprogrammen der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Verfassungsrichter hatten vorige Woche erklärt, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), mit dem das EZB-Programm gebilligt wurde, sei wegen grober methodischer Mängel nicht verbindlich.

Die EU-Kommission betrachtet sich – zusammen mit dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg – als Hüterin der Verträge. Wenn ein nationales Gericht die Rechtsprechung des EuGH bewusst missachtet, sieht sie darin einen gefährlichen Präzedenzfall. Um den Vorrang des EU-Rechts durchzusetzen, könnte die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten. Adressat des Verfahrens ist weder das Bundesverfassungsgericht noch die Bundesregierung, sondern die Bundesrepublik Deutschland als EU-Mitgliedstaat.

Ein solches Verfahren ist auch möglich, wenn es um Gerichtsurteile geht. Bei den regimetreu gewendeten Verfassungsgerichten in Polen und Ungarn leuchtet das unmittelbar ein. Aber auch das Bundesverfassungsgericht hat hier trotz seines guten Rufs keine Sonderstellung.

Da Gerichtsurteile schwer zu korrigieren sind und der Konflikt zwischen EuGH und Bundesverfassungsgericht schon lange schwelt, wird sich die EU-Kommission mit der Prüfung wohl Zeit lassen. Es gibt auch noch keinen Termin, an dem sich die 26 Kommissare mit dem Fall befassen werden. Vermutlich wird die Kommission zunächst beobachten, ob die EZB die von Karlsruhe geforderte Verhältnismäßigkeitsprüfung für ihr Ankaufprogramm nachliefert und ob sich die Verfassungsrichter damit dann zufrieden geben.

Nur die EU-Kommission und andere EU-Staaten können Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Klagen von EU-Staaten sind allerdings extrem selten. Das Europäische Parlament kann ein solches Verfahren nicht initiieren. Falls es zu einem Verfahren kommt, verläuft das in mehreren Phasen: Zunächst fordert die Kommission den Staat auf, sich zu dem Vorwurf zu äußern. Wenn dessen Antwort nicht überzeugt, gibt die EU-Kommission eine begründete ­Stellungnahme ab.

Zwangsgelder sind möglich

Wenn der Staat immer noch nicht nachgibt, kann ihn die EU-Kommission beim EuGH verklagen. Der EuGH stellt dann endgültig fest, ob eine Vertragsverletzung vorliegt. Falls der Staat auch eine Verurteilung durch den EuGH ignoriert, kann die EU-Kommission die Verhängung von Zwangsgeldern beantragen, über die ebenfalls der EuGH entscheidet. Diese müssen dann so lange bezahlt werden, bis der Verstoß abgestellt ist.

Das Verfahren wäre besonders heikel, weil hier der EuGH in eigener Sache entscheiden müsste. Es geht ja darum, ob er das letzte Wort hat oder ob er unter der Aufsicht nationaler Verfassungsgerichte steht. Dennoch würde der EuGH sich sicher nicht für befangen erklären – so wie sich ja auch das Bundesverfassungsgericht nicht für befangen erklärt hat, als es sich über den EuGH erhob.

Einen Showdown zwischen Luxemburg und Karlsruhe wollen aber wohl alle Beteiligten vermeiden – schon wegen der gemeinsamen Sorge um die abnehmende Rechtsstaatlichkeit in Osteueropa. Kommissionspräsidentin von der Leyen stehe in Kontakt mit der Bundesregierung und der Kanzlerin, sagte ein Sprecher der Brüsseler Behörde am Montag.

Giegold warnt vor Eskalation

Versöhnliche Töne schlug auch der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold an. „Es geht nicht um eine Drohung oder gar um eine Bestrafung – das wäre absurd“, sagte er der taz. „Es geht mir darum, eine kooperative Lösung zu finden.“ Eine Möglichkeit wäre, dass die Bundesregierung ein Angebot für eine gemeinsame Fiskalpolitik in der Eurozone macht. „Das wäre eine vertrauensbildende Maßnahme.“

Wenn sich Berlin nicht bewege, könne dies allerdings verheerende Folgen haben, so Giegold. Im schlimmsten Fall müsse die Bundesbank dann in drei Monaten aus dem Anleiheprogramm aussteigen. „Das würde das Vertrauen erschüttern, dass Deutschland noch voll zur Währungsunion steht“, sagte der Abgeordnete. „Diese Eskalation muss unbedingt vermieden werden.“

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